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Mechanismen und Wirkung sozialer Ungleichheiten in Studienalltag und -verlauf, Skripte von Soziale Ungleichheit

Skript zu Mechanismen und Wirkung sozialer. Ungleichheiten in Studienalltag und -verlauf der Wirtschaftsuniversität Wien

Art: Skripte

2019/2020

Hochgeladen am 15.04.2020

MikiMaus_97
MikiMaus_97 🇩🇪

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Mechanismen und Wirkung sozialer

Ungleichheiten in Studienalltag und -­‐verlauf

Momentum Kongress 2017

Track #9 – Bildung: (aus) Vielfalt lernen

Iris Schwarzenbacher

Wien 2017

Abstract

Dieses Paper widmet sich der Frage, unter welchen Bedingungen soziale Ungleichheiten im Studium reproduziert werden und wie sich dies in einem spezifischen institutionellen Kontext, nämlich einem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), äußert. Während die Forschung zu Bildungsungleichheiten häufig auf herkunftsbedingt unterschiedliche Zugangschancen zu höherer Bildung fokussiert, ist auch der Blick auf die Wirkung sozialer Herkunftsbedingungen im Studium zentral dafür, die Reproduktion von Ungleichheiten analysieren zu können. Daher wurden im Rahmen einer qualitativen empirischen Studie Interviews mit WU-­‐Studierenden unterschiedlichen Bildungshintergrundes geführt. Aufbauend auf Pierre Bourdieus theoretischem und analytischem Instrumentarium wird untersucht, unter welchen Entstehungsbedingungen sich unterschiedliche Wahrnehmungs-­‐, Denk-­‐ und Handlungsmuster herausbilden, wie die Studierenden ihren Studienalltag erfahren und welche Rolle die Institution WU für diese Prozesse spielt. Dabei zeigt sich, dass die Studierenden ohne akademischen Hintergrund in ihrem alltäglichen Studienerleben mit Fragen der Legitimität und mit erheblichen Unsicherheiten über ihr Dasein als StudentInnen konfrontiert sind, während die Selbstverortung der Studierenden aus AkademikerInnenfamilien von Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit geprägt ist. Die konflikthafte Selbstverortung der StudentInnen ohne akademischen Hintergrund lässt sich dabei als Passungsproblem zwischen Habitus und Feld verstehen, was klar mit sozialer Ungleichheit vermittelt ist und durch bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen weiter begünstigt wird.

Soziale Ungleichheit im Studium — 5 1 Einleitung Bildung wird nach wie vor in hohem Maß vererbt – so der einhellige Befund der Forschung zu Bildungsungleichheit. Bildungsungleichheiten nach sozialer Herkunft spiegeln sich dabei nicht zuletzt im Zugang zu höherer Bildung wider, wie zum Beispiel die Studierenden-­‐ Sozialerhebung zeigt (vgl. z.B. Zaussinger et al. 2016: 49). Doch obgleich die Frage des Hochschulzugangs zentral für die gesamtgesellschaftliche Betrachtung von Bildungsungleichheiten ist – um Reproduktion sozialer Ungleichheiten zu untersuchen, reicht es nicht, sich lediglich dem Aspekt der Zugangschancen zu widmen. Mechanismen sozialer Ungleichheiten machen nicht vor den Toren der Universität halt. Wie schon Pierre Bourdieu und Jean-­‐Claude Passeron (2007) in „Die Erben“ feststellten, wirken soziale Herkunftsbedingungen auch innerhalb des akademischen Feldes und führen dazu, dass Studierende unterschiedlichen Hintergrundes ihr Studium auf sehr unterschiedliche Weise erfahren. Dieses Paper basiert auf meiner Masterarbeit (Schwarzenbacher 2016), deren Ausgangspunkt die Frage war, unter welchen Bedingungen soziale Ungleichheiten im Studium reproduziert werden und wie sich dies in einem spezifischen institutionellen Kontext, nämlich im Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien, äußert. Im Fokus steht dabei, wie Studierende mit unterschiedlichen elterlichen Bildungshintergründen ihr Studium an der WU Wien erleben und gestalten – und wie dies mit Mechanismen sozialer Ungleichheiten vermittelt ist. Um dieser Frage nachzugehen, habe ich eine qualitative Studie unter Bachelorstudierenden der WU durchgeführt, die die empirische Basis für dieses Paper darstellt. Anfangs argumentiere ich in aller Kürze den theoretischen Rahmen sowie den forschungspraktischen und methodischen Zugang, bevor ich zur Darstellung der Ergebnisse der Studie übergehe. Diese beginnt mit einer kurzen Fallbeschreibung, die sich dem sozialen und Bildungshintergrund der TeilnehmerInnen an der Studie widmet, gefolgt von der Beschreibung der zentralen Ergebnisse der diesem Paper zugrunde liegenden Forschungsarbeit. Abschließend steht ein Fazit, das sich auch mit möglichen politischen Ableitungen beschäftigt und mit der Frage, welche Interventionen es braucht, um Vielfalt im Hochschulsystem und soziale Gerechtigkeit bezüglich Hochschulzugang und im Studienalltag fördern zu können.

Soziale Ungleichheit im Studium — 7 Nach Pierre Bourdieu (u.a. 1999: 277ff) stellt der Habitus eines Menschen ein stabiles Wahrnehmungs-­‐, Denk-­‐ und Handlungsmuster dar, von dem aus die soziale Welt erfahren wird. Der Habitus definiert ein System von Dispositionen, mittels derer Situationen des Alltags bewältigt werden. Der Entstehungskontext des Habitus ist der jeweilige Ausschnitt der Sozialstruktur mit den damit verbundenen spezifischen sozialen Praxisformen, die durch ihn wiederum reproduziert werden. In den Habitus gehen damit alle gemachten Erfahrungen ein, die immer in Zusammenhang mit der jeweilig spezifischen Sozialisation stehen. Er ist also etwas sozial Hervorgebrachtes, an seinen sozialen Entstehungskontext rückbindbar und hat folglich eine starke kollektive Komponente. Gleichzeitig ist er etwas Inkorporiertes, in jedes Individuum körperlich Eingeschriebenes, da er sich aus den individuell gemachten Erfahrungen entwickelt und zwei Menschen trotz ähnlichen Hintergrundes nie die exakt gleichen Erfahrungen machen können. Damit fungiert der Habitus als Vermittler zwischen Struktur und Praxis und als Mechanismus, der die Reproduktion der sozialen Ordnung gewährleistet (vgl. Müller 2014: 37ff; El-­‐Mafaalani 2015: 71ff; Schmitt 2015: 201f). Der Habitus ist als subjektives Produktionssystem fähig, „gesellschaftlich korrekte Verhaltensweisen zu erzeugen und Übereinstimmung mit den anderen Subjekten und dem herzustellen, was wir gemeinhin als ‚gesellschaftliche Regeln‘ bezeichnen“ (Krais/ Gebauer 2002: 32f). Das kollektive Geschehen und die individuelle Geschichte werden somit ineinander verwoben. Der Habitus ist für das Individuum selbst kaum wahrnehmbar und fungiert damit als unbewusster „Instinktersatz“ (Bourdieu 2001: 182). Er wirkt also gewissermaßen hinter dem Rücken seiner TrägerInnen, was ihn besonders wirksam macht, da soziale Praxis und soziale Herkunft als selbstverständlich angesehen und nicht als Ausdruck von Herrschafts-­‐ und Machtverhältnissen erkannt werden. Bourdieu bezeichnet den Habitus in diesem Zusammenhang auch als „zweite Natur“ (Bourdieu 1976: 171), die sich, sobald einmal etabliert, als kaum veränderbar erweist. Der Habitus ist daher in jenen Kontexten funktional, in denen die sozialen Strukturen den Sozialisationsbedingungen besonders ähneln. Es wird also vor allem nach Kontexten gesucht, die den Entstehungsbedingungen des Habitus entsprechen, während Situationen und Umfelder eher vermieden werden, wenn diese eine höhere Distanz zum Herkunftskontext aufweisen (vgl. El-­‐Mafaalani 2015: 71f). Besonders deutlich zeigt sich die Funktionsweise des Habitus und das Trägheitsmoment, das ihm innewohnt, wenn Habitus und Struktur nicht zusammenpassen – wenn sich zum Beispiel eine Person in einem Kontext wiederfindet, auf den der individuelle Habitus nicht abgestimmt ist. Solche Nicht-­‐Passungen, die Bourdieu Hysteresis-­‐Effekte nennt, sind mit konflikthaften Auseinandersetzungen verbunden und können in extremen Fällen zu einer

8 — Iris Schwarzenbacher Spaltung des Habitus führen. Die TrägerInnen fühlen sich dabei zerrissen zwischen den eigenen habituellen Dispositionen auf der einen Seite und den Anforderungen des jeweiligen sozialen Kontextes und den damit verbundenen Dispositionen auf der anderen Seite. Sind die betreffenden Personen solch einer Spaltung auf Dauer ausgesetzt, wirkt sich dies in Stress und Leiden der Betroffenen aus. Dies tritt nach Bourdieu vor allem in Fällen von Krisenzeiten und radikalem Wandel ein (vgl. Müller 2014: 40f). Das Konzept des Habitus als strukturierende sowie strukturierte Struktur erweist sich als besonders wichtige Analyseebene für die vorliegende empirische Arbeit. Es ermöglicht, soziale Herkunftseffekte in den Wahrnehmungs-­‐ und Handlungsmustern der StudienteilnehmerInnen und damit verbundene Rupturen zu identifizieren und zu kontextualisieren. Ein weiterer zentraler Begriff Bourdieus für meine Analysen ist jener des sozialen Feldes. Der Bourdieu’sche Feldbegriff fokussiert auf Relationen und Positionen sich reproduzierende soziale Ungleichheiten im akademischen Feld an der Hochschule bzw. dem Feld des Studiums^2 identifiziert und analysiert werden können. In jedem Feld, so auch im akademischen, finden sich AkteurInnen, die abhängig von der jeweiligen Habitusform besser oder schlechter an die Regeln des Feldes vorangepasst sind. Die Feldregeln entsprechen dabei immer den Habitus der im Feld Herrschenden (Schmitt 2015: 201ff), im Falle des Hochschulsystems Personen mit etabliertem Hochschulbildungshintergrund. Eine richtungsweisende Arbeit im Bereich der Erforschung sozialer Ungleichheit im Hochschulsystem ist „Die Erben“ von Pierre Bourdieu und Jean-­‐Claude Passeron (2007). In dieser Untersuchung zur Soziologie des Bildungswesens analysieren Bourdieu und Passeron zum einen die soziale Selektivität des französischen Bildungssystems in den 1960er-­‐Jahren. Die Zugangschancen zur Universität sind dabei nach Bourdieu und Passeron das „Ergebnis einer über die gesamte Ausbildungszeit wirksamen Selektion, deren Unerbittlichkeit je nach sozialer Herkunft ganz unterschiedlich ausfällt“ (Bourdieu/Passeron 2007: 11). Das Gefälle der objektiven Bildungschancen führt dabei dazu, dass je nach sozialer Herkunft „eine Vorstellung von Hochschulbildung als einer ‚unmöglichen‘, ‚möglichen‘ oder ‚normalen‘ Zukunftsaussicht“ besteht (ibid: 12). Bourdieu und Passeron widmen sich in „Die Erben“ jedoch nicht nur der Frage, ob studiert wird, sondern richten die Aufmerksamkeit besonders darauf, wie soziale Ungleichheit auch im Studium und durch das Hochschulsystem reproduziert wird. Dazu stellen sie folgenden Befund: (^2) Schmitt (2010) verwendet die Bezeichnung „akademisches Feld“ sowie „Feld des Studiums“ zum Teil synonym. Ich begreife in meiner Arbeit das Studium als soziales Feld.

10 — Iris Schwarzenbacher „Die Haltung der Studenten (sic!) zu ihrer Zukunft, und das heißt zu ihrem Studium, hängt unmittelbar von den objektiven Chancen des Hochschulzugangs ihrer Klasse ab, so dass sich Studenten (sic!) aus höheren Klassen mit vagen Plänen zufriedengeben können, weil sie sich niemals wirklich für das entscheiden mussten, was sie tun, für etwas in ihren Kreisen und auch in ihren Familien völlig Selbstverständliches, während Studenten (sic!) aus den unteren Klassen nicht anders können, als ihr Tun zu hinterfragen, weil sie nie vergessen werden, dass sie es hätten nicht tun können.“ (ibid: 87) Die Bildung, die im Studium angeeignet wird, entspricht nicht den Erwartungen des sozialen Hintergrundes und wird von weniger privilegierten Studierenden daher an der Nützlichkeit für die berufliche Zukunft gemessen, während die akademische Kultur als irreal wahrgenommen wird. Dies verstärkt die Sorgen, mit denen sich die Studierenden im Studienalltag konfrontiert sehen (vgl. ibid: 73). Das Bildungssystem tut nichts in Hinblick auf all diese Unterschiede, sondern ignoriert diese und sichert damit „aufgrund seiner eigenen Logik die Fortdauer der Privilegien, oder, anders gesagt, steht im Dienst dieser Privilegien, ohne dass die Privilegierten etwas dafür tun müssten“ (Bourdieu/Passeron 2007: 40f). 2.2 Passungsprobleme und Feldfremdheit Wie bereits Bourdieu und Passeron (2007) in „Die Erben“ aufzeigen, spielen Passungsprobleme zwischen Habitus und den jeweiligen sozialen Strukturen eine zentrale Rolle für die Reproduktion sozialer Ungleichheit. Dort, wo der individuelle Habitus mit den Dispositionen des akademischen Feldes nicht zusammenpasst, ist von Passungsproblemen zu sprechen, die sich als äußerst folgenreich erweisen können. Dieses Kapitel behandelt solche Konflikte im Aufeinandertreffen von Habitus und Feld, da diese Perspektive auch den Fokus meiner empirischen Arbeit darstellt. Dabei zeigt sich, dass die Spielregeln des akademischen Feldes diejenigen bevorzugen, die bereits aus ihrem Herkunftskontext den passenden Wertekanon und ebensolche Fähigkeiten für die Universität mitbekommen. Diese Bevorzugung liegt jedoch nicht offen, sondern wirkt hinter den Rücken der AkteurInnen des Feldes, womit Machtverhältnisse verschleiert und eine Illusion der Chancengleichheit aufrecht erhalten werden können (vgl. Schmitt 2010: 31ff; Krais/ Gebauer 2002: 41). Etwaige Passungsprobleme im Feld werden folglich als individuelles Versagen und nicht als strukturelle Benachteiligungen wahrgenommen. Dieses Zusammenspiel zwischen Habitus und Feld, das diejenigen mit nicht-­‐passenden Habitus benachteiligt, bezeichnet Bourdieu als „Komplizenschaft zwischen Habitus und Feld“ (Bourdieu 1985: 75).

Soziale Ungleichheit im Studium — 11 Die „Komplizenschaft zwischen Habitus und Feld“ spiegelt sich auch in den empirischen Befunden aktueller Studien zu sozialer Ungleichheit unter Studierenden wider. So analysiert beispielsweise Schmitt (2010), dass der „‚bildungsferne’ Habitus“ stärker von nachhaltigen Verunsicherungen geprägt ist als der „‚hochschulbildungsnahe’ Habitus“ (ibid: 235). Studierende vom „bildungsfernen Pol“ verbinden das Studium als neue Situation mit einem Gefühl der Fremdheit oder auch Angst und sehen sich dabei häufig mit der Frage konfrontiert, ob ein Studium denn das Richtige für sie sei (ibid: 267f). Wie Bourdieu und Passeron bereits in „Die Erben“ aufzeigen (2007: 87), führt dieses stete Hinterfragen des eigenen Tuns zu einer Verunsicherung in alltäglichen Erfahrungen des Studiums. Diese strukturellen Zweifel werden auch in der Untersuchung der Studierendenmilieus von Lange-­‐ Vester augenscheinlich: So sind die „Bildungsunsicheren“, die einen niedrigen elterlichen Bildungshintergrund aufweisen, von Zweifeln sowie von einem Gefühl innerer Zerrissenheit und Fremdheit an der Universität betroffen (vgl. Lange-­‐Vester 2015: 106f). Besonders deutlich geht aus den Analysen Schmitts (2010: 217ff) hervor, dass „bildungsferne“ Studierende die Anonymität an der Hochschule schmerzhafter erfahren als Studierende aus AkademikerInnenfamilien. Dabei nimmt das Empfinden, als Individuum an der Hochschule nicht wahrgenommen und anerkannt zu werden, einen wichtigen Stellenwert ein. Schmitt führt aus, dass besonders Studierende mit bildungsferner Studienerfahrung ein stärkeres Bedürfnis nach institutioneller Anerkennung empfinden. Darüber hinaus zeigt sich, dass Studierende mit bildungsfernen Habitus ein stärkeres Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit an der Hochschule aufweisen (vgl. Lange-­‐Vester 2015: 105f). Auch die Frage der Beziehung zum und der Auseinandersetzung mit dem „Herkunftsmilieu“ ist für Habitus-­‐Struktur-­‐Konflikte von Bedeutung. Schmitt weist hierbei darauf hin, dass differierende Vorstellungen und Erwartungen zwischen Herkunftsfamilie und dem Feld des Studiums zu Konflikten führen: „Diese Konflikte verursachen einerseits Scham-­‐ und Schuldgefühle, andererseits aber auch Stolz, was auf die eigene Emanzipation und die herausgehobene Rolle des ‚einzigen Akademikers’ in der Familie verweist. Sie stehen jedoch mit der Angst in Verbindung, sich zu sehr von seinen Wurzeln zu entfernen und ‚abzuheben’. Diese Konflikte können auch zu der Einschätzung führen, dass die Verbindungen zu alten Bekanntschaften gekappt werden müssen.“ (Schmitt 2010: 270) Konflikte können hierbei offen zwischen den Studierenden und ihren Familien ausgetragen werden, ebenso jedoch als innere Konflikte in Form eines Gefühls der Zerrissenheit erfahren werden. Das obenstehende Zitat weist auf solch eine Zerrissenheit hin – zwischen der Angst

Soziale Ungleichheit im Studium — 13 haben, Offenheit und Freiheit sind dabei tendenziell mit Unsicherheiten verbunden. Demgegenüber wird Strukturierung von AkademikerInnenkindern eher als notwendiges Übel betrachtet, während bei ihnen „Offenheit und Freiheit in der Studienstrukturierung (...) weniger Unsicherheit als Gestaltungslust“ erzeugen (ibid: 268). Die augenscheinlichen Schwierigkeiten von Studierenden mit bildungsfernem Hintergrund im Umgang mit offenen Situationen lassen wiederum die Brücke zurück zu El-­‐Mafaalanis Ausführungen zum „Management struktureller Knappheit“ und den damit verbundenen Unsicherheiten bauen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass all die angesprochenen Passungsprobleme und Ausdrücke von Feldfremdheit zu einer zentralen Komponente zusammenführen: die Frage der Legitimität im akademischen Feld. Während das Studium für Bildungsprivilegierte etwas vollkommen Selbstverständliches darstellt, steht für Studierende die Legitimität ihres Daseins als StudentInnen stärker zur Disposition (vgl. z.B. Bourdieu/ Passeron: 86ff oder auch Bradley/ Ingram 2013: 51ff). 2.3 Methodologischer und forschungspraktischer Rahmen Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie Studierende mit unterschiedlichen elterlichen Bildungshintergründen ihr Studium an der WU erleben und gestalten. Das Ziel der Studie ist, sich einer möglichst umfassenden Habitusanalyse anzunähern (vgl. dazu El-­‐ Mafaalani 2012: 103f). Daher ist das Forschungsdesign darauf ausgerichtet, Wahrnehmungs-­‐, Denk-­‐ und Handlungsmuster der StudienteilnehmerInnen zu identifizieren, von denen aus die soziale Welt – und insbesondere das Studium – erfahren wird. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf sichtbar werdenden Rupturen zwischen den Dispositionen der Studierenden und den Strukturen des Studiums sowie auf der Frage, inwiefern diese mit Fragen der sozialen Herkunft zusammenhängen. Es sei hierbei angemerkt, dass eine vollständige Habitusanalyse nicht möglich ist, da sich im Handeln von AkteurInnen lediglich „Habitusspuren“ (Bremer 2004: 61) identifizieren lassen und darüber hinaus mithilfe von Interviews nur ein Ausschnitt sozialen Handelns erfasst werden kann. Insbesondere konflikthafte Verhältnisse von Habitus und Feld können über die Analyse von Erzählungen jedoch gut erfasst werden, womit eine Annäherung an eine Habitusanalyse möglich wird – und zwar mit dem Fokus auf solchen Rupturen. Um Aspekte des Habitus freizulegen, legt die Analyse einerseits Wert auf die Entstehungsbedingungen desselben und hat daher einen biografischen Fokus; andererseits interessiert, wie die Studierenden ihren Studienalltag erfahren und mit welchen etwaigen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind. Und nicht zuletzt liegt das Augenmerk auch auf der Frage, welche Rolle die Institution WU für diese Prozesse spielt, da dies einen wichtigen Aspekt meines Forschungsinteresses darstellt.

14 — Iris Schwarzenbacher Die WU wurde unter anderem aufgrund institutioneller Spezifika der Studienorganisation als Forschungsfeld gewählt. Hier ist vor allem die Eingangsphase an der WU zu nennen, zu der ich die „Studieneingangs-­‐ und Orientierungsphase“ (STEOP) und den sogenannten „Common Body of Knowledge“ (CBK) zähle. Diese beiden Abschnitte, die vor dem sogenannten „Hauptstudium“ stehen, gelten als kompetitiv und sind von Voraussetzungsketten geprägt – wenn also bestimmte Prüfungen nicht bestanden werden, kann im Studienplan nicht weiter vorangeschritten werden. Die STEOP besteht darüber hinaus ausschließlich aus Großlehrveranstaltungen,^3 was die WU mit Blick auf Forschungsergebnisse zu Fragen der Anonymität und Anerkennung (vgl. z.B. Schmitt 2010) als naheliegendes Forschungsfeld erscheinen lässt. Im Rahmen der Studie wurden Interviews sowohl mit Studierenden ohne akademischen Hintergrund als auch mit Studierenden aus AkademikerInnenfamilien geführt. Während die Forschung in diesem Bereich häufig ausschließlich auf bildungsbenachteiligte Gruppen fokussiert, war mir wichtig, auch diejenigen ins Blickfeld zu rücken, die das Feld der Hochschule und dessen Regeln dominieren, d.h. als im Feld Herrschende bezeichnet werden können (Schmitt 2015: 202). Insgesamt wurden für diese Arbeit zwölf Interviews durchgeführt – jeweils über eine Dauer von 45 Minuten bis zu gut zwei Stunden. Für die Bearbeitung meiner Fragestellung hat es sich jedoch als zielführender erwiesen, die Analyse auf sich – außer in Hinblick auf die soziale Herkunft – ähnelnde Fälle zu stützen. Nach der Sichtung des Materials habe ich mich daher schlussendlich dazu entschieden, fünf Interviews für die Interpretation und Theoriebildung auszuwählen, drei davon mit Studierenden ohne akademischen Hintergrund sowie zwei mit Studierenden aus AkademikerInnenfamilien. Als Interviewmethode habe ich mich für einen narrativen Zugang entschieden, da sich „Habitusspuren“ (Bremer 2004: 61) am ehesten auf Basis freier Erzählungen identifizieren lassen, nicht jedoch auf Basis fokussierter Fragen. Die Interpretation der Interviews und die damit verbundene gegenstandsbezogene Theoriebildung lehnt sich an den Forschungsstil der „Grounded Theory“ nach Anselm Strauss an (vgl. Hildenbrand 2004: 32ff). Die Ergebnisse dieser Interpretation werden nun im folgenden Kapitel dargestellt. (^3) Vgl. https://www.wu.ac.at/studierende/mein-­‐studium/bachelor/wirtschafts-­‐und-­‐sozialwissenschaften/steop-­‐cbk/ (Zugriff am 18.10.2015)

16 — Iris Schwarzenbacher leitet heute ein Unternehmen. Beide Großväter verfügen über einen Universitätsabschluss. Florian selbst hat nach dem Kindergarten die Grundschule und in der fünften und sechsten Schulstufe eine sogenannte Orientierungsschule (bundeslandspezifische Schulform) besucht. Danach war er auf einem Gymnasium; in der achten Schulstufe wechselte er in ein Privatgymnasium. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung, nach deren Abschluss er nach Österreich ging, um an der WU Wirtschafts-­‐ und Sozialwissenschaften zu studieren. Er studiert im dritten Semester. 3.2 Selbstverortung zwischen Legitimität und Konflikt Die Wahrnehmungen und Handlungsmuster von Studierenden, die in der Untersuchung deutlich geworden sind, tragen alle dazu bei bzw. laufen daraufhin zusammen, wie sich die jeweilige Person an der Hochschule positioniert fühlt. So gibt es auf der einen Seite Studierende, die sich als selbstverständliche, legitime TeilnehmerInnen und AkteurInnen im Feld des Studiums fühlen. Auf der anderen Seite gibt es auch Studierende, für die diese Teilhabe und Zugehörigkeit nicht so selbstverständlich sind, deren Selbstverortung an der Hochschule durch Unsicherheiten und Zweifel geprägt ist und die sich bis zu einem gewissen Grad auch fehl am Platz fühlen. In diesem Fall kann die Selbstverortung und Selbstwahrnehmung Gegenstand eines stetigen Aushandlungsprozesses werden. Die Betroffen stehen dabei vor Fragen wie „kann ich das?“, „wär ich woanders besser aufgehoben?“, „ist das wirklich das Richtige für mich?“. Die Frage der Selbstverortung als StudentIn hängt deutlich mit sozialen Ungleichheiten zusammen: So wird besonders bei den Studierenden aus AkademikerInnenfamilien deutlich, dass kaum Zweifel im Zusammenhang mit der Selbstverortung als StudentIn bestehen. Auf der anderen Seite sind bei den Studierenden ohne akademischen Hintergrund zum Teil umfassende Aushandlungsprozesse über die eigene Position als StudentIn zu beobachten. Dies tritt in sehr unterschiedlicher Ausprägung auf: Auf der einen Seite Philip und Elena, deren Studienalltag von Unsicherheiten geprägt ist und die sich in einem steten Aushandlungs-­‐ und zum Teil auch Rechtfertigungsprozess befinden; die Selbstverortung lässt sich bei ihnen also als konfliktbehaftet charakterisieren. Demgegenüber steht Katharina, die über eine sehr sichere Selbstverortung verfügt. Jedoch sind auch bei ihr Phänomene zu beobachten und Ansätze eines Aushandlungsprozesses wahrnehmbar, der bei den Studierenden aus AkademikerInnenfamilien nicht in dieser Form auftritt. So erlebt auch sie ihr Studienleben nicht als selbstverständlich, was sich u.a. im sehr hohen Anspruch an sich selbst widerspiegelt.

Soziale Ungleichheit im Studium — 17 Diese unterschiedlichen Muster der Selbstverortung als StudentIn – zwischen Legitimität und Konflikt – sind klar mit sozialer Ungleichheit vermittelt. Der soziale Hintergrund bedingt, wie sich eine Person an der Universität selbst wahrnimmt und verortet – von zugehörig, legitim, selbstverständlich bis hin zu unsicher, mit Zweifeln behaftet, in ständiger Auseinandersetzung und mit dem Gefühl, fehl am Platz zu sein. Es wird also deutlich, dass bei jenen Studierenden, deren Eltern selbst nicht studiert haben, Reibungspunkte zwischen den eigenen Dispositionen und den Strukturen des Studiums auftreten, die ihre KollegInnen mit akademischem Elternhaus so nicht kennen. In einem Bourdieu’schen Verständnis gedeutet, sind dies klar Passungsprobleme zwischen Habitus und Feld. Gleichzeitig weist meine Studie jedoch deutlich darauf hin, dass Studierende ohne akademischen Hintergrund keineswegs als homogene Gruppe zu verstehen sind (vgl. auch Spiegler/ Bednarek 2013: 329f). Wie Teiwes-­‐Kügler und Lange-­‐Vester (2004) in ihrer Untersuchung studentischer Milieus feststellen, wird auch in meiner Studie ersichtlich, dass sich Studierende ohne akademischen Hintergrund in ihren Wahrnehmungs-­‐, Denk-­‐ und Handlungsmustern zum Teil deutlich voneinander unterscheiden. So sind Elena und Philipp besonders stark von konflikthafter Selbstverortung betroffen, während sich Fragen der Legitimität für Katharina deutlich weniger stellen. Dies kann einerseits damit zusammenhängen, dass sie bereits zwei Semester länger studiert als Elena und Philipp, und sich Interessen und das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zum Teil erst im Laufe der Zeit entwickeln, wie El-­‐Mafaalani in seiner Analyse von Habitustransformationen von BildungsaufsteigerInnen aufzeigt (2015: 87). Allerdings wird deutlich, dass es sich bei diesem Unterschied unter den TeilnehmerInnen meiner Studie nicht um eine reine Zeitfrage handelt, sondern auch andere Bedingungen der Habituspassung eine zentrale Rolle spielen, wie im Folgenden noch deutlicher werden wird. 3.3 Genese und Rahmenbedingungen der Selbstverortung Der folgende Abschnitt behandelt die Frage, wie sich die Selbstverortung in der alltäglichen Studienerfahrung und Selbstwahrnehmung äußert, welche Rahmen-­‐ und Entstehungsbedingungen dafür identifiziert werden können und welche Rolle die Institution WU dabei spielt.

Soziale Ungleichheit im Studium — 19 die Aufnahme eines Studiums für die Studierenden ohne akademischen Hintergrund nicht als selbstverständlich gilt. Diese fehlende Selbstverständlichkeit macht daher eine Begründung und Legitimierung notwendig – und das dominante Muster in diesem Zusammenhang ist bei allen dreien die Berufung auf ihre persönlichen Fähigkeiten bzw. Leistungen (z.B. Noten, Studienfortschritt, etc.). Besonders deutlich zeigt sich solch ein hoher Anspruch an sich selbst und die eigene Lebensführung bei Katharina, deren Alltagsgestaltung stark an einem Leistungs-­‐ und Effizienzimperativ orientiert ist. Ihr Anspruch ist es, überdurchschnittlich viele Lehrveranstaltungen in einem Semester zu absolvieren und ihr Studium in Mindeststudienzeit abzuschließen, gleichzeitig noch ein Zweitstudium zu belegen, und all das auf effiziente Weise mit ihrem Nebenjob zu vereinbaren. Welchen wichtigen Stellenwert Effizienz in Katharinas Alltagsgestaltung einnimmt, zeigt sich besonders deutlich in folgendem Zitat, in dem sie es als äußerst „praktisch“ bezeichnet, an Wochentagen in ihrem Job Nachtschichten übernehmen zu können, denn: "jo in der Nocht schlaft ma eh netta, ma verpasst eh nix" (Katharina) Zum Teil wird das Studium von den Studierenden ohne akademischen Hintergrund nicht als vollwertige, für sich selbst stehende, legitime Lebensphase betrachtet, sondern stellt ein „Aufschieben“ vor dem Einstieg ins Erwerbsleben bzw. vor dem „echten“ Leben dar. Die folgenden Zitate weisen darauf hin, dass sich die Studierenden ohne akademischen Hintergrund in einer Legitimationskrise befinden: „gleich zu arbeiten beginnen, wollt ich auch noch nicht, also so ein bisschen, so ein bisschen noch ein bisschen Aufschieben ist auch dabei gewesen“ (Philipp) „irgendwann fang ich eh, an, selber zu leben“ (Elena) Da das Studium als legitime Lebensphase angezweifelt wird, wird es von ihnen als etwas wahrgenommen, das in so kurzer Zeit wie möglich erledigt werden muss und stets in Zusammenhang mit seinem Nutzen für das spätere Berufsleben steht. Diese sehr enge Orientierung an der beruflichen Zukunft ist jedoch zum Teil mit erheblichen Sorgen verbunden. Besonders Philipp misst die im Studium angeeignete Bildung häufig an der Nützlichkeit für einen späteren Beruf und empfindet die Universität als realitätsfremd. Diese Wahrnehmung der akademischen Kultur als irreal und die stete Präsenz von Zukunftssorgen zeigen sich schon bei Bourdieu und Passeron (2007: 73). Die Studierenden ohne akademischen Hintergrund haben häufig das Gefühl, zu wenig zu machen, nichts Nützliches zu machen, bzw. nicht produktiv genug zu sein. Der hohe Anspruch an sich selbst, die Wahrnehmung des Studiums als nicht vollwertige Lebensphase und ein schwaches bis

20 — Iris Schwarzenbacher defizitäres Selbstbild als StudentIn führen bei den Studierenden ohne akademischen Hintergrund zum Teil zu Verunsicherungen und Selbstzweifeln über die eigene Lebenssituation. Folgender Befund, den schon Bourdieu und Passeron in ihrer Studie „Die Erben“ getroffen haben, scheint hier besonders treffend: „Studenten (sic!) aus den unteren Klassen nicht anders können, als ihr Tun zu hinterfragen, weil sie nie vergessen werden, dass sie es hätten nicht tun können.“ (2007: 87) So sind auch die betreffenden TeilnehmerInnen an meiner Studie teils mit konflikthaften Auseinandersetzungen darüber konfrontiert, ob das Studium das Richtige für sie ist und ob sie wiederum geeignet für das Studium sind. Dies sind Fragen, die im Studienalltag äußerst belastend wirken – und die sich für die Studierenden aus AkademikerInnenfamilien nicht in dieser Form stellen. Ein wichtiger Aspekt der Selbstwahrnehmung ist die Frage, wie die eigenen Fähigkeiten eingeschätzt und wie studienrelevante Erfolge als auch Misserfolge verhandelt werden. Dabei zeigt sich, dass die Studierenden ohne akademischen Hintergrund eher dazu neigen, die Verantwortung für Misserfolge bei sich selbst zu suchen und gleichzeitig Erfolge mit externen Rahmenbedingungen zu begründen. Bei ihren KollegInnen aus AkademikerInnenfamilien ist dies in umgekehrter Form zu beobachten – Erfolge werden endogen, Misserfolge exogen begründet. Darüber hinaus werden studienrelevante Hindernisse von den Studierenden ohne akademischen Hintergrund weniger als temporäre negative Erlebnisse, sondern als substanzielle Rückschläge wahrgenommen, was wiederum zu größeren Verunsicherungen und Selbstzweifeln bzw. sogar zu Überlegungen, das Studium abzubrechen, führt, wie folgende Zitate verdeutlichen: “VWL hab ich eben nicht bestanden und das war so für mich, oh Gott, und dann war ich so enttäuscht von mir selber, uund, auch weil ich wusste, ich kann eigentlich eh mehr, also wieso häng ich mich da nicht mehr rein, aber, ahm, irgendwie, also auf jeden Fall war die Enttäuschung so groß und dann hab ich gemeint, naja vielleicht ist es doch nicht das Richtige” (Elena) „also ich war da schon konfrontiert mit Selbstzweifeln, und mit, mit, hab ich mir zum Teil gedacht, bin ich zu blöd für die Uni, oder oder warum, warum raff ich das nicht, warum braucht ich für das so lang, warum, was hab ich falsch gemacht“ (Philipp) Die Studierenden mit akademischem Hintergrund hingegen nehmen zwar einzelne Hindernisse wie das Nicht-­‐Bestehen einer Prüfung als ärgerlich wahr. Dies führt jedoch bei ihnen nicht zu Zweifeln, die auf die gesamte Selbstwahrnehmung als StudentInnen wirken, sondern bezieht sich eher punktuell auf das jeweilige Ereignis. Umgekehrt werden bildungsbezogene Erfolge von den Studierenden ohne akademischen Hintergrund oft kleingeredet bzw. nicht nur mit den eigenen Fähigkeiten begründet, sondern