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Handout zum Proseminar Lexikalische Semantik im Sommersemester 2020 Prof. Schindler
Art: Zusammenfassungen
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0.1 Beurteilen und bewerten Sie die folgenden Sätze: (a) Ulm besteht aus drei Buchstaben (b) Ulm besteht aus drei Buchstaben (c) Ulm besteht aus Straßen, Gebäuden etc. (d) Ulm besteht aus Straßen, Gebäuden etc. 0.2 Ein paar Konventionen: Bedeutungsangabe: Junggeselle bedeutet ‚unverheirateter männlicher Erwachsener‘ Morphologische Glossierung: Schwein-chen = schwein-DIM, tanz-te-st = tanz-PRÄT-2SG; gemäß der Leipzig Glossing Rules Lexikalische Einheit/Lexem/vocable (Mel’cuk): BIRNE/Birne/ Birne ist polysem. Lesart/Lexem (Mel’cuk): Birne^1 ‚Obstsorte‘ ; Birne^2 ‚Glühbirne‘ Morphem: kleinste bedeutungstragende Einheit, z. B. {HAUS}, {PLURAL}; detaillierter z. B. {/-çən/; ‚klein [N]‘; [[N] __]Nneut} Objektsprache: Junggeselle/ Junggeselle bedeutet ‚unverheirateter männl. Erwachsener‘
1.1 Das Grundmodell eines sprachlichen Zeichens Zu einem Zeichen gehören nach de Saussure wesentlich zwei Aspekte, nämlich (1) FORM: (a) /fʀa͡ u/,
1.2 Formen sprachlicher Zeichen Es gibt einfache Zeichen (a, b) und komplexe (aggregierte) Zeichen (c, d, e). 1.2.1 Segmentale Zeichen 1.2.1.1 Basale Zeichen, Morpheme (a) Affix wie <- chen ; ‚klein‘; [[N] __]Nneut>, z. B. Schwein - chen = schwein-klein, schwein-DIM (b) Simplex/Stamm/Wurzel^1 (N, V, Adj …) wie Birne, Frau, rot, renn … Hier noch eine traditionelle Morphemklassifikation: Bedeutung lexikalisch grammatisch Autonomie frei Apfel, grün, komm der Art, es, hier, von, und, sein (?) gebunden werf - , elektr - , /bɛs/- - st, ver-, - ung(, - que)^2 1.2.1.2 Morphologisch komplexe Zeichen (c) Wortform wie lachtest ( lach-te-st = lach-PRÄT-2SG), Hausdach, Hausdächer, Blaumann 1.2.1.3 Syntaktisch komplexe Zeichen^3 (d) Wortgruppe/freie Phrase^4 wie [[Pia] [sah [den Bus]]] = [[‚Pia‘] [‚seh-PRÄT‘ [‚DEF‘ ‚Bus‘]]] (e) Wortgruppenlexem/Phrasem wie </ɪnsgʀɑsbaɪsən/; ‚sterben‘; [[NPnom] __]S> 1.2.2 Linguistische Operationen (f) MUTATION, z. B. Vögel, Böden, Mütter , Umlaut markiert ‚Plural‘ (vgl. mhd. vogel-e vogel-PL) (g) REDUPLIKATION Afrikaans Hy lek-lek oor sy droë lippe. Er leck-leck über seine trockenen Lippen ‚Er leckt wiederholt/mehrfach über seine trockenen Lippen‘ Hier führt die Reduplikation von lek ‚leck(en)‘ zur Bildung eines iterativen Verbs. (^1) Zu Wurzel (W) und Stamm (St): Indoeurop. st. Verben bestehen aus Wurzel, Bindevokal (BV) und Flexiv: So enthält bher-e-si (trag-BV-2SG; ‚trägst‘) die Wurzel bher - , die mittels Bindevokal (Themavokal) - e - zum Verbstamm bhere - aufgebaut wird, an den das Flexiv - si tritt. – Kandidaten für Stammbildung auf Wurzelbasis sind etwa Konfixe wie in [[elektr] W o] St auto] oder kompositionsstammbildende Fugen wie in Liebesgedicht. (^2) Vgl. Senatus Populusque Romanus ‚Senat und Volk von Rom‘. (^3) Ich vernachlässige bei dieser Kategorie die Rolle von Prosodemen wie Tonhöhenverläufen, die bei der Bedeu- tungsdifferenzierung mitwirken können, vgl. Pia sah den Bus als Assertion oder als Entscheidungsfrage. (^4) Freie Phrase bezieht sich aus den Modus der freien, d. h. auch der nicht-idiomatischen Kombinatorik! Im Gegen- satz zum unfreien Phrasem ins Gras beißen ist ins Croissant beißen eine freie (Verbal-)Phrase.
ein X für ein U vormachen … bilden ein Synonymenfeld) und Wortfeldzugehörigkeiten sprechen da- für, sie teilweise in die lexikalische Semantik einzubeziehen. Modelle der Satzsemantik sind oft formal-logischer Natur, z. B. Prädikatenlogik wie bei Alle Katzen sind Säugetiere : A x (Katze (x) ⇒ Säugetier (x))) ‚Für alle x gilt, wenn x = Katze, dann x = Säugetier‘, bzw. Junktorenlogik (wann ist >A und B< wahr/falsch? etc.) und manchmal auch integrativ (Syntax, Semantik, Pragmatik, Textlinguistik), z. B. Peter v. Polenz (1985): Deutsche Satzsemantik. De Gruyter.
Wenn wir den Aspekt Bedeutung weiter aufschlüsseln, dann unterscheiden wir
Form/Wort Intension Extension (bei Frege: SINN) (bei Frege: BEDEUTUNG) Morgenstern ‚Stern, der morgens als letzter zu sehen ist‘ Abendstern ‚Stern, der abends als erster zu sehen ist‘ ‚Venus‘ Venus ‚2. Planet unseres Sonnensystems‘ Die Extension eines Ausdrucks kann sich zeitabhängig verändern, vgl. der Präsident der USA 2000 (‚Clinton‘) und 2010 (‚Obama‘), während die Intension länger gleich bleibt. Intensionen können von einem Bedeutungswandel erfasst werden, vgl. z. B. die Bedeutungserwei- terung bei mhd. frouwe ‚adeliger erwachsener weiblicher Mensch‘ → nhd. Frau ‚erwachsener weib- licher Mensch‘. Hier nimmt die Intension ab und die Extension nimmt zu. Wenn die Intension grö- ßer wird, wird die Extension kleiner: z. B. mhd. fahren ‚sich fortbewegen‘ – noch in Wallfahrt (‚zu Fuß‘) und Luftfahrt (heute: ‚Fliegerei‘) erkennbar – , das heute etwa ‚Fortbewegung mittels Fortbe- wegungsmittel‘ ist, wobei man Tiere ( reiten ) und Flugzeuge ( fliegen ) noch ausschließen muss. SEMANTIK und PRAGMATIK: Die Semantik untersucht traditionellerweise kontextunabhängige Bedeutung, die Pragmatik kon- textabhängige Bedeutung. Wo genau zwischen beidem die Trennlinie verläuft, ist Gegenstand von Diskussionen. Als typische Gegenstände einer linguistischen Pragmatik gelten derzeit u. a. die SPRECHAKTTHEORIE ( Kuno hat eine Katze!/Kuno hat eine Katze? ), die KONVERSATIONELLEN IMPLIKATUREN (Lehrer: Wo liegt Teheran? – Schüler: Teheran liegt in der Türkei – Lehrer: … und Berlin liegt in Ar- menien ) und die PRÄSUPPOSITIONEN ( Der Graf bedauert ( nicht ), den Kläger gebissen zu haben prä- supponiert Der Graf hat den Kläger gebissen ). Während BEDEUTEN auf die AUSDRUCKSBEDEUTUNG (z. B. Ich ‚Produzent der Äußerung‘) und zumindest auf Teile der ÄUßERUNGSBEDEUTUNG (z. B. Ich ‚Wolfgang Schindler‘) bezogen und in der SEMANTIK un- tersucht wird, verwendet man MEINEN für PRAGMATISCHES, z. B. wenn Produzenten etwas mit den Ausdrücken intendieren. Pia schläft bedeutet ungefähr ‚Eine Person namens Pia schläft zum Sprechzeitpunkt‘ und der Produzent kann damit eine ‚Feststellung‘ meinen oder aber eine ‚Auffor- derung‘, sich ruhig zu verhalten. Die linguistische Semantik befasst sich zunächst mit der vorkontextuellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und mit ihrer Bedeutungskompositionalität.^9 Zudem befasst sich die Semantik mit be- stimmten Aspekten der Äußerungsbedeutung. Die Pragmatik beschäftigt sich mit Bedeutung in Kontexten, mit dem zweckbestimmten Gebrauch sprachlicher Ausdrücke und insbesondere mit dem KOMMUNIKATIVEN SINN. So fragt sie beispielsweise danach, was der Produzent vom Rezipienten will, welches Verhalten er bezweckt. Mit Es zieht, Hier zieht es kann man eine Feststellung oder die Aufforderung ‚Mach das Fenster zu‘ meinen. Das Verhältnis von Semantik und Pragmatik ist Gegenstand vieler Diskussionen. Manche lehnen entweder diese Auftrennung ganz ab oder versuchen zu zeigen, dass die eine Disziplin im Wesentli- (^9) Kuno fällt ins Wasser ist kompositional interpretierbar, wenn man die Bedeutung der einzelnen Ausdrücke und die Konstruktionsbedeutung kennt. Das Fest fällt ins Wasser ist nicht analog kompositional, da ich hier den Phraseolo- gismus bzw. das Idiom ins Wasser fallen ‚ausfallen, nicht stattfinden‘ kennen muss.
rennen‘ etc. Wahrscheinlich geht bei Katze auch visuelle Information mit in die Konzeptreprä- sentation ein und wohl auch akustische wie eventuell das Miauen und das Fauchen. Die Sichtweise, dass Bedeutungswissen als Teil der kognitiven Fähigkeiten anzusehen ist, vertreten heutzutage vor allem (a) die Kognitive Semantik (z. B. George Lakoff: „Women, Fire, and Dangerous Things, Chicago 1987; Leonard Talmy: „Toward a Cognitive Semantics, Cambridge MA 2003) und (b) die Konzeptuelle Semantik (die Arbeiten von Ray Jackendoff). (f) Die KONNEKTIONISTISCHE Sicht: Bedeutungen sind Strukturen in neuronalen Netzwerken und korre- lieren mit bestimmten Gehirnzuständen. Gehirnzustände können mit Methoden wie der Posit- ronenemissionstomographie untersucht werden.
4 .1 Ausdrucksbedeutung Bei der Ausdrucksbedeutung beschreibt man vor allen bzw. abstrahiert von möglichen Kontexten
Die lexikalische Bedeutung von Inhaltswörtern ist bei MONOSEMIE ( Triangel vielleicht?) unproblema- tisch, doch Monosemie ist eher selten. Falls lexikalische Ambiguität vorliegt, also HOMONYMIE^12 oder POLYSEMIE, muss man sehen, ob bereits auf der Ebene der Ausdrucksbedeutung eine Disambiguie- rung bzw. Monosemierung möglich ist oder ob dazu Kontextwissen erforderlich ist. Dann wird erst auf der Ebene der Äußerungsbedeutung disambiguiert. So selegiert in (a) (13) (a) die vierbeinige Bestie (Nfem, 1. ‚gefährliches (Raub-)Tier‘, 2. ,brutaler Mensch‘) (b) die blonde Bestie (c) die gejagte Bestie vierbeinig bereits in der Ausdrucksbedeutung die Tierlesart von Bestie , während blond in (b) die Menschenlesart auswählt. Ein Ausdruck wie die gejagte Bestie bleibt in der Ausdrucksbedeutung ambig, erst kontextuell lässt sich entscheiden, ob ein Tier oder ein Mensch gemeint ist. (14) Ich kaufe mir morgen den Spiegel^13 In (14) benötigt man für eine Disambiguierung Kontextwissen; sie kommt beim Übergang von der Ausdrucks- zur Äußerungsbedeutung zustande, da z. B. die Ausdrucksbedeutungen von Spiegel (‚Glasfläche‘; ‚Wochenzeitschrift‘; …) mit kaufen (‚gegen Geld erwerben‘; …) verträglich sind. Wörter können Simplizia sein oder Wortbildungsstrukturen aufweisen wie in Strandbar , Waren- trennstab oder unhörbar. Sofern keine Idiomatizität vorliegt, können wir die Wortbildungsbedeu- tungen erschließen, etwa ‚Bar am Strand‘, ‚Stab, der die Waren trennt‘ und ‚nicht hörbar‘. Ist das Wortbildungsprodukt idiomatisch, wird es als Lexem gespeichert, vgl. Hinkelstein (was bedeutet Hinkel ?) , Meerkatze (Affenart, kein Katzensubtyp). Flektierbare Wörter erscheinen im Satz als syntaktische Wörter. Ein syntaktisches Wort besteht aus der Bedeutung des Wortstammes und der Bedeutung der grammatischen Form. So sind z. B. Hund und Hunde zwei syntaktische Wörter des Lexems Hund ; bei Hunde verknüpfen wir die Bedeutung des Substantivstamms Hund mit der grammatischen Bedeutung des Plurals, was bei Hunde ‚mehr als ein Hund‘ bedeutet. Nicht alle grammatischen Formen leisten einen unabhängigen Bedeutungs- beitrag, denn bei die Hunde bellen steht auch das Verb im Plural, doch dies geschieht wegen der syntaktisch geforderten Kongruenz mit dem Subjekt! Schließlich ist noch der Bedeutungsbeitrag syntaktischer Strukturen in der Ausdrucksbedeutung zu berücksichtigen. Ein Beispiel: Modifikationsstrukturen wie bei Adjektiv- oder Genitivattribution ha- ben in der Regel Teilmengenbildungen zur Folge. Die Ausdrücke rote Bälle oder die Bälle in der Turnhalle des FC Buxtehude bezeichnen Teilmengen von allen möglichen Bällen. (^12) Homonymie liegt vor, wenn zwei Lexeme Wortformen teilen (im selteneren Grenzfall: alle, evtl. die Weiche , Plural: Weichen, ‚Gleisverzweigung‘ und ‚Flanke‘), aber zwischen ihren Bedeutungen synchron keine (sinnvollen) semanti- schen Brücken ermittelt werden können. (Man betrachte kurz: Sein Ton gefällt mir nicht .) Homonymie lässt sich formal-medial aufschlüsseln in HOMOPHONIE ( Bohle, Bowle; Lid, Lied; der/die Kiefer etc.) und HOMOGRAPHIE ( Tenor mit Pänultimaakzent, Tenor mit Ultimaakzent, also keine Homophonie; Ton ‚Lehm‘ bzw. ‚Klang‘, bei Ton und Kiefer liegt sowohl Homophonie als auch Homographie vor). Bei Homonymen gibt es nicht selten grammatische und Formunterschiede wie bei der Kiefer und die Kiefer, die Töne und die Tone. (^13) Beispiel von Johannes Dölling (http://home.uni-leipzig.de/doelling/veranstaltungen/semprag2.pdf). Dölling baut es weiter aus, z. B. könnte der Satz auch ‚am Tag nach dem Tag der Äußerung dieses Satzes nimmt der Produzent des Satzes sich eine Person mit Nachnamen Spiegel vor‘ bedeuten.
(18) Ich bin ein Berliner hat die Ausdrucksbedeutung (19) ‚Der Sprecher hat zur Zeit der Äußerung die Eigenschaft, ein Bürger von Berlin zu sein‘ Je nach Äußerungskontext hat der Satz verschiedene Äußerungsbedeutungen. Wenn das ein ange- nommener Bürger namens Herbert Müller am 1. August 2015 sagt, dann lautet sie in etwa (20) ‚Herbert Müller hat am 1. August 2015 die Eigenschaft, Berliner Bürger zu sein‘. Der kommunikative Sinn könnte die Antwort auf die Frage nach seiner Herkunft sein. Falls es über- haupt zutrifft, dass Berliner frech sind, könnte das auch eine Replik sein wie in „Seien Sie nicht so frech!“ – „Ich bin ein Berliner!“ (‚Ich bin so, das muss man eben hinnehmen‘). Am 26. Juni 1963 äußerte der damalige US-Präsident John F. Kennedy diesen Satz,^15 der dann die Äußerungsbedeutung (21) ‚John F. Kennedy hat am 26. Juni 1963 die Eigenschaft, Berliner Bürger zu sein‘ hatte. Nun stimmte das gar nicht, denn er war ja der amerikanische Präsident, aber das haben die Zuhörer situativ zurechtgerückt, denn Berlin war damals vom Rest des Bundesgebietes dadurch getrennt, dass es von DDR-Staatsgebiet umgeben war. Ob dieser Situation fühlten sich viele Berliner schutzbedürftig und Kennedy hat daran angeknüpft, denn der kommunikative Sinn war (22) ‚John F. Kennedy (stellvertretend für die USA) verspricht am 26. Januar 1963, dass er West- Berlin mit allen Mitteln unterstützen wird‘.
Für die Ausdrucksbedeutung gilt das KOMPOSITIONALITÄTSPRINZIP oder FREGE-PRINZIP (nach Gottlob Fre- ge, 1848-1925, bedeutender Logiker & Semantiker). Danach ergibt sich die Bedeutung eines kom- plexen Ausdrucks vollständig und eindeutig aus der Bedeutung seiner Teile und der Fügungsbedeu- tung. Daher können wir sofort neue verständliche Sätze produzieren. Eine Satzbedeutung baut sich kompositional aus Grundausdrücken (Morpheme, Wörter, Phraseme) auf. Komplexe Wörter wie Strandbar entstehen aus Morphemkombinationen. Wenn sie idiomatisch sind, sind es sekundäre Grundausdrücke, z. B. Blaumann. Flektierbare Wörter erscheinen als syntaktische Wörter, wobei wir auch Kombinationen wie Bär-en, Hund-e, Ente-n, Mammut-s kompositional interpretieren (= ‚mehr als ein …‘).^16 Wortgruppen und Sätze werden mit der hinzukommenden strukturellen Bedeu- tung kompositional interpretiert (phraseologische Wortgruppen wie wilde Ehe oder frech wie Oskar sind mehrwortige stabile Grundausdrücke). 5 .1 LEXIKALISCHE SEMANTIK Hier werden die Bedeutungen der Lexeme (Simplizia, Wortbildungsprodukte und Phraseologismen) behandelt. Lexeme sind abgespeicherte, im mentalen Lexikon organisiert vernetzte Aggregate aus Form und Bedeutung (und auch Kombinatorik, so besagt z. B. eine Markierung wie Adj, wie man syntaktisch-kombinatorisch mit gut, gestrig etc. verfahren kann, z. B. das gestrige Konzert /* das (^15) Eine Filmaufnahme, als Kennedy diesen Satz spricht: https://www.youtube.com/watch?v=_Pjn5E6yOKo. (^16) Seltene Fälle wie Pluraliatantum sind Grundausdrücke, vgl. ( die ) Ferien , weil ich nicht * Ferie in den PL setze!
Konzert gestrige , vgl. das Konzert gestern /* das gestern Konzert ). Die Bedeutung von Basislexemen wie Frau , Baum ist arbiträr, d. h. sozial ausgehandelt und nicht vorhersagbar. Die Bedeutung von WB-Produkten kann systematisch bzw. gemäß FREGE-PRINZIP = KOMPOSITIONALITÄTSRINZIP ermittelbar sein ( Hausdach ‚(x-beliebiges) Dach eines Hauses‘) oder IDIOMATIZITÄT aufweisen ( Haustür ‚keine x- beliebige, sondern eine bestimmte Tür, durch die man üblicherweise das Haus betritt‘, Blaumann ). Unsere Lexik ist inhomogen. Ob man wohl alle lexikalischen Teilschichten gleich beschreiben kann? Konkreta und Abstrakta? Autosemantika (wie N, V, Adj) und Synsemantika? Vergleichen Sie Sub- stantive, Verben, Adjektive, Präpositionen, Eigennamen (identifizieren in bestimmten Kontexten Individuen, vgl. Einstein erdachte die beiden Relativitätstheorien versus Pia ist ein richtiger Einstein ), Abtönungspartikeln, Fokuspartikeln, Interjektionen … Und bei den Phraseologismen gibt es „wort- artige“, semantisch eher einfache wie in Anbetracht, den Garaus machen ‚töten‘, es gibt semantisch komplexe wie den Ast absägen, auf dem man sitzt, den Stier bei den Hörnern packen ; dann gibt es Routineformeln wie Grüß Gott und Habe die Ehre etc. Auf der Ebene der Ausdrucksbedeutung kann die lexikalische Bedeutung folgende Arten von Bedeu- tung umfassen: (a) die DESKRIPTIVE BEDEUTUNG, die relevant für die Gegenstandsreferenz ist, (b) SOZIALE BEDEUTUNG (mit oder ohne deskriptive, vgl. Du/Sie und Hallo ) und (c) EXPRESSIVE BEDEUTUNG (mit oder ohne deskriptive, vgl. Memme und boah ). Die Rolle KONNOTATIVER BEDEUTUNG gehört auch hierher. 5 .2 SEMANTIK DER GRAMMATISCHEN FORMEN Grammatische Formen werden im Deutschen häufig, aber nicht ausschließlich mittels AFFIGIERUNG ( Katze > Katze - n katze-PL), manchmal auch mittels MUTATION markiert, z. B. durch AB-/UMLAUT ( gib-st
gab-st geb.PRÄT-2SG, Tochter > Töchter = tochter.PL). Die Semantik interessiert sich für gramma- tische Formen, die man als Produzent auswählen kann:
Venus hat die deskriptive Bedeutung ‚2. Planet des Sonnensystems‘. Morgenstern hat die Bedeu- tung ‚Stern, den man morgens als letzten sieht‘ und Abendstern ‚Stern, den man abends als ersten sieht‘, es sind also zwei Konzepte, die denselben Referenten ‚Venus‘ haben. Die Ausdrucksbedeutung kann neben der DESKRIPTIVEN BEDEUTUNG noch umfassen: 6 .2 SOZIALE BEDEUTUNG : Wörter ( Danke ), Phraseologismen (sog. Routineformeln wie Guten Morgen ) oder grammatische Formen (z. B. im Japanischen, s. Löbner 2015: 37) können nicht-deskriptive Be- deutung aufweisen, die mit den Regeln für die soziale Interaktion (Regeln der sozialen Angemes- senheit) in Beziehung steht. Beispiele sind: Du/Sie, Ihr/Sie, (Eure) Exzellenz! Anders als bei der de- skriptiven Bedeutung geht es nicht um Referenz oder Wahrheit, sondern
Deskriptive, soziale und expressive Bedeutung gehören nach Löbner zur lexikalischen Bedeutung eines Wortes oder eines Phraseologismus. (29) Ausdrucksbedeutung / Lexikalische Bedeutung Bitte einordnen: Sie; gottseidank, bitte/danke/Guten Tag; pfui/aua/yippie; Schatzi/Mausi; Arsch (SYN: Hintern ) versus ( Du ) Arsch! Deskriptive Bedeutung soziale Bedeutung Expressive Bedeutung Sie ‚angesprochene Person‘ Sie ‚förmlich‘ --- --- --- gottseidank ‚Erleichterung‘ --- bitte, danke, Guten Tag --- --- --- pfui, aua; yippie ‚Freude‘! ‚(geliebte) Person‘ --- Schatzi, Mausi ‚Person‘ --- ( Du ) Arsch! ‚abwertend‘ Arsch ‚Hintern‘ --- ‚emotionale Emphase‘(?)^19 6 .4 Konnotative Bedeutung bzw. KONNOTATION Eine weitgehend akzeptierte, gängige Definition von Konnotation scheint es nicht zu geben. Es wer- den unterschiedliche Konzepte unter diesen Begriff gebracht, angefangen mit individuellen Assozia- tionen einiger Sprecher, die sich z. B. bei Vampir gruseln oder diesen faszinierend, erotisch attraktiv oder sympathisch (Kinderbuchreihe „Der kleine Vampir“) finden. Diese Auffassung, die Konnotation nicht zum lexikalischen Wissen rechnet, lehne ich ab. Versuchen wir uns anzunähern: Konnotation ist eine konventionelle nicht-referentielle Bedeu- tungskomponente, die zum lexikalischen Wissen gehört und im Gegensatz zur Denotation keine Sachinformation über den Referenten vermittelt. Wie die Denotation ist sie sozial und nicht Assozi- ation nur einiger Sprachteilnehmerinnen. Da Lexeme mit Konnotationen in der Regel in Austausch- beziehung stehen zu konnotationsfreien Lexemen, vgl. Köter (Kläffer, Töle) statt Hund oder Bulle statt Polizist , vermittelt die Wahl des Ausdrucks mit Konnotation zusätzliche Information an die Hörer-Leser (hier: des Sprecher-Schreibers negative Bewertung bzw. Einstellung). Man sollte danach fragen, wie das Verhältnis zwischen Konnotationen und den Varietäten bzw. der REGISTERarchitektur einer Sprache ist. Ist die Zugehörigkeit eines Zeichens zu bestimmten stilisti- schen, regionalen, zeitlichen oder fachsprachlichen Varietäten eine Konnotation oder eine davon zu trennende Information? Ins Wörterbuch gehört eine Varietätenmarkierung auf jeden Fall! Varietä- ten lassen sich mittels DIASYSTEMATISCHER MARKIERUNGEN nach verschiedenen Parametern gliedern, zum Beispiel nach Raum (DIATOPISCH, z. B. Semmel ‚süddeutsch‘, Schrippe ‚berlinerisch‘), nach Zeit (DIACHRON, z. B. Neologismen wie Besserwessi im Jahre 1991 oder veraltend/obsolet Knabe statt (^19) Löbner (2015: 2.4.1) bezeichnet den expressiven Bedeutungsbeitrag z. B. bei Pfote ‚Hand‘ und bei futtern ‚essen‘ als emotionale Emphase. Gemeinsam ist, dass aus einer Menge an Synonymen ( Hand, Pfote, Pratze, Griffel, Flosse; essen, futtern, mampfen, spachteln; Gesäß, Hinterteil, Allerwertester, Arsch, Popo etc.) eines ausgewählt wird, das einen semantischen Mehrwert über die denotative Bedeutung hinaus enthält. – Dölling (semprag3) sieht das an- ders, da er darauf hinweist, dass Konnotationen „eine Grundlage dafür bilden, dass sich Ausdrücke mit derselben deskriptiven Bedeutung in ihrer Ausdrucksbedeutung voneinander unterschieden können“.
Lexikalische Ambiguitäten werden teilweise schon auf der Ebene der Ausdrucksbedeutung (z. B. wenn die Zusätze in Klammern in den Satz (32) genommen werden), nicht selten aber erst auf der Ebene der Äußerungsbedeutung reduziert bzw. vereindeutigt: (32) Sie sah eine Bank (und ging hinein) Die Birne fiel auf den Boden (und zerbrach) Ich kaufe mir morgen den Spiegel (Äußerungsbedeutungen! Siehe Dölling 2.2.2) Wie kann man die DISKRETHEIT von Lesarten ermitteln? Test 1: Haben die Lesarten verschiedene Wahrheitsbedingungen? Findet man einen Kontext, in dem bzgl. des mehrdeutigen Wortes eine wahre Ja- und eine Nein-Antwort gegeben werden kann? (33) Ist das ein leichtes Buch? (34) Ja, es wiegt nur 200 Gramm ‚Gewicht’ Nein, es ist schwer zu verstehen ‚Inhalt‘ (35) (a) Hat sie Birnen gekauft? (b) Mögen Sie das Buch? Ja, sie hat 40- und 60-Watt-Birnen gekauft. Ja, es sieht gut aus ‚Band‘ Nein, sie hat Äpfel gekauft. Nein, es ist schlecht geschrieben ‚Text‘ Test 2: Besitzen beide Lesarten unterschiedliche Sinnrelationen zu anderen lexikalischen Einheiten? (36) alt - jung ‚Lebensalter, - jahre‘; alt - neu (Gebrauchsgegenstände) Birne - Kerze - Röhre (Ko-Hyponyme) – Leuchtkörper ; Birne – Frucht (Obst) leichter – schwerer Koffer; leichter – starker (*schwerer) Wind ein Kleid machen/herstellen; Tee machen/zubereiten; Fehler machen/begehen Buch ‚Band‘: Paperback, Hardback, Taschenbuch – Buch ‚Text‘: Biographie, Novelle, Roman Test 3: Besitzt die Lesart individuelle Kombinationseigenschaften? Z. B. unterschiedliche Kollokato- ren oder bei Verben unterschiedliche Valenzforderungen? (37) Auskunft - ‚Information‘: erteilen, einholen ; Auskunft - ‚Stelle‘-<o.Pl.>: anrufen ein handliches Buch, Buch aufschlagen ‚Band‘ – ein fesselndes Buch, Buch schreiben ‚Text‘ (38) bringen^1 , ‚X (SUBJ) bewirkt, dass Y (AKKO) von einem Ausgangsort zum Zielort Z (DIR) gelangt‘ Kuno brachte die Bücher in den Keller. bringen^2 ,^ ‚X (SUBJ) bewirkt, dass Y (AKKO) Z (PO)verliert (bzgl. Z Schaden erleidet)‘ Der Lärm brachte ihn um den Verstand. Die Inflation brachte viele um ihre Ersparnisse. bringen^3 , ‚X (SUBJ) bietet der Öffentlichkeit Y (AKKO) dar‘ Die Zeitung brachte Pias Artikel. Das Radio bringt heute nur Schrottmusik. VAGHEIT ist damit verbunden, dass Lexeme auf Entitäten mehr oder weniger zutreffen und dass un- klare Fälle vorkommen. Eine eindeutige Grenze zum skalar entgegengesetzten Konzept ( groß – klein, gut – böse ) oder zum Nachbarkonzept ( Baby , ( Klein - ) Kind , Junge , Jugendlicher , Mann ; Hügel, Berg; blau, grün etc.) kann nicht immer gezogen werden bzw. umstritten sein ( Läufst Du noch oder rennst Du schon? ). Weitere Beispiele für Ambiguität:
(39) Ein alter preußischer Beamter soll im Dritten Reich zum Abschied ein Bildnis des Führers be- kommen und darf wählen, ob er ihn als Bild oder als Büste haben will. „Ich kann mich nicht entscheiden“, sagt er nach langem Grübeln, „ob ich ihn lieber aufhängen oder an die Wand stellen möchte.“ Form Kombinatorik Sememe/Lesarten Satzbeispiel /afh/ sw. V. SUBJ/AKKO 1. ‚an/auf etw. hängen‘ Er hängte das Bild auf fak. refl. 2. ‚erhängen‘ Er hängte ihn/sich auf SUBJ/AKKO/DATO 3. ‚(ugs.) aufbürden‘ Er hängte ihm viel Arbeit auf
sich mit ein paar Freund/inn/en über den Nachwuchs von nicht anwesenden Bekannten. Die Unter- haltung nimmt folgenden Verlauf. (49) A: Pia und Kunibert haben sogar vier Kinder! B: Der Kunibert hat nur zwei Kinder. A sagt die Wahrheit und die Anwesenden wissen das. Aber warum sagt B, Kunibert habe nur zwei Kinder? Wir werden hier den Kontext anpassen, sofern wir weiterhin unterstellen, dass B koopera- tiv kommuniziert (sofern B nicht Anzeichen von Betrunkenheit, Wahnsinn o. Ä. zeigt) und zu er- schließen versuchen, was B eigentlich meint. B will uns eventuell sagen, dass Kunibert zwei seiner Kinder nicht anerkennt bzw. sich zu wenig um sie kümmert. Da die Familiensituation allen bekannt ist, kann Kunibert diesen scheinbaren Kommunikationsbruch begehen, da er darauf vertrauen kann, dass A und die übrigen Beteiligten eine Akkomodation durchführen. Aufgabe 2 Versuchen Sie, die Polysemie von grün anhand der folgenden Daten darzustellen! Wel- che Lesart ist wahrscheinlich die ursprünglichste, wie lassen sich die weiteren Lesarten daran an- gliedern? Welche semantischen Merkmale teilen sie und wie sehen die semantischen Brücken aus? Hilfe: Das Adjektiv grün ist mit to grow ‚wachsen‘ etymologisch verwandt über indoeur. * gher ( a) ‚Hervor- kommen von Pflanzentrieben‘, sozusagen ‚frisch sprießend, wachsend‘, typischerweise wenn im Frühling die jungen Blütentriebe hervorkommen. (50) grüne Bohnen, grünes Gras, grüne Grenze, grüner Hering, grüne Hölle, grünes Holz, grüne Hochzeit, grüner Junge, grüne Lunge, grüne Partei, grüne Seife (‚billige pastöse bzw. flüssige Schmierseife‘), grüner Tisch, grüne Welle Erläutern Sie die Ambiguitätsphänomene und ggf. den Bedeutungsverschiebungstyp! (51) (a) Die Oper/Das Requiem/Der Schlager/Die Sonate/Die Symphonie hört sich gut an. (b) Die Oper/Das Requiem/Der Schlager/Die Sonate/Die Symphonie liegt im Papierkorb. (52) die Schublade/die Uhr/den Ehemann aufziehen (53) (a) Sie hat die Scheibe aufgehängt und die Dartpfeile geholt. (b) Sie hat die Scheibe mit einem Stein eingeworfen. (c) Sie hat die Scheibe mit Butter bestrichen und genüsslich verspeist.
7.2 James Pustejovsky: The Generative Lexicon (1995) Pustejovsky behandelt hier unter anderem folgendes Problem: Wie kann man einer ausufernden Polysemie (Lesartenvermehrung) Einhalt gebieten? Kann bzw. soll man durch eine extensive Lesar- tenauflistung alle Bedeutungsnuancen eines polysemen Wortes einfangen? Lassen sich in den vie- len Wortanwendungen weitere Lesarten finden bzw. neue Lesarten hervorrufen? Und woher soll man wissen, wann man fertig ist? Oder können wir von einer Grundbedeutung aus weitere „Lesar- ten, die gar keine sind“ erzeugen? Polysemieposition Monosemieposition (Pustejowski) Semantik feinkörnig allgemein, unterspezifiziert Fokus auf abgrenzbarer Lesart Bedeutungsinteraktion, - erzeugung Betonung der Verkettung generativen Kompositionalität Wissensquelle Lexikoneinträge Lexikoneinträge und Welt-/Kontextwissen Anwendung Universal-Duden etc. (bislang keine „Anwendungstradition“) Wir sehen uns ein paar Beispiele an unter der Frage, ob wir bei schnell viele Lesarten annehmen müssen oder ob wir diese aus einer Basisrepräsentation heraus erzeugen können: (54) (a) Ein schnelles Boot (‚schnell fahrend‘, ‚inhärent schnell‘) brachte uns ans andere Ufer (b) Eine schnelle Sekretärin (‚schnell schreibend‘) schrieb die Briefe an einem Nachmittag (c) Squash ist ein schnelles Spiel (‚mit schnellen Bewegungen‘) (d) Sie nahm gestern zur Abwechslung mal die schnelle Straße (‚die schnelles Fahren erlaubt‘) (e) Da wir in zwei Tagen verreisen wollen, brauche ich eine schnelle Werkstatt (‚eine, die schnell repariert‘) (f) Sie fing ein schnelles Buch an (‚schnell zu schreiben‘; ‚schnell zu lesen‘) (f‘) Sie fing ein schnelles Wörterbuch an (‚schnell zu schreiben‘; ?‚schnell zu lesen‘) Buch : Zweck = [lesen] (Entstehung = [schreiben]), Wörterbuch : Zweck = [konsultieren] (g) Das sind aber schnelle Nudeln (‚die schnell weich zu kochen sind‘) (h) Das XY-Gebirge war erdgeschichtlich ein schnelles Gebirge (‚das schnell entstand‘) Die Bedeutung einer lexikalischen Einheit erfasst Pustejovsky (1995) mit einer Lexikoneintragsstruk- tur, die komplexer ist als gewohnt. Sie besteht aus Substrukturen (relevant v. a. 3.!), die eine stärke- re Relationalität unter den zu kombinierenden Lexikoneinheiten ermöglichen sollen: