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Ausdrucksverhalten von Hunden (Canis familiaris) gegenüber dem Menschen in einem Verhaltenstest und Beschwichtigungssignale in der Hund-Mensch-Kommunikation
Art: Abschlussarbeiten
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Aus dem Veterinärwissenschaftlichen Department der Tierärztlichen Fakultät
der Ludwig-Maximilians-Universität München
Arbeit angefertigt unter der Leitung von
Univ.-Prof. Dr. Dr. M. H. Erhard
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der tiermedizinischen Doktorwürde
der Tierärztlichen Fakultät
der Ludwig-Maximilians-Universität München
von Angelika Bernadette Bublak
aus Landshut
München 2013
Gedruckt mit der Genehmigung der Tierärztlichen Fakultät
der Ludwig-Maximilians-Universität München
Dekan: Univ.-Prof. Dr. Joachim Braun
Referent: Univ.-Prof. Dr. Dr. Michael H. Erhard
Korreferent: Prof. Dr. Andrea Fischer
Tag der Promotion: 20. Juli 2013
A b k ü r z u n g s v e r z e i c h n i s S e i t e | IV
Abb. Abbildung
Akt.Dem aktive Demut
Def.Dro defensives Drohverhalten
Erkund. Erkundungs- bzw. Orientierungsverhalten
et al. et alii
Hd. Hund
Kap. Kapitel
körp. körperlich
M Momente mit Leckintention
Max Maximum
Min Minimum
Mw Mittelwert
n Anzahl
NHundG Niedersächsisches Gesetz über das Halten von Hunden
Off.Dro offensives Drohverhalten
p Signifikanz
Soz.Pos sozio-positive Annäherung
Sub. I submissives Verhalten ohne Ausweichen
Sub. II submissives Verhalten mit Ausweichen
Sub. III deutlich submissives Verhalten
Tab. Tabelle
TierSchG Tierschutzgesetz
TP Testperson
TS Testsituation
u. und
Verh. Verhalten
VR Verhaltensreaktion
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„Was gerade geschieht, steht in Verbindung mit dem was vorher passierte und wird beeinflussen was folgt. Verhaltensweisen sind die Konsequenzen aus anderen Handlungsfolgen“
(Feddersen-Petersen, 2008)
Das Ausdrucksverhalten von Hunden faszinierte von jeher Forscher und Hundehalter gleichermaßen. Die erstaunliche Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft des Hundes gegenüber dem Menschen ermöglichte dem Haushund eine Sonderstellung unter den Haustieren. Die Interpretation des Hundeverhaltens beruhte viele Jahre lang vorwiegend auf Ergebnissen der Wolfsforschung. Es kristallisierte sich jedoch immer mehr heraus, dass das Wolfsverhalten nicht eins zu eins auf den Hund übertragen werden kann, da der Haushund (Canis familiaris) kein degenerierter, zahmer Wolf ist. Über 15.000 Jahre Domestikation sind am Haushund und seinem Verhalten nicht spurlos vorübergegangen. Das Ergebnis ist die Unterart Canis familiaris, wie sie variabler nicht sein könnte. Es gibt über 300 verschiedene Hunderassen, die sich nicht nur äußerlich, sondern auch im Verhalten unterscheiden. Sie alle haben allerdings eines gemeinsam – den Menschen als Sozialpartner. Das Zusammenleben mit dem Menschen erfordert von Hunden eine enorme Anpassungsfähigkeit. Für viele Menschen ist der Hund ein Familienmitglied und ständiger Begleiter. Das Ausdrucksverhaltens des Haushundes in seiner natürlichen Umgebung zu erforschen bedeutet nicht nur sein Verhalten gegenüber Artgenossen, sondern auch gegenüber dem Menschen, zu untersuchen.
Das Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung des Ausdrucksverhaltens gesunder, verhaltensunauffälliger Hunde verschiedener Rassen gegenüber fremden Menschen in unterschiedlichen Situationen. Dazu wurden unter anderem das Ausdrucksverhalten der Hunde bei der Begrüßung fremder Menschen und die Verhaltensweisen, die diese Hunde bei der Kontaktaufnahme zeigten, analysiert. Besonderes Interesse galt der differenzierten Kommunikation der Hunde gegenüber fremden Personen, die sich je nach Testsituation freundlich, bedrohlich oder neutral verhielten. Des Weiteren wurde der Einfluss der rassebedingten, optischen Körpermerkmale auf das Ausdrucksverhalten der Hunde beurteilt.
Ein weiteres Ziel der Studie war die Untersuchung des Beschwichtigungsverhaltens von Hunden in der Hund-Mensch-Kommunikation. Bisherige Untersuchungen zu diesem Thema konzentrierten sich vorwiegend auf das Beschwichtigungsverhalten von Wolfsrudeln und wildlebenden Hundepopulationen.
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Verhalten als zentraler Begriff in der Ethologie umfasst jede Bewegung, Lautäußerung, Körperhaltung und äußerlich erkennbare Veränderung eines Tieres, die der gegenseitigen Verständigung dienen (Immelmann, 1996). Kappeler (2012) begrenzt das Verhalten nicht auf Kommunikationssignale, sondern definiert es weitreichender: „Verhalten […ist] die intern koordinierte Kontrolle von Bewegungen oder Signalen, mit denen ein intakter Organismus mit Artgenossen oder anderen Komponenten seiner belebten und unbelebten Umwelt interagiert, sowie […die] Aktivitäten, die der Homöostase eines Individuums dienen “. Das Verhalten eines Tieres ist nicht statisch, sondern veränderbar und damit anpassungsfähig an seinen Lebensraum (Kappeler, 2012). Das Verhalten eines Lebewesens unterliegt ständiger Entwicklung und wird durch seine genetischen Vorgaben sowie die einwirkenden Umweltreize beeinflusst. Die physische Umwelt wird in gleicher Weise kontinuierlich durch das Verhalten des Organismus verändert. Ein komplexes Zusammenwirken von Genetik und Umwelt ist die Folge (Scott, 1965; Dierk, 1997; Coppinger, 2001). Die potentiellen Kosten und der Nutzen einer Verhaltensweise beeinflussen die Gesamtfitness eines Individuums. Entscheidend ist somit, welche Vorteile bzw. Nachteile das Verhalten für das Überleben und die Fortpflanzung bietet (Kappeler, 2012). Gene und damit auch genetisch bedingte Verhaltensunterschiede unterliegen der natürlichen Selektion. Dieser Prozess unterstützt die Herausbildung besser angepasster Verhaltensweisen im Laufe der Evolution (Dierk, 1997). So vielschichtig wie der Begriff „Verhalten“ ist, sind auch die Faktoren, die das Verhalten eines Tieres beeinflussen. Um das Verhalten von Haushunden zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Einflüsse darauf näher zu betrachten.
Warum zeigt der Hund ein bestimmtes Verhalten? Auf diese Frage gibt es nicht nur eine Antwort, sondern es kommt auf die Betrachtungsweise an. Der Nobelpreisträger Nikolaas Tinbergen unterschied vier Grundfragen der biologischen Forschung, die bei der Frage nach der Ursache von Verhalten zu berücksichtigen sind (Tinbergen, 1963).
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Die Gene und damit auch das Verhalten des Haushundes werden von der stammesgeschichtlichen Entwicklung (Phylogenese) beeinflusst. Die Phylogenese umfasst die Abstammung des Haushundes vom Wolf (Canis lupus), den Domestikationsprozess der letzten 15.000 Jahre und die selektive moderne Rassehundezucht (Feddersen-Petersen, 2008 ; Miklósi, 2011 ). Die Entwicklungsgeschichte eines Individuums (Ontogenese) nimmt, ebenso wie die Phylogenese, großen Einfluss auf das Verhalten eines Hundes. Das Verhalten in einer bestimmten Situation wird jedoch auch von der momentanen Motivationslage des Hundes, seiner Persönlichkeit, endogenen Faktoren (z.B. Hormone) sowie von der belebten und unbelebten Umwelt beeinflusst (Feddersen-Petersen, 2008).
Ontogenese , die individuelle Entwicklung eines Hundes, beeinflusst sein gesamtes Verhalten durch kontinuierliche, entwicklungsbedingte, anatomische und physische Veränderungen (McFarland, 1999 ; Eibl-Eibesfeldt, 2004 ). „Entwicklung ist kontinuierliche Veränderung, gekennzeichnet durch das zunehmende Auftreten von Verhaltensweisen und deren Heranreifen in einem ständigen Wechselspiel zwischen genetischen und umweltbedingten Faktoren […]“ (Feddersen-Petersen, 2004). In Anlehnung an Scott und Fuller (1965) unterscheidet man bei der Entwicklung eines Hundes die neonatale Phase, die Übergangsphase, die Sozialisierungsphase und die juvenile Phase. Besonders die Sozialisierungsphase ist für die Verhaltensentwicklung und für das spätere Sozialverhalten und die Umweltsicherheit eines Hundes von zentraler Bedeutung. Sozialisation bezeichnet den Prozess der Auseinandersetzung der heranwachsenden Welpen mit der belebten Umwelt. Von großer Wichtigkeit sind insbesondere das Einüben von Sozialverhalten und das Eingehen von sozialen Bindungen mit Artgenossen und Menschen. Während der sensiblen Phase finden prägungsähnliche Lernvorgänge statt, wodurch sich sowohl positive als auch negative Erfahrungen nachhaltiger einprägen als in jeder anderen Lebenszeit. Begünstigt wird dieser Lernprozess durch die hohe Lernbereitschaft und große Umweltoffenheit der Hundewelpen während dieser Zeit. Deprivation, negative Erfahrungen und sozialer Erfahrungsentzug in dieser Zeitspanne führen zu sozialer Unsicherheit in der innerartlichen und zwischenartlichen Kommunikation (Scott, 1965).
Die gewonnenen Erfahrungen eines Hundes beeinflussen sein weiteres Verhalten und bilden die Grundlage für eine lebensnotwendige Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umweltsituationen (Alcock, 2006 ). „Lernen ist ein Prozess, der in einer relativ konsistenten Änderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotentials resultiert, und basiert auf Erfahrung“ (Gerrig, 2008). Hunde besitzen ein besonders hoch entwickeltes Lernverhalten. Neugier, Erkundungs- sowie Spielverhalten sind häufig die treibenden Faktoren für das Lernen von Verhaltensweisen. Das
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Von Interesse für die Zucht und Wissenschaft ist ebenso die Vererbbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen. Die Persönlichkeit eines Hundes kann aus seinem Verhalten geschlossen werden und beeinflusst wiederum sein Verhalten in einem nicht unerheblichen Maße (Feddersen-Petersen, 2008).
Die Rassehundezucht in der heute bekannten Form gibt es erst seit der zweiten Hälfte des
Das Ausdrucksverhalten von Hunden ist im Vergleich zu Wölfen, vor allem im mimischen Bereich, reduziert. Aktuelle Forschungsergebnisse sprechen von 60 möglichen mimischen Gesamtausdrücken beim Wolf, denen 23 mimische Gesamtausdrücke beim relativ ursprünglichen Alaskan Malamute gegenüberstehen (Feddersen-Petersen, 2008). Das ausgeprägte Sozialverhalten des Wolfes erfordert eine fein differenzierte Körpersprache und Mimik, um untereinander kommunizieren zu können (Zimen, 2010). Die natürliche Selektion hat beim Wolf zu einem immer differenzierteren und unmissverständlichen Ausdrucksverhalten geführt. Beim Haushund ist das Gegenteil der Fall. Die Gesichtsmimik und Körpersprache ist rasseabhängig aufgrund fehlender bzw. veränderter Körpermerkmale vergröbert und das optische Ausdrucksverhalten damit reduziert (Feddersen-Petersen, 2008). Grundsätzliche Übereinstimmungen zwischen dem Ausdrucksverhalten von Hund und Wolf sind jedoch gegeben (Zimen, 1971 ). Hunde kommunizieren in erster Linie über das optische Ausdrucksverhalten miteinander. Die Rassehundezucht hat zu einer großen innerartlichen Variabilität bei vielen körperlichen Merkmalen geführt, die die innerartliche Kommunikation nicht selten negativ beeinflusst (Feddersen-Petersen, 2008). Im Folgenden werden in Anlehnung an Feddersen-Petersen (2008) die einzelnen körperlichen Merkmale, die Einfluss auf die Mimik und das optische Ausdrucksverhalten haben, kurz dargestellt.
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Die Ohren sind ein wichtiger Teil des mimischen Ausdrucksverhaltens von Hunden. Sie geben je nach Stellung die aktuelle Stimmung des Hundes wieder. Hohen Signalcharakter haben Stehohren, die je nach Gemütslage aufgerichtet, angelegt oder seitlich gedreht werden können. Die Schlappohren vieler Hunderassen sind nur eingeschränkt an der Ohrmuschel beweglich und können nicht mehr komplett aufgestellt werden. Besonders lange, schwere Schlappohren oder Ohren, die durch sehr langes Fell verborgen sind, haben nahezu keinen Signalwert für die innerartliche Kommunikation (Feddersen-Petersen, 2008; Ziemen, 2010).
Die Fellaufhellung im Lippenbereich von Wölfen und manchen Hunderassen dient dazu die Lippenbewegung hervorzuheben. Ein leichtes Anheben der Lippe als dezente Drohgeste oder die Mundwinkellänge sind dadurch gut erkennbar. Die übermäßige Lefzenlänge vieler Molosserrassen dagegen führt zu einer stark reduzierten Lippenbeweglichkeit. Langes Fell und markante Hautfalten im Maulbereich beeinträchtigen die Aussagekraft der Lippengegend zusätzlich (Feddersen-Petersen, 2008).
Der normalerweise glatte Nasenrücken wird beim Drohen, je nach Intensität, leicht bis stark gerunzelt. Einige Hunderassen, insbesondere brachyzephale Rassen wie der Mops, weisen einen dauerhaft gerunzelten Nasenrücken auf. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das zu Fehlinterpretationen in der Kommunikation mit Artgenossen führt (Feddersen-Petersen, 2008).
Die Blickrichtung der Augen und der gesamte Augenausdruck leisten ebenfalls einen entscheidenden Beitrag zur optischen Kommunikation mit Artgenossen. Durch eine Aufhellung der Augenumgebung werden die Augen bei Wölfen zusätzlich betont. Hängende Augenlider, wie sie beispielsweise beim Bloodhound und anderen Rassen vorkommen, sind nicht nur aus medizinischer Sicht problematisch, sondern reduzieren auch den Augenausdruck dieser Hunde. Hunde mit langem Fell vor den Augen sind für ihr Gegenüber schwer einzuschätzen. Weder die Blickrichtung, noch ein starres Drohfixieren sind für die Kommunikationspartner zu erkennen. Die beeinträchtigte Sicht des betroffenen Hundes erschwert die Kommunikation zusätzlich (Feddersen-Petersen, 2008).
Die Kopfhaut eines Hundes kann je nach Stimmungslage welpenhaft glatt gezogen oder drohend gerunzelt werden. Die unterschiedlich ausgeprägte dauerhafte Faltenbildung im Kopfhautbereich einiger Rassen kann daher zu kommunikativen Missverständnissen führen. Bei manchen Hunderassen wiederum ist eine Faltenbildung im Stirnbereich nicht möglich oder durch langes Fell nicht sichtbar (Feddersen-Petersen, 2008).
Eine extreme Verkürzung des Gesichtsschädels wurde durch selektive Zucht, insbesondere bei einigen Gesellschaftshunden, angestrebt. Diese Hunderassen besitzen einen rundlichen Kopf mit sehr kurzer Schnauze und großen runden Augen. Gesellschaftshunde mit einem brachyzephalen Kopf und kleiner Körpergröße entsprechen damit exakt dem menschlichen Kindchenschema (Feddersen-Petersen, 2008). Ungeachtet dessen entsteht durch die Brachyzephalie eine Vielzahl an ernstzunehmenden gesundheitlichen Problemen (Martin, 2012).
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Unter dem Funktionskreis des Komfortverhaltens werden alle Verhaltensweisen subsumiert, die der eigenen Körperpflege dienen und die Behaglichkeit und Wohlbefinden anzeigen (Feddersen- Petersen, 2008). Verhaltensweisen der eigenen Körperpflege sind beispielsweise das Belecken, das Schütteln, Kratzen und Strecken (Zimen, 1971). Das Gähnen von Hunden aus Müdigkeit oder Langeweile heraus (Abrantes, 1997) wird ebenfalls zu diesem Funktionskreis gezählt. Die soziale, wechselseitige Körperpflege ist sowohl dem Komfortverhalten als auch dem Sozialverhalten zugeordnet. Sie kommt beim Hund in erster Linie zwischen ausgewählten Sozialpartnern vor und dient der Bestätigung von sozialen Beziehungen (Feddersen-Petersen, 2008).
Die Verhaltenssequenz der Jagd ist Haushunden angeboren, jedoch wurden Teile dieser ursprünglichen Kette bei verschiedenen Hunderassen durch Domestikation und Rassehundezucht unterdrückt bzw. verstärkt. Die ursprüngliche Handlungskette umfasst: Such- bzw. Appetenzverhalten, Fixieren, Anschleichen, Hetzen, Packen, Töten, Wegtragen und Fressen (Coppinger, 2001 ; Zimen, 2010 ). Durch selektive Zuchtauswahl wurden Jagd- und Hütehunderassen gezüchtet, die bestimmte Einzelsequenzen häufiger zeigen als alle anderen Hunde und somit in einem bestimmten Teilgebiet der Jagd Spezialisten sind (Zimen, 2010). Die Retrieverrassen haben die Anlage für ein ausgeprägtes Such- und Apportierverhalten. Insbesondere das Packen und Tragen der Beute sind in ihrem Verhaltensrepertoire selektiv verstärkt worden. Beim Vorstehhund ist das Fixieren und Verharren in der Anpirschposition hypertrophiert (Coppinger, 2001). Das Hüteverhalten des Border Collies ist abgewandeltes Jagdverhalten. Beim Hüten werden die Elemente Suchverhalten ( outrun ), Fixieren ( eye ), Anschleichen ( stalk ) und Hetzen stark übertrieben gezeigt (Lambrich, 2007 ). Die finalen Handlungen wie das Packen, Töten und Fressen sind beim Hüten unerwünscht und daher selektiv unterdrückt worden (Coppinger, 2001). Die ursprüngliche Funktion des Beutefangverhaltens ist der Nahrungserwerb und somit die Selbsterhaltung. Dennoch ist das Jagd- und Hüteverhalten auch ohne das Töten und Fressen der Beute ein selbstbelohnendes Verhalten. Die auslösenden Umweltreize, insbesondere flüchtende Tiere, schnelle Bewegungsreize und Tierfährten werden aktiv aufgesucht, um das Verhalten ausleben zu können (Feddersen-Petersen, 2008 ). Das Beuteschema von Haushunden ist nicht angeboren, sondern wird anhand von genetischen Beutepräferenzen und Lernerfahrungen erworben. Das Beuteschema ist anfangs weit und unspezifisch. Schnelle Bewegungen von Tieren, Menschen und unbelebten Objekten können bereits Jagdverhalten auslösen (Zimen, 2010). Beutefangverhalten ist kein aggressiv motiviertes Verhalten. Hunde zeigen keine aggressive Mimik oder Körperhaltung gegenüber den Beutetieren und kommunizieren auch nicht mit ihnen. Berücksichtigt werden muss dieser Unterschied zum Aggressionsverhalten insbesondere bei unerwünschtem Jagdverhalten z.B. gegenüber Joggern und spielenden Kindern (Feddersen-Petersen, 2008).
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Hunde und Wölfe als hochsoziale Tiere spielen viel und ausdauernd, insbesondere als Jungtiere. Das Spiel ist in Bezug auf Energieverbrauch und Verletzungsgefahr mit hohen Kosten verbunden. Dennoch zeigt die Existenz des ausgeprägten Spielverhaltens sozialer Tiere, dass der Nutzen aus evolutionsbiologischer Sicht überwiegen muss. Das Spiel ist wichtig für die Entwicklung des Sozialverhaltens, der Beißhemmung, der Koordination, der Motorik und der kognitiven Leistung von Hunden (Bekoff, 2010). Jungtiere üben im Spiel Bewegungsabläufe und Verhaltensmuster ohne Ernstbezug und durch viele Wiederholungen (Gattermann, 2006 ). Das Spiel fördert flexibles, anpassungsfähiges Verhalten in Bezug auf unerwartete Ereignisse (Bekoff, 2010). Verhaltensweisen aus verschiedenen Kontexten werden kombiniert und führen zu unvorhersehbaren Spielsequenzen. Die Endhandlung und der Ernstbezug der Verhaltensweisen fehlen hierbei (z.B. töten bei Jagdverhalten). Sprunghafte Rollenwechsel zwischen den Spielpartnern sind typisch für Sozialspiele (Zimen, 1971). Spielverhalten ist erkennbar an den übertriebenen Bewegungen und den charakteristischen Spielsignalen, die häufig zu Beginn und während des Spiels gezeigt werden. Diese Spielsignale, wie Vorderkörpertiefstellung ( play-bow ), Spiellaute und das Spielgesicht, zeigen dem Partner, dass gespielt wird und das folgende Spiel nicht als Angriff missverstanden werden soll (Bekoff, 1974; Bauer, 2007). Spielverhalten und Erkundungsverhalten sind eng miteinander verknüpft und gehen häufig fließend ineinander über (Feddersen-Petersen, 2008). Soziales Spiel ist eine dynamische Verbindung von Wettbewerb auf der einen Seite und Kooperation auf der anderen Seite (Bauer, 2007). Das Spiel ist lustbetont und selbstbelohnend für die Akteure und hat ansteckende Wirkung auf Artgenossen (Bekoff, 2010).
Unter sozio-positivem Verhalten sind nach Feddersen-Petersen (2008) alle Verhaltensweisen zu verstehen, die zur sozialen Annäherung an Interaktionspartner führen und nicht zu den Funktionskreisen Spielverhalten, Fortpflanzungsverhalten oder Submission zählen. Weitgehend übereinstimmend definiert Gattermann (2006) affiliatives Verhalten als Kontaktverhalten, das die Bereitschaft zu sozio-positiven Interaktionen, wie Putzen und Körperkontakt, anzeigt. In der Regel wird dieses Verhalten also zu Beginn einer sozialen Interaktion, bei der Annäherung oder Distanzverringerung, gezeigt. Es demonstriert die eigenen friedlichen Absichten und dient dem Knüpfen oder Aufrechterhalten sozialer Beziehungen in einem Rudel (Feddersen-Petersen, 2008).
Agonistisches Verhalten ist nach der Definition von Gattermann (2006) „[…] eine Sammelbezeichnung für alle Verhaltensweisen gegenüber Artgenossen, die das eigene Verhalten störend beeinflussen“. Insbesondere verbindet man damit Verhaltensweisen, die bei innerartlichen Konflikten und Auseinandersetzungen auftreten und deren grundsätzliche Ziele die Distanzvergrößerung und die Beseitigung einer subjektiv empfundenen Bedrohung sind.
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Imponierverhalten demonstriert grundsätzlich die eigene Selbstsicherheit und Stärke. Es beinhaltet eine ungerichtete Drohung und Bereitschaft zur Auseinandersetzung gegenüber konkurrierenden Geschlechtsgenossen (Zimen, 1971; Feddersen-Petersen, 2008). Es nimmt eine Sonderstellung unter den agonistischen Verhaltensweisen ein, da es weder Flucht- noch Angriffsverhalten auslöst (Gattermann, 2006 ) und eher der Vermeidung einer körperlichen Auseinandersetzung dient. Beobachtet werden kann dieses Verhalten häufig bei der Begegnung von zwei selbstsicheren Hunden gleichen Geschlechts, die einander nicht kennen. Durchgedrückte Gliedmaßen, steifer Gang, Körperspannung, erhobener Kopf, gesträubte Haare, rassespezifisch aufgerichtete Rute und Ohren sind typische Körpersignale der Imponierhaltung. Charakteristisch für dieses Verhalten ist der abgewandte Blick am Konkurrenten vorbei (Zimen, 1971). Das Setzen von Urinmarkierungen an prägnanten Stellen mit anschließendem, ausgiebigem Imponierscharren zählt auch zum Imponierverhalten. Fließende Übergänge zum gerichteten Drohverhalten sind unter Haushunden nicht selten (Feddersen-Petersen, 2008).
Drohverhalten wird von Hunden bei innerartlichen Auseinandersetzungen oder der Konkurrenz um Ressourcen gezeigt. Evolutionsbiologisch ist es zur Vermeidung von schweren Verletzungen sinnvoll, gruppeninterne Auseinandersetzungen durch ritualisiertes Droh- und Submissionsverhalten zu klären (Miklósi, 2011). Die eigene Unversehrtheit und die Stärke des Rudels tragen wesentlich zur Gesamtfitness des Einzelnen bei und sollten für alltägliche Unstimmigkeiten nicht riskiert werden. Durch natürliche Selektion werden Verhaltensweisen, die regelmäßig vor dem eigentlichen Angriff zu sehen sind, ihn sozusagen „ankündigen“, zu Drohsignalen ritualisiert (McFarland, 1999). Hunde besitzen ein fein differenziertes, abgestuftes Drohverhalten, das sich aus Einzelsignalen der Mimik, des Körpers und Lautäußerungen zusammensetzt. Züchterische „Kreativität“ hat allerdings bei vielen Rassen dazu geführt, dass die Mimik vergröbert ist und einzelne Drohsignale nicht mehr erkennbar sind (Feddersen-Petersen, 2008 ). Drohverhalten ist im Gegensatz zum Imponierverhalten stets auf den Gegner gerichtet. Hunde besitzen ein offensives und defensives Drohverhalten, die sich im Ausdrucksverhalten und der Motivation deutlich unterscheiden (Feddersen-Petersen, 2008).
Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung wird durch selbstsicheres, offensives Drohverhalten signalisiert (Gattermann, 2006). Drohendes Fixieren des Kontrahenten, Zähneblecken, gerunzelte Stirn, kurze runde Mundwinkel und rassetypisch aufgestellte Ohren, sind kennzeichnend. Weitere Merkmale sind eine angespannte Körperhaltung, erhobener oder nach vorne gestreckter Kopf, eine rassetypisch erhobene Rute, gesträubte Rückenhaare und drohendes tiefes Knurren (Zimen, 1971 ). Drohverhalten wird von Hunden abgestuft gezeigt. Bei anfänglichem Drohen kann auch nur leises Knurren oder kurzes Drohfixieren ohne andere Signale beobachtet werden (Feddersen- Petersen, 2008; Farago, 2010).
Defensives Drohverhalten signalisiert die Abwehrbereitschaft bei einer Bedrohung durch einen Artgenossen (Gattermann, 2006). Drohelemente vermischen sich mit submissiven Ausdrücken beim defensiven Drohverhalten. Gerunzelte Nase, gebleckte Zähne, lange Mundwinkel, Knurren, Fauchen und eine insgesamt submissive Körperhaltung sind typische Merkmale (Zimen, 1971).
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Bei zunehmender Bedrängung wird auch Abwehrschnappen ohne Körperkontakt in Richtung des Gegners gezeigt. Mischmotivierte Ausdrücke zwischen defensivem und offensivem Drohen sind bei Hunden häufig zu beobachten (Feddersen-Petersen, 2008).
Aggressives Verhalten beim Hund kann sich von der Ebene des Drohverhaltens zu gehemmt aggressivem Kommentkampf und letztlich zu ungehemmt aggressivem Ernstkampf steigern (Feddersen-Petersen, 2008). Grundlegende Unterschiede zwischen Komment- und Ernstkampf sind die beobachtbaren Verhaltensweisen, das zunehmende Verletzungsrisiko und die Beschädigungsabsicht. Ernstkämpfe sind unter Haushunden selten (Ziemen, 2010). Auseinandersetzungen werden in der Regel mit wechselseitigem Drohen oder auch mit einem Kommentkampf entschieden. Kennzeichnend für einen Kommentkampf sind die ritualisierten Verhaltensweisen, die ausgeprägte Beißhemmung und die Möglichkeit der Beendigung des Kampfes durch das Aufgeben des Unterlegenen (Feddersen-Petersen, 2008). Beim Kommentkampf kommt es darauf an, Stärke zu zeigen, Kräfte zu messen, Überlegenheit zu demonstrieren und das Verletzungsrisiko dabei gering zu halten. Beim Ernstkampf wird im Gegensatz dazu ungehemmt gebissen und Beißschütteln gezeigt. Der Verlierer zeigt bei Ernstkämpfen kein Demutsverhalten, das vom Kontrahenten auch nicht akzeptiert werden würde, sondern flieht bzw. verteidigt sich im Rückzug (Feddersen-Petersen, 2008; Ziemen, 2010). Man unterscheidet anhand von Angriffs- und Abwehrbereitschaft sowie anhand von sicherem und unsicherem Ausdruck zwischen offensiv und defensiv aggressivem Verhalten (Feddersen- Petersen, 2008). Beim defensiven, aggressiven Verhalten nimmt der „diffuge“ (Tembrock, 1992) innere Zustand, der eine Distanzvergrößerung zum Gegner anstrebt, mit jeder Eskalationsstufe zu. Beim offensiven, aggressiven Angriffsverhalten befindet sich der Hund in einem affinen inneren Zustand, mit dem Ziel der Distanzverringerung zum Gegner. Die Übergänge zwischen den Eskalationsstufen sind naturgemäß fließend (Feddersen-Petersen, 2008).
Fluchtverhalten dient dazu, sich vor einer potentiellen Gefahr oder einer Bedrohung in Sicherheit zu bringen. Es hat eine schnelle Distanzvergrößerung durch Flucht, Verstecken oder Abstandhalten zum Ziel (Tembrock, 1992 ; Feddersen-Petersen, 2008 ). Als Ergebnis von innerartlichen Auseinandersetzungen kann es zum Auftreten von Fluchtverhalten bei dem unterlegen Tier kommen (Abrantes, 1997).
Zu submissivem Verhalten zählen Verhaltensweisen, die Unterwerfung und Unterlegenheit eines rangniederen Tieres anzeigen, die die Angriffsbereitschaft eines dominanten Tieres hemmen bzw. unterdrücken und die zur Befriedung von Konflikten führen (Gattermann, 2006; Feddersen- Petersen, 2008). Submission ist unter anderem im Display und in der Funktion gegensätzlich zum Drohverhalten und entspricht damit dem Prinzip der Antithese (Darwin, 1874; Gattermann, 2006). Die körpereigenen Waffen werden vom Gegenüber abgewandt, die Körperhaltung ist geduckt und weist keinerlei bedrohliche oder angriffsbereite Signale auf (Schenkel, 1967). Ausgeprägtes submissives Verhalten hat sich insbesondere bei sozialen Raubtieren entwickelt.