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Leitfäden und Tipps
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Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation als Qualitätsmerkmale von Bildung, Abschlussarbeiten von Philosophie

Ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung der Bildung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in Schleswig-Holstein

Art: Abschlussarbeiten

2019/2020

Hochgeladen am 09.04.2020

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Inklusion,
Selbstbestimmung und Partizipation
als Qualitätsmerkmale von Bildung
- ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung der Bildung
im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung
in Schleswig-Holstein -
DISSERTATION
zur Erlangung des akademischen Grades
eines Doktors der Philosophie
am Fachbereich 1: Erziehungswissenschaften/
Fachbereich 5: Erziehungswissenschaften
der Universität Koblenz-Landau
Vorgelegt
im September 2009
von Angela Ehlers
geb. am 06.01.1955 in Schleswig
Referent: Prof. Dr. Peter Rödler, Universität Koblenz-Landau
Korreferent: Prof. Dr. em Rudi Krawitz, Universität Koblenz-Landau
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Inklusion,

Selbstbestimmung und Partizipation

als Qualitätsmerkmale von Bildung

  • ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung der Bildung

im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung

in Schleswig-Holstein -

DISSERTATION

zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie am Fachbereich 1: Erziehungswissenschaften/ Fachbereich 5: Erziehungswissenschaften der Universität Koblenz-Landau

Vorgelegt im September 2009 von Angela Ehlers geb. am 06.01.1955 in Schleswig

Referent: Prof. Dr. Peter Rödler, Universität Koblenz-Landau Korreferent: Prof. Dr. em Rudi Krawitz, Universität Koblenz-Landau

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


Anstelle eines Vorwortes

Tempora mutantur et nos mutamur in illis (Kaiser Lothar I., 795 - 855)

Mit diesem Beitrag zur Pädagogik für Menschen mit Förderbedarf im Be- reich ihrer geistigen Entwicklung möchte ich mich bedanken. Ich danke allen denjenigen, die daran glauben, dass ich sinnvoll im Interesse einer Pädagogik für alle Menschen tätig bin, die mir dieses zurückmelden und mich kritisch-konstruktiv begleiten. Und ich danke vor allem denjenigen, die mich immer dabei unterstützt haben, dass diese Schrift während der vollen Berufstätigkeit fertig gestellt werden konnte

Als erstes bedanke ich mich bei meiner geduldigen Familie - allen voran bei meinem Mann, Hans Schillhorn, der nicht nur an die Fertigstellung ge- glaubt, sondern mich auch immer wieder angetrieben und in jeglicher Form unterstützt hat. Außerdem danke ich meinen Kindern Johanna Ca- tharina, Claus Henning, Anna Maria und Hans Hinrich, die so viel Ver- ständnis und Rücksichtnahme für ihre Mutter aufbringen. Ich danke meinem Doktorvater, Peter Rödler, für die spontane Bereit- schaft zur Unterstützung, für alle Diskussionen, kritischen Hinweise, für bezogene Gegenpositionen und aufmerksam ertragene Erwiderungen. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen in allen Schularten zu Dank ver- pflichtet, die wie ich an die Veränderungsfähigkeit von Systemen glauben. Ich danke allen Menschen mit Behinderungen, die ich kennen lernen durf- te und die mir gezeigt haben, wie sie in Schleswig-Holstein mit Behinde- rungen selbstbestimmt leben. Stellvertretend für viele, viele Vorbilder möchte ich an dieser Stelle drei Menschen nennen, die mich, wenn auch nur aus der Ferne, aber immer mit einem Lächeln begleitet haben:  Der erste ist Christoph Krüger aus Kaltenkirchen, der mit mir im Europäischen Parlament in Brüssel war, der mir nicht nur dort seine Kompetenzen gezeigt hat und der seinen Weg selbstbestimmt gehen wird – davon bin ich fest überzeugt.

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


II. Aspekte der Weiterentwicklung einer Pädagogik für

  • Anstelle eines Vorwortes Inhaltsverzeichnis
  • I. Aktueller Diskussionsstand
    1. Einführung in die Thematik
    1. Zielsetzung
    • Entwicklung Menschen mit Förderbedarf im Bereich ihrer geistigen
    1. Zur Begrifflichkeit
    1. Grundbegriffe
  • 2.1 Normalisierungsprinzip
  • 2.2 Selbstbestimmung
  • 2.3 Integration
  • 2.4 Prinzipien von Inklusion
    1. Entwicklung der Behindertenpädagogik
  • 3.1 Entwicklung bis zum 19. Jahrhundert
  • 3.2 Anstaltsgründungen
  • 3.3 Nationalsozialismus
  • 3.4 Entwicklung ab
  • 3.5 Integrative Tendenzen
  • 3.6 Bundesgleichstellungsgesetz
  • 3.6.1 Definition von Behinderung nach dem Gleichstellungsgesetz
  • 3.6.2 Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichberechtigung
  • 3.6.3 Begründung des Konzepts der Selbstbestimmung
    1. Empowerment
  • 4.1 Annäherung an eine eigene Begriffsbestimmung
  • 4.2 Ebenen von Empowerment
  • 4.3 Entstehung
  • 4.4 Die Idee der Widersprüchlichkeit
  • 4.5 Das Problem des Technologiedefizits
  • 4.6 Empowerment und Behinderung
  • 4.7 Entwicklung von Empowerment in Deutschland
  • 4.8 Die Wertebasis von Empowerment
  • 4.8.1 Verwirklichung in den USA
  • 4.8.2 Vom Defizitmodell zur neuen Kultur der Unterstützung
  • 4.8.3 Einsatz in der Praxis
  • 4.9 Behindertenpädagogische Leitprinzipien
  • 4.10 Voraussetzungen für Empowermentprozesse
  • 4.11 Schwierigkeiten
  • 4.12 Bedeutung von Selbsthilfegruppen
  • III. Aspekte curricularer Entwicklungen
    1. Begriffsdefinitionen
  • 1.1 Der Bildungsbegriff
  • 1.2 Bildung als Eigentümlichkeit des deutschen Sprachraums

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


1.3 Klafkis zeitgemäßer Bildungsbegriff 117

  1. Bildungsziele 120
  2. Lehrpläne in Schleswig-Holstein 126 3.1 Konzept der Grundbildung 127 3.2 Inklusiver Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen 131 3.3 Themenzentriertes und fächerübergreifendes Arbeiten 134
  3. Lehrplan sonderpädagogische Förderung 136 4.1 Leitthemen 137 4.2 Der Bildungsauftrag der Werkstufe 139 4.3 Schulinternes Curriculum der Werkstufe 144 4.4 Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen 147 4.5 Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen

IV. Aspekte der Qualitätsentwicklung in der Arbeit der Förderzentren

  1. Weiterentwicklung der Kulturen und Strukturen auf der Grundlage der UN-Konvention
  1. Qualitätsentwicklung im Kontext von Schule 160 2.1 Standards sonderpädagogischer Förderung 163 2.2 Bilder der Lehrenden von den Lernenden 177 2.3 Öffnung der Schule für gesellschaftliche Entwicklungen 179 2.4 Lern- und Bildungsprozesse 181 2.5 Beratungs- und Förderfunktion 182 2.6 Schule als Organisation 184
  2. Kriterien einer guten Schule 187 3.1 Begriff der Qualität 192 3.2 Qualitätsdimensionen 194
  3. Evaluation 196 4.1 Begriffsbestimmung 196 4.2 Qualitätsentwicklung durch externe Evaluation im Team 198 4.3 Zusammenhang von Evaluation und Schulprogramm 205 4.4 Formen der Evaluation 207 4.4.1 Evaluationsbereiche 208 4.4.2 Evaluationsziele 210 4.5 Evaluationskriterien und Qualitätsindikatoren 212 4.6 Planung und Durchführung einer Evaluation 214 4.6.1 Methodische Möglichkeiten 219 4.6.2 Auswertung und Dokumentation 227

V. Anschlussfragestellungen (^) 233

Erklärung 235 Literaturverzeichnis Lebenslauf

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


besitzen soll und diese Qualität verbesserungsmöglich ist. Doch spätes- tens bei eingehenderer Betrachtung muss festgestellt werden, wie dies Tillmann auch stellvertretend hervorhebt: „Weil wir den Qualitätsbegriff hier nicht auf die Produktion von Waschmaschinen, sondern auf institutio- nalisierte Bildungsprozesse von Heranwachsenden beziehen, gibt es auf diese Fragen weder einfache noch unstrittige Antworten“.^2

Eine Diskussion in Bezug auf Qualitätsentwicklung der sonderpädagogi- schen Förderung steckt noch vollkommen in den Anfängen. Bei tiefer ge- henderen Überlegungen zu deren qualitativer Weiterentwicklung stellen sich die folgenden zentralen Fragen:

  1. Welche Vorstellungen von Bildung herrschen in der Förderung von Schülern^3 mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Be- reich ihrer geistigen Entwicklung vor?
  2. Welche Kenntnisse, Fertigkeiten, welches Wissen und Können sollen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf erwerben und kann es dafür formulierte Bildungsstandards geben?
  3. Inwieweit verfügen Förderzentren über geeignete Instrumenta- rien, sich der Qualitätssicherung zu stellen und wie verstehen sie ihren Bildungsauftrag?

Die Kultusministerkonferenz hat 1997 beschlossen, die Frage nach der Qualitätssicherung im Schulwesen sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene systematisch aufzugreifen.^4 Dies wurde vor dem Hinter- grund tief greifender gesellschaftlicher Veränderungen und daraus resul- tierender bildungspolitischer Aufgaben als dringend erforderlich erachtet. Wesentliche Ziele der Bestrebungen, Qualitätsstandards zu gewährleis- ten, sind die Sicherung der Gleichwertigkeit schulischer Abschlüsse sowie die Sicherung der Durchlässigkeit des Schulsystems.

(^2) Tillmann 1999, S. 77. (^3) Im folgenden wird zwecks besserer Lesbarkeit stets nur die männliche Form verwendet, die

4 weibliche Form ist jedoch in jedem Fall mitgemeint. Vgl. Brügelmann 1999, S. 71.

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


Damit wird ebenfalls Forderungen seitens der Wirtschaft Rechnung getra- gen: „Ziel der Schule in einer modernen Leistungsgesellschaft ist die stän- dige Verbesserung ihrer Leistungen auf allen Feldern schulischer Arbeit – von der Ausbildung der Lehrer über die konkrete Arbeit in der Schule bis hin zur Schulaufsicht. Sie muss für Transparenz dieser Leistungsprozesse sorgen. Zugleich muss die Vergleichbarkeit der Schulleistungen über die Ländergrenzen hinweg sichergestellt werden“.^5

Wirtschaftspolitische Entwicklungen durch die voranschreitende Globali- sierung bedingen so den immer lauter werdenden Ruf nach Verbesserung schulischen Lehrens, Lernens und Leistens, um im Wettbewerb bei der Erzeugung von Hochleistungsprodukten und qualifizierten Dienstleistun- gen standhalten zu können. Angesichts der zunehmenden Europäisierung des Arbeitsmarktes und der ständigen Erweiterung der Europäischen Uni- on gewinnen zudem Grundlagen für die staatenübergreifende Zusam- menarbeit in der allgemeinen und beruflichen Bildung an Bedeutung. Die EU-Bildungsprogramme SOKRATES und LEONARDO fördern beispiels- weise gezielt die Mobilität von Lehrenden und Lernenden sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.^6 Auch dieser Entwicklungstrend begründet die Forderung nach Gleichwertigkeit von Bildungsgängen und - abschlüssen sowie die stärkere Abstimmung und Übereinstimmung in schul- und bildungspolitischen Regelungen im Kontext der Qualitätssiche- rungsbemühungen im Bereich Schule.

Gleichzeitig kennzeichnen neben diesen Entwicklungstrends gravierende gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche nahezu alle öffentlichen Bereiche: Rasante technologische Entwicklungen verändern Kommunika- tionswege, traditionelle familiale Strukturen zerbrechen, geschlechtsspezi- fische Rollenbilder wandeln sich, eine strukturell bedingte, langfristig an- haltende, hohe Arbeitslosenrate erfasst größere Gesellschaftsgruppen,

(^5) BDA 1998, S. 11. (^6) Vgl. Tritsch-Dill 2000.

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


Die zurzeit vorherrschende Auffassung von Qualitätsentwicklung im Be- reich der Schulen ist durch das Bestreben um Standardsicherung gekenn- zeichnet. Sie basiert konzeptionell auf den Grundelementen der

 Evaluation und  Transparenz von Prozessabläufen.

Die jüngste Diskussion zu den Leistungsvergleichsstudien (wie TIMSS und PISA) ist stark auf Lern ergebnisse fixiert und vernachlässigt die Fra- ge, wie Lern prozesse zu erwünschten Ergebnissen führen. Unterricht und Unterrichtswirksamkeit aber müssen im Interessenmittelpunkt der Entwick- lung von Qualität im Schulsystem stehen. Deshalb muss ein „differenzier- tes System der Qualitätsentwicklung Maßnahmen der Beobachtung und Überprüfung auf die Ebenen ausrichten, auf denen spezifische Verant- wortlichkeiten für eine Verbesserung des Unterrichts bzw. seiner Bedin- gungen liegen“.^8 Einzel-Ergebnis: In allen pädagogischen fach- und Fachrichtungsdisziplinen wird zuneh- mend für eine konsequent output-orientierte Qualitätsentwicklung einge- treten. Begründet wird dieses Vorgehen mit einer mangelnden Leistungs- fähigkeit der deutschen Schulen, da bisher vorwiegend eine reine input- Steuerung stattgefunden habe. Bildungsziele sollen durch output- Standards ersetzt und deren Erreichen durch Testaufgaben valide erho- ben werden. Dieser Ansatz geht in letzter Konsequenz davon aus, dass Lernen linear und kumulativ verläuft und sich das Erreichen der nächsten, folgenden Schwierigkeitsstufe einfach durch Testaufgaben mit statisti- schen Kennwerten feststellen lässt. In diesem schlichten Ursache- Wirkungs-Zusammenhang können Lernleistungen einfach durch genü- gend Tests und – wenn nötig – Sanktionen gesteigert und soziale Dispari- täten ausgeglichen werden.

(^8) Brügelmann 1999, S. 153.

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Demgegenüber steht die Erkenntnis, dass sich die Input-Steuerung zum Beispiel in den Grundschulen gut bewährt hat. Dieser Schulform mit der längsten Tradition gemeinsamen Lernens und inklusiver Bildung gelingt seit Jahrzehnten eine weitgehend gleichmäßige Versorgung aller Kinder mit schulischer Bildung. Die Grundschulen stehen im internationalen Ver- gleich gut da, obwohl die Input-Steuerung über die Lehrpläne und Bil- dungsziele viele Spielräume zulässt.

Festzuhalten ist, dass die Qualitätssteuerung über Bildungsziele alle Kompetenzbereiche umfassen kann, während in den output-orientierten Standards lediglich die Wissensbereiche erfasst werden, die durch vielfäl- tige Tests messbar sind und den Anschein erwecken, sie würden alle Be- reiche abtesten, die eine qualitätvolle Schulbildung ausmachen. Das Cur- riculum wird auf abtestbare Sachgebiete verengt. Hier entsteht die große Gefahr, dass nicht die Qualität steigt, sondern gar der Unterricht schlechter wird. Statt eines ganzheitlichen Durchdringens eines Gebietes in selbsttätigen Lernprozessen werden Testaufgaben ein- geübt (training to the test). 9 Eine ehrliche, nicht sich selbst belügende Evaluation beruht auf einer grundsätzlich demokratischen Willensbildung zur Bewertung von Prozes- sen durch alle an ihnen beteiligten Gruppen wie Lehrer, Eltern und Schü- ler. Hierzu gehört die gemeinsame Qualitätsentwicklung von Maßnahmen und Methoden zur Untersuchung der Bildungsprozesse, die auf Beloh- nungen, Anreize oder Sanktionierungen verzichten kann und aus fundier- ten psychologischen und didaktischen Theorien abgeleitet wird. Aktuelle Erkenntnisse der Lerntheorie lehren uns, dass passiv Lernende, die durch extrinsische Motivation wie Wettkämpfe um die besten Ranking-Plätze langfristig deutlich im Nachteil sind gegenüber aktiv Lernenden, die durch intrinsische Motivation und stimulierende, kommunikative Lernumwelten zur Auseinandersetzung mit sich und ihrer Mitwelt kommen.

(^9) Vgl. Lind, G. (2004)

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Kernstück, die Unterrichtsverbesserung, findet bezogen auf die sonderpä- dagogischen Förderung eine unzulässige Vereinfachung statt, die der Komplexität des Zustandekommens von Lernprozessen nicht gerecht wird. Darüber hinaus erweist sich die missbräuchliche Anwendung des Qualitätsentwicklungsbegriffs auf die Festschreibung von Schmalspurmo- dellen sonderpädagogischer Förderung als Vehikel für bloße durch die ökonomische Gesamtsituation bedingte Kosteneinsparungen.^13

Wird die Qualitätsdiskussion in der sonderpädagogischen Fachwelt jedoch ignoriert bzw. als reine modische Aktualität abgetan, wird allerdings der notwendige Diskurs um Aufgabenanalyse, Inhalte und Zielstellungen zur qualitativen Verbesserung sonderpädagogischer Förderung als Chance zur Standardentwicklung und -sicherung verpasst. Der allerorten bemerk- bare Reformstau, verursacht unter anderem durch zu geringen wechsel- seitigen Austausch von sonderpädagogischen Theoriemodellen und wis- senschaftlichen Erkenntnissen auf die Konzeption und Realisierung son- derpädagogischer Schulpraxis, anstehende Lehrplanrevisionen, nicht ein- gelöste Innovationen in der Lehrerbildung etc. vergrößert sich dadurch kontinuierlich und koppelt die sonderpädagogische Förderung der Kinder und Jugendlichen aus dem Bereich der allgemeinen Schulentwicklung ge- fährlich ab.

Ausgangspunkte der Überlegungen sonderpädagogischer Reformbestre- bungen können im Zusammenhang mit Bemühungen um Qualitätsent- wicklung nicht ausschließlich quantifizierbare Ergebnisstudien sein. Diese Reformansätze sollten sich stattdessen auf die Verbesserung der Gestal- tung von Lernprozessen – also die Verbesserung des Inputs - unter er- schwerten Bedingungen richten.

Deshalb sollten - an bestimmten Zielfragen orientiert -  schulische Abläufe  didaktische Konzepte

(^13) Vgl. Schumacher 1999; Oertel 2000; Preuss-Lausitz 2000.

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 personelle und sächliche Rahmenbedingungen sowie  die Einbindung innovativer Elemente in Lehreraus- und - weiterbildung

systematisch analysiert und kritisch überdacht werden.

Daraus ergeben sich bedeutsame Implikationen für unterrichtliches Han- deln

  • Schule als gesellschaftliche Institution muss sich veränderten Be- dingungen innerhalb dieser Gesellschaft stellen.
  • Pädagogische Überlegungen müssen zu einem Unterrichtsver- ständnis führen, das sich stets mit veränderten Lebens- und Erzie- hungsbedingungen aller Kindern und Jugendlichen – ob mit son- derpädagogischem oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf
    • kritisch auseinandersetzt.

Daraus erfolgen Grundzüge, die die qualitative Weiterentwicklung der Konzeption sonderpädagogischer Förderung leiten können.

Sonderpädagogische Förderung muss aktuelle Ergebnisse der Lehr- und Lernforschung sowie der Neurowissenschaften in der Planung, Vorberei- tung und Durchführung von Unterricht stärker berücksichtigen.^14 Der An- spruch an Qualität von Bildung muss deshalb durch revidierte pädagogi- sche Gütekriterien kritisch reflektiert und überprüft werden.

Bildung und Erziehung sind keine hierarchisch angeordneten Begriffe. Bil- dung und Erziehung geschehen durch Lernen.

Innovative Tendenzen, die Anforderungen und Aufgabenstellungen ge- sellschaftlicher Veränderungen aufgreifen, lassen sich auf der curricularen Ebene auf jeder Schulstufe zusammenfassend darstellen als:

  • vom individuellen zum kooperativen Lernen

(^14) Vgl. Schmetz 1999.

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Als Kernfragen im Sinne eines tragenden Strukturgerüsts für die Planung, Vorbereitung, Durchführung und reflexive Nachbereitung von in der son- derpädagogischen Förderung stattfindenden Lehr- und Lernprozesse kön- nen dabei dienen:  Bei welchem Schüler/ welchen Schülern besteht in welchem Lern- und Entwicklungsbereich ein erhöhter Förderbedarf?  Welche Themenstellungen realisieren kontinuierlich, d.h. in Anbin- dung an Unterrichtseinheiten, erforderliche Lerninhalte des jeweili- gen Förderschwerpunkts?  Welcher Förderschwerpunkt soll jeweils vorrangig im Rahmen des Unterrichts Berücksichtigung finden?

Neben die Weiterentwicklung des Systems sonderpädagogischer Förde- rung in organisatorisch-struktureller Hinsicht muss die gezielte Erneuerung von Schule von innen heraus als Aufgabe von Schulentwicklung treten. Qualitätsentwicklung im Hinblick auf die sonderpädagogische Förderung konzentriert sich dabei auf folgende Felder:

 Entgegen früheren bildungspolitischen Reformvorstellungen zur Weiterentwicklung der Sonderschule im Verbund mit der Realisie- rung integrativer Maßnahmen an allgemeinen Schulen hat sich die sonderpädagogische Präventionsabsicht nur zögerlich durchge- setzt. Die bestehenden Förderzentren haben sich ebenfalls nicht erwartungsgemäß in Verbindung mit primär präventiv angelegten sonderpädagogischen Interventionen zu Kompetenzzentren weiter- entwickelt, sondern sind teilweise den Weg lediglich hin zu einer "Restschule" für wenige, aber deutlich kognitiv beeinträchtigte Schüler gegangen.^15

 Unzureichende Einbindung von sonderpädagogischen Fragestel- lungen in die allgemeine Lehrerausbildung, Perseverierungsverhal- ten bis hin zu Reformablehnung an den Schulen, fehlender Ausbau

(^15) Vgl. Wocken 1996.

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von notwendigen Rahmenbedingungen integrativer Förderung sind wesentliche Gründe für die unterbliebene Weiterentwicklung. Die integrative Förderung hat zweifellos vor allem im Grundschulbe- reich viele innovative Anstöße und Reformelemente eingebracht. Beispielhaft vollzieht sich dies in der stärkeren Öffnung von Schule und Unterricht und der zunehmenden Akzeptanz der heterogenen Lernvoraussetzungen sowie des jahrgangsübergreifenden Arbei- tens. Damit werden dort die unterrichtlichen Bedingungen zur För- derung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht nur strukturell, sondern auch qualitativ verbessert. Aufgrund nach wie vor mangelnder Verzahnung von Primar- und Sekundarbereich stellt der Übergang zu den weiterführenden Schulen häufig jedoch eine fast unüberbrückbare Hürde zur Fortsetzung integrativer För- derung dar. So muss resümierend bezogen auf die Realisierung in- tegrativer Förderung im Regelschulbereich festgestellt werden, dass zwar an bedeutsamen sonderpädagogischen Eckpunkten Verbesserungen stattgefunden haben, die Gesamtproblematik der Institutionalisierung integrativer Förderung jedoch nicht im Kern ge- troffen wurde. Zur tragfähigen Umsetzung müsste dringend ein bil- dungspolitisches Gesamtkonzept im Schulsystem auf breiter Basis getragen von einem Leitbild einer inklusiven Schule erfolgen.

 Die Verknüpfung von inner- und außerschulischen pädagogischen Maßnahmen – insbesondere solchen der Jugendhilfe - sollte ange- sichts sich permanent verschärfender sozialer Gegensätze und de- ren Auswirkungen auf Schüler aus sozial benachteiligten Familien im Sinne familienorientierter Hilfen dringend intensiviert und veran- kert werden, um eine wechselseitige erfolgreiche Auswirkung anre- gen zu können.^16

 Sonderpädagogen müssen sich ihrer gesellschaftspolitischen Ver- antwortung im Bildungsprozess stärker bewusst werden und dieser

(^16) Vgl. Speck 1989; Klein 1996.

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Intervention sind unerlässlich und stellen hohe Herausforderungen zur Umsetzung konstruktiver Konfliktbearbeitung an die Arbeit der Förderzentren.

Grundlegende Voraussetzung für eine echte, qualitätsorientierte Ausei- nandersetzung mit sonderpädagogisch relevanten Themen und Fragestel- lungen bleibt in jedem Fall der anzustrebende offene Diskurs zwischen Eltern, Schülern, Lehrern, Wissenschaftlern, außeruniversitären pädago- gischen Sachverständigen, pädagogischen Verbänden und ministerialen Vertretern, um Ziele, Inhalte und Realisierungsformen von Qualitätsent- wicklung durchschaubar und sowohl Erkenntnis als auch Interessen gelei- tete Sichtweisen verständlich zu machen.

Die in den letzten Jahren zunehmende Gewichtung des Qualitätsmana- gements in den Bereichen Gesundheit, Soziales und schließlich auch der Bildung ist mitnichten ein Zufall. Die Sorge, dass die Etablierung markt- wirtschaftlicher Strategien und Funktionen im Sektor Bildung dieses kom- plexe System vielseitig miteinander verwobener personaler und inhaltli- cher Felder auf eine Ware reduziert und trivialisiert, ist sehr berechtigt. Dies vor allem auf dem Hintergrund, dass wir es heute durchaus im Kon- text der Globalisierung und Deregulierung in Bezug auf Bildung und Unter- richt mit einer Umsteuerung der Mittel von einer Input- und Prozessorien- tierung hin zu einer Outputorientierung zu tun haben, die – wie bereits ausgeführt - nur den messbaren Effekt und die Vermarktbarkeit, d.h. die Nützlichkeit und Brauchbarkeit von Schulabgängern für bestimmte Anfor- derungsprofile und Verwertungsinteressen als anzustrebendes und wert- volles Ziel betrachtet. Das kann auch die Dimension der Aushöhlung hu- maner und demokratischer Grundlagen und des Verzichts auf Bildung als anthropologische Notwendigkeit menschlicher Existenz bedeuten. Und diese Gefahr nimmt in dem Maße zu, wie wir aus mangelnder Initiative in passiv-ablehnender Haltung verharren, das Mitbestimmungsrecht und un- sere Definitionsmacht als Experten für Pädagogik aus der Hand geben, wie Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Pädagogik zu interpretie-

Dissertation: Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation


ren, zu gestalten, durchzuführen und fachlich wie ethisch zu rechtfertigen sei. Diesbezüglich ist es buchstäblich fünf Minuten vor Zwölf, um durch aktive Mitgestaltung jene Qualitäten zu entwickeln und zukünftig zu si- chern, die fachwissenschaftlich geboten und berufsethisch unverzichtbar sind. Die vorliegende Arbeit möchte insbesondere unter Bezugnahme auf den Index für Inklusion^20 auf das Recht aller Menschen mit und ohne Be- hinderungen hinweisen, aktiv an der Qualitätsentwicklung und –sicherung mitzuwirken und Einfluss auf die zukünftige Gestaltung von Bildungs- und Erziehungsprozessen zu nehmen.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement können im Feld der Päda- gogik als Sammelbegriffe für vielfältige Maßnahmen verstanden werden, die alle dem Vorhaben unterzuordnen sind, die Qualität erziehungs- und bildungsbezogener Dienstleistungen im konkreten pädagogischen Alltag zu beobachten, zu analysieren, zu bewerten und zu verbessern, ob sie nun auf einen einzelnen Schüler, eine Klasse oder die Institution Schule als Ganzes gerichtet sind. Mit dem Total Quality Management wird die Zielvorstellung verknüpft, dass sich Qualitätsbewusstsein zu einem um- fassenden Denk- und Handlungsansatz entwickelt, der sich in den Leitka- tegorien einer Schule, im Führungskonzept der Schulleitung und im Selbstverständnis aller Lehrer und Mitarbeiter widerspiegelt. Qualität kann dabei nach Schädler unter vier Aspekten betrachtet werden und zwar als  Eigenschaft in dem Sinne, dass sie das Maß an Übereinstimmung zwischen den Anforderungen, die erwartet werden und dem, was an tatsächlicher Leistung erbracht wird, bestimmt  subjektive und interessengebundene Kategorie in dem Sinne, dass unterschiedliche Gesichtspunkte von Qualität, je nach dem, ob es bei kooperativem Unterricht z.B. um die Schulleitung, Lehrer, The- rapeuten, Mitarbeiter, Eltern und Angehörige u.a. geht, betrachtet werden

(^20) Vgl. Boban, I. / Hinz, A., 2003