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Leitfäden und Tipps
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Mittelhochdeutsche Kurzgrammatik/Ältere deutsche Literaturwissenschaft, Skripte von Deutsche Literatur

Stand: September 2009

Art: Skripte

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Mittelhochdeutsche Kurzgrammatik
Ältere deutsche Literaturwissenschaft
Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Stand: 10. September 2009
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Mittelhochdeutsche Kurzgrammatik

Ältere deutsche Literaturwissenschaft

Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Stand: 10. September 2009

Inhaltsverzeichnis

Teil I.

Einleitung

1. Aufbau der Mittelhochdeutschen Kurzgrammatik

Anhand schematischer Darstellungen und anhand von Beispielen vermittelt die Mit- telhochdeutsche Kurzgrammatik Grundlagen für das Verständnis mittelhochdeutscher Texte. Sie ist gegliedert in ein Einleitungskapitel und in je ein Kapitel zur Lautlehre, Formenlehre und zur Syntax. Ein Anhang bietet wichtige Übersichtsdarstellungen zur Sprachentwicklung sowie Leitfäden zum Umgang mit Verben. Das Inhaltsverzeichnis liefert einleitend einen Überblick über den Aufbau der einzelnen Kapitel, das abschlie- ßende Stichwortverzeichnis verzeichnet die wichtigsten Begriffe. Die Paragraphen beziehen sich auf das Standardwerk zur Grammatik des Mittelhoch- deutschen, das zur vertiefenden Lektüre heranzuziehen ist:

Hermann Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik. Neu bearbeitet von Tho- mas Klein, Hans-Joachim Solms und Klaus-Peter Wegera. Mit einer Syn- tax von Ingeborg Schöbler, neubearbeitet und erweitert von Heinz-Peter Prell. (Sammlung kurzer Grammatiken Germanischer Dialekte A, 2) 27. Aufl., Tübingen 2007.

Zur Notation: Spitze Klammern (< >) markieren Grapheme, eckige Klammern ([ ]) enthalten Lautschrift nach dem Internationalen Phonetischen Alphabet und Schräg- striche (/ /) umschließen Lauteinheiten (Phoneme). Ein horizontaler Strich (¯) mar- kiert Längen. Selbiges gilt für den Zirkumflex (ˆ). Der Asterisk (*) bezeichnet eine hypothetische Sprachstufe oder einen erschlossenen Lautstand.

2. Schreibung und Aussprache des

Mittelhochdeutschen (§§ E 15-22)

Vokale, die in normalisierten Textausgaben einen Zirkumflex (ˆ) tragen, sind lang zu sprechen, alle übrigen kurz. Lange Monophthonge sind auch die Umlaute <œ>, <æ> und – besonders zu beachten – . Bsp.: triuwe [y:].

Die Diphthonge /ei/, /ou/, /ie/, /uo/ sind als solche zu sprechen und zwar (wie noch heute im Bairischen) mit fallender Betonung. Bsp.: líe-be, gúo-te, br ´üe-der.

wird vor allem im Wortanlaut und nach Konsonanten als dentale Affrikate /ts/ wie nhd. /z/ gesprochen. Beispiele: zuo, zît, herze. In den übrigen Fällen wird meist als stimmlose Spirans /s/ artikuliert. Bsp.: ûz, daz, wazzer.

Im Gegensatz zum Nhd. sind mhd. und keine Dehnungszeichen. /h/ ist im Anlaut vor Vokal ein Hauchlaut. Bsp.: hûs. Im Auslaut und in den Verbindungen /lh/, /rh/, /ht/ wird das oft auch geschriebene /h/ als Reibelaut [X] gesprochen. Bsp.: sah, durh, naht, iht. In den Konsonantenverbindungen /st/, /sp/, /sl/, /sm/, /sn/, /sw/ behält das /s/ als erster Bestandteil seinen Lautwert. Bsp.: s-tein. Dagegen wird die Verbindung /sk/, geschrie- ben auch , , als [S] ausgesprochen. Bsp.: scœne. /ph/ wird wie /pf/ als Affrikate ausgesprochen. Die Verhärtung der stimmhaften Verschlusslaute (b, d, g) im Wortauslaut (›Auslaut- verhärtung‹) wird im mhd. Schriftbild wiedergegeben (z. B. mhd. geben – gap). Statt /k/ wird im Auslaut geschrieben. Bsp.: nhd. Tag – mhd. tac.

Auch Wortverschmelzungen werden verschriftlicht; man unterscheidet eine Anleh- nung an das folgende Wort (Proklise, z. B. daz ich > deich) und eine Anlehnung an das vorhergehende Wort (Enklise, z. B. bistu < bist du).

3. Veränderungen vom Mittel- zum Neuhochdeutschen

(§§ L 17-57)

3.1. Qualitative Veränderungen

Nhd. Diphthongierung (§ L 17)

Wandel der mhd. Langvokale /¯i/, /¯ü/ , /¯u/ zu den nhd. Diphthongen /ae/ ( ), /oe/ ( <äu>), /ao/ (schon im Frühmhd. belegt; bis ins 16. Jh.).

Bsp.: mhd. mîn niuwes hûs → nhd. mein neues Haus

Nhd. Monophthongierung (§ L 18)

Wandel der mhd. Diphthonge /ie/, /üe/, /uo/ zu den nhd. Langvokalen /¯i/, /¯ü/, /¯u/ (seit dem 11./12. Jh.).

Bsp.: mhd. lieber müeder bruoder → nhd. lieber müder Bruder

Nhd. Diphthongwandel (§ L 19)

Wandel der mhd. Diphthonge /ei/, /öü/, /ou/ zu den nhd. Diphthongen /ae/ ( ), /oe/, /ao/ (seit dem 12. Jh.).

Bsp.: mhd. keiser → nhd. Kaiser mhd. böume → nhd. Bäume mhd. ouge → nhd. Auge

Bsp.: mhd. tac → nhd. Tag [¯a] in Analogie zu mhd. ta-ges → nhd. Tages [¯a] mhd. spil → nhd. Spiel mhd. mir → nhd. mir [¯i] mhd. vart → nhd. Fahrt

Kürzung (§ L 22)

Wandel der mhd. Langvokale zu nhd. kurzen Vokalen vielfach vor Konsonantenhäu- fung, besonders vor /ht/ und /r/ + Konsonant (seit dem 12. Jh.).

Bsp.: mhd. dâhte → nhd. dachte mhd. hôrchen → nhd. horchen

Kürzung mhd. Langvokale vor einfacher Konsonanz, vor allem bei Wörtern mit den Ableitungssilben -er, -el, -en.

Bsp.: mhd. jâmer → nhd. Jammer mhd. wâfen → nhd. Waffe

Vokalschwund (Synkope, Apokope) (§ L 52-55)

Infolge der Nebensilbenabschwächung fallen unbetonte /e/ aus. Den Vokalschwund im Wortinnern bezeichnet man als Synkope, den Vokalschwund am Wortende als Apo- kope.

Bsp.: mhd. er sihet → mhd. er siht mhd. ich vare → mhd. ich var

Teil II.

Lautlehre

4. Konsonantismus (§§ L 58-124)

4.1. Überblick über das Konsonantensystem

Artikulationsstelle Artikulationsart Stimmton bilabial Labio-dental dental/alveolar palatal velar uvular glottal Verschlusslaute stimmlos (stl.) p t k stimmhaft (sth.) b d g Reibelaute stimmhaft V z j stimmlos F s š (sch) dorsal X (ich) x (ach) h Nasale m n ï (ng) Liquide dauernd/lateral l intermittierend r R Affrikata Pf tz kch

4.2. Schema des menschlichen Sprachapparates

Abbildung 1: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart/Weimar 3 2005, S.

Artikulierendes Organ: Lautbezeichnung: Nasenraum Nasal Oberlippe Labial Unterlippe Labio- Zähne Dental Palatum (harter Gaumen) Palatal Velum (Gaumensegel) Velar Uvula Uvular Mundraum Oral Dorsum (Zungenrücken) Dorsal Apex (Zungenspitze) Apikal Pharynx (Rachen) Pharyngal (Rachenlaut) Stimmbänder stimmhaft oder stimmlos (Sonorität d. Lautes) Alveolen (Zahndamm) Alveolar

Die Tendenz der lautlichen Veränderung ist in den Lautverschiebungen partiell ähn- lich:

  1. Stimmhafte Verschlusslaute werden stimmlos.
  2. Stimmlose Verschlusslaute werden zu stimmlosen Reibelauten.

Die Lautverschiebungen lassen sich an einer Gegenüberstellung des Hochdeutschen mit dem Lateinischen (als Vergleichssprache für das Indogermanische) und dem Eng- lischen (als Vergleichssprache für das Germanische) illustrieren (siehe Anhang, S. 43).

Überblick über die Erste und Zweite Lautverschiebung

Idg. p t k b d g bh dh gh

  1. LV ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ Germ. f þ h p t k ă→b ą→d g→g
  2. LV ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ Hd. d pf ff ts ss kch hh t

4.4. Grammatischer Wechsel und Verners Gesetz (§§ L 64f.)

Den Wechsel der Konsonanten /f/-/b/, /d/-/t/, /h/-/g/ und /s/-/r/ in etymologisch ver- wandten Wörtern oder Wortformen bezeichnet man als ›Grammatischen Wechsel‹.

germ. h [X] – g þ – ą f – ă s – z

mhd. h – g d – t f/v – b s – r

Bsp.: f-b: dürfen – darben, verderben; heben – Hefe d-t: schneiden – schnitten; sieden – gesotten; leiden – litten h-g: ziehen – gezogen, Zug, Herzog, Zügel s-r: waren – gewesen; verlieren – Verlust

Die historisch-genetische Erklärung für den Grammatischen Wechsel liefert ›Verners Gesetz‹:

Die nach der 1. Lautverschiebung vorhandenen germanischen stimmlosen Spiranten /f, þ, X, s/ wurden in stimmhafter Umgebung zu den entspre- chenden stimmhaften Spiranten /ă, g, ą, z/ erweicht. Diese Lenisierung unterblieb 1. im Anlaut und 2., wenn der (im Urgermanischen zunächst noch geltende) indogermanische Wortakzent auf der unmittelbar vorher- gehenden Silbe lag.

germ. f þ X ↓ ↘ ă ↓ ↘ ą ↓ ↘ g mhd. f b d t h g

Regelfall: brother → Bruder Sonderfall: father → Vater (vgl. Griechisch: patér)

Im Nord- und Westgermanischen wurde das aus /s/ lenisierte /z/ zu /r/ (Rhotazismus); der Wechsel /s/ – /z/ erscheint daher mhd. (und nhd.) als /s/ – /r/.

germ. s ↓ ↘ z mhd. s r

4.5. Dialektgeographie (§§ E 4-6, 23-47)

Die Zweite Lautverschiebung nahm ihren Anfang im Süden und schwächte sich zum Norden hin ab. Dialektale Grenzen entstanden dort, wo die Lautverschiebung nicht oder nur partiell stattfand:

Hochdeutsch/Niederdeutsch

  • Benrather Linie (maken/machen-Linie)
  • trennt das Niederdeutsche vom Hochdeutschen: . 2. Lautverschiebung ist im Niederdeutschen nicht durchgeführt.

Oberdeutsche Dialekte

  • kind/chind-Linie
  • trennt das Alemannische vom übrigen Oberdeutschen (Bairisch, Ostfränkisch): . nur das südl. Alemannisch hat die Verschiebung k→ch, ansonsten bleibt k.

Mitteldeutsche Dialekte

  1. Ostmitteldeutsch/Westmitteldeutsch
    • pund/fund-Linie
    • trennt das Ostmitteldeutsche und Westmitteldeutsche: . Ostmitteldt.: ›irreguläre‹ Verschiebung von p→f
  2. Mittelfränkisch/Rheinfränkisch
    • dat/das-Linie
    • teilt das Westmitteldt. in Mittel- und Rheinfränkisch: . Mittelfränkisch: in schwachbetonten Kurzwörtern bleibt t (dat, wat, et, allet)
  3. Ripuarisch/Moselfränkisch
    • dorp/dorf -Linie (»Eifelbarriere«)
    • teilt das Mittelfränkische in Ripuarisch und Moselfränkisch: . Moselfränkisch: Verschiebung p→pf wird in postliquider Stellung (nach r und l) durchgeführt, dann zu f assimiliert (dorp→dorpf →dorf ).

5. Vokalismus (§§ L 2-50)

5.1. Vokaldreieck

Das Vokaldreieck ist eine schematische Darstellung der Zungenhöhe (hoch/tief) und Zungenlage (vorn/hinten) bei der Artikulation der verschiedenen Vokale:

I U hoch E O A tief

vorn hinten

5.2. Kombinatorischer Lautwandel

Lautwandelprozesse können auf die Bedingungen des Wandels hin untersucht werden. Neben dem freien Lautwandel, für den sich keine Bedingungen angeben lassen, kann man zwischen nicht-lautlichen Bedingungen (beispielsweise analoger Wandel) und lautlichen Bedingungen unterscheiden (kombinatorischer Lautwandel). In den meis- ten Fällen sind sprachgeschichtliche Vokalveränderungen als kombinatorischer Laut- wandel zu erklären: Der Vokalwandel ist abhängig vom Vokal der Folgesilbe oder vom nachfolgenden Konsonanten.

  1. Abhängigkeit vom Vokal der Folgesilbe a) Aufhellung: Hebung (germ.): Alternanz /e/-/i/ Primärumlaut (ahd.) Umlaut (mhd.) b) Abdunklung: Senkung (germ.): Alternanz /u/-/o/ c) Alternanz /iu/-/ie/ (germ.)
  2. Abhängigkeit vom Konsonanten der Folgesilbe a) Ersatzdehnung (germ.) b) Ahd. Monophthongierung

Hebung (germ.): Alternanz /e/-/i/ (§ L 7)

Hebung von idg. /e/ zu germ. /i/ vor hohen Vokalen (i, j) oder Nasal + Kons. sowie von germ. /e/ zu /ahd. /i/ vor /u/ in der Folgesilbe, vor a, e, o bleibt /e/ erhalten (daher die Alternanz in den Ablautreihen III-V).

Bsp.: ahd. neman nimu nimit mhd. nemen nime nimet

Primärumlaut (ahd.) (§ L 29)

Aufhellung des Kurzvokals /a/ zu /e/ im Ahd. durch hellen Vokal (i, j) in der Folgesilbe, umlauthindernd wirken /ht/, /hs/, /rw/, /l/ + Kons. und /r/ + Kons.:

Bsp.: ahd. gast gesti mhd. gast geste

Senkung (germ.): Alternanz /u/-/o/ (§ L 9)

Senkung von germ. /u/ zu ahd. mhd. /o/ vor tiefen Vokalen (a, e, o) in der Folgesilbe, vor hohen Vokalen (i, j, u) und Nasal + Kons. bleibt /u/ erhalten (daher die Alternanz in den Ablautreihen II, III).

Bsp.: ahd. wurfun giworfan mhd. wurfen geworfen

Alternanz /iu/-/ie/ (§ L 10)

Hebung von germ. /eu/ zu ahd. mhd. /iu/ vor hohen Vokalen (i, j, u), Nasal + Kons. und /w/ in der Folgesilbe; Senkung von germ. /eu/ zu ahd. /eo/, /io/, /ie/ zu mhd. /ie/ vor a, e, o (daher die Alternanz in der Ablautreihe II).

Bsp.: ahd. biotan biutu mhd. bieten biute

Schema:

germ. /eu/ → Hebung zu ahd. /iu/ → mhd. /iu/ → Senkung zu ahd. /eo/ → Weiterverschoben zu io → mhd. /ie/

Ersatzdehnung (§ L 11)

In den Lautgruppen /anh/ und /unh/ Wegfall des Nasals und Dehnung des vorangehen- den Kurzvokals; setzte bereits im Urgerm. ein.

Bsp.: /unh/ → /ûh/ germ. *þunhto → þuhto (dünken/deuchte) ahd. dûhta mhd. dûhte

Bsp.: /anh/ → /âh/ germ. *branhto → brahto (bringen/brachte) ahd. brâhta mhd. brâhte

Ahd. Monophthongierung (§§ L 12-14)

Monophthongierung der germ. Diphthonge /ai/ und /au/ vor bestimmten Konsonanten:

  • aus germ. /ai/ wird /ê/ vor den Konsonanten /r/, /h/, /w/
  • aus germ /au/ wird /ô/ vor /h/ oder Dentalen /d, t, z, s, n, r, l/

Dies wirkt sich in den Stammformen der starken Verben der Klassen I und II aus:

Bsp. für Alternanz /ei/-/ê/: lîhen – lêch (leihen – lieh)

schrîben – schreip (schrieben – schrieb)

Bsp. für Alternanz /uo/-/ô/: bieten – bôt (bieten – bot)

biegen – bouc (biegen – bog)

5.3. Freier Lautwandel

Wenn die sprachgeschichtliche Veränderung eines Vokals nicht durch seine lautliche Umgebung verursacht worden ist, bezeichnet man dies als ›freien‹ (mitunter auch als ›spontanen‹) Lautwandel.

  1. /o/-/a/-Wechsel (§ L 2) Der idg. Kurzvokal /o/ geht im germ. Kurzvokal /a/ auf: Bsp. lat. octo → mhd. aht
  2. Ahd. Diphthongierung (§ L 15) Diphthongierung der germ. Langvokale /ô/ zu ahd. mhd. /uo/ und /ê/ zu ahd. mhd. /ie/. Wirkt sich in den Vergangenheitsformen der starken Verben der Klas- sen VI und VII aus: Bsp.: got. fôr → ahd. fuor → mhd. vuor

Teil III.

Formenlehre

7. Verben

7.1. Starke Verben (§§ M 69-85)

Der Ablaut (§§ L 4f.)

Unter Ablaut versteht man den regelmäßigen Wechsel bestimmter Vokale in etymo- logisch verwandten Wörtern. Der Ablaut ist ein wichtiges Merkmal der idg. Sprach- familie. Durch Vokaländerung können Wortstämme semantisch variiert werden. Bsp.: Band, Bund; binden, band, gebunden. Es gibt einen quantitativen Ablaut (Abstufung), der die Vokallänge ändert, und einen qualitativen Ablaut (Abtönung), der die Vokalfarbe ändert.

  1. Abstufung
    • Grundstufe: Kurzvokal
    • Dehnstufe: Langvokal
    • Schwundstufe: Vokal wird aufgegeben und durch anderen Vokal ersetzt
      • vor den Sonanten /l/, /m/, /n/, /r/ durch /u/
      • vor Konsonanten durch einen Ersatzvokal
  2. Abtönung
    • /e/ zu /o/ (System der Ablautreihen I-V)
    • /a/ zu /o/ (System der Ablautreihe VI)

Ablautreihen I bis V (§§ M 74-81)

Die germanischen Sprachen haben den Ablaut für die Flexion der starken Verben aus- gebaut, dabei spielen Abstufung und Abtönung zusammen. Das idg. System ist: Infinitiv und Präsens: /e/-Grundstufe Präteritum Singular: /o/-Grundstufe Präteritum Plural, Konjunktiv und Partizip Präteritum: Schwundstufe. Das germ. System ist: Infinitiv und Präsens: /e/-/i/ (siehe Hebung: Alternanz /e/-/i/)

Präteritum Singular: /a/ (siehe /o/-/a/-Wechsel) Präteritum Plural, Konjunktiv und Partizip Präteritum: Schwundstufe. Nach der lautlichen Nachbarschaft, in der das Ablautsystem steht, unterscheidet man verschiedene Ablautreihen:

  • Reihen I-V: /e/-/o/-Ablaut
  • Reihe VI: /a/-/o/-Ablaut
  • Reihe VII: ehemals reduplizierende Verben (nur scheinbar Ablaut)

Ablautreihe I: System + Vokal /i/ (Stammvokal /î/) (§ M 76) a) rîten rîte reit riten geriten b) zîhen zîhe zêch zigen gezigen

idg. e + i o + i Schwundstufe + i germ. î ai^1 i mhd. î ei ê^2 i

(^1) /o/-/a/-Wechsel (^2) Ahd. Monophthongierung (vor /h/ und /w/)

Ablautreihe II: System + Vokal /u/ (Stammvokal /ie/-/iu/) (§ M 77) a) biegen biuge bouc bugen gebogen b) bieten biute bôt buten geboten

idg. e + u o + u Schwundstufe + u germ. eu au^1 u mhd. ie^2 iu^3 ou ô^4 u o^5

(^1) /o/-/a/-Wechsel (^2) Senkung: /eu/ → /eo/, abgeschliffen zu /ie/ (vor ahd. Endung a) (^3) Hebung: /eu/ → /iu/ (vor ahd. Flexionsendung u) (^4) Ahd. Monophthongierung (vor Dental und /h/) (^5) Senkung: Alternanz /u/-/o/ (vor ahd. Flexionsendung a)

Hinweis: Auch die Verben lûchen (schließen), sûfen (saufen), sûgen (saugen) gehören hierher. Außerdem (diese Verben bilden jeweils die 2. & 4. Stammform mit /û/): bliu- wen (schlagen), briuwen (brauen), kiuwen (kauen), riuwen (schmerzen).