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Leitfäden und Tipps
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Europäische Integration und räumliche Entwicklungsprozesse: Wo bleibt die nationale Ebene?, Leitfäden, Projektarbeiten und Recherchen von Wirtschaftswissenschaften

Diskussionspapier von Konrad Lammers.

Art: Leitfäden, Projektarbeiten und Recherchen

2019/2020

Hochgeladen am 10.04.2020

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Europäische Integration
und räumliche
Entwicklungsprozesse:
Wo bleibt die nationale
Ebene?
Konrad Lammers
HWWA-Diskussionspapier
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HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg
1999
ISSN 1432-4458
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Europäische Integration

und räumliche

Entwicklungsprozesse:

Wo bleibt die nationale

Ebene?

Konrad Lammers

HWWA-Diskussionspapier

HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg

ISSN 1432-

Europäische Integration

und räumliche

Entwicklungsprozesse:

Wo bleibt die nationale

Ebene?

Konrad Lammers

JEL-Classification: F02, H70, R 12

Zusammenfassung

Europäische Integration und räumliche Entwicklungsprozesse: Wo bleibt die na- tionale Ebene?

Im Zuge der europäischen Integration haben die nationalen Regierungen Kompetenzen an europäische Institutionen abgegeben. Die Folge ist, daß die ökonomische Entwick- lung in der EU mehr und mehr von wirtschaftsräumlichen Faktoren anstatt von admini- strativen nationalen Unterschieden bestimmt wird. Der gestiegenen Bedeutung wirt- schaftsräumlicher Faktoren müßte durch mehr gesetzgebende und administrative Kom- petenzen regionaler Gebietskörperschaften entsprochen werden. Regionale Gebietskör- perschaften in der EU sind in den letzten Jahren allerdings kaum substantiell gestärkt worden. Die Gestaltungskraft der nationalen Ebene ist nach wie vor groß, und es ist noch ein langer Weg, bis ein “Europa der Regionen” entstanden sein wird.

Abstract

European Integration and Regional Development - What Functions has the Na- tional Level?

In the course of European integration national states have lost regulative competence to European authorities. Consequently, regional factors have gained in importance for economic development. The location of firms and persons depends more and more on regional factors rather than national differences. The increased importance of regional factors requires a corresponding increase in the legislative and administrative power of regional authorities. However, regional authorities in Europe have not been strength- ened substantially in recent years. The power of national authorities is still great and there is still a long way to go to a “Europe of Regions”.

gionale Ebene auch politisch entsprochen worden ist. Abschließend wird diskutiert, wie sich das Gewicht der nationalen Ebene vermutlich in Zukunft entwickeln wird und wel- che Rolle die nationale Ebene im Verhältnis zur europäischen und regionalen Ebene im Zuge des weiteren europäischen Integrationsprozesses spielen sollte.

2. Nationen verlieren Kompetenzen an europäische Institutionen

Im Zuge der verschiedenen Schritte der Europäischen Integration hat die nationale Ebe- ne zweifellos Kompetenzen an europäische Institutionen abgegeben.^2

Im EWG-Vertrag von 1957 stand die Schaffung einer Zollunion und darüber hinaus ei- nes gemeinsamen Marktes für Waren, Dienstleistungen, Personen und - in einge- schränkter Form - auch für Kapital im Vordergrund. Folgerichtig ging die Kompetenz in der Handelspolitik auf die EG-Ebene über. Um zu verhindern, daß der innergemein- schaftliche Handel durch nationalstaatliche Interventionen verzerrt und damit die Ab- schaffung der Zölle zwischen den Mitgliedsländern unterlaufen wurde, unterliegt die Kontrolle nationaler Beihilfen seitdem der europäischen Ebene. Die EU-Ebene erhielt generell die Kompetenz, Richtlinien zur Harmonisierung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um den gemeinsamen Markt zu errichten. (Art. 100 EG-Vertrag). Die einzelnen Bereiche, in denen supranationalen Institutionen Be- fugnisse eingeräumt wurden, sind im EWG-Vertrag enumerativ aufgeführt. Darüber hinaus gab der EWG-Vertrag der Gemeinschaft aber auch ein Recht auf Tätigwerden in solchen Bereichen, für die zwar im Vertrag explizit keine Befugnisse vorgesehen sind, die aber zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes erforderlich erscheinen (soge- nannte “Generalermächtigung” oder “Ermächtigung zur Kompetenzabrundung” nach Art. 235 EG-Vertrag). Neben Kompetenzen, um Zollunion und gemeinsamen Markt zu realisieren, sah der EWG-Vertrag aber auch schon Befugnisse für die supranationale Ebene in anderen Bereichen vor (Agrarpolitik und Verkehrspolitik). Insbesondere in der Agrarpolitik sind die Kompetenzen auf der supranationalen Ebene schnell und massiv wahrgenommen worden.

Die Einheitliche Europäische Akte, die 1987 in Kraft trat, erweiterte die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes sowie das Feld der Mehrheitsbeschlüsse des Rates und etablierte das Gericht Erster Instanz. Das zentrale inhaltliche Anliegen der Einheitlichen Europäischen Akte war die Vollendung des Binnenmarktes. Dazu wurde das Integrati- onskonzept erweitert. Neben der Harmonisierungsstrategie nach Art. 100 EG-Vertrag,

2 Vgl. zum folgenden auch Kösters (1998) sowie Vedder (1992).

nach der bis dahin auf der Gemeinschaftsebene die Rechtsangleichung erfolgt war, wur- de das Ursprungslandprinzip zugelassen (Art. 100b EG-Vertrag). Das Ursprungsland- prinzip gab der weiteren ökonomischen Integration neue Schubkraft, ohne daß die Re- gelungskompetenz der supranationalen Ebene im einzelnen ausgedehnt werden mußte. Allerdings erweiterte die Einheitliche Europäische Akte die Regelungsbefugnis europäi- scher Institutionen vornehmlich in solchen Bereichen, die nicht notwendigerweise mit dem Funktionieren des einheitlichen Binnenmarktes begründet werden können, so z.B. in den Bereichen Arbeitsumwelt, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, For- schung und Entwicklung sowie Umwelt, wenngleich dadurch zum Teil nur das kodifi- ziert wurde, was gestützt auf andere Rechtsgrundlagen des EWG-Vertrages, insbeson- dere die Generalermächtigung, bereits zuvor praktiziert worden war. Insbesondere im Bereich “wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt” wurden in der Folgezeit die Kompetenzen durch die Gemeinschaftsebene in großem Umfang wahrgenommen. Die Strukturfonds wurden erheblich aufgestockt und die Fördermaßnahmen und - programme deutlich ausgeweitet. Die Beihilfenkontrolle wurde zunehmend dazu ge- nutzt, Ziele zu erreichen, die für das Funktionieren des Gemeinsamen Binnenmarktes nicht notwendig waren oder sogar im Widerspruch dazu standen. Sie wurde immer stär- ker in den Dienst der regionalen Kohäsion gestellt anstatt zu gewährleisten, daß Beihil- fen die Handelsströme zwischen den Mitgliedsländern nicht verzerren.^3

Der 1992 in Maastricht unterzeichnete “Vertrag über die Europäische Union” entzog durch die Schaffung einer Währungsunion den Nationalstaaten die Kompetenz in der Währungs- und Geldpolitik. Im Bereich der Sozialpolitik wurden die schon bestehenden Kompetenzen der EU erweitert, wenngleich hiervon das Vereinigte Königreich ausge- nommen blieb. Aber auch darüber hinaus schuf der Maastrichter Vertrag eine Reihe neuer Kompetenzen für die europäische Ebene. Die EU erhielt Kompetenzen in der Visapolitik, der Industriepolitik, für transeuropäische Netze, Bildung und Kultur, Ent- wicklungszusammenarbeit, Verbraucherschutz, Energie, Katastrophenschutz, Reisever- kehr sowie im Gesundheitsschutz. Diese neuen Aufgaben sind dadurch gekennzeichnet, daß sie für das Funktionieren des Binnenmarktes in aller Regel nicht notwendig sind. Es sind vielmehr Kompetenzen für Regelungen und Interventionen allgemeinpolitischer Natur zur Verfolgung von Zielen außerhalb der ökonomischen Integration.

Durch den Vertrag von Amsterdam aus dem Jahre 1997 erhielt die europäische Ebene schließlich auch Kompetenzen in der Beschäftigungspolitik. Das in den EG-Vertrag

3 Vgl. zur Bewertung der Rolle der Beihilfenkontrolle im Integrationsprozeß Soltwedel et al. (1988, S. 37-52), Lammers (1992) sowie Laaser, Soltwedel et al. (1993, S. 67-72).

Schaubild 1: Finanzwirtschaftliche Bedeutung der vier Ebenen in der Bundesre- publik Deutschland (Anteile am Ausgabenvolumen in vH)

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HWWA HAMBURG

(^1) Leistungen der Bundesrepublik Deutschland an den Haushalt der Europäischen Union.

Quelle:Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik, Februar 1999 und Mo- natsbericht, März 1999.

Den EU-Haushalt und die Mitgliedsstaaten unter dem Blickwinkel einer föderal aufge- bauten Union mit einer zentralen Ebene zu betrachten, entspricht allerdings nicht der tatsächlichen Verfaßtheit der Europäischen Union. Die Mitgliedsländer haben sich einige Institutionen auf der europäischen Ebene geschaffen, die bestimmte Aufgaben erfüllen sollen. Wichtige Entscheidungen werden im Ministerrat, der Vertretung der nationalen Regierungen getroffen. Die Staatlichkeit der Mitgliedsländer ist bislang nicht in Frage gestellt (Weidenfeld et al. 1995, S. 20), und die Zentralisierung politischer Entscheidun- gen in der EU ist noch weit geringer als in deren großen Mitgliedsstaaten selbst oder in den USA (Apolte 1996, S. 187-189). Dennoch hat die nationale Ebene zweifellos viele Kompetenzen im Zuge der europäischen Integration abgegeben, wie zuvor gezeigt wur- de. Zum Teil ist dies die logische Folge des Zieles, einen gemeinsamen Markt zu reali- sieren. Aber es sind auch deutlich mehr Kompetenzen an die europäische Ebene abge- treten worden oder werden von ihr wahrgenommen, als es das Ziel, einen gemeinsamen Markt zu errichten, erfordert hätte. Dies ist zum Teil auf die verfolgte Integrationsstra- tegie zurückzuführen. So hätte eine konsequente und frühzeitige Anwendung des Ur-

sprungslandprinzips den Erlaß von länderübergreifenden Harmonisierungsvorschriften durch EU-Institutionen vielfach überflüssig gemacht. Die Nationalstaaten hätten weiter- hin die Regelungsbefugnis gehabt und hätten selbst entscheiden können, ob sie es bei den bisherigen Regelungen belassen oder die anderer Mitgliedsländer übernehmen. Au- ßerdem wurde die Generalermächtigung nach Art. 235 EG-Vertrag oft dazu genutzt, um auch Kompetenzen supranational wahrzunehmen, die im EG-Vertrag selbst nicht genannt sind (Weidenfeld et al. 1995, S. 21). Schließlich hat die europäische Ebene von Anfang an auch Kompetenzen erhalten, die nicht mit der Schaffung einer Zollunion oder einem gemeinsamen Markt begründet werden können wie z.B. in der Agrarpolitik. Mit dem Maastrichter Vertrag sind ebenfalls ganz explizit Kompetenzen auf die supranatio- nale Ebene verlagert worden, die nicht der ökonomischen Integration dienen. Dies kann man als Einstieg in die Schaffung einer politischen Union werten.^5

3. Regionen gewinnen an Bedeutung für Strukturwandel und Wachstumspro- zesse

Die nationale Ebene hat Gestaltungskraft in der Standortpolitik verloren, weil sie Kom- petenzen an europäische Institutionen abgegeben hat. Die Abgabe von nationalen Kom- petenzen an die europäische Ebene bedeutet gleichzeitig, daß räumlichen Faktoren ein größeres Gewicht für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse zukommt. Wenn der grenz- überschreitende Waren- und Dienstleistungshandel ohne Behinderungen möglich ist, Niederlassungsfreiheit herrscht und die Produktionsfaktoren zwischen den Mitgliedslän- dern frei strömen können, dann gewinnen regionale Standortgegebenheiten an Bedeu- tung für die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb des Binnenmarktes. Regionen gewin- nen also durch den europäischen Integrationsprozeß an Bedeutung, weil Unternehmen und Arbeitskräfte, insbesondere hochqualifizierte, ihre Standortentscheidungen mehr und mehr nach regionalen Gegebenheiten treffen, die über nationale Grenzen hinweg unionsweit miteinander verglichen werden. Die Abgabe nationaler Kompetenzen impli-

5 Bei einer Bewertung der Abgabe von Kompetenzen an und deren Wahrnehmung durch europäische Institutionen ist zu berücksichtigen, daß die ökonomische Integration wohl immer auch als ein Vehikel für eine politische Integration angesehen wurde. Bei Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sowie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Ende der fünfziger Jahre stand im Hintergrund, daß wohl eine politische Union letztlich anzustreben sei, daß aber nur das auf den Weg gebracht werden konnte, was damals durch politischen Kompromiß möglich war (vgl. hierzu Kösters 1998, S. 3-5). So ist auch zu erklären, daß im europäischen Integrationsprozeß neben der ökonomischen Integration auch immer Elemente der politischen Integration mit eine Rolle spielten. Dies brachte allerdings mit sich, daß der Boden für nationale Verteilungsinteressen sowie für europa- weite Kartellisierung und Monopolisierung wirtschaftspolitischer Macht bereitet wurde.

schaffen und ein entsprechendes Milieu zu pflegen ist eine regionale und keine nationale Aufgabe. Die regionale Standortpolitik muß sich darauf konzentrieren, solche Bedin- gungen in Regionen herzustellen. Die nationale Standortpolitik könnte ihrerseits nur versuchen, bestimmte regionale Konstellationen von Netzwerken auszuschöpfen, in dem sie bestimmte Förderpolitiken oder Infrastrukturausgaben auf diese Regionen konzen- triert.^9

Die europäische Integration wie im übrigen auch die Globalisierung führen also dazu, daß nationale Grenzen durchlässiger werden, sie führen aber nicht zu einem Verschwin- den von Regionen als einem Wirkungszusammenhang für wirtschaftliche Prozesse, im Gegenteil. Anders als die populären Kritiker der Globalisierung behaupten, sind Regio- nen nicht nur passiv Objekt weltweiter Entwicklungen. Sie sind zwar einerseits “Reso- nanzkörper” dieser Entwicklungen, aber andererseits kommt ihnen eine tragende Rolle im Strukturwandel und Wachstumsprozeß zu (Läpple 1998). Die regionalen und lokalen Wirkungszusammenhänge sind entscheidend, um globale und europaweite Anpassungs- zwänge erfolgreich aufzufangen und zu bewältigen. Regionale Strukturen und Stand- ortfaktoren erweisen sich in den führenden Industrieländern als Schlüsselquelle für komparative Vorteile, da hiervon abhängt, ob und in welchem Umfang es zu Innovatio- nen kommt (Audretsch und Weigand 1999).^10

Auch in der ökonomischen Theorie haben europäische Integration und Globalisierung dazu geführt, daß räumlichen Entwicklungsprozessen mittlerweile sehr viel Aufmerk- samkeit geschenkt wird. Dies mag darauf beruhen, daß Globalisierung und europäische Integration im Prinzip nur analysierbar sind, wenn die räumliche Dimension ins Blickfeld gerückt wird, weil es sich dabei im Kern um raumwirtschaftliche Prozesse handelt. Die

9 Ansatzpunkte für eine solche Politikkonzeption sind in der Technologiepolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren erkennbar. So hat das frühere Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Wettbewerbe für Regionen um Fördermittel für bestimmte Technologien ausge- schrieben (z.B. Bio-Regio-Wettbewerb). Das jetzige Ministerium für Wirtschaft und Technologie will diese Praxis fortsetzen. Explizites Ziel ist es, solche Regionen zu fördern, die über die besten Voraus- setzungen, u.a. über leistungsfähige Netzwerke von staatlichen und anderen Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen mit entsprechenden Kompetenzen verfügen, um den geförderten Technologiefel- dern die gewünschten Impulse zu geben (sogenannte Kompetenzzentren). Regionale Wirkungszu- sammenhänge sollen also gezielt genutzt werden, um der nationalen Standortpolitik (Technologiepoli- tik interpretiert als ein Teil der nationalen Standortpolitik) zum Erfolg zu helfen. Man könnte diese Politik als regionalisierte Technologiepolitik bezeichnen oder auch als Teil einer wachstumsorientier- ten Regionalpolitik ansehen. Unter traditionellen Ausgleichsgesichtspunkten ist diese Form der Re- gionalpolitik allerdings als konfliktträchtig einzustufen, denn sie wird in der Regel solche Regionen fördern, die in der regionalen Wachstumshierarchie ohnehin an der Spitze stehen. 10 "The enduring competitive advantages in a global economy lie increasingly in local things -knowledge, relationship, motivation - that distant rivals cannot match" (Porter 1998, S. 77).

Regionalökonomie hat in den letzten Jahren dadurch zweifelsohne einen großen Auf- schwung genommen. Vertreter der “neuen Außenwirtschaftstheorie” entdeckten, daß der traditionellen Außenwirtschaftstheorie wichtige Erklärungen für räumliche Differen- zierungsprozesse fehlten, die die klassische Standorttheorie enthielt, obschon sie implizit verschiedene Wirtschaftsräume (Länder) in Beziehung zueinander setzt und die Ar- beitsteilung zwischen diesen erklären will (Krugman 1991). Freilich hat es auch schon früher Autoren gegeben, die die enge Verbindung in der Fragestellung zwischen Au- ßenwirtschaftstheorie und Standorttheorie gesehen haben. Ohlin (1933), Predöhl (1949), Giersch (1949, 1989) und auch andere hatten diesen Zusammenhang bereits zu- vor deutlich herausgestellt.

Aber nicht nur die neuere Außenwirtschaftstheorie hat die regionale Dimension neu ent- deckt, auch die Theorie des endogenen Wachstums hat hierzu einen bedeutsamen Bei- trag geleistet. Diese Theorie hat wie die neuere Außenwirtschaftstheorie das lange Zeit dominierende, auf naiven neoklassischen Vorstellungen fußende Paradigma aufge- weicht, die ökonomischen Ausgleichsmechanismen würden eindeutig überwiegen und es würde quasi von allein zu regionalen Konvergenzprozessen kommen. Die Botschaft der neueren Theorieansätze ist, daß es sehr wohl divergente regionale Entwicklungsprozes- se geben kann, gerade auch im Zuge von Integrationsprozessen. Damit werden in ge- wisser Weise die Aussagen von Myrdal (1959) und Kaldor (1970) bestätigt, zu denen diese - freilich weit weniger stringent und formal elegant abgeleitet - schon früher ge- langt waren (Bröcker 1994). Allerdings gibt es auch Modellvarianten der Theorie des endogenen Wachstums, die regionale Ausgleichsprozesse zulassen. Und bei weitem nicht alle Modelle, die ihre Wurzeln in der neueren Außenhandelstheorie haben, führen zu dem Ergebnis, daß Divergenz immer überwiegt. Es kann auch sein, daß die Realisie- rung von Skaleneffekten im Zentrum eines Wirtschaftsraumes, welche räumliche Diver- genz fördert, weniger wirksam ist als die Nutzung von Kostenvorteilen bei Produkti- onsfaktoren in der Peripherie, die Konvergenz begünstigt. Damit geben die neueren Theorieansätze letztlich keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob es im Zuge von In- tegrationsprozessen zur regionalen Konvergenz oder Divergenz kommt. Die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen zur regionalen Entwicklung in Europa deuten aller- dings darauf hin, daß es im Zuge der europäischen Integration zu regionalen Konver- genzprozessen gekommen ist. Diese haben allerdings nicht alle Regionen erfaßt, und die Konvergenzgeschwindigkeit ist sehr gering (Bröcker 1998).

Wenngleich die Aussagen der neueren Theorieansätze zu räumlichen Konvergenzpro- zessen nicht eindeutig sind und empirisch keineswegs Divergenzprozesse in Europa und

4. Diskrepanz zwischen ökonomischer und institutioneller Bedeutung von Re- gionen

Zunächst ist herauszustellen, daß im Zuge der europäischen Integration nicht nur die Nationalstaaten, sondern auch regionale Gebietskörperschaften an Kompetenzen verlo- ren haben. Dies ist in dem Maße der Fall, wie die Mitgliedsländer Entscheidungskom- petenzen und Regelungsbefugnisse an die europäische Ebene abgegeben haben und die- se nicht zuvor auf der nationalen Ebene sondern auf darunter liegenden Ebenen angesie- delt waren. Was zunächst wie eine Abgabe nationaler Kompetenzen aussieht, stellt sich bei näherer Betrachtung als eine Beschneidung regionaler Kompetenzen dar. Dieser Aspekt war für die deutschen Bundesländer z.B. durchaus gravierend. Den Bundeslän- dern gingen Kompetenzen in der Agrar- und Fischereipolitik sowie in Fragen der Ge- sundheits- und Kulturpolitik verloren. Besonders spürbar war der Verlust an Eigenver- antwortlichkeit in der Wirtschaftsförderung. Über die Beihilfenkontrollrechte der euro- päischen Ebene wurden die bis dahin bestehenden Möglichkeiten der Bundesländer, mit Hilfe von Subventionen die Wirtschaft zu fördern, stark einschränkt.^12 Faktum ist, daß die regionale Ebene, soweit ihr bis dahin Kompetenzen zustanden, durch die europäi- sche Integration in ihren Befugnissen beschnitten wurde. Der Entzug von Entschei- dungskompetenzen war von Mitgliedsland zu Mitgliedsland unterschiedlich groß, je nachdem, wie stark regionale Ebenen vor der Integration mit Kompetenzen ausgestattet waren. In Deutschland dürfte aufgrund des föderalen Staatsaufbaus der Kompetenzver- lust der regionalen Ebene im europäischen Vergleich bedeutsam gewesen sein. In Rela- tion zur nationalen Ebene wiegt der Kompetenzverlust der regionalen Ebene deshalb schwer, weil der Abgabe nationaler Kompetenzen Mitwirkungsrechte in den europäi- schen Gremien, insbesondere im Ministerrat, gegenüberstanden, was für die Regionen nicht der Fall war (Wiedmann 1996, S. 348-349).

In Deutschland konnte der Bund bis 1992 nach Art. 24, Abs. 1 Grundgesetz nicht nur seine eigenen Hoheitsrechte, sondern auch die der Länder auf die europäische Ebene übertragen, ohne daß dies der Zustimmung der Länder oder des Bundesrates bedurft hätte. Der neugefaßte Art. 23 Grundgesetz sieht nunmehr vor, daß die Länder über den Bundesrat mitwirken, wenn ihre Hoheitsrechte durch die Abgabe von Kompetenzen tangiert sind (Wiedmann 1996, S. 352). Hierin ist aber keine Stärkung regionaler Kom- petenzen gegenüber der nationalen Ebene zu sehen, sondern eine Bestimmung, die einer

12 Zu der Frage ob Wirtschaftsförderung über Subventionen sinnvoll ist und es in einem europäischen Binnenmarkt nicht einer Beihilfenkontrolle bedarf, die auf dieser Ebene angesiedelt ist, vgl. Soltwedel et al. (1988) und Lammers (1992, 1996).

weiteren Schwächung der regionalen Ebene zugunsten der europäischen durch nationale Entscheidungen einen Riegel vorschiebt.

Als eine Vorschrift, die die Hoheitsrechte der Regionen schützt, könnte auf den ersten Blick das in den Maastrichter Vertrag aufgenommene Subsidiaritätsprinzip gesehen werden. Aber abgesehen davon, daß dem Subsidiaritätsprinzip nur solche Regelungen unterliegen, die nicht der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen sowie abgesehen von seiner generellen Unbestimmtheit, ist dieses Prinzip für die Regionen deshalb ohne materiellen Wert, weil für sie kein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof be- steht. Falls sich Regionen in ihren Belangen durch EU-Regelungen tangiert sehen, sind sie auf den Beistand der nationalen Ebene angewiesen. Dies gilt selbst für Regionen mit eigener Gesetzgebungsbefugnis wie für die deutschen Bundesländer. Deshalb kann man in dem Subsidiaritätsprinzip des Maastrichter Vertrages schwerlich eine Stärkung regio- naler gegenüber nationalen Kompetenzen sehen. Das Subsidiaritätsprinzip greift letztlich nur, soweit es überhaupt greift, im Verhältnis zwischen Mitgliedsländern und europäi- scher Ebene (Jochimsen 1998, S. 11).

Eine gewisse Stärkung der regionalen Ebene gegenüber der nationalen könnte zunächst auch in folgenden Sachverhalten gesehen werden, die sich seit Anfang der neunziger Jahre herausgebildet haben. Es scheint so, daß durch einige neue institutionelle Rege- lungen regionale Interessen direkt gegenüber der EU-Ebene vertreten werden können, indem die nationale Ebene teilweise umgangen wird:^13

  • Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Institution “Ausschuß der Regionen” (Art. 198a EG-Vertrag) begründet, in den die Mitgliedsländer Vertreter der regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften entsenden. Der Ausschuß der Regionen muß vom Rat und der Kommission in einer Vielzahl von Entscheidungen zuvor gehört werden, und er kann auch selbst Stellungnahmen abgeben. Er hat allerdings nur eine Beratungs- und keine Entscheidungsbefugnis.
  • Der Vertrag von Maastricht sieht auch vor, daß Regionsvertreter die Verhandlungs- führung der Regierungsdelegation im Ministerrat übernehmen können, soweit ihr Zu- ständigkeitsbereich dabei betroffen ist. Eigenständige Regionsinteressen können hier- bei allerdings nicht eingebracht werden. Die Verhandlungsstrategie der Regionsver- treter müssen nämlich mit der nationalen Ebene zuvor abgestimmt werden.

13 Vgl. zum folgenden auch Benz (1994, S. 28-33).

5. Die Zukunft der nationalen Ebene - einige Einschätzungen und Bewertun- gen

Wie wird sich die Bedeutung der nationalen Ebene weiter entwickeln und wie ist dies zu bewerten? Wird es zu einer weiteren Abgabe von Kompetenzen an Brüssel kommen? Wird die nationale Ebene Kompetenzen an regionale Gebietskörperschaften abgeben, um deren veränderter Rolle im Standortwettbewerb Rechnung zu tragen? Zu diesen auf die Zukunft gerichteten Fragen sollen zum Schluß einige einschätzende und bewertende Thesen vorgestellt werden.

Wenn sich die Europäische Union zu einer politischen Union weiterentwickelt, bedeutet dies im Kern, daß die Mitgliedsländer weitere Kompetenzen an Brüssel abgeben wer- den. Inwieweit dies der Fall sein wird, ist schwierig zu beantworten, weil die Finalität der europäischen Integration nicht definiert ist. Zwar ließen sich etwa aus der Theorie des fiskalischen Föderalismus Anhaltspunkte dafür finden, welche Kompetenzen auf welcher Ebene wahrgenommen werden sollten, wenn man sich die Europäische Union als einen Bundesstaat vorstellt, aber solche “Reißbrettlösungen” haben mit den polit- ökonomischen Verhältnissen, unter denen sich die Integration vollzieht, nur wenig zu tun (Zimmerman 1996, S. 56-60). Dies zeigt die bisherige Geschichte der Integration, und dies wird auch so bleiben. Institutionenökonomische Erklärungsansätze können deshalb auch eher weiter helfen, um den bisherigen Integrationsprozeß zu erklären und die Richtung des zukünftigen Integrationsprozesses einzuschätzen. Die europäische In- tegration ist nach diesen Erklärungsansätzen als ein offener Prozeß zu interpretieren, der davon abhängt, wie es um die Interessenlage der einzelnen Mitgliedsstaaten bestellt ist. Diese Erklärungsansätze prognostizieren in der Tendenz weitere Zentralisierungsten- denzen, d.h. eine weitere Abgabe von Kompetenzen bzw. eine Zunahme der Wahrneh- mung von Aufgaben durch die supranationale Ebene (Vaubel 1992a, 1992b). Die natio- nale Ebene würde also danach weiter an Bedeutung verlieren. Dieselben Kräfte dürften allerdings tendenziell auch die nationale Ebene gegenüber der regionalen stärken.

Eine Beschränkung der Zentralisierungstendenzen könnte auf den ersten Blick vom Subsidiaritätsprinzip ausgehen, das durch den Maastrichter Vertrag in den EG-Vertrag aufgenommen worden ist. Nach diesem Prinzip ist die Ausübung bestehender Gemein- schaftskompetenzen daran gebunden, daß die Ziele bestimmter Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht und die Regelungen besser auf Gemeinschaftsebene durchgeführt werden können. Dieses Prinzip ist allerdings auf sol- che Kompetenzen beschränkt, bei denen die Gemeinschaft nicht die ausschließliche Zu-

ständigkeit besitzt. Maßnahmen, die die Unionsebene ergreift, um den Gemeinsamen Markt sicherzustellen, unterliegen also nicht dem Subsidiaritätsprinzip. Für Maßnahmen, die mit der Generalermächtigung nach Art. 235 EG-Vertrag begründet wurden, ist das Subsidiaritätsprinzip damit nicht anwendbar. Außerdem ist es fraglich, ob das Subsidia- ritätsprinzip generell eine wirksame Barriere gegen eine weitere Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene darstellt. Das Subsidiaritätsprinzip ist aufgrund seiner Unbe- stimmtheit einer gerichtlichen Kontrolle schwer zugänglich (Kösters 1998, S. 7-8).

Nun sind aber auch politische und ökonomische Konstellationen denkbar, die die Inter- essenlage der Mitgliedsländer und der handelnden Akteure in der Weise verändern, daß Zentralisierungstendenzen wenn auch nicht umgekehrt so doch zumindest abgeschwächt werden. So wäre möglich, daß die wachsende ökonomische Bedeutung der regionalen Ebene in mittel- bis langfristiger Perspektive eine Aufwertung regionaler Gebietskörper- schaften in institutioneller Hinsicht erzwingt. Auch die inzwischen erreichte Zahl der Mitgliedsländer dürfte bremsend auf weitere Zentralisierungstendenzen wirken. Anzei- chen dafür sind darin zu sehen, daß sich schon an den Integrationsschritten der neunzi- ger Jahre nicht alle Mitgliedsländer in gleichem Maße beteiligt haben. Das Vereinigte Königreich nimmt an der gemeinschaftlichen Sozialpolitik, die der Maastrichter Vertrag möglich gemacht hat und die durch den Amsterdamer Vertrag als Sozialkapitel Eingang in den EG-Vertrag gefunden hat, nicht teil. Ferner sind das Vereinigte Königreich, aber auch Schweden und Dänemark bislang nicht der Europäischen Währungsunion beige- treten, obwohl alle drei Länder die Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages erfüllt haben.

Wenn die Europäische Union mittel- und osteuropäische Länder aufnimmt, vergrößert sich das Spektrum der nationalen Vorstellungen und Interessenlagen gegenüber dem aktuellen Zustand in extremer Weise. Es scheint kaum vorstellbar, daß zwischen allen jetzigen Mitgliedsländern und den Ländern, die einen Antrag auf Aufnahme gestellt ha- ben, der “acquis communautaire” anwendbar ist. Tendenziell sind also von der Erweite- rung Bremseffekte auf eine Vertiefung der Integration und damit auch auf eine weitere Schwächung der nationalen Ebene gegenüber der europäischen zu erwarten. Im Um- kehrschluß könnte sich der Konflikt zwischen weiterer Vertiefung und Erweiterung aber auch darin äußern, daß die Osterweiterung vertagt oder nur zögerlich durchgeführt wird. Der Zielkonflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung findet sich in flexibleren Integrationskonzepten, die zwar diskutiert werden, aber bislang nicht offizielle Politik sind: "Europa à la carte", "variable Geometrie", "Europa unterschiedlicher Geschwin- digkeiten". Bei allen Unterschieden zwischen den Konzepten im einzelnen ist ihnen ge-