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Leitfäden und Tipps
Leitfäden und Tipps

Einführung in die Linguistik , Skripte von Linguistik / Sprachwissenschaft

Skript zur Einführung in die Linguistik: Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik

Art: Skripte

2019/2020

Hochgeladen am 09.04.2020

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Einführung in die Linguistik
Jörg Schuster
6. November 2003
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Einführung in die Linguistik

Jörg Schuster

6. November 2003

Inhaltsverzeichnis

  • 1 Linguistik
    • 1.1 Definition
    • 1.2 Teilgebiete der Linguistik
    • 1.3 Hilfswissenschaften der Linguistik
    • 1.4 Wichtige Begriffe und Prinzipien der Linguistik
      • 1.4.1 Gestalt vs. Inhalt
      • 1.4.2 Erscheinungsformen von Zeichen
      • 1.4.3 Zeichentypen vs. Zeichenvorkommnisse
      • 1.4.4 Meta- vs. Objektsprache bzw. Gebrauch vs. Erwähnung
      • 1.4.5 Arten von Zeichen
      • 1.4.6 Das Zeichen und sein Kontext
      • 1.4.7 Wohlgeformtheit
      • 1.4.8 Synchronie vs. Diachronie
      • 1.4.9 Deskriptivität vs. Präskriptivität
    • 1.5 Sprachen
      • 1.5.1 Arten von Typologien
      • 1.5.2 Sprachfamilien und Sprachbünde
      • 1.5.3 Sprachvarianten
        • Ruhlen 1.5.4 Die siebzehn großen Sprachfamilien (Phyla) der Welt nach
        • Sprachen 1.5.5 Ausschnitt aus dem Stammbaum der Indo-Hethitischen
    • 1.6 Aufgaben
    • 1.7 Bibliographie
      • 1.7.1 Lehrwerke
      • 1.7.2 Nachschlagewerke
  • 2 Phonetik
    • 2.1 Definition
    • 2.2 Teilgebiete der Phonetik
    • 2.3 Artikulatorische Phonetik
      • 2.3.1 Die Sprechwerkzeuge
      • 2.3.2 An der Lautbildung beteiligte Prozesse
      • 2.3.3 Arten von Lauten
      • 2.3.4 Die standarddeutschen Vokale (nach ihrer Artikulation)
        • lation) 2.3.5 Die standarddeutschen Konsonanten (nach ihrer Artiku-
    • 2.4 Phonetik vs. Phonologie
    • 2.5 Aufgaben ii INHALTSVERZEICHNIS
    • 2.6 Bibliographie
      • 2.6.1 Lehrwerke
      • 2.6.2 Enzyklopädien
  • 3 Phonologie
    • 3.1 Definition
    • 3.2 Wichtige Begriffe der Phonologie
    • 3.3 Teilgebiete der Phonologie
    • 3.4 Segmentphonologie
    • 3.5 Aufgaben
    • 3.6 Suprasegmentale Phonologie
      • 3.6.1 Syllabologie
      • 3.6.2 Rhythmologie/Metrik und Akzentologie (nach Vennemann)
      • 3.6.3 Intonatorik und Tonologie
      • 3.6.4 Sandhi-Lehre
      • 3.6.5 Realisationsphonologie
    • 3.7 Sprachtypologie nach phonologischen Kriterien
    • 3.8 Phonologische Prozesse
      • 3.8.1 Silbenstrukturverändernde Prozesse
      • 3.8.2 Silbenstrukturerhaltende Prozesse
    • 3.9 Aufgaben
  • 4 Morphologie
    • 4.1 Definition
    • 4.2 Grundbegriffe der Morphologie
      • 4.2.1 Wann ist etwas ein Wort?
      • 4.2.2 Wortarten
      • 4.2.3 Minimale und komplexe morphologische Einheiten
      • 4.2.4 Arten von morphologischen Prozessen
    • 4.3 Aufgaben
    • 4.4 Flexionsmorphologie
    • 4.5 Aufgaben
    • 4.6 Wortbildungsmorphologie
      • 4.6.1 Additive Wortbildung
      • 4.6.2 Subtraktive Wortbildung (frei nach Schnorbusch)
      • 4.6.3 Mutative Wortbildung
    • 4.7 Morphologische Sprachtypologie
      • 4.7.1 Synthese vs. Analyse
      • 4.7.2 Fusion vs. Kollokation
      • 4.7.3 Monosemasie vs. Polysemasie
      • 4.7.4 Variationsdimensionen der morphologischen Typologie
      • 4.7.5 Die wichtigsten morphologischen Sprachtypen
      • 4.7.6 Morphologischer Wandel (nach [65])
    • 4.8 Aufgaben
  • 5 Syntax INHALTSVERZEICHNIS iii
    • 5.1 Definition
    • 5.2 Exkurs I: “Syntax” im weiteren Sinn
      • einer Sprache 5.3 Exkurs II: Rekursive Aufzählung der wohlgeformten Ausdrücke
    • 5.4 Konstituenz
    • 5.5 Verfahren zur Ermittlung von Konstituenten
      • 5.5.1 Substitution
      • 5.5.2 Pronominalisierung und Konstituenteninterrogativierung
      • 5.5.3 Permutation
    • 5.6 Aufgaben
    • 5.7 Syntaktische Kategorien und Phrasenstrukturgrammatiken
    • 5.8 Eine kleine Phrasenstrukturgrammatik (PSG)
    • 5.9 Aufgaben
    • 5.10 Revidierte Phrasenstrukturgrammatik (PSG’)
    • 5.11 Aufgaben
    • 5.12 Syntaktische Funktionen
      • 5.12.1 Traditionelle syntaktische Funktionen
        • Valenzgrammatik 5.12.2 Valenz I: Syntaktische Funktionen in der Tradition der
      • 5.12.3 Valenz II: Semantische und Grammatische Rollen
    • 5.13 Satzstellungsmuster und Stellungsfelder im Deutschen
    • 5.14 Bibliographie
    • 5.15 Aufgaben
  • 6 Semantik
    • 6.1 Grundbegriffe und -probleme der Semantik
      • 6.1.1 Das semiotische Dreieck
      • 6.1.2 Einige Definitionen von Sinn (im weitesten Sinn)
      • 6.1.3 Eine Semantikversion des Münchhausen-Trilemmas
        • scher Behauptungen 6.1.4 Das Problem der Trennung semantischer und ontologi-
    • 6.2 Lexikalische Semantik
      • 6.2.1 Komponentenanalyse
      • 6.2.2 Semantische Relationen
      • 6.2.3 Aufgaben
      • 6.2.4 Mel’čuks Lexikalische Funktionen
    • 6.3 Kompositionale Semantik
      • 6.3.1 Aussagenlogik
      • 6.3.2 Prädikatenlogik
    • 6.4 Bibliographie
  • 7 Pragmatik
    • 7.1 Definition
    • 7.2 Teilgebiete der Pragmatik
    • 7.3 Sprechakttheorie und Illokutionssemantik - positionen 7.3.1 Äußerungen, Sprechakttypen, illocutionary forces und Pro-
      • 7.3.2 Arten von Sprechakten nach Searle
      • 7.3.3 Aspekte von Sprechakten nach Austin und Searle

iv INHALTSVERZEICHNIS

7.4 Theorie der Kontextabhängigkeit von Bedeutungen........ 160 7.4.1 Deixis............................. 160 7.4.2 Folgerungsbeziehungen, die nicht allein mit wahrheitsfunk- tionaler Semantik beschreibbar sind............ 160 7.5 Bibliographie............................. 172

2 INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel 1

Linguistik

1.1 Definition

Definition 1 Linguistik. Theorie der natürlichen Sprache(n).

Definition 2 Sprache. System von konventionellen Zeichen und Regeln zur Mitteilung von Bedeutungen.

Definition 3 natürliche Sprache vs. künstliche Sprache. Man nennt eine Sprache künstlich, wenn sie nicht “von selbst” entstanden ist, sondern er- funden wurde.

Beispiele 1 natürliche Sprache vs. künstliche Sprache. Natür- liche Sprachen sind Deutsch, Englisch, Chinesisch, Tagalog. Unter den künstli- chen Sprachen sind die bedeutendsten Haupttypen Plansprachen (= Welthilfs- sprachen, Programmiersprachen und Logiksprachen. Beispiele für Programmier- sprachen: C++, Perl, Prolog, Pascal, Cobol, Algol. Beispiele für Logiksprachen: Aussagenlogik, Prädikatenlogik, Modallogik, intensionale Logik. Beispiele für Welthilfssprachen: Esperanto, Volapük.

Definition 4 Plansprache. Sprache, die zum Zweck der leichteren Ver- ständigung von Sprechern verschiedener Sprachen erfunden wurde. Beispiele für Plansprachen: Esperanto, Volapük, Interlingua, Universal, Ido. Auf folgender Webseite kann man sich einen Eindruck verschaffen, wie Plansprachen so aus- sehen: http://www.geocities.com/Athens/Forum/5037/.

Definition 5 Anzeichen. natürliches Zeichen. Wenn wir sagen, dass Z ein Anzeichen für X ist, dann meinen wir damit: Aufgrund des Vorliegens von Z darf geschlossen werden, dass X.

Definition 6 konventionelles Zeichen. Zeichen Z, das jemand bewusst gebraucht, um den Schluss nahezulegen, dass X, wobei der Schluss von Z auf X nur aufgrund gewisser Konventionen über den Gebrauch einer Menge von Zeichen, zu denen auch Z gehört, möglich ist.

1.4. WICHTIGE BEGRIFFE UND PRINZIPIEN DER LINGUISTIK 5

Anmerkung 3 Phonetik und Phonologie. Die Phonetik ist von so großer Bedeutung für die Linguistik, dass sie oft einfach zu den linguistischen Diszipli- nen gerechnet wird. Phonologie zu betreiben hat praktisch keinen Sinn, wenn man nicht auch wenigstens ein bisschen Phonetik betreibt. Vgl. hierzu Kapitel

1.4 Wichtige Begriffe und Prinzipien der Lingui-

stik

1.4.1 Gestalt vs. Inhalt

Offenbar haben sprachliche Zeichen zwei Seiten: eine Gestalt und einen Inhalt. Beweis: tschechisch to (“das”) und englisch to (die Präposition) sind zwei ver- schiedene, aber (in ihrer grafischen Erscheinungsform) gestaltgleiche Zeichen. Fahrstuhl und Aufzug sind zwei gestaltverschiedene, aber inhaltsgleiche Zeichen.

Definition 13 Gestalt eines Zeichens Z. Das, was an Z sinnlich wahrnehmbar ist. Synonyme: Signifiant, Signifikant, Bezeichnendes.

Definition 14 Inhalt eines Zeichens Z. Die Bedeutung von Z. Syn- onyme: Signifié, Signifikat, Bezeichnetes.

Anmerkung 4 Signifiant, Signifié. Diese Begriffe stammen von Ferdinand de Saussure (1857-1913).

Anmerkung 5 Ferdinand de Saussure. Ferdinand de Saussure (1857-

  1. ist der Vater der strukturellen bzw. strukturalistischen Vorgehensweise (vgl. Anmerkung 48) in der Linguistik. Als sein einflussreichstes Werk gilt der Cours de Linguistique Générale [13].

1.4.2 Erscheinungsformen von Zeichen

Sprachliche Zeichen können verschieden realisiert sein: akustisch, visuell oder taktil (Blindenschrift). Wir würden nicht sagen, dass jemand, der das Wort Schaufenster mündlich äußert, ein anderes Zeichen gebraucht als jemand, der es schriftlich äußert. Er gebraucht dasselbe Zeichen in einer anderen Form.

1.4.3 Zeichentypen vs. Zeichenvorkommnisse

Wenn ein und dasselbe Zeichen (z.B. Schaufenster ) einmal visuell und einmal akustisch gebraucht wird, dann liegen zwei Vorkommnisse desselben Zeichentyps vor.

Definition 15 Zeichenvorkommnis. Sinnlich wahrnehmbares, mündlich oder schriftlich geäußertes Zeichen. Englisch: token.

Definition 16 Zeichentyp. Klasse sinnlich wahrnehmbarer Zeichen. Eng- lisch: type.

Zur Erläuterung eine Aufgabe (aus [65]):

6 KAPITEL 1. LINGUISTIK

Aufgabe 1 Welcher der folgenden Sätze ist wahr?

a) Dieser Satz hat 23 Buchstaben.

b) Dieser Satz hat 13 Buchstaben.

1.4.4 Meta- vs. Objektsprache bzw. Gebrauch vs. Erwäh-

nung

Definition 17 Metasprache vs. Objektsprache. Wird in der Sprache L 1 über die Sprache L 2 , bzw. über Ausdrücke der Sprache L 2 gesprochen, so heißt L 1 Metasprache und L 2 Objektsprache.

Definition 18 Gebrauch vs. Erwähnung. Ein sprachliches Zeichen, über das gesprochen wird, nennt man erwähnt, ein sprachliches Zeichen mit dessen Hilfe über etwas gesprochen wird, nennt man gebraucht.

Zur Erläuterung eine Aufgabe:

Aufgabe 2 Welche Wörter sind in den folgenden Sätzen erwähnt, welche ge- braucht?

a) Welche Bedeutung hatte dieser Aufsatz über die Bedeutung von Bedeu- tung für den Wandel der Bedeutung von Bedeutung?

b) Es ist fraglich, ob Hans ein guter Name für das Kind ist.

c) Es ist fraglich, ob Hans ein guter Vater für das Kind ist.

Aufgrund ihres Zusammenhangs mit der Dichotomie^1 “Meta- vs. Objekt- sprache” sind viele linguistische (und sonstige wissenschaftliche) Begriffe auf systematische Weise mehrdeutig: Sie weisen eine Meta- und eine Objektlesart auf.

Definition 19 Meta- vs. Objektlesart von Begriffen. Wenn ein Begriff T in der Objektlesart die Bedeutung B hat, dann hat er in der Metalesart die Bedeutung “die Theorie des/der B”. Wenn ein Begriff T in der Metalesart die Bedeutung “die Theorie des/der B”hat, dann hat er in der Objektlesart die Bedeutung B.

Anmerkungen 6 Meta- vs. Objektlesart von Begriffen.

a) Im Deutschen sind “Meta- und Objektlesart” von Begriffen manchmal lexi- kalisiert: vgl. sprachlich vs. linguistisch bzw. Sprache vs. Linguistik, psy- chisch vs. psychologisch, physisch vs. physikalisch, physiologisch bzw. das Psychische vs. die Psychologie , das Physische vs. die Physik /die Physio- logie; vgl. dagegen biologisch vs. ?.

b) Wenn Tn der Metabegriff zu Tn− 1 ist, dann kann es ohne weiteres einen Begriff Tn+1 geben, der Metabegriff zu Tn ist. Er bedeutet dann eben “die Theorie der Theorie ...” usw. (^1) vgl. Definition 345

8 KAPITEL 1. LINGUISTIK

Abbildung 1.2: Syntagmatische vs. paradigmatische Beziehungen

syntagmatische Beziehungen

paradig- matische Beziehungen

Auf der Wiese saß ein Vogel Am Bach lag Fritz Im Hörsaal sprach der Professor

.................................

Definition 21 Äußerungssituation eines Zeichenvorkommnisses Z. Der Kontext von Z zusammen mit der nichtsprachlichen Umgebung von Z.

Von Äußerungssituationen werden wir erst wieder am Ende dieses Kurses sprechen. Mit dem Begriff des Kontexts eng zusammen hängt der Begriff der Distribution:

Definition 22 Distribution eines Zeichens Z. Verteilung eines Zei- chens Z. Die Menge der Kontexte, in denen Z vorkommt.

Definition 23 Paradigma 1 eines Zeichens Z (im seinem Kontext K). Die Menge der Zeichen Z′, so dass gilt: Z kann (in K) durch Z′^ ersetzt werden.

Meistens spricht man nicht vom Paradigma 1 von Z, sondern von den para- digmatischen Beziehungen von Z. Das Gegenteil von paradigmatischen Bezie- hungen sind syntagmatische Beziehungen.

Definition 24 paradigmatische Beziehungen eines Zeichens Z. Bezie- hungen von Z zu Zeichen aus seinem Paradigma 1.

Definition 25 syntagmatische Beziehungen eines Zeichens Z. Bezie- hungen von Z zu Zeichen aus seinem (möglichen) Kontext.

Definition 26 Syntagma. Folge von sprachlichen Zeichen.

Definition 27 Paradigma 2 eines Wortes W. Die Menge aller morpho- syntaktischen Ausprägungen von W. Ausschnitt aus einem Paradigma 2 : ich, meiner, mir, mich ; du, deiner, dir, dich; ... (Vgl. auch Beispiele 3)

1.4.7 Wohlgeformtheit

Eigentlich ist die obige Definition von Paradigmen 1 nicht besonders gut: Was soll das kann in “Z kann (in K) durch Z′^ ersetzt werden”bedeuten? Vgl.:

Beispiele 3 Paradigma 1.

a) Eigentlich ist die obige Definition nicht besonders gut.

b) *Eigentlich ist die obige Definition nicht besonders ist.

1.4. WICHTIGE BEGRIFFE UND PRINZIPIEN DER LINGUISTIK 9

In b) wurde gut durch ist ersetzt. Doch b) ist im Gegensatz zu a) kein wohlgeformter Satz des Deutschen. Er wurde deswegen — gemäß linguistischer Konvention — mit einem Stern versehen. Wir revidieren unsere Definition des Begriffes Paradigma 1 :

Definition 28 Paradigma 1 eines Zeichens Z in einem wohlgeformten Syntagma S. Die Menge der Zeichen Z′, so dass gilt: Z kann durch Z′^ ersetzt werden, ohne dass S dadurch seine Wohlgeformtheit verliert.

Definition 29 Wohlgeformtheit. Ein sprachlicher Ausdruck A aus einer Sprache L heißt wohlgeformt, wenn er (laut den Intuitionen der Sprecher von L) ein gültiger Ausdruck von L ist.

So wie wir verschiedene Aspekte von Zeichen getrennt betrachten können, nehmen wir auch verschiedene Aspekte der Wohlgeformtheit an Zeichen wahr. Sätze können hinsichtlich ihrer Bedeutung sehr merkwürdig sein und dennoch Grammatizität, d.h. grammatische Wohlgeformtheit aufweisen. Der berühmte- ste grammatische (und dabei unsinnige) Satz stammt von Noam Chomsky: Er wollte mit ihm seinen Begriff der Grammatizität illustrieren. Vergleiche Choms- kys Satz a) mit dem ungrammatischen Satz b):

Beispiel 4 Wohlgeformtheit.

a) Colourless green ideas sleep furiously.

b) *Ideas green sleep colourless furiously.

Definition 30 Grammatizität. Syntaktische und morphologische Wohlge- formtheit.

Anmerkung 7 Noam Chomsky. Chomsky (*1928) ist wohl der einflussreichs- te Linguist des 20. Jahrhunderts. Er ist der Begründer der Generativen Trans- formationsgrammatik. Charakteristisch für Chomsky und seine Anhänger sind u.a. folgende Auffassungen:

a) Man kann (und soll) syntaktische Probleme völlig unabhängig von anderen linguistischen Problemen betrachten.

b) Es gibt eine angeborene und universelle, d.h. sprachunabhängige syntak- tische Kompetenz. Ziel der Syntax soll es sein, diese Kompetenz formal zu beschreiben.

c) Alle natürlichen Sprachen folgen denselben syntaktischen Prinzipien. Un- terschiede sind auf verschiedene Parameter zurückzuführen.

Wegen c) heißt Chomskys Schule auch Prinzipien- und Parametertheorie. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten gehören Syntactic Structures [9], Apects of the Theory of Syntax [10] und Lectures on Government and Binding [11]. Neben Chomskys linguistischen Büchern sind auch seine (linken) gesellschaftskritischen Schriften weithin bekannt geworden.

1.5. SPRACHEN 11

1.5.3 Sprachvarianten

Definition 37 Idiolekt. Für einen bestimmten Sprecher charakteristische Sprachvariante.

Definition 38 Dialekt. (Frei nach [8, 177]:) Regional gebundene Varian- te Vm einer Sprache L, die zu allen anderen Varianten Vn ( 6 = Vm) von L so große Ähnlichkeit aufweist, dass sich die Sprecher von Vm und Vn gegenseitig verstehen.

Definition 39 Soziolekt. Für eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft cha- rakteristischer Sprachgebrauch.

Definition 40 Fachsprache. Von einer bestimmten, über ihre Beschäftigung definierte Gruppe gesprochene Sprachvariante.

Definition 41 Standardsprache. Überregionale, u.U. durch gewisse prä- skriptive Maßnahmen aktiv stabilisierte Sprachvariante.

1.5.4 Die siebzehn großen Sprachfamilien (Phyla) der Welt

nach Ruhlen

Vergleiche zu den folgenden beiden Abbildungen [50] und http://www.zompist. com/numbers.shtml.

Sprachfamilie Sprachen Sprecher Beispiele

  1. Khoisan-Sprachen 31 120.000 Nama (Hottentottisch)
  2. Niger-Kordofanische Sprachen

1.164 181 Mio. Swahili, Fula, Igbo, Yoruba, Zulu

  1. Nilo-Sahara-Sprachen 138 11 Mio. Massai, Nubisch, Tur- kana
  2. Afroasiatische Sprachen 241 175 Mio. Haussa, Somali, Ara- bisch, Hebräisch
  3. Kaukasische Sprachen 38 5 Mio. Georgisch, Abchasisch, Lezgi
  4. Indo-Hethitische Spra- chen

144 2 Mia. Armenisch, Hindi- Urdu, Persisch, Deutsch, Englisch

  1. Uralisch-Jukagirische Sprachen

24 22 Mio. Ungarisch, Finnisch, Estnisch

  1. Altaische Sprachen 63 250 Mio. Türkisch, Aserbei- dschanisch, Korea- nisch, Japanisch
  2. Tschuktschi-Kamtschatka Sprachen

5 23.000 Tschuktschisch

  1. Eskimo-Aleutische Spra- chen

9 85.000 Grönländisch

  1. Elamo-Dravidische Spra- chen

28 145 Mio. Kannada, Tamil, Ma- layalam

  1. Sino-Tibetische Sprachen 258 1 Mia. Mandarin, Tibetisch, Burmesisch

12 KAPITEL 1. LINGUISTIK

  1. Austrische Sprachen 1.175 293 Mio. Laka, Vietnamesisch, Thailändisch, Tagalog, Fiji, Hawaiianisch
  2. Indopazifische Sprachen 731 2,735 Mio. Kobon, Eipo
  3. Australische Sprachen 170 30.000 Walpiri, Dyirbal, Nunggubuyu
  4. Na-Dene-Sprachen 34 202.000 Navajo, Kiowa, Apa- che, Haida
  5. Amerind-Sprachen 583 18 Mio. Dakota, Nahuatl, Que- chua, Aymara, Gua- raní

1.5.5 Ausschnitt aus dem Stammbaum der Indo-Hethitischen

Sprachen

  1. Indo-Hethitische Sprachen I. Anatolische Sprachen †Hethitisch II. Indoeuropäische (indogermanische) Sprachen A. Armenische Sprachen Armenisch B. Tocharische Sprachen †Tocharisch A C. Indoiranische Sprachen 1. Indische Sprachen a. Sanskritsprachen Sanskrit b. Zigeunersprachen Romani c. Singhalesisch-Maledivische Maledivisch Sprachen d. Nordindische Sprachen Hindi, Urdu 2. Nuristanische Sprachen Ashkun 3. Iranische Sprachen Persisch D. Albanische Sprachen Albanisch E. Griechische Sprachen Griechisch F. Italische (romanische) Sprachen †Latein, Spanisch G. Keltische Sprachen †Gälisch H. Germanische Sprachen 1. Ostgermanische Sprachen a. Gotische Sprachen †Gotisch b. Vandalische Sprachen †Vandalisch c. Burgundische Sprachen †Burdungisch 2. Nordgermanische Sprachen a. Ostnordgermanische Sprachen Dänisch, Schwedisch b. Westnordgermanische Sprachen Norwegisch, Isländisch, Färöisch 3. Westgermanische Sprachen Deutsch, Jiddisch, Luxemburgisch, Niederländisch, Afrikaans, Friesisch,

14 KAPITEL 1. LINGUISTIK

f) Pauls Brief zeigt, dass er Probleme mit der deutschen Grammatik hat.

g) Paul interesseiert sich sehr für Probleme der Grammatik.

h) Um Freud zu verstehen, müsste man sich mit seiner Psychologie ausken- nen.

Aufgabe 8 Zerlege die Sätze a) bis c) aus Aufgabe 7 in Konstituenten und klassifiziere diese nach 1.4.5 in lexikalische und grammatische Zeichen. Klassi- fiziere die grammatischen Zeichen in freie und gebundene. (Vernachlässige die Konfigurationen.)

Aufgabe 9 Denke darüber nach, was man mit Sprachen (natürlichen und künst- lichen) alles machen kann. Wie müsste man “Bedeutung” definieren, damit un- sere Definition von “Sprache” befriedigend wäre?

1.7 Bibliographie

1.7.1 Lehrwerke

Adrian Akmajian, Richard A. Demers and Robert M. Harnish. Linguistics. An Introduction to Language and Communication. MIT Press, Cambridge, MA, 1984

Renate Bartsch and Theo Vennemann. Grundzüge der Sprachtheorie: Eine lin- guistische Einführung. Niemeyer, Tübingen, 1982.

Günther Grewendorf, Fritz Hamm and Wolfgang Sternefeld. Sprachliches Wis- sen. Eine Einführung. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1987.

Guido Ipsen. Linguistics for Beginners. http://www.uni-kassel.de/fb8/misc/lfb/html/text/startlfbframeset. html.

Rosemarie Lühr. Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. Wilhelm Fink, München, 1996.

1.7.2 Nachschlagewerke

Summer Institute of Linguistics. Linguistic Glossary. http://www.sil.org/linguistics/glossary/index.html.

Helmut Glück, editor. Metzler Lexikon Sprache. J.B. Metzler, Stuttgart, 1993.

Hadumod Bußmann, editor. Lexikon der Sprachwissenschaft. Kröner, Stutt- gart, 1990.

R.E. Asher, editor. The Encyclopedia of Language and Linguistics. Pergamon, Oxford, 1994.

Kapitel 2

Phonetik

2.1 Definition

Definition 42 Phonetik. Theorie der Produktion, der Rezeption und der akustischen Eigenschaften von menschlichen (Sprach-) Lauten; physikalische Lautlehre.

2.2 Teilgebiete der Phonetik

Definition 43 artikulatorische Phonetik. Theorie der Bildung von Lau- ten und von den Sprechwerkzeugen.

Definition 44 akustische Phonetik. Theorie der physikalischen Eigen- schaften von Lautproduktionsereignissen.

Definition 45 auditive/perzeptive Phonetik. Theorie der Rezeption von sprachlichen Äußerungen durch Sprecher.

2.3 Artikulatorische Phonetik

2.3.1 Die Sprechwerkzeuge

In Abbildung 2.1 sind diejenigen Organe zu sehen, die bei der Bildung von Sprachlauten eine entscheidende Rolle spielen.

Definition 46 Ansatzrohr. Der Bereich oberhalb der Glottis.

2.3.2 An der Lautbildung beteiligte Prozesse

a) Luftstromprozess b) Phonationsprozess c) oro-nasaler Prozess d) Artikulationsprozess (vgl. dazu [61])