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Leitfäden und Tipps
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Kriminologische Theorien im Überblick (I), Mitschriften von Psychophysiologie

Soziologische Theorien (Durkheim, Anomie und Modernisierung). • Disorganisationstheorie (Kriminalökologie, kulturelle Transmission).

Art: Mitschriften

2021/2022

Hochgeladen am 28.06.2022

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Kriminologische Theorien im Überblick (I)

1) Vorläufer

  • Klassische Schule der Kriminologie (Beccaria, 1764)
  • Frühe französische Kriminalgeographie (Guerry, 1833; Quételet, 1828)
  • Positivistische Schule der Kriminologie (Lombroso, 1876, 1911)
  • Biologistische Ansätze (Sheldon, 1949)

2) Modernere Perspektiven

  • Biologische Theorien (erbliche oder angeborene Faktoren, Psychophysiologie )
  • Psychologische Ansätze (Intelligenz, Persönlichkeit, Psychopathie)
  • Kriminalität und sozioökonomische Lage

2(30)

Kriminologische Theorien im Überblick (II)

3) Moderne und zeitgenössische Kerntheorien

  • Soziologische Theorien (Durkheim, Anomie und Modernisierung)
  • Disorganisationstheorie (Kriminalökologie, kulturelle Transmission)
  • Anomie- und Straintheorien
  • Differentielle Assoziation und soziale Lerntheorie
  • Labelling-Ansatz
  • Kontrolltheorien
  • Entwicklungskriminologische Theorien
  • Rational-Choice und Gelegenheitstheorien

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Émile Durkheim (1858 – 1917)

Hauptwerke: De la division du travail social (1893) [Über soziale Arbeitsteilung] Les règles de la méthode sociologique (1895) [Die Regeln der soziologischen Methode] Le suicide: étude de sociologie (1897) [Der Selbstmord] Les formes élémentaires de la vie religieuse (1912) [Die elementaren Formen des religiösen Lebens]

Eine soziale Tatsache („ fait social “) ist „... jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben. “ Eine soziale Tatsache tritt „... im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft allgemein auf (...), wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt.“Die erste und grundlegende Regel besteht darin, die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu behandeln.

4(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (2)

Einfluss Durkheims auf unterschiedliche kriminologische Theorien:

¾ Ökologische Schule (Chicago-Schule, 1925 f.): Rapider gesellschaftlicher Wandel führt zu einem Zusammenbruch sozialer Kontrolle; Studien auf der Ebene von (sich wandelnden) Nachbarschaften.

¾ Anomie/Strain-Theorie (Merton, 1938): Bestimmte stabile soziale Bedingungen sind verantwortlich für höhere Kriminalitätsraten der Gesellschaft und speziell in den unteren sozialen Schichten: Widerspruch zwischen gesellschaftlich erzeugten Werten und den tatsächlichen Mitteln zur Zielerreichung.

¾ Kontrolltheorie (Hirschi, 1969): Nicht kriminell zu handeln erfordert interne Kontrolle der (von Natur aus kriminellen) Individuen, die wiederum von ihrer Bindung an und Involviertheit in gesellschaftliche Institutionen und den von ihnen vermittelten Werten abhängt.

¾ Sozialer Reaktionsansatz (Clayton, 1974; Jenkins, 1992): Die Definition und Unterdrückung von Abweichung erzeugt soziale Solidarität; Kriminalität ist normal und durch Abweichung von Normalität gesellschaftlich definiert.

¾ Institutionelle Anomietheorie (Messner & Rosenfeld, 1994): Kriminalität entsteht aus dem Ungleichgewicht gesellschaftlicher Institutionen und ist spezifisch für die Art des Ungleichgewichts.

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Normalität von Kriminalität in mechanischen Gesellschaften:

  • In mechanischen Gesellschaften dient der Zwang zur Gleichartigkeit der Solidarität der Gesellschaftsmitglieder. Abweichung von der Gleichartigkeit wird negativ sanktioniert oder kriminalisiert.
  • Bestrafung von Abweichung hat eine positive Funktion: Die Stärkung der kollektiven Identität der Angepassten. Das daraus entstehende Gefühl der Überlegenheit ist Quelle des sozialen Zusammenhalts.
  • Da Bestrafung eine entscheidende Funktion für den Zusammenhalt hat, ist sie gesellschaftlich notwendig. Gäbe es weniger zu sanktionierende Abweichung, würde die Grenze, die Abweichung definiert, entsprechend verschoben. Deshalb ist eine Gesellschaft ohne Kriminalität unmöglich.
  • Ein „normales“ Maß von Kriminalität ist der Preis dafür, dass es gesellschaftliche Veränderung und Fortschritt gibt: Eine Gesellschaft, in der jegliche Abweichung unterdrückt würde, wäre pathologisch überreguliert und würde individuelle Originalität und Innovationen unmöglich machen.

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Durkheim, Anomie und Modernisierung (6)

Anomie als pathologischer Zustand organischer Gesellschaften (1):

  • Kernfrage Durkheims : Wie ist soziale Ordnung – gesellschaftliche Integration und wechselseitige Solidarität – möglich, wenn die Individuen immer autonomer und unabhängiger werden? Wie sind wachsender Individualismus und steigende Abhängigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft (Arbeitsteilung) zugleich möglich?
  • Gesellschaftliche Modernisierung kann anhand von zwei Aspekten beschrieben werden: a) Hinsichtlich der sozialen Differenzierung wandelt sich mechanische in organische Solidarität; b) Hinsichtlich der Integration verändert sich Kollektivismus zu Individualismus.
  • Die mit der Modernisierung einhergehende Auflösung des Kollektivbewußstseins muss durch Regulationsmechanismen kompensiert werden, die Gefahr laufen, gesellschaftlich pathologische Zustände hervorzurufen: bei Überregulation Fatalis- mus, bei Unterregulation zu Anomie.
  • Ein für Funktionieren moderner Gesellschaften nötige moralischer Individualismus (im Gegensatz zu traditionellem Kollektivismus) entsteht nur bei optimal austarierter Regulation.

15(30)

Durkheims Analyseschema:

Quelle: Thome (2004)

16(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (8)

Anomie als pathologischer Zustand organischer Gesellschaften (2):

  • Fatalistischer Selbstmord : Unterdrückung des Individualtyps durch Überreglementierung
  • Altruistischer Selbstmord : Aufopferung für ein Kollektiv (z.B. Terrorismus; Kamikaze)
  • Egoist. Selbstmord: Sinnkrise: Verlust eines über den Einzelnen hinausgehenden Ziels
  • Anomischer Selbstmord: Bedürfnisse u. Mittel fallen auseinander: Ökonom. Krise o. plötzlicher Wohlstand (Lottogewinn, Glückskrise); Krise der Bedürfnisregulation

Regulation hoch Fatalismus

Integration hoch niedrig Altruismus Egoismus

niedrig Anomie

19(30)

Beispiel 2: Zeitreihen Russland - Tötungsdelikte

Quelle: Pridemore (2007)

20(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (12)

Beispiel 2: Zeitreihen Russland – Tod durch Alkohol

Quelle: Pridemore (2007)

21(30)

Beispiel 2: Zeitreihen Russland - Selbstmord

Quelle: Pridemore (2007)

22(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (14)

Empirische Belege zu Durkheims Kriminalitätstheorie (2)

(4) Allgemeiner Rückgang von schwerer Gewaltkriminalität

  • Zeitreihen zeigen tatsächlich einen allgemeinen und deutlichen Rückgang der Tötungsdelikte in Europa zwischen 1400 und 1970, was ein Beleg nicht nur für Durkheims Thesen sondern auch für die Zivilisationstheorie von Elias ist.
  • Allerdings findet sich seit 1970 in mehreren westlichen Ländern eine erneute Zunahme der Tötungsdelikte – dies ist ein Befund, der der These eines allgemeinen Rückgangs schwerer Gewaltkriminalität in modernen Gesellschaften widerspricht, insbesondere dann, wenn man die verbesserte Notfallmedizin in Rechnung stellt.

25(30)

Beispiel 3: Zeitreihen Tötungsdelikte – Deutschland u. Schweiz 1320-

26(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (18)

Beispiel 3: Zeitreihen Tötungsdelikte – Mitteleuropa 1830-

27(30)

Beispiel 3: Zeitreihen Tötungsdelikte – 7 europäische Länder 1950-

28(30)

Durkheim, Anomie und Modernisierung (20)

Beispiel 3: Mögliche Effekte verbesserter Notfallmedizin (Westdeutschland)

Quelle: Thome (2004)