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Beispielklausur für zentrale Klausuren im Fach Deutsch: analysieren einen Text.
Art: Prüfungen
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Hochgeladen am 09.04.2020
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Aufgabenstellung:
Gabriele Wohmann
Schönes goldenes Haar^1
„Ich versteh dich nicht", sagte sie, „sowas von Gleichgültigkeit versteh ich ein- fach nicht. Als wär's nicht deine Tochter, dein Fleisch und Blut da oben." Sie spreizte den Zeigefinger von der Faust und deutete auf die Zimmerdecke. Auf- regung fleckte ihr großes freundliches Gesicht. Sie ließ die rechte Hand wieder fallen, schob den braunen Wollsocken unruhig übers Stopfei^2. Gegenüber knis- terte die Wand der Zeitung. Sie starrte seine kurzen festen Finger an, die sich am Rand ins Papier krampften: fette Krallen, mehr war nicht von ihm da, keine Augen, kein Mund. Sie rieb die Fingerkuppe über die Wollrunzeln. „Denk doch mal nach", sagte sie. „Was sie da oben vielleicht jetzt treiben. Man könnte meinen, du hättest deine eigene Jugend vergessen. " Seine Jugend? Der fremde freche junge Mann; es schien ihr, als hätten seine komischen dreisten Wünsche sie nie berührt. Sie starrte die fleischigen Krallen- paare an und fühlte sich merkwürdig losgelöst. Es machte ihr Mühe, sich Laure- la vorzustellen, da oben, über ihnen, mit diesem netten, wirklich netten und so- gar hübschen und auch höflichen jungen Mann, diesem Herrn Fetter - ach, war es überhaupt ein Vergnügen für Frauen? Sie seufzte, ihr Blick bedachte die Krallen mit Vorwurf. Richtige Opferlämmer sind Frauen. „Ich versteh's nicht", sagte sie, „deine eigene Tochter, wirklich, ich versteh's nicht." Der Schirm bedruckter Seiten tuschelte. „Nein, ich versteh's nicht." Ihr Ton war jetzt werbendes Gejammer. Wenn man nur darüber reden könnte. Sich an irgendwas erinnern. Sie kam sich so leer und verlassen vor. Auf den geräumigen Flächen ihres Gesichtes spürte sie die ge- pünktelte Erregung heiß. Er knüllte die Zeitung hin, sein feistes viereckiges Ge- sicht erschien. „Na was denn, was denn, Herrgott noch mal, du stellst dich an", sagte er.
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Sie roch den warmen Atem seines Biers und der gebratenen Zwiebeln, mit de- nen sie ihm sein Stück Fleisch geschmückt hatte. Sie nahm den Socken, bündel- te die Wolle unterm Stopfei in der heißen Faust. Nein: das hatte mit den paar ausgeblichenen Bildern von damals überhaupt nichts mehr zu tun. „Na, weißt du", sagte sie, „als wärst du nie jung gewesen." Sie lächelte steif, schwitzend zu ihm hin. Er hob wieder die Zeitung vors Gesicht: Abendversteck. Jung? Sein Hirn schweifte gemächlich zurück. Jung? Und wie. Alles zu seiner Zeit. Er rülpste Zufriedenheit aus dem prallen Stück Bauch überm Gürtel, Kein Grund zur Kla- ge. Richtige Hühner, die Frauen, ewiges Gegacker. Er spähte über die Zeitung in ihr hilfloses redseliges Gesicht: mit wem könnte sie quasseln und rumpous- sieren, wenn Laurela erst mal weg wäre? Er stand rasch auf, drehte das Radio an. Die Musik schreckte das Wohnzimmer aus seinem bräunlichen Dösen. Sie sah ihm zu, wie er zum Sessel zurückging, die Zeitung aufnahm, sich setzte. Sie lehnte sich ins Polster, preßte das Stopfei gegen den Magen. Das war ihr Abend, gewiß, er und sie hier unten, sie mußten warten, das war von jetzt an alles. Und oben Laurela. 0, Laurelas Haar. Sie lächelte. Kein Wunder, daß sie ihr nachliefen. Sie wollte nachher noch anfangen mit dem blauen Kleid, ganz eng unterm Busen, das hob ihn so richtig in die Höhe. Das Blau paßte gut zum Haar. So hübsches Haar. Wenn es goldene Seide gäbe, sähe sie aus wie Laurelas Haar. Sie räusperte sich, hörte das pappende Geräusch ihrer Lippen, saß mit offenem Mund, starrte die Zeitung an, die fetten kräftigen Krallen rechts und links. „Sie hat hübsches Haar", sagte sie. „Wie Seide, wie Gold." Er schnickte die Seiten in ihre gekniffte Form zurück. „Na klar", sagte er. Sie sah die Krallenpfoten zum Bierglas tappen und es packen. Sie hörte ihn schmatzen, schlucken. So schönes goldenes Haar. Sie bohrte die Spitze der Stopfnadel in den braunen Wollfilz. Seine und ihre Tochter. Sie betrachtete die geätzte Haut ihres Zeigefingers. Seine und ihre Tochter. Sie reckte sich in einem warmen Anschwellen von Mitleid und stolzer Verwunderung.
Der Text wurde nach den Regeln der alten Rechtschreibung verfasst. Gabriele Wohmann, Schönes goldenes Haar In: Ländliches Fest. Luchterhand. Darmstadt und Neuwied. 6. Auflage 1980, S. 44/
Anmerkungen: (^1) Erstveröffentlichung: 1968 (^2) Stopfei: Ein Stopfei ist ein in Form und Größe einem Hühnerei entsprechender Gegenstand,
den man zum Stopfen benutzt; das Stopfei wird unter ein Loch (z.B. in einem Socken) gescho- ben, dadurch wird das Gewebe aufgespannt und kann besser repariert werden.
Zur Autorin: Gabriele Wohmann wurde 1932 geboren und lebt als freie Schriftstellerin in Darmstadt. Ihr Werk umfasst Erzählungen, Romane, Gedichte, Essays, Hörspiele und Fernsehstücke.
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6 erfüllt ein weiteres aufgabenbezogenes Kriterium. (4) 4 Summe Teilaufgabe 1: 30
Teilaufgabe 2
Anforderungen Der Schüler/die Schülerin
maximal erreich- bare Punkt- zahl (AFB) 1* stellt das Kommunikationsquadrat Schulz von Thuns dar. 7 2* bezieht^ einen^ Aspekt des Nachrichtenquadrats auf die im Text darge- stellte Kommunikation (der beiden Eheleute), z.B.:
4 erfüllt ein weiteres aufgabenbezogenes Kriterium. (4) Summe Teilaufgabe 2: 15 Summe Inhaltsleistung : 45
b. Darstellungsleistung
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3 belegt Aussagen durch angemessenes und korrektes Zitieren
4 formuliert allgemeinsprachlich präzise, stilistisch sicher, variabel und komplex
5 schreibt sprachlich richtig 4 Summe Darstellungsleistung: 15
c. Grundsätze für die Bewertung (Notenfindung)
Für die Zuordnung der Notenstufen zu den Punktzahlen ist folgende Tabelle zu ver- wenden:
Note Punkte Erreichte Punktzahl sehr gut plus 15 60 - 57 sehr gut 14 56 - 54 sehr gut minus 13 53 - 51 gut plus 12 50 - 48 gut 11 47 - 45 gut minus 10 44 - 42 befriedigend plus 9 41 - 39 befriedigend 8 38 - 36 befriedigend minus 7 35 - 33 ausreichend plus 6 32 - 30 ausreichend 5 29 - 27 ausreichend minus 4 26 - 24 mangelhaft plus 3 23 - 20 mangelhaft 2 19 - 16 mangelhaft minus 1 15 - 12 ungenügend 0 11- 0
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Wichtig wäre, dass die Schüler erkennen, dass die Gesprächsanteile nur bedingt etwas über die eigentliche Gesprächsabsicht der Frau aussagen, sondern dass diese – neben der Dar- stellung der Gedanken der Frau - insbesondere durch Erzählerkommentare und die sprachli- che Darstellung vermittelt werden. Genannt werden sollten:
Item 2.1: stellt das Kommunikationsquadrat Schulz von Thuns in seinen Grundzügen dar.
Hier wäre herauszuarbeiten:
Item 2.2: Bezieht einen Aspekt des Nachrichtenquadrats auf die im Text dargestellte Kom- munikation (der beiden Eheleute), z.B.:
Die Frau spricht über die Tochter und die auf sie gerichtete Sorge; ihre Äußerungen enthal- ten gleichzeitig explizite und implizite Appelle an die Empathiefähigkeit des Mannes; die Äu- ßerungen offenbaren außerdem das Unvermögen der Frau, ihr Anliegen und ihre Bedürfnis- se (Selbstoffenbarungsebene) direkt anzusprechen. Ihr insistierendes „Ich versteh’ s/ dich nicht!“ signalisiert die fortgeschrittene Entfremdung von ihrem Mann (Beziehungsebe- ne).