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Allgemeines Verwaltungsrecht
Priv.-Doz. Dr. Claudio Franzius
Warum Verwaltungsrecht?
- Staatsexamen
- Praxis und Alltag des Öffentlichen Rechts
- Spröde, aber wissenschaftlich interessant (Interdisziplinarität)
- Wandel von Staatlichkeit
Gliederung
III. Gestaltungsoptionen und Aufhebung von Verwaltungsakten
§ 8 Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
§ 9 Behördliche Aufhebung von Verwaltungsakten: Leitgedanken und
Gesetzessystematik
§ 10 Rücknahme und Widerruf des Verwaltungsakts, Wiederaufgreifen des
Verfahrens
IV. Erweiterungen der Perspektive
§ 11 Öffentlich-rechtlicher Vertrag
§ 12 Vollstreckung von Verwaltungsakten
§ 13 Europäisches Verwaltungsrecht und Reformoptionen
Arbeitsmaterialien
- Gesetzestext (mit VwVfG und VwGO)
- Skript (5 Teile) und Folien zum Allgemeinen Verwaltungsrecht
http://www.jura.uni-hamburg.de/albers
- Lehrbuch zum Allgemeinen Verwaltungsrecht
- Wilfried Erbguth , Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl 2013 (Nomos)
- Hartmut Maurer , Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011 (C.H. Beck)
- Steffen Detterbeck , Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 2013 (C.H. Beck)
- Ingo Richter/Gunnar Folke Schuppert/Christian Bumke , Casebook
Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2000, §§ 1-21 (mit Entscheidungsauszügen)
Verwaltung
- ist Rechtsanwendung,
- aber nicht allein. Die Exekutive ist auch zur Rechtsetzung berechtigt, etwa
zum Verordnungserlass nach Art. 80 GG.
- Mit der Verantwortung für die Durchführung des verwaltungsgerichtlichen
Vorverfahrens (§§ 68 ff. VwGO) obliegen der Exekutive auch judikative Angelegenheiten.
- Hinzu kommt die methodische Einsicht, dass in jeder Rechtsanwendung
zugleich ein Moment der Rechtserzeugung steckt.
Formen und Funktionen moderner Verwaltung
- negative Begriffsbestimmung: Verwaltung im materiellen Sinne ist diejenige
Staatstätigkeit, die nicht Gesetzgebung und nicht Rechtsprechung (aber auch nicht
Regierungstätigkeit) ist.
- Innerhalb der Verwaltung lassen sich bestimmte Funktionen ausmachen, die
Verwaltung also nach Zweck und Rechtswirkungen der Verwaltungstätigkeit unter-
scheiden. Hilfreich ist eine aufgabenbezogene Typik des Verwaltungshandelns:
- Eingriffsverwaltung
- Leistungsverwaltung (Daseinsvorsorge)
- Gewährleistungs- und Regulierungsverwaltung
- Früher war auch die Unterscheidung zwischen gesetzesakzessorischer und
nichtgesetzesakzessorischer ("gesetzesfreier") Verwaltung verbreitet. Letztere
wird ohne gesetzliche Grundlage tätig.
Verwaltungsrecht als öffentliches Recht
- Gewaltmonopol des Staates Merke: Auctoritas, non veritas facit legem (Thomas Hobbes) = Die Gewalt (oder Macht), nicht die Wahrheit "macht" (produziert) das Recht
- Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht Gesetzesbindung der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG Maßstäbe rechtmäßigen Verwaltungshandeln: Ermächtigungsgrundlage, Zuständigkeit, Beachtung von Verfahrens- und Formvorschriften, Vorliegen der Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage, richtiger Adressat, kein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere Grundrechte, Verhältnismäßigkeit
- Öffentliches Recht und Privatrecht
- Rechtswegeröffnung, § 13 GVG, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
- Anwendbarkeit des VwVfG (nur bei öffentlichrechtlicher Verwaltungstätigkeit)
- Bestimmung des Verwaltungsaktbegriffs nach § 35 VwVfG ("hoheitliches Handeln auf dem Gebiet des öffentliches Rechts")
- Wann aber handelt es sich um öffentliches Recht?
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Verwaltungsrecht als Teil des Öffentlichen Rechts
- Verhältnis zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht , vgl. Art. 20 Abs. 3 GG: Vorrang der Verfassung vor dem Gesetzesrecht: Bei der Frage, inwieweit verfassungs- rechtliche Wertungen – zB die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte als Werte- ordnung – das Verwaltungsrecht prägen (sollen), wurden und werden die Akzente unterschiedlich gesetzt: - Otto Mayer (1924): Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht - Fritz Werner (1957): Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht
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- Einfluss des Unionsrechts auf das Verwaltungsrecht, schwächere Einflüsse des
Völkerrechts
- Was gehört zum Verwaltungsrecht?
- Allgemeines Verwaltungsrecht, zB Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Besonderes Verwaltungrecht, zB: Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - SOG)
Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit
Das Gesetz wird vollzogen. Primäre Rechtsanwendung
- Verwaltungsgerichtsbarkeit
- als nachvollziehende Gewalt:
Die Gerichte setzen sich nicht an die Stelle der Verwaltung, werden wie
die Verwaltung aber ebenfalls rechtsanwendend tätig, indem sie die Rechts-
anwendung der Verwaltung nachvollziehen und auf ihre Richtigkeit überprüfen:
Den Gerichten ist die Kompetenz zur Letztentscheidung zugewiesen, es sei denn,
der Gesetzgeber weist der Verwaltung gestalterische Spielräume zur Letzt-
entscheidung zu: Ermessen oder Beurteilungsspielraum.
Fallbeispiel
- Das Sportförderungsgesetz des Landes X bestimmt:
"Zum Bau von Sportanlagen können Sportvereinen auf Antrag Grundstücke
aus dem Grundvermögen der Gemeinden übertragen werden. Der Erwerb
erfolgt für den Sportverein kostenlos. Der Gemeinde wird die Hälfte des
Grundstückswertes aus Landesmitteln erstattet."
- Der Sportverein S stellt bei der Gemeinde G einen Antrag auf Übertragung eines
in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks, auf dem er einen Sportplatz errichten
möchte. Dieser Antrag wird positiv beschieden.
- Als G vom Land X die Erstattung der Hälfte des Grundstückswertes verlangt,
kommt es zum Streit über den von G geltend gemachten Grundstückswert. G
verweigert nun die Übertragung des Grundstücks an V.
- Vor welchem Gericht kann V von der Gemeinde G die Überlassung des
Grundstücks verlangen?
Lösung des Beispielsfalls
- Aufsuchen der "streitentscheidenen" Norm
Übertragung des Grundstücks von G auf V erfolgt nach Maßgabe des Sportförderungsgesetzes des Landes X. Das Gesetz enthält die im Streit stehenden Vorschriften. Sind die öffentlich-rechtlich, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (§ 40 Abs. 1 VwGO). Tragen sie dagegen privatrechtlichen Charakter, sind die Zivilgerichte zuständig (§ 13 GVG).
- Das Gesetz verbindet privatrechtliche Tatbestände (Übertragung von Eigentum) mit öffentlichen Zwecken (Förderung bzw. Subventionierung von Sportvereinen), so dass eine eindeutige Zuordnung der einschlägigen Bestimmungen zum öffentlichen oder privaten Recht ausscheidet. Deshalb ist auf die Abgrenzungstheorien einzugehen:
Interessentheorie : Vergabe von Grundstücken zum Bau von Sportanlagen dient dem Allgemeininteresse, aber zu einer praktikablen Abgrenzung taugt die Theorie wenig. Subordinationstheorie kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis: Die aus dem Bereich der Leistungsverwaltung hervorgehende Rechtsbeziehung zwischen V und G ist weder durch ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis noch durch Gleichrangigkeit gekennzeichnet. Modifizierte Subjektstheorie : Gesetz berechtigt G und verpflichtet L, also ausschließlich Hoheitsträger, deshalb liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, die vor dem Verwaltungsgericht zu klären ist.
Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht
- spielt in der Fallbearbeitung bei der Bestimmung des zulässigen Rechtswegs eine Rolle. Für öffentlich-rechtliches Handeln nichtverfassungsrechtlicher Art ist grundsätzlich der Verwaltungs- rechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet (erster Prüfungspunkt bei einer Klage!)
- Ist eine aufdrängende Sonderzuweisung (zB § 126 BBG) nicht ersichtlich, müssen
nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO drei Voraussetzungen kumulativ geprüft werden:
1. Öffentlich-rechtlicher Charakter der Streitigkeit in Abgrenzung zum Privatrecht
2. Streitigkeit muss nichtverfassungsrechtlicher Art sein, in Abgrenzung zum
Verfassungsrecht (und der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte). Verfassungs-
rechtliche Streitigkeit, wenn a) ausschließlich Staatsverfassungsorgane und b)
Staatsverfassungsrecht streitig ist (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit)
3. Keine abdrängende Sonderzuweisung an eine andere Gerichtsbarkeit,
zB für Entschädigungsansprüche § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO (mit der Gegenausnahme
in § 40 Abs. 2 S. 1 2. HS!)
- § 17 Abs. 2 S. 1 GVG (Entscheidung auch über konkurrierende zivilrechtliche Rechtsgrundlagen), § 17a Abs. 2 GVG (Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht)
Privatrechtliches Handeln der Verwaltung
- Originär privatrechtliches Handeln der Verwaltung
zum Beispiel fiskalische Hilfsgeschäfte, erwerbswirtschaftliche Betätigung der
öffentlichen Hand, Vergabe öffentlicher Aufträge (§§ 97 ff. GWB). Beispiel:
Behörde kauft neue Computer.
- Wahrnehmung von materiellen Verwaltungsaufgaben in der Form des
Privatrechts Zwar kann die leistende Verwaltung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht wählen , soweit sie nicht gesetzlich auf öffentlich-rechtliches Handeln festgelegt ist. Dann wird das Privatrecht jedoch durch öffentlich-rechtliche Bindungen (insbes. an die Grundrechte) überlagert. Anwendungsfelder dieses " Verwaltungsprivatrechts " sind Einrichtungen der Daseinsvorsorge und die Subventionsvergabe.
- Abgrenzungstheorien für die Zuordnung von Rechtsätzen zum Öffentlichen Recht
oder Privatrecht haben nur eingeschränkten Nutzen.
Ist schon unklar, welche Norm "streitentscheidend" ist, helfen auch die Abgrenzungs-theorien nicht weiter. Es muss auf Indizien und den Gesamtzusammenhang zurückgegriffen werden. Tendenz zur Kasuistik :
Zuordnungsprobleme
- Realakte: Abwehr von Immissionen
nach h.M. ist der Zweck der Einrichtung, von der die Immission (zB Lärm) ausgeht,
entscheidend. Ist dieser hoheitlicher Natur, liegt öffentliches Recht vor.
- Ähnliches gilt bei begehrter Unterlassung und begehrtem Widerruf von Äußerungen eines Hoheitsträgers. Nur dann, wenn die Äußerung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Amtsausübung gefallen ist, sind sie der Behörde zuzurechnen und wie deren sonstiges Handeln öffentlich-rechtlicher Natur.
- Auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr eines Amtsträgers fehlen Rechts-
vorschriften, nach denen eine Zuordnung erfolgen könnte.
Die Rspr. stellt auf den Zweck der Fahrt ab. Bei der Verfolgung von Verwaltungszwecken (Dienstfahrt) ist öffentliches Recht einschlägig, bei fiskalischer Tätigkeit ist die Teilnahme am Straßenverkehr privatrechtlich. Die zutreffende Gegenauffassung stellt auf die Inanspruch- nahme von Hoheitsrechten ab. Danach ist die Teilnahme am Straßenverkehr nur dann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, wenn konkret Hoheitsrechte (zB "Blaulicht") in Anspruch genommen werden (Erbguth § 5 Rn. 16-20; Maurer § 3 Rn. 30).
- Hausverbot: Zweck der Anwesenheit des Störers im Verwaltungsverbäude oder
Zweck des Hausverbotes. Die Aufrechterhaltung des ungestörten Dienstbetriebs ist
als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, dazu folgende Beispiele.