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Art: Leitfäden, Projektarbeiten und Recherchen
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Lass dir nichts Wichtiges entgehen!
Goethe: “Willkommen und Abschied” u. Günderrode: “Kuss im Traume”
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Johann Wolfgang von Goethe: Willkommen und Abschied Erste Fassung (1771)
Mir schlug das Herz. Geschwind, zu Pferde! Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht. Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht. Schon stund im Nebelkleid die Eiche Wie ein getürmter Riese da, Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel Sah schläfrig aus dem Duft hervor, Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr. Die Nacht schuf tausend Ungeheuer, Doch tausendfacher war mein Mut, Mein Geist war ein verzehrend Feuer, Mein ganzes Herz zerfloss in Glut. Ich sah dich, und die milde Freude Floß aus dem süßen Blick auf mich. Ganz war mein Herz an deiner Seite, Und jeder Atemzug für dich. Ein rosenfarbes Frühlingswetter Lag auf dem lieblichen Gesicht
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Karoline von Günderrode: Der Kuss im Traume
Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht, Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten. Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten, Dass neue Wonne meine Lippe saugt.
In Träume war solch Leben eingetaucht, Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten, Kann aller andern Freuden Glanz verachten, Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen, Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg dich Aug' dem Glanze irrd' scher Sonnen! Hüll' dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluten.
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Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter, Ich hofft' es, ich verdient' es nicht.
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe! Aus deinen Blicken sprach dein Herz. In deinen Küssen welche Liebe, O welche Wonne, welcher Schmerz! Du gingst, ich stund und sah zur Erden Und sah dir nach mit nassem Blick. Und doch, welch Glück! geliebt zu werden, Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Sehnsucht ist der rote Faden der Liebesgedichte „Willkommen und Abschied“ (Erstfassung) von Johann Wolfgang von Goethe und „Der Kuss im Traume“ von Karoline von Günderrode. Nach Liebe sehnen sich beide lyrischen Ichs, nur die Erfüllung kann unterschiedlicher kaum gedacht werden: Goethe bei seiner Geliebten in Sessenheim, von Günderrode ausschließlich in nächtlichen Phantasien. Damit ist auch in Blick auf die Epochenzuordnung eine Richtung gewiesen: Sturm und Drang bei Goethe und die Epoche der Romantik bei Günderrode.
Das Goethe-Gedicht „Willkommen und Abschied“, geschrieben 1771 in vierfüßigem Jambus mit Kreuzreim, atmet schon im Titel das Gegensätzliche: Ankunft und Abschied. Das lyrische Ich, das mit Goethe zu identifizieren ist, reitet nachts zu seiner Geliebten, verbringt die Nacht bei ihr und nimmt am Morgen unter Tränen Abschied. Zeitlich, sprachlich und inhaltlich ist das Gedicht der Epoche „Sturm und Drang“ zuzuordnen.
Kurz entschlossen reitet das lyrische Ich durch den angsteinflößenden nächtlichen Wald zu seiner Geliebten und empfindet es beglückend in ihrer sanften Nähe zu sein. Am Morgen nimmt das lyrische Ich unter Tränen von ihr Abschied, wobei es das Glück über die Liebe in seinem Herzen bewahrt.
abgelehnt, um dann als Abrundung nochmals die Nacht als Schmerzensstillerin deutlich hervorzuheben.
„Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht“ (Z. 1), eine Metapher, die sofort antithetisch Tod und Leben andeutet. „Eingehaucht“ erinnert an den biblischen Schöpfungsbericht, als Gott Adam den Lebensodem einhaucht und ihn damit erst lebensfähig macht. Vorher war er ein Nichts ohne die entscheidende Lebendigkeit, der Kuss erhält hier fast göttliche Funktion, nur er ermöglicht angemessenes Leben, stillt des „Busens tiefstes Schmachten“ (Z. 2), wobei der Superlativ „tiefst“ und „Schmachten“ die Intensität der Liebessehnsucht sehr nachdrücklich fassen. Den Rahmen zu dieser inneren Befriedigung kann nur die „Dunkelheit“ (Z. 3) schenken, die personifizierend aufgefordert wird zu kommen. Dieser Mantel der Dunkelheit ist dem lyrischen Ich vertraut, worauf das Adverb „traulich“ (Z. 3) hinweist.
Im zweiten Quartett werden Traum und Nacht als Einheit weiter vertieft. Ausschließlich im Traum ist das vom lyrischen Ich angestrebte Leben „eingetaucht“ (Z. 5) und der Sinn des Lebens besteht im Betrachten der „Träume“ (Z. 6), wobei das Adverb „ewig“ (Z. 6) das Betrachten mit der Unendlichkeit verbindet. Nur in der Entrückung ist Erfüllung möglich, nur dafür lohnt es sich zu leben, während das reale Leben diese Lebendigkeit, diese Befriedigung der Liebessehnsucht nicht schenkt. Genau das deckt sich mit der Biografie von Karoline von Günderrode: Unglück in der Liebe bei gleichzeitig ins Extrem gehender Liebessehnsucht, dazu die moralischen Einschränkungen eines Stiftfräuleins, so „[haucht] nur die Nacht so süßen Balsam“ (Z. 8).
Die folgenden zwei Terzette stellen der Beglückung schenkenden Nacht den alles durchleuchtenden Tag gegenüber. Die Assonanz „Tag“ und „karg“ in der Zeile 10 kontrastiert zu „liebesüßen Wonnen“ (Z. 10). Das alles durchleuchtende Licht „schmerzt“ (Z. 10), wobei das Licht durch „eitles Prangen“ (Z. 10), was für Vergänglichkeit steht, näher definiert wird. Erfüllung am Tag finden zu wollen ist vergebliche Liebesmüh. Wurde in der ersten Strophe noch die Dunkelheit als traulicher Mantel für erfüllte Wonnen angerufen, ist es nun die Nacht, die „dein Verlangen“ (Z. 13) stillt „[u]nd den Schmerz [heilt]“ (Z. 14), eine Intensivierung also, die gestützt wird durch den Vergleich zu „Lethes kühle Fluten“ (Z. 14), was aus der Nacht die ewige Nacht, den Tod, macht. Die dauerhafte Beglückung, aus der es kein Erwachen in eine unglücklich erlebte Realität gibt, ist nur im Tod möglich.
Ein lyrisches Ich sehnt sich in dem jeweiligen Gedicht nach erfüllender Liebe, die in ihrer Sehnsuchtskraft intensiv geschildert wird. Zwei lyrische Ichs, eine Begierde, zwei Wege und ein komplett unterschiedlicher Schluss, das ist auf den ersten Blick der rote Faden des Vergleichs. Da beide Gedichte sich biografisch verorten lassen, wird im Vergleich das lyrische Ich jeweils mit dem Dichter gleich gesetzt.
Tatenmensch gegen Traummensch: „Mir schlug das Herz. Geschwind, zu Pferde“ (Z.
glückend erfahren werden kann, sind die Vorstellungen der Romantik oft so überhöht, dass sie sich nur in Innerlichkeit und Unschärfe von Traum und Nacht erfüllen lassen. Genau diesen Unterschied zeigen beide Gedichte und zeugen inhaltlich, thematisch, sprachlich, aber auch ideenmäßig von der Epoche, der sie jeweils zugeordnet werden.
Für den heutigen Leser dürfte auf den ersten Blick Goethes Tatendrang weitaus näher liegen als Günderrodes traumhaft gespiegelte Innerlichkeit. In „Willkommen und Abschied“ liegt viel von unserer Zeit: alles schnell, alles sofort, alles intensiv. Doch diese Einstellung hat in der aktuellen Krise der globalen Märkte, in der kritischen Anfrage in Blick auf die Umweltzerstörung einen deutlichen Dämpfer bekommen. Nicht alles, was machbar ist, ist auch erstrebenswert. Aber vielleicht gerade deswegen wird „Willkommen und Abschied“ als Traum einer erhofften Verwirklichung eigener Wünsche positiv aufgenommen. Dann würden die gefühlten Fesseln der Günderrode ihre erträumte Erfüllung möglicherweise in der konkreten Liebe erfahren. Andere werden aus den aktuellen Ketten der Realität in den „Kuß im Traume“ flüchten und sich hier wiederfinden. Unsere unsichere Zeit macht uns offen für beide Möglichkeiten. Vielleicht brauchen wir gerade heute neu den Traum als Gegenpart zur Wirklichkeit, einen Traum, der nach Verwirklichung ruft und nicht bei sich stehen bleibt, eine Verbindung beider, wie Robert Harold Schuller es in dem Satz formuliert: „Wenn Du es träumen kannst, kannst Du es auch tun!“ Oder wie es meine ehemalige Referendarin als Sentenz unter alle ihre Mails schreibt: „The future belongs to those who believe in the beauty of their dreams!“ (Eleanor Roosevelt)