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Leitfäden und Tipps
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Physikalische Werkstoffeigenschften / Prof. Schultz, Dr. Freudenberger, Skripte von Werkstoffkunde

Inhalt: Einleitung, Thermodynamik von Legierungen, Kristallstruktur und reziprokes Gitter, Kristallisation, Reale Zustandsdiagramme und ihre Interpretation, Grundlagen ternärer Phasendiagramme, Elektronen in periodischen Atomanordnungen, Strukturen metallischer Phasen, Diffusion, Ausscheidungsvorgänge, Grundlagen mechanischer Eigenschaften, Gitterfehler, Plastische Verformung, Verfestigungsmechanismen Rekristallisation, Bruch (Phänomenologie).

Art: Skripte

2019/2020

Hochgeladen am 10.04.2020

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Nur auf Docsity: Lade Physikalische Werkstoffeigenschften / Prof. Schultz, Dr. Freudenberger und mehr Skripte als PDF für Werkstoffkunde herunter! Prof. Dr. Ludwig Schultz Dr. Jens Freudenberger Physikalische Werkstoffeigenschften Inhalt Einleitung Thermodynamik von Legierungen Kristallstruktur und reziprokes Gitter Kristallisation Reale Zustandsdiagramme und ihre Interpretation Grundlagen ternärer Phasendiagramme Elektronen in periodischen Atomanordnungen Strukturen metallischer Phasen Diffusion Ausscheidungsvorgänge Grundlagen mechanischer Eigenschaften Gitterfehler Plastische Verformung Verfestigungsmechanismen Rekristallisation Bruch (Phänomenologie) DIESES SKRIPT GEHÖRT VESTRAM S O L N O N IR A C V N D IA M OCCIDAT SVPER 1 Thermodynamik von Legierungen Ein System verändert sich solange, bis es das thermodynamische Gleichgewicht erreicht hat, wobei die Einstellung des Gleichgewichtes kinetisch möglich sein muß. Das thermodynamische Gleichgewicht ist erreicht, wenn die Entropie ein Maximum einnimmt. Die Entropie entspricht der Zahl von mikroskopi- schen Realisierungsmöglichkeiten. Das Eta-Theorem (Boltzmann) beschreibt diesen Zusammenhang. Die Entropie bei einer gegebenen Energie ist S = k lnω. Hierin ist k - Boltzmann-Konstante; ω - Anzahl der Realisierungsmöglichkeiten. Damit ist die Entropie ein Zustand der Unordnung. Entropie S = k lnω BA x S ω = N ! NA!NB! S = k ln [ −NA N ln NA N − NB N ln NB N ] mit x = NB N und NA N = (1 − x) S = −k [(1 − x) ln(1 − x) + x lnx] solange das Argument ≤ 1 ist ist ln[ ] ≤ 0 Legierungen sind im thermodynamischen Gleichgewicht, wenn die Entropie maximal wird. Dies bedeutet die größte Zahl an Realisierungsmöglichkeiten beziehungsweise die größtmögliche Unordnung. Das thermodynamische Gleichgewicht bei Legierungen stellt sich meist bei konstanter Temperatur T , das heißt im Kontakt mit einem Wärmebad, oder bei konstantem Druck p ein. Wegen G = U + pV −TS wird in diesem Fall die freie Enthalpie G (auch Gibbs’sche freie Energie) ein Minimum. Zur Erinnerung: freie Energie F = U − TS isotherme Prozesse (ersetzt G wenn p = konst.) Enthalpie H = U + pV isobare Prozesse freie Enthalpie G = U − TS + pV isotherme und isobare Prozesse großkanonisches Potential Φ = U − TS − µN isotherme Prozesse mit konstanter Teilchenzahl Hierin ist: U - innere Energie; T - Temperatur; S - Entropie; p - Druck; V - Volumen; µ - chemisches Potential; N - Teilchenzahl Die innere Energie U im Festkörper setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen: Bindungsenergie Kristallbaufehler } potentiell Atomschwingungen Rotationsenergie } kinetisch 3 4 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN → Gleichgewichtsbedingung G = min dG = 0 dG = dU + pdV + V dp − TdS − SdT mit T , p = konst. dG = dU − TdS + pdV ︸︷︷︸ vernachlässigbar in FK = dU − TdS = 0 tiefe T : dU wichtig → Festkörper stabil hohe T : TdS wichtig → Unordnung dominiert; flüssig, gasförmig In Legierungen laufen Reaktionen ab, bis dG = 0 ist. G = ∑ i µini ⇒ dG = ∑ i µidni = 0 (1.1) Die Änderung erfolgt um die Zahl n von Atomen der Komponente i. µi ist das chemische Potential der Komponente i. Bis das Gleichgewicht erreicht ist werden Atome der Komponente i hinzugefügt oder weggenommen und dabei das chemische Potential geändert. Für ein Zweistoffsystem ist die freie Enthalpie G = ∑ i µixin (xi = ni/n gibt die Konzentration der Teilchen an; n - totale Teilchenzahl) G = (µ1x1 + µ2x2)n mit x2 = 1 − x1 G = [µ1x1 + µ2(1 − x1)]n Dabei sind µ1 und µ2 Funktionen von T , p, und x. Fügt man bei konstanter Temperatur und Druck eine Komponente 1 mit dem chemischen Potential µ1 0 und eine Komponente 2 mit µ2 0 in ein durch x gegebenes Verhältnis zusammen und es passiert sonst nichts, so ergibt sich die freie Enthalpie G(x) einfach summarisch G(x) = [ µ1 0x1 + µ2 0x2 ] n (1.2) sodaß G(x) in einem Diagramm durch eine Gerade zwischen µ1 0 und µ2 0 dargestellt wird. Werden beide Komponenten jedoch vermischt ineinander aufgelöst, also zu einer Phase vereinigt, dann treten sie miteinander in Wechselwirkung, weshalb für die freie Enthalpie G = H − TS ein zusätzlicher Term zu berücksichtigen ist. ∆−T S G G µ 2µ 0 0 1 G∆ BA x G = G + ∆GM ︸ ︷︷ ︸ beruht auf der Mischungsenthalpie als auch auf -Entropie ∆GM = ∆HM − T∆SM (1.3) G = G + ∆HM − T∆SM (1.4) Mischungen, die der Voraussetzung genügen, daß die Wechselwirkung zwischen den Komponenten denen in den reinen Komponenten entsprechen, sodaß sich die innere Energie des Systems durch Mischung nicht ändert (∆UM = 0) heißen ideale Mischung (ideale Lösung). Es wird also nicht impliziert, daß es in idealen Mischungen keine Wechselwirkungen zwischen den Komponenten gibt. 1.1 Wahrscheinlichkeit und Entropie Gegeben seien vier Teilchen. Werden diese auf zwei Volumina verteilt, so ergibt dies 16 verschiedene Realisierungsmöglichkeiten, auch Mikrozustände genannt. Man erhält die Anzahl aus der Aufsummierung 1.1. WAHRSCHEINLICHKEIT UND ENTROPIE 5 der Binomialkoeffizienten (Gl. 1.5) für jede Verteilung. ( n k ) = n! k!(n − k)! (1.5) ( 4 0 ) + ( 4 1 ) + ( 4 2 ) + ( 4 3 ) + ( 4 4 ) = 2 ( 4 0 ) + 2 ( 4 1 ) + ( 4 2 ) = 4∑ k=0 ( 4 k ) = 24 = 16 (1.6) Diese Mikrozustände treten alle gleich häufig auf. Allgemein gilt für die Anzahl der Mikrozustände kn, wobei n - Anzahl der Teilchen, die auf k - Anzahl der Zustände verteilt werden. Die 16 eben beschriebenen Mikrozustände sind in Abbildung 1.1 zusammen angeführt. 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 1 3 4 2 3 4 3 4 2 4 2 3 1 4 1 3 1 2 1 2 3 4 1 2 4 43 4 3 2 1 4 2 2 3 4 1 1 3 21 2 43 1 3 4 1 2 4 1 2 3 Abbildung 1.1: Möglichkeiten vier Teilchen auf zwei Teilvolumina zu verteilen. Dabei cwtrittist eine gleichmäßige Verteilung über beide Teilvolumina viel häufiger auf, als eine ungleichmäßige. Dies liegt daran, daß die gleichmäßige Verteilung die größtmögliche Anzahl von Realisierungsmöglichketen aufweist. Ein Makrozustand hingegen ergibt sich aus einer verschiedenen Anzahl von Mikrozuständen. Zunächst einmal wird in einem Makrozustand nicht mehr unterschieden welches Teilchen sich wo befindet, sondern lediglich wieviele Teilchen in welchem Volumen sind. Damit ergeben sich für das vorherige Beispiel fol- gende Makrozustände: 4:0; 3:1; 2:2; 1:3 und 0:4 aus den Mikrozuständen. Der mittlere Zustand 2:2 ist mit sechs Mikrozuständen der wahrscheinlichste. Grad der Unordnung: Die Zahl der möglichen Mikrozustände zu einem Makrozustand ist ein quantitatives Maß fr den Grad der Unordnung dieses Zustands. Fazit: Das sämtliche Teilchen sich in nur einem Teilvolumen aufhalten ist zwar prinzipiell möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei einer noch größeren Teilchenzahl, z.B. N = 100. Sind alle 100 Teilchen in einer Hälfte des Volumens, so gibt es dafür nur einen Mikrozustand. Sind hingegen die Teilchen gleichmäßig auf beide Volumina veteilt (je 50), so gibt es für diesen Makrozustand 1 ·1029 Realisierungsmöglichkeiten (Mikrozustände). Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 1.2 verdeutlicht. 8 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN 1.2 Mischungsprozesse Betrachtet wird die freie Enthalpie einer binären Legierung AB beim Mischen der Atome. Ein Zustand 1 der durch NA A-Atome und NB B-Atome gekennzeichnet ist geht in einen Zustand 2 über, der aus einer Mischung von A- und B-Atomen besteht. Damit berechnet sich die Teilchenzahl aus der Summe N0 = NA + NB. Die Freie Enthalpie der Mischung beläuft sich auf: ∆GM = ∆HM − T∆SM +p∆V M ︸ ︷︷ ︸ =0 (1.11) 1.3 Ideale Lösung Am Modell der idealen Mischung lassen sich viele Grundzüge des Verhaltens von Zweistoffsystemen deutlich machen. Bei einer idealen Mischung tritt beim Vermischen weder ein Volumenzuwachs auf (∆V M = 0), noch gibt es eine Wärmetönung (∆HM = 0), jedoch gibt es einen Entropiezuwachs, da durch das Vermischen die reinen Stoffe in einen Zustand geringerer Ordnung gebracht werden. Damit ergibt sich die freie Enthalpie einer idealen Mischung zu (vgl. Gl. 1.4): G = G − T∆S (1.12) Die Gleichgewichtsbeziehungen von zwei Phasen α und S in einem System aus zwei Komponenten wer- den aus dem Vergleich der freien Enthalpien der Phasen deutlich (α - feste Phase; S - Schmelze). Im Allgemeinen hat bei einer gegebenen hohen Temperatur die flüssige Phase eine höhere Energie und damit auch eine höhere Enthalpie und eine höhere Entropie, als eine feste Phase (HS > Hα; SS > Sα). BA x BA x BA x BA x T1 T2 T3 +Sα T4 T5 T3 T5 T4 T1 T2 +Sα S BA x α α S S α α S S G∆ A Bx α S T α S α Abbildung 1.3: Freie Enthalpie Kurven einer festen und flüssigen Pase in Abhängigkeit von der Zusammensetzung für verschiedene Temperaturen. Im unteren Teil ist das daraus konstruierte Temperatur - Konzentrations Zustandsdiagramm gezeigt. Bei niedrigen Temperaturen ist der Term TS in G = H − TS klein, es überwiegt H, sodaß Hα < HS für alle Zusammensetzungen und damit Gα < GS gilt. Das System ist dann fest, da es die geringste freie Enthalpie hat, wenn es ganz aus einer festen Phase besteht (T5 in Abb. 1.3). Im Gegensatz dazu wird bei höheren Temperaturen (T1) der Term TS so groß, daß für alle Zusammensetzungen S S > Sα gilt. Dann gilt auch GS < Gα und es ist alleine die flüssige Phase stabil. Dazwischen gibt es einen Temperaturbereich zwischen T2 und T4, in welchem sich beide Kurven von GS(x) und Gα(x) schneiden. Für sinkende Temperaturen (T1 . . . T2 . . . T5) schneiden sich die Kurven bei 1.3. IDEALE LÖSUNG 9 T2 bei x = 0. Hier sind erstmalig beide Phasen im thermodynamischen Gleichgewicht, die Temperatur entspricht dem Schmelzpunkt der reinen Phase A, während für alle anderen Zusammensetzungen (x 6= 0; T2) alleine die Schmelze stabil ist. Analog stehen alleine bei T4 beide Phasen im Gleichgewicht, während für x < 1 alleine die feste Phase stabil vorliegt. Durch die Absenkung der Temperatur werden die freie Ent- G∆ T [ K ] fest flüssig fest gasförmig gasförmigflüssig Abbildung 1.4: Freie Enthalpie der drei Aggre- gatzustände eines beliebigen Systems. halpie Kurven der beiden Phasen α und S angehoben. Durch den unterschiedlich steilen Verlauf der Kurven in Abhängig- keit von der Temperatur, wie er in Abbildung 1.4 dargestellt ist, wird die freie Enthalpie der Schmelze wesentlich stärker erhöht, als die der festen Phase, wodurch es zu dem Schnei- den der Kurven kommt. Die freie Enthalpie der festen Phase ändert sich mit der Temperatur unwesentlich, da die Atome durch den Kristallverbund an ihre Plätze gebunden sind. In der flüssigen, oder gar gasförmigen Phase, können die Ato- me wesentlich leichter ihre Plätze tauschen, wodurch mit steigender Temperatur eine größere Unordnung (Entropie) eingestellt wird. Betrachtet man nun ein System mit mittlerer Zusammen- setzung x bei einer Temperatur zwischen den beiden eben diskutierten zum Beispiel T3 (T2 > T3 > T4). Dann gilt im gezeigten Fall zwar Gα(x) < GS(x) und die Phase α hat die kleinere freie Enthalpie als die Schmelze, jedoch wird dadurch nicht der Gleichgewichtszustand dargestellt. Dieser Sachverhalt wird im Abschnitt über die Doppeltangentenregel erklärt. Doch zurück zur Mischungsentropie, die die freie Enthalpie der Mischung im Wesentlichen bestimmt. Im Folgenden soll die freie Enthalpie der Mischung in Abhängigkeit von der Konzentration der Komponenten bei der Mischung bestimmt werden. Die freie Enthalpie der Mischung ist gegeben durch: ∆SM = S2 − S1 = k lnω2 − k lnω1 Hierin ist ω die Zahl der unterscheidbaren Anordnungen, im ungemischten Zustand 1 ist ω1 = 1 (s. auch Bsp. zur Expansion eines Gases). Im gemischten Zustand 2 befinden sich NA-Atome und NB-Atome auf NA + NB Gitterplätzen, woraus sich (NA + NB)! Möglichkeiten ergeben diese anzuordnen. Von diesen sind ω2 = (NA + NB)!/(NA! NB!) unterscheidbar. ∆SM = k ln (NA + NB)! NA! NB! Wenn NA und NB große Zahlen sind, so kann Stirlings Theorem angewendet werden: ln(n!) ≃ ( n + 1 2 ) lnn − n + 1 2 ln(2π) ≃ n ln n (1.13) ... und daraus folgt: ln (NA + NB)! NA! NB! = (NA + NB) ln(NA + NB) − NA lnNA − NB lnNB = −NA ln NA NA + NB − NB ln NB NA + NB mit xi := Ni NA+NB = −N0xA lnxA − N0xB lnxB = −N0(xA lnxA + xB lnxB) Die Mischungsentropie ∆SM = −kN0(xA lnxA + xB lnxB) (1.14) 10 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN ist damit immer negativ, da gilt: xA < 1 → lnxA < 0. Da die Mischungsentropie für mittlere Konzentra- tionen ein Maximum aufweist wird für die freie Enthalpie der Mischung ein Minimum beobachtet. Für die freie Enthalpie der Mischung gilt: ∆GM = −T∆SM = −kTN0(xA lnxA + xB lnxB) (1.15) Bei x = 0 und x = 1 wird eine unendliche Steigung beobachtet, wie es in Abbildung 1.5 dargestellt ist. Abbildung 1.5: Freie Enthalpie der Mischung einer idealen Lösung als Funktion der Konzentration. G∆ BA x ZUM NACHDENKEN: • Warum kommt es bei der idealen Mischung zu einem linsenförmigen Phasendiagramm (s. Abb. 1.3)? • Warum ändert sich die freie Enthalpie einer fe- sten Phase nicht so stark mit der Temperatur, wie die einer flüssigen Phase (s. Abb. 1.4)? Aufgrund der unendlichen Steigung der G(x)-Kurve bei x = 0 und x = 1 ist es extrem schwierig sehr reine Ma- terialien herzustellen, da für das letzte Fremdatom eine unendlich große Energie benötigt wird, um dies zu ent- fernen. 1.3.1 Die Doppeltangentenregel Ein System mittlerer Zusammensetzung in dem Temperaturbereich zwischen den beiden Schmelzpunk- ten der reinen Komponenten erreicht seine geringste freie Enthalpie (und damit das Gleichgewicht) in Gestalt eines zweiphasigen Zustandes. Dieser wird aus der Schmelze S und der festen Phase α gebildet. Die Schmelze hat dann die Zusammensetzung xS und die feste Phase xα. xS und xα werden durch eine gemeinsame Tangente an beide freie Enthalpie Kurven bestimmt. Die Konstruktion mit der Tangente an beide freie Enthalpie Kurven wird als Doppeltangentenregel bezeichnet. Zwischen den beiden Zusammen- setzungen xS und xα gibt es keinen einphasigen Zustand, sondern stets eine Mischung aus fester Phase α und Schmelze S, da dies energetisch günstiger ist. G∆ BA x α S α S+Sα xα x xS Abbildung 1.6: Zur Konstruktion der Doppeltangentenregel. Es ist anschaulich leicht einzusehen, daß ein zweiphasiges System bestehend aus der Schmelze und der festen Phase energetisch günstiger ist. Die freie Enthalpie dieses zweiphasigen Zustandes wird durch eine lineare Variation der Ausgangswerte bestimmt - dies ist die Gerade zwischen den Werten, die durch die Doppeltangente bestimmt wurde. Aufgrund der Mischungsentropie liegen die tatsächlichen Werte möglicherweise sogar tiefer, als durch die Tangente angegeben. Die Tangente selber liegt aber zwischen 1.4. REALE LÖSUNG 13 wobei ǫ eine Konstante ist, die sich aus den Wechselwirkungsenergien zwischen den einzelnen Kompo- nenten herleiten läßt. Errechnet man hieraus die freie Enthalpie G, so folgt: ∆Greg(x) = Gid(x) + ∆HM(x) (1.24) HM(x) ist eine parabolische Funktion von x mit ihrem Maximum (beziehungsweise Minimum) bei x = 0, 5, je nach dem Vorzeichen der Konstante ǫ, die sowohl positive, als auch negative Werte annehmen kann. Eine negative Mischungsenthalpie ∆HM bedeutet, daß beim Mischen Wärme freigesetzt und damit dem System entzogen wird (der Vorgang verläuft exotherm); sie ist kennzeichnend für eine attraktive Wechselwirkung zwischen den Komponenten und deutet auf eine Tendenz zur Verbindungsbildung hin. Eine positive Mischungsenthalpie ∆HM hingegen bedeutet, daß beim Mischen Wärme zugeführt wird (der Vorgang verläuft endotherm). Sie ist kennzeichnend für eine Verminderung der Bindungsenergien und deutet auf eine Tendenz zur Entmischung hin. Zur Erinnerung: keine Mischungsenthalpie (∆HM = 0) → ideale Lösung. H (x)∆ reg H (x)∆ reg 2µ 0 G(x) µ01 G (x) reg id G (x) µ01 2µ 0 G(x) id G (x) G (x) reg µ01 2µ 0 2µ 0 µ01 G(x) G (x) reg id G (x) id G (x) G(x) G (x) reg T2 T1 T1 T2 1 2T <T G∆ G∆ G∆ G∆ BA x BA x Abbildung 1.7: Freie Enthalpie eines Gemisches für verschiedene Temperaturen (T1 < T2) für positive (links) und negative Mischungsenthalpie (rechts). Bindungsenergie eines Mischkristalls Paarweise Wechselwirkung zwischen nächste Nachbar Atomen; n - Zahl der nächsten Nachbarn. A-Atom hat xA P AA-Bindungen mit A-Atom bei WW-Energie ǫAA xA P AB-Bindungen mit B-Atom bei WW-Energie ǫAB B-Atom hat xB P B-Bindungen mit B-Atom bei WW-Energie ǫBB xB P BA-Bindungen mit A-Atom bei WW-Energie ǫBA Damit läßt sich die Bindungsenergie bestimmen U = 1 2 [ xAP AAǫAA + xAP ABǫAB + xBP BAǫBA + xBP BBǫBB ] (1.25) mit ǫAA + ǫAB = 1 = ǫBA + ǫBB und P ABxA = P BAxB U = 1 2 [ xAǫAA − xAǫAAPAB + xAǫABPAB + xBǫBB − xBǫBBPBA + xBǫBAPBA ] 14 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN = 1 2 [ xAǫAA + xBǫBB + 2xAP ABǫAB − (xAǫAA + xAǫBB)PAB ] = 1 2 [ xAǫAA + xBǫBB + 2xAǫP AB ] (1.26) mit ǫ = ǫAB − 1 2 (ǫAA + ǫBB) (1.27) Hierin ist ǫ die Vertauschungsenergie. Aus dem Prinzip der Energieminimierung wird nun festgelegt, welche Bindungsenergien günstiger sind. Ist ǫ < 0 so gilt ǫAB < 1 2 (ǫAA + ǫBB). In den AA und BB Bindungen steckt mehr Energie drin, als in zwei AB Bindungen. Werden die AA und BB Bindungen gebrochen um zwei AB Bindungen zu bilden, ist das System in einem energetisch günstigerem Zustand und der Weg zur Legierungsbildung ist frei. Andersherum, wenn ǫAB > 1 2 (ǫAA + ǫBB) gilt bleibt das System entmischt, da es so seinen energetisch günstigsten Zustand erreicht, indem es aus den energetisch niedrigeren Bindungen besteht. Damit gilt: ǫ < 0 → ∆HM < 0 → Energiegewinn → Legierungsbildung ǫ > 0 → ∆HM > 0 → Energieverlust → Entmischung ǫ = 0 → ∆HM = 0 → → ideale Lösung In der Konsequenz von ∆Greg = ∆H +∆Gid hat eine negative Mischungsenthalpie ∆HM < 0 (exotherm) eine Vertiefung der Kurve Greg(x) gegenüber von Gid(x) zur Folge, ändert deren grundsätzlichen Verlauf aber nur wenig. Eine positive Mischungsenthalpie ∆HM > 0 (endotherm) führt bei hohen Temperaturen zu einer Verflachung der Kurve Greg(x) gegenüber Gid(x) und bei tiefen Temperaturen sogar zu einer Kurvenform mit zwei Minima, einem zentralen Maximum und Wendestellen. HM HM HM G BA x BA xBA x G G −TS −TS −TS G ε<0 ε=0 ε>0 Abbildung 1.8: Freie Enthalpie eines Gemisches für negative (links) und positive Mischungsenthalpie (rechts), sowie den Fall der idealen Lösung (Mitte). Diese qualitativen Unterschiede im Verlauf der G(x)-Kurven von regulärer und idealer Mischung führen zu entsprechenden Implikationen für die Gestalt der betreffenden Zustandsdiagramme. Solange beide G(x)-Kurven eine ähnliche Gestalt aufweisen führt die Diskussion der Phasengleichgewichte mittels Kon- struktion der gemeinsamen Tangenten auch für ein reales Zweistoffsystem auf ein Zustandsdiagramm mit einem linsenförmigen Koexistenzbereich, wie es für den Fall der idealen Mischung hergeleitet wurde - siehe Abbildung 1.3. Eine solche Gestalt des Zustandsdiagramme ist ein Hinweis auf Isomorphie zwischen den reinen Systemen. Die Abweichungen der G(x)-Kurven beider Phasen können in beiden Phasen auch unterschiedlich stark ausgeprägt sein, sodaß die Kurven unterschiedlich stark gekrümmt sind und zweimal zum Schnitt kom- men können. In diesem Fall lassen sich jeweils im linken und rechten Teil des Zustandsdiagramms je eine gemeinsame Tangente an die Kurven legen, die jeweils zwischen ihren Berührungspunkten die freie Enthalpie G(x) von zweiphasigen Gleichgewichtszuständen darstellen. 1.4. REALE LÖSUNG 15 T1 α G (x) S G (x) TE S G (x) α G (x) TE α G (x) S G (x) α G (x) T1 TE T2 T2 TE S G (x) A B C D E A B C D E G∆ G∆ G∆ A BxA Bx T T SSPhase Phase αPhase Phase α x x x x x x x x x xA B E C D A B E C D Gα(x) stärker als GS(x) gekrümmt x < xA einphasig flüssige Zustände (S) xA < x < xB zweiphasige Zustände (S/α) xB < x < xC einphasig feste Zustände (α) xC < x < xD zweiphasige Zustände (α/S) xD < x einphasig flüssige Zustände (S) Gα(x) schwächer als GS(x) gekrümmt x < xA einphasig feste Zustände (α) xA < x < xB zweiphasige Zustände (α/S) xB < x < xC einphasig flüssige Zustände (S) xC < x < xD zweiphasige Zustände (S/α) xD < x einphasig feste Zustände (α) Abbildung 1.9: Auswirkung der Abweichung der freien Ent- halpiekurven vom Idealen Verlauf. In beiden Fällen berühren sich Liquidus- und Soliduslinie in einem Extremum im Punkt E (Abb. 1.9). An diesem Punkt haben flüssige und feste Phase im Gleichgewicht die selbe Zusammensetzung. Damit vollzieht sich der Phasenübergang für ein Gemisch der Zusammensetzung xE von S → α oder umgekehrt ohne Änderung der Zusammensetzung. Dieses Gemisch bezeichnet man daher als kongruent schmelzend. ZUM NACHDENKEN: • Unter welchen Voraussetzungen hat eine G(x)- Kurve ein Maximum und zwei Minima? • Wenn die Wechselwirkung zwischen zwei glei- chen Atomen stärker ist als die zwischen zwei ungleichen, welchen Verlauf zeigt die G(x)- Kurve und welche Tendenz zeigt das System (Entmischung/Legierungsbildung)? 1.4.1 Spinodale Entmischung Schließlich kann bei realen Mischungen auch der Fall eintreten, daß in- folge einer relativ großen positiven Mischungswärme ∆HM die Funkti- on G(x) im Bereich mittlerer Zusammensetzungen ein Maximum, oder zunächst eine negative Krümmung aufweist. Ein solcher Verlauf wird vornehmlich bei tiefen Temperaturen vorkom- men (T1 < T2 < T3 < T4). An der G(x)-Kurve für T3 läßt sich eine Tangente zwischen den Minima ziehen (Punkte). In diesem Bereich ent- mischt offenbar die Legierung, da das System dann die geringste freie Enthalpie hat, wenn es aus zwei Phasen besteht. T3 BA x F 1T T2 T4 Diese entmischten Phasen haben die Zusammensetzung xA und xB (s. Abb. 1.10). 18 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN Bei der spinodalen Entmischung hat man kleine Kon- ZUM NACHDENKEN: • Unter welchen Voraussetzungen entmischt ein System spinodal? • Warum ist bei der spinodalen Entmischung eine lokale Entmischung zwischen den Minima und Wendepunkten instabil und zwischen den Wen- depunkten verstärkt? • In welche Phasen (Konzentration) entmischt ein System, wenn es spinodal entmischt? zentrationsschwankungen überall in der Probe, die im nicht-spinodal entmischten Bereich nicht auftreten. Der Endzustand ist in beiden Fällen rein physikalisch gese- hen der Gleiche, jedoch ist die Morphologie des Phasen- gemisches völlig verschieden. Dieser Sachverhalt wird im Kapitel über Diffusion vertieft. Die Spinodale Entmischung wird aber nicht in jedem Sy- stem auftreten. Voraussetzung, daß ein System spinodal entmischt ist die Isomorphie der reinen Elemente. 1.5 Herleitung binärer Zustandsdiagramme Die überwiegende Zahl metallischer Systeme ist im flüssigen Zustand vollständig mischbar. Daneben gibt es Systeme mit begrenzter Mischbarkeit, sowohl im Festen, als auch im Flüssigen. Ein solches System mit begrenzter Mischbarkeit wird als monotektisch bezeichnet (z. B. Fe-Pb). A B T x α+β S + S +S1 1 β 2 Abbildung 1.13: Beispiel für ein monotektisches System mit begrenzter Mischbarkeit im Flüssigen und Festen. Im Festen tritt viel häufiger der Fall begrenzter Löslichkeit auf. Durch thermische Aktivierung wird nämlich die Tendenz zur Lösung mit steigender Temperatur begünstigt. Liegt die Mischungslücke nur bei tiefen Temperaturen vor, so erstarrt die Schmelze stets zum Mischkristall und erst bei weiterer Abkühlung zerfällt die Lösung in ein Phasengemenge. Liegt die Maximaltemperatur der Mischungslücke oberhalb der Soliduslinie, dann kommt es zu einer neuen Form des Zustandsdiagramms. Am Schnittpunkt der Soliduslinie mit der Grenze der Mischungslücke stehen drei Phasen miteinander im Gleichgewicht und es wird aus der Phasenregel F = n − P + 1: F = 0 Es gibt für vollständig mischbare Systeme im Prinzip drei Formen für den Koexistenzbereich von flüssiger und fester Phase. Dies ist zum einen der zigarrenförmige (monoton fallende) Verlauf, wie er für ideale Mischungen beschrieben wurde. In diesem Fall kommt es zur Bildung des peritektischen Zustands- diagramms. TA BA x BA x BA x BT TA TA BT TA BT BT S+α S+α S+α α1 α2α1 α2+ α1 α2+α1 α2 S+α α1 α2+α1 α2 S+α T BA x S α S α S S 2 Abbildung 1.14: Entwicklung eines peritektischen Zustandsdiagramms für Systeme mit zigarrenförmigem Koexistenz- bereich von Schmelze und fester Phase, sowie steigendem Temperaturbereich der Mischungslücke im Festen und ihre Fortsetzung im Flüssigen. Zum Anderen kann der Verlauf von Solidus- und Liquiduslinie ein Minimum aufweisen, wie es für reale 1.5. HERLEITUNG BINÄRER ZUSTANDSDIAGRAMME 19 Mischungen bereits diskutiert wurde. In diesem Fall kommt es zur Bildung des eutektischen Zustands- diagramms. TA BA x BA x TA TA α1 α2 α1 α2+α1 α2 BT BT BT S+α S+α α1 α2+ S+α S+α S+α2 S+α T BA x α α S S S 1 Abbildung 1.15: Entwicklung eines eutektischen Zustandsdiagramms für Systeme mit einem Minimum der Solidus- und Liquiduslinie für mittlere Konzentration, sowie steigendem Temperaturbereich der Mischungslücke im Festen und ihre Fortsetzung im Flüssigen. Ein peritektisches System ist dadurch gekennzeichnet, daß eine feste Phase α mit der Konzentration xP bei der peritektischen Temperatur TP unter Zersetzung schmilzt. Das kann durch die peritektische Reaktion S + α1 → α2 beschrieben werden. Die peritektische Temperatur liegt immer zwischen den Schmelztemperaturen der beiden reinen Komponenten. Peritektische Systeme entstehen gewöhnlich dann, wenn die Schmelztemperaturen der beiden Komponenten stark verschieden sind. Ein eutektisches System ist dadurch gekennzeichnet, daß eine mehrkomponentige Schmelze mit der eu- tektischen Zusammensetzung xE während der Erstarrung bei der eutektischen Temperatur TE in ihre Komponenten zerfällt. Das kann durch die eutektische Reaktion S → α1 + α2 beschrieben werden. Die dritte prinzipiell mögliche Form eines Zustandsdiagramms ist der Fall, da Solidus- und Liquiduslinie ein Maximum zeigen. In diesem Fall besteht die Tendenz zur Bildung einer intermetallischen Phase bei der Erstarrung der Schmelze. BA x TA BT S+α BT TA S+α S+α1 T BA x S α α’ S +α2 α3+ α2α1 α3 α2 α1 α2 S+α3 S+ S+ α2 Abbildung 1.16: Entwicklung eines Zustandsdiagramms mit intermetallischer Phase für Systeme mit einem Maximum der Solidus- und Liquiduslinie für mittlerer Konzentration, sowie steigendem Temperaturbereich der Mischungslücke im Festen und ihre Fortsetzung im Flüssigen. Die entstehende intermetallische Phase kann in einem weiten Konzentrationsbereich vorliegen, oder scheinbar zu einer streng stöchiometrischen Zusammensetzung entarten. Aber schon an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß es eine Randlöslichkeit gibt, die solche Phasen verbietet. Aufgrund thermody- namischer Überlegungen muß es immer eine Randlöslichkeit und damit für Phasen auch eine endliche Breite geben, auch wenn in realen Phasendiagrammen oft sogenannte Strichphasen eingezeichnet wer- den. In diesen Fällen ist die Breite der Phase so gering, daß sie entweder nicht gemessen, oder nur nicht dargestellt werden kann. Ein Teilchen kann nicht bei kleinen Konzentrationen neben einer imaginären Strichphase ein anderes chemisches Potential haben, als bei geringfügig größerer Konzentration (aus der anderen Seite der Strichphase). Der Übergang im chemischen Potential kann beliebig steil werden, aber er muß stetig sein. In Analogie kann eine Randphase nicht rein sein und es gibt immer eine, manchmal geringe, Randlöslichkeit. Alle anderen möglichen Formen von Zustandsdiagrammen, die durchaus kompliziert aufgebaut sein können, lassen sich aus diesen Grundtypen herleiten. In Abhängigkeit von den Wechselwirkungen zwi- schen den Komponenten findet man für größere Wechselwirkung zwischen den gleichen Komponenten 20 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN im Vergleich zu zwei verschiedenen (WAB < WAA = WBB) die Bildung des eutektischen Zustandsdia- gramms, während man für den anderen Fall (WAB > WAA = WBB) die Bildung intermetallischer Phasen beobachtet. Wenn dann noch die Wechselbeziehungen zwischen den Komponenten komplizierterer Natur sind (WAB 6= WAA 6= WBB) wird die Bildung peritektischer Zustände beobachtet (s. Abb. 1.17). Mischungs− lücke Rand− löslichkeit einfach eutektisch Phasenbreite WW(AB) <WW(AA) =WW(BB) WW(AB) =WW(AA) =WW(BB) WW(AB) >WW(AA) =WW(BB) kongru− ent schmel− zend ohne Phasen− breite schmelzend inkongruent mit A B A B A B A B A B A B A B A B A B A B A B T T T T T T T T T T T Abbildung 1.17: Zustandsdiagramme in Abhängigkeit der Wechselwirkungen zwischen den Komponenten. ZUM NACHDENKEN: • Warum kann es keine Bereiche geben, wie sie in Abb. 1.14 und 1.15 durch gestrichelte Linien gekennzeichnet sind? • Wie würde dieser fehlerhafte Bereich für ein Sy- stem mit intermetallischer Phase (Abb. 1.16) aussehen? 1.5.1 Thermodynamik der Legierungen Die Zustandsdiagramme lassen sich prinzipiell thermodynamisch herleiten und deuten. Oft werden die einzelnen freie Enthalpie-Kurven der festen Phasen zur besseren Übersicht zu einer einzigen zusammengefasst. Gα1 , Gα2 u. s. w., die für jede feste Phase in einem mehrkomponentigen System existieren (also nicht dem gleich als erstes behandelten vollmischbaren System), werden lediglich anhand ihrer gemeinsamen Minimalwerte beschrieben. Die festen Phasen werden von links nach rechts durchnummeriert. G G G G∆ α1 BA x α2 α 1.5. HERLEITUNG BINÄRER ZUSTANDSDIAGRAMME 23 α 1 α 2 +S α 2 +α3α 1 α 3 α 3+S +α2α 1 +S α 1 α 2 α 1 +S α 2 +α2α 1 +S α 1 α 2 α 3 +α3α 1 +α3α 2 +S α 2 α 3+S α 1 +α2α 1 α 2 +α2α 1 +α3α 1 +S α 2 +α3α 2 α 3α 1 α 1 α 1 +S α 1S +1S2 α 1+S α 2 +S α 2 +α2α 1 α 1+S T BA x T BA x T BA x A Bx T A Bx T A Bx S S SS S S α 1 +S 1S +S2 T Monotectic Eutectoid Metatectic α 1+S +S α 2 α 1 α 1+S α 2 +α3α 2α 1 α 2 S +S1 2 α 1+S2 +α3α 1 +S α 1 +α2α 1 α 1 α 1 S2 α 2 α 3 +S α 2+α2α 1 +α2α 1 1S Eutectic Monotectic Eutectoid Metatectic S S Abbildung 1.20: Verschiedene ’eutektisch-artige’ Sy- steme. Der Unterschied in der Bezeichnung resultiert aus der Art und Anzahl der beteiligten Phasen (flüssig / fest) An dieser Stelle sei noch auf die verschiedenen Erscheinungsformen ’eutektisch-artiger’ Zustandsdiagram- me verwiesen. Es wird anhand der beteiligten Phasen unterschieden: ¤ Monotektisch ist gekennzeichnet durch zwei flüssige Phasen in Koexistenz. ¤ Eutektoid ist gekennzeichnet als Festphasenumwandlung. ¤ Metatektisch ist gekennzeichnet durch die Reaktion einer festen Phase zu einem Gemisch aus fester und flüssiger Phase. ZUM NACHDENKEN: • Wie sehen die freien Enthalpie-Kurven aus, die einem monotektischen Phasendiagramm zu Grunde liegen? 1.5.4 Peritektische Systeme Die beiden freie Enthalpie-Kurven der festen Phasen können jedoch unterschiedlich sein, das heißt, sie haben deutlich unterschiedliche Existenzbereiche. Beide Minima der freien Enthalpie Kurve der festen Phasen liegen auf einer Seite in Bezug auf das Minimum der freien Enthalpie Kurve der Schmelze. Die Minima weisen darüberhinaus vergleichbare Werte der freien Enthalpie auf. In diesem Fall kommt es zur Bildung des peritektischen Phasendiagramms. 24 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN BA x BA x BA x BA xBA x T1 T2 Tp T4 T5 α 1 +α2α 1 α 2α 1 α 1+α2α 1+S T5 T1 +α2α 1 α 2 +S α 1 α 2 α 2 +S α 1 +α2α 1 T2 Tpα 1 +S α 2 T4 α 2α 1 α 2α 1 α 2α 1 α 2α 1 α 2α 1 G∆ A Bx α T S S +S SS S S S S S Abbildung 1.21: Entwicklung des peritektischen Zustandsdiagramms aus freie Enthalpie Kurven bei verschiedenen Temperaturen. Auch hier gilt: solange die GS Kurve für alle Konzentrationen den geringsten Wert aufweist, liegt al- leine die Schmelze im thermodynamischen Gleichgewicht vor. Bei weiter absinkender Temperatur bricht zunächst ein Minimum der freien Enthalpie Kurve der festen Phase nach unten durch. Damit werden, wie zuvor besprochen (vgl. 1.5.2 und 1.5.3) drei Konzentrationsbereiche geschaffen, in denen α, S und das Gemenge aus beiden Phasen vorliegen (T2). Für weiter sinkende Temperaturen liegt die Tangente an der GS(x) Kurve und am Minimum der Gα1(x)-Kurve an (z. B. T2), bis der Fall eintritt (TP), daß beide Minima der Gα(x)-Kurve, also die Minima beider festen Phasen und das Minimum der freien Enthalpie Kurve der Schmelze, an einer gemeinsamen Tangente anliegen. An dieser Temperatur liegt zum ersten Mal die zweite feste Phase im Gleichgewicht vor, man bezeichnet diese Temperatur als peritektische Tem- peratur. Für fortan kleiner werdende Temperaturen wird der Konzentrationsbereich der Schmelze immer kleiner und der Bereich der zweiten festen Phase α2 größer (T4). An dieser Temperatur kann an die G S(x) und an das Minimum der Gα2(x)-Kurve eine gemeinsame Tangente gelegt werden. Eine zweite Tangente liegt zwischen den Minima der freien Enthalpie Kurve der festen Phasen. Während letztere für kleiner werdende Temperaturen erhalten bleibt, verschiebt sich die erste immer mehr in Richtung der Randphase, wobei der Konzentrationsbereich, den sie überspannt, immer kleiner wird. Unterhalb des Schmelzpunktes der zweiten Komponente, wo beide freie Enthalpie-Kurven den selben Wert zeigen, Gα = GS, existiert keine Schmelze mehr. 1.5.5 Intermetallische Phasen Für den Fall, daß die freie Enthalpie-Kurven der beiden festen Phasen stark unterschiedliche Minima aufweisen, und beide auf einer Seite in Bezug auf das Minimum der freien Enthalpie Kurve der Schmelze liegen, oder gar drei feste Phasen vorliegen, es also zwei Mischungslücken im Festen gibt, kommt es zu der Bildung intermetallischer Phasen. 1.5. HERLEITUNG BINÄRER ZUSTANDSDIAGRAMME 25 BA x BA x BA xBA x T1 T2 T3 T5 T1 T4 T5 T2 T3 α 1 +S α 2 +α2α 1 +S α 2α 1 α 2 +S 3α +S 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 G∆ T α 1 α 2 α 3 α 2+S +S α 3 α 3α 2+ α 1 α 2+ +S α 1 +S α 1 α 2+ α 1 α 2 α 3 α 1 α 2 α 3 α 1 α 3 α 2 α 1 α 3 α 2 α 2 α 3 T4 α 3 +α3α 2 A x B S S S S 5 5 00 2 1 4 0 5 5 02 1 9 2 5 0 6 3 1 327 8 S BA x S α 1 Abbildung 1.22: Entwicklung eines Zustandsdiagramms mit intermetallischer Phase aus freie Enthalpie Kurven bei verschiedenen Temperaturen. In diesem Fall besteht das Zustandsdiagramm aus zwei Eutektika. Nacheinander nehmen die Minima der Gαi Kurven kleinere Werte an, als sie die GS-Kurve aufweist. In diesem Fall treten immer für den Fall, daß für ein Minimum GS = Gα gilt, die Phasen in reiner Form das erste Mal auf und für kleiner werdende Temperaturen kommt der Koexistenzbereich mit der Schmelze hinzu. Bemerkenswert ist, daß dieser Koexistenzbereich auf beiden Seiten des Minimums existiert, da auf beide Seiten eine gemeinsame Doppeltangente an die Kurven gezeichnet werden kann. (z. B. T2 für α2). Diese Bereiche existieren, bis ein weiteres Minima durch die G S-Kurve stößt. Bemerkenswert ist, daß dieser Koexistenzbereich auf beiden Seiten des Minimums existiert, da auf beide Seiten eine gemeinsame BA x BA x BA xBA x T1 T2 T3 T4 G∆ +S 3α T α 2 +S α 2α 1 +S T1 T2 T6 T3 T4 T5 α 1 α 2 α 3 α 2+S +S α 3 α 3α 2+ α 1 α 2+ +S α 1 +S α 1 α 2+ 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 +S α 3α 2+ S BA x α 3 α 2 α 1 α 3 α 2 α 1 α 3 α 2α 1 α 3 α 2 α 1 T5 BA x α 2 α 1 α 3 α 2 α 1 α 3 S S S 041 1 09 1 07 2 5 1 7 2 10 3 α 3 +α3α 2 A x B α 1 +α2 α 1 T6 1 7 2 8 3 S S S Abbildung 1.23: Entwicklung eines Zustandsdiagramms mit intermetallischen Phasen aus freie Enthalpie Kurven bei verschiedenen Temperaturen. In diesem Fall besteht das Zustandsdiagramm aus einem Eutektikum und einem Peritektikum. 28 1. THERMODYNAMIK VON LEGIERUNGEN 2 Kristallstrukturen Kristallstrukturen kennzeichnen einen Festkörper. Ein Kristall ist nur dann stabil, wenn seine Gesam- tenergie kleiner als die Gesamtenergie der freien Atome oder Moleküle ist, aus denen er aufgebaut ist. Die Atome in einem Festkörper können unterschiedlich vernetzt sein, wobei zwischen amorphen und kristallinen Strukturen unterschieden wird. 2.1 Amorphe Festkörper In amorphen Strukturen existiert keine langreichweitige Ord-                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     ! !! ! !! ! !! 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Dichter am betrachteten Atom können die anderen Atome nicht liegen, weil die Atome nicht den gleichen Platz einneh- men können. Der nächste Ring von Atomen liegt wieder weiter außen, wobei die Lage der Atome durch den inneren Ring be- grenzt werden. Damit kommt es zu einer Häufigkeitsverteilung der Atome, wie sie rechts angegeben ist. In gewissen Abstands- Bereichen zu einem Atom in einem amorphen Festkörper ist die Wahscheinlichkeit erhöht, ein Atom anzutreffen. Der amorphe Zustand geht aufgrund von thermischen Fluktuationen nach genügend langer Zeit (Größen- ordnung 103 a) in eine kristalline Struktur über. 2.2 Symmetrien Die Definition von Kristallstrukturen erfordert Kenntnisse über Symmetrien. Es gibt eine Reihe von Symmetrieoperationen, die die Beschreibung von Kristallstrukturen erleichtern: • Translationssymmetrie • Spiegelsymmetrie • Inversionssymmetrie • Drehsymmetrie 29 30 2. KRISTALLSTRUKTUREN Translationssymmetrie Spiegelsymmetrie Inversionssymmtrie ja ja nein Rotationssymmetrie 1 2 2 4 1 3 1 2 3 1 2 3 4 6 5 n=2 n=3 n=6 n=4 Alle gezeigten Symmetrieoperationen führen das Gitter in sich selber über. Durch eine Translation des Gitters in Richtung eines Gittervektors sehen ursprüngliches und verschobenes Gitter gleich aus. Das Selbe gilt für die Spiegelung an einer Achse. An einem Inversionszentrum können alle Gitterpunkte gespiegelt werden, wobei genau gegenüber des gespiegelten Punktes ein Gitterpunkt zu finden ist. Jedes Gitter kann einmal um 360◦ gedreht werden und es geht in sich über. Es gibt aber auch Gitter, die nach Drehungen um 60◦ (n=6), 90◦ (n=4), 120◦ (n=3) und 180◦ (n=2) in sich übergehen, wie es oben gezeigt ist. EinschubZähligkeit der Drehsymmetrie Da ein Gitter immer eine Translation besitzt muß jede weitere Symmetrieoperation damit verträglich sein. Der Punkt A sei ein Symmetrieelement, z.B. eine Achse senkrecht zum −α α aa a a B’ B’’b A’ A A’’ Papier und senkrecht zur Translation mit dem Betrag a. Zusätzlich soll die Translationsstrecke AA” unter dem Winkel ±α wiederholt werden und somit entlang AB” (bzw. AA’→BB’) verlaufen. Die vier Strecken AA’, AA” AB’ und AB” haben die gleiche Länge a. Auch B’B” liegt parallel zu AA” und ist mit ihr translatorisch gleichwertig, daher muß die Länge b mit der von a verträglich sein. b = pa p ganzzahlig Aus der Symmetrie der Abbildung folgt: b 2 = a cos α cos α = b 2a = pa 2a = p 2 Der cosinus kann nur halbzahlige Werte annehmen 0,± 1 2 ,±1 und damit liegen die Winkel fest: Winkel α 360◦ 180◦ 120◦ 90◦ 60◦ Zähligkeit 1 2 3 4 6 2 4 3 An einem Würfel findet man für schiefwinklige Achsen eine einzählige Drehsymme- trie. Für ausgezeichnete Symmetrieachsen findet man auch höher zählige Symme- trien. Eine Drehachse senkrecht auf einer Kante ist zweizählig, die Raumdiagonale dreizählig und eine Achse senkrecht auf einer der Flächen des Würfels hat ei- ne vierzählige Drehsymmetrie. Entsprechend ihrer Wertigkeit werden Drehachsen mit Linsen (2-zählig), Dreiecken (3-zählig), Quadraten (4-zählig) und Sechsecken (6-zählig) gekennzeichnet. 2.4. 3-DIM GITTERSTRUKTUREN 33 Im Dreidimensionalen gibt es 14 Gitter Typen, auf die sämtliche Strukturen (es gibt 230 Raumgruppen) zurückgeführt werden können. Diese sind in sieben Kristallklassen unterteilt. Hinzu kommen mögliche Zentrierungen, wie sie auf der vorherigen Seite angegeben sind. Triklin a 6= b 6= c α 6= β 6= γ Monoklin a 6= b 6= c α = β = 90◦ 6= γ Orthorombisch a 6= b 6= c α = β = γ = 90◦ Tetragonal a = b 6= c α = β = γ = 90◦ Kubisch a = b = c α = β = γ = 90◦ Hexagonal a = b 6= c α = β = 90◦ γ = 120◦ Rhomboedrisch a = b = c α = β = γ < 120◦ 6= 90◦ Anmerkung x z y In der vorstehenden Tabelle sind 15(!) Strukturen angegeben. In älteren Kristallographie Büchern ist keine rhomboedrische (oder trigonale) Kri- stallklasse zu finden. Dies wird dort als rhomboedrisch zentriertes hexago- nales Gitter bezeichnet. Anschaulich wird lieber eine primitive Zelle ver- wendet, um ein Gitter zu beschreiben. In der Anwendung wird jedoch das rhomboedrische Gitter als Untergitter des hexagonalen Gitters verwen- det. Drei rhomboedrische Elementarzellen aufeinandergestapelt ergeben ein rhomboedrisch zentriertes hexagonales Gitter. Es ist nämlich oft ein- facher ein System anhand des hexagonalen Systems zu beschreiben indem man die rhomboedrische Zentrierung einführt, als die Beschreibung an- hand der Symmetrie des rhomboedrischen Systems durchzuführen. 2.4.2 Indizierungen Achsen in Kristallen werden anschaulich anhand ihrer Orientierung im Raum bezeichnet. Bei Ebenen hingegen ist nur eine Orientierung fest gegeben, nämlich die Senkrechte zu der Ebene. Um nun zu un- terscheiden, ob es sich bei einer Orientierungsangabe um Achsen, oder Ebenen handelt, werden unter- schiedliche Klammersymbole verwendet. Für Achsen/Richtungen werden eckige Klammern verwendet. [] für eine konkrete Richtung und <> für kristallographisch äquivalente Richtungen. Für Ebenen wird () und {} (krist. äquiv.) verwendet. Zum Beispiel umfaßt die Ebenenfamilie {111} die Ebenen (111), (111), (111) und (111), sowie weiterhin die entsprechenden vorzeichenverkehrten Ebenen. Analog umfaßt die Richtungsfamilie < 111 > die Richtungen [111] u.s.w.. Im Fall kubischer Symmetrie bezeichnet eine Ebene hkl 48 verschiedene Ebenen. Bei geringerer Symmetrie geht diese Vielfalt allerdings verloren. (100) (110) (111) Abbildung 2.1: Miller-Indizes und räumliche Lage einiger Netzebenen in kubischen Kristallen 2.4.3 Kristallstruktur der Metalle In diesem Abschnitt werden die für metallische Werkstoffe wichtigsten Gitter im Detail vorgestellt. Tabelle 2.1 zeigt die Kristallstrukturen der Elemente. 34 2. KRISTALLSTRUKTUREN 1 H hcp 2 He hcp 3 Li bcc 4 Be hcp 5 B rhom. 6 C diam. 7 N kub. 8 O 9 F 10 Ne fcc 11 Na bcc 12 Mg hcp 13 Al fcc 14 Si diam. 15 P 16 S 17 Cl 18 Ar fcc 19 K bcc 20 Ca fcc 21 Sc hcp 22 Ti hcp 23 V bcc 24 Cr bcc 25 Mn kub. 26 Fe bcc 27 Co hcp 28 Ni fcc 29 Cu fcc 30 Zn hcp 31 Ga 32 Ge diam. 33 As rhom. 34 Se hex. 35 Br 36 Kr fcc 37 Rb bcc 38 Sr fcc 39 Y hcp 40 Zr hcp 41 Nb bcc 42 Mo bcc 43 Tc hcp 44 Ru hcp 45 Rh fcc 46 Pd fcc 47 Ag fcc 48 Cd hcp 49 In tetr. 50 Sn diam. 51 Sb rhom. 52 Te hex. 53 I 54 Xe fcc 55 Cs bcc 56 Ba bcc 57 La hex. 72 Hf hcp 73 Ta bcc 74 W bcc 75 Re hcp 76 Os hcp 77 Ir fcc 78 Pt fcc 79 Au fcc 80 Hg rhom. 81 Tl hcp 82 Pb fcc 83 Bi rhom. 84 Po sc 85 At 86 Rn 87 Fr 88 Ra 89 Ac IA IIA IIIA IVA VA VIA VIIA VIIIA IB IIB IIIB IVB VB VIB VIIB VIII Tabelle 2.1: Kristallstrukturen der Elemente. Die angefürte Werte gelten für die gewönlichsten Formen bei Zimmer- temperatur. Aus der Tabelle ist sofort ersichtlich, daß die Metalle ZUM NACHDENKEN: • Wieviele Elemente kristallisieren in den Kristall- strukturen sc, bcc, fcc, hdp und wieviele in An- deren? fast ausnamslos in einer kubischen, oder hexagonal dich- test gepackten Struktur kristallisieren. Diese Strukturen werden im nun Folgenden näher behandelt. Das kubische Gitter Unter den Metallen kommt das kubische Gitter am häufigsten vor. Wie bereits erwähnt, werden drei Gitter unterschieden, nämlich das einfach kubische Gitter (sc), das kubisch raumzentrierte Gitter (bcc) und das kubisch flächenzentrierte (fcc) Gitter. Diese drei Gitter sind noch einmal in Abbildung 2.2 gezeigt. Abbildung 2.2: Die kubische Raumgitter. Die gezeigten Einheitszellen sind die gebräuchlichen Zellen. Die wichtigsten Eigenschaften der drei kubischen Gitter sind in Tabelle 2.2 einander gegenübergestellt. einfach kubisch raumzentriert flächenzentriert Volumen der gebräuchlichen Einheitszelle a3 a3 a3 Anzahl der Gitterpunkte pro Einheitszelle 1 2 4 Volumen der primitiven Zelle a3 1/2 a3 1/4 a3 Anzahl der Gitterpunkte pro Einheitsvolumen 1/a3 2/a3 4/a3 Anzahl der nächsten Nachbarn 6 8 12 Abstand zweier nächster Nachbarn a √ 3a/2 = 0.866a a/ √ 2 = 0.707a Anzahl der übernächsten Nachbarn 12 6 6 Abstand zum übernächsten Nachbarn √ 2a a a Pakungsverhältnis 1/6 π = 0, 524 1/8 π √ 3 = 0, 68 1/6 π √ 2 = 0, 74 Tabelle 2.2: Charakteristische Eigenschaften der kubischen Gitter. 34 2. KRISTALLSTRUKTUREN 1 H hcp 2 He hcp 3 Li bcc 4 Be hcp 5 B rhom. 6 C diam. 7 N kub. 8 O 9 F 10 Ne fcc 11 Na bcc 12 Mg hcp 13 Al fcc 14 Si diam. 15 P 16 S 17 Cl 18 Ar fcc 19 K bcc 20 Ca fcc 21 Sc hcp 22 Ti hcp 23 V bcc 24 Cr bcc 25 Mn kub. 26 Fe bcc 27 Co hcp 28 Ni fcc 29 Cu fcc 30 Zn hcp 31 Ga 32 Ge diam. 33 As rhom. 34 Se hex. 35 Br 36 Kr fcc 37 Rb bcc 38 Sr fcc 39 Y hcp 40 Zr hcp 41 Nb bcc 42 Mo bcc 43 Tc hcp 44 Ru hcp 45 Rh fcc 46 Pd fcc 47 Ag fcc 48 Cd hcp 49 In tetr. 50 Sn diam. 51 Sb rhom. 52 Te hex. 53 I 54 Xe fcc 55 Cs bcc 56 Ba bcc 57 La hex. 72 Hf hcp 73 Ta bcc 74 W bcc 75 Re hcp 76 Os hcp 77 Ir fcc 78 Pt fcc 79 Au fcc 80 Hg rhom. 81 Tl hcp 82 Pb fcc 83 Bi rhom. 84 Po sc 85 At 86 Rn 87 Fr 88 Ra 89 Ac IA IIA IIIA IVA VA VIA VIIA VIIIA IB IIB IIIB IVB VB VIB VIIB VIII Tabelle 2.1: Kristallstrukturen der Elemente. Die angefürte Werte gelten für die gewönlichsten Formen bei Zimmer- temperatur. Aus der Tabelle ist sofort ersichtlich, daß die Metalle ZUM NACHDENKEN: • Wieviele Elemente kristallisieren in den Kristall- strukturen sc, bcc, fcc, hdp und wieviele in An- deren? fast ausnamslos in einer kubischen, oder hexagonal dich- test gepackten Struktur kristallisieren. Diese Strukturen werden im nun Folgenden näher behandelt. Das kubische Gitter Unter den Metallen kommt das kubische Gitter am häufigsten vor. Wie bereits erwähnt, werden drei Gitter unterschieden, nämlich das einfach kubische Gitter (sc), das kubisch raumzentrierte Gitter (bcc) und das kubisch flächenzentrierte (fcc) Gitter. Diese drei Gitter sind noch einmal in Abbildung 2.2 gezeigt. Abbildung 2.2: Die kubische Raumgitter. Die gezeigten Einheitszellen sind die gebräuchlichen Zellen. Die wichtigsten Eigenschaften der drei kubischen Gitter sind in Tabelle 2.2 einander gegenübergestellt. einfach kubisch raumzentriert flächenzentriert Volumen der gebräuchlichen Einheitszelle a3 a3 a3 Anzahl der Gitterpunkte pro Einheitszelle 1 2 4 Volumen der primitiven Zelle a3 1/2 a3 1/4 a3 Anzahl der Gitterpunkte pro Einheitsvolumen 1/a3 2/a3 4/a3 Anzahl der nächsten Nachbarn 6 8 12 Abstand zweier nächster Nachbarn a √ 3a/2 = 0.866a a/ √ 2 = 0.707a Anzahl der übernächsten Nachbarn 12 6 6 Abstand zum übernächsten Nachbarn √ 2a a a Pakungsverhältnis 1/6 π = 0, 524 1/8 π √ 3 = 0, 68 1/6 π √ 2 = 0, 74 Tabelle 2.2: Charakteristische Eigenschaften der kubischen Gitter. 2.4. 3-DIM GITTERSTRUKTUREN 37 Eine besondere Form des hexagonalen Gitters ist die hexagonal dichtest gepackte Struktur. In diesem Fall enthält die Basis zwei Atome. Diese Atome bilden eine zusätzliche Ebene in der Mitte zwischen den hexagomalen Basisebenen, wobei die Atome in dieser Ebene um den Vektor ~r verschoben sind. ~r = 2 3 ~a1 + 1 3 ~a2 + 1 2 ~a3 Das Besondere an dieser Struktur liegt in der Packungsdichte, diese beträgt 0,74 und weist damit ex- akt den gleichen Wert auf wie die des kubisch flächenzentrierten Gitters. Dies kann man sich wie folgt veranschaulichen. Abbildung 2.7 zeigt eine dichtest gepackte Schicht von A A AA A A A C C C B B B Abbildung 2.7: Zur Stapelreihenfolge dichtest ge- packter Schichten von Kugeln. Kugeln, deren Mittelpunkte mit den Punkten iA zusam- menfallen. Eine zweite identische Schicht von Kugeln kann so über dieser angeordnet werden, daß deren Ku- gelmittelpunkte über die Punkte iB gelangen. Es gibt zei nicht gleichwertige Möglichkeiten für die dritte Schicht. Man kann sie über iA oder iC anordnen. Wenn man sie über iA anordnet, laut die Reihenfolge ABABAB.., und die Struktur ist hexagonal dichtest gepackt. Wenn man die dritte Schicht über iC anordnet, ist die Reihenfolge ABCABCABC..., und die Struktur ist kubisch flächen- zentrirt; die Ebene ist dann eine (111)-Ebene.                                                                                                                                                                                                                                       Abbildung 2.8: Die hexagonal dichtgepackte Struktur. Die Orte der einzelnen Atome ergeben kein Raumgitter. Das Raumgitter ist einfach hexagonal mit zei identischen Atomen als Basis auf jedem Gitterpunkt. ZUM NACHDENKEN: • Warum sind die Packungsdichten für fcc und hdp gleich - und wie werden sie berechnet? • Eine typische Büroklammer wiegt 0, 59 g und besteht aus bcc Eisen. Wie viele Elementarzellen und Atome enthält die Klammer? 38 2. KRISTALLSTRUKTUREN 2.5 Beugung Die Beugung an einem Atom, einem Paar von Atomen oder einer Atomreihe sind bekannt. An jedem Atom wird eine neue Wellenfront erzeugt. Dabei werden in einer Momentaufnahme mehrere Fronten beobachtet. Diese Wellenfronten interferrieren miteinander und je nachdem ob die Fronten gleichzeitig, oder von späteren Wellenfronten erzeugt wurden, wird die Ordnung der Intensität unterschieden. 0. 1. 3.4. 2. direkter Röntgenstrahl A tom reihe m=1 m=2 m=3 m=4 m=−2 m=0 m=−1 Der geometrische Ort aller von einem Punkt auslaufenden Richtungen , die einen festen Winkel mit einer Geraden bilden ist ein Kegelmantel. Der Öffnungswinkel der Kegel wird durch die Ordnung der Reflexion bestimmt. Die Atomreihe, die die Richtung der Kegelachse bestimmt, muß man sich im Schnitt’punkt’ zwischen Kegelachse und direktem Strahl denken. Die Kegel werden Lauekegel genannt. 2.5.1 Braggsches Gesetz Die Atome jeder Netzebene beugen Röntgenstrahlen scheinbar so, als würden die Wellen optisch reflektiert werden. Das Braggsche Gesetz beschreibt die phasengleiche Reflexion von einer Schar von Netzebenen. θ dhkl hklθ2d sin Abbildung 2.9: Geometrische Darstellung des Braggschen Gesetzes Die Phasenbedingung verlangt, daß die Wegdifferenz zwischen zwei benachbarten Ebenen ein vielfaches der Wellenlänge ist. nλ = 2d sin Θ (2.4) (d=Netzebeneabstand, λ=Wellenlänge, Θ= Beugungswinkel) Merke jedoch: Die Position der Röntgen- beugung hängt nur von der Zellgeometrie ab, die Amplitude der verschiedenen Beugungsmaxima jedoch wird von der Sorte und der Lage der Atome in der Elementarzelle beeinflußt. 2.5.2 Intensität gebeugter Strahlen • Atomfaktor (≈ Anzahl Elektronen des Atoms) • Strukturfaktor Fast jede Kristallstruktur besitzt eine Basis aus mehreren Atomen, wodurch meh- rere Reflexe mit gleicher Richtung aber unterschiedlicher Phasenbeziehung entstehen. 2.6. DAS REZIPROKE GITTER 39 dA dB • Absorptionsfaktor Strahlen durchlaufen eine endliche Dicke des Materials, was zu Absorption führt. • Temperaturfaktor Wenn T 6= 0 führt jedes Atom Schwingungen um seine Ruhelage (r0) aus. Dies führt zu einer Reflexverbreiterung • Polarisationsfaktor Die Strahlung ist nicht polarisiert, wohl aber der gebeugte Strahl. Hierdurch kommt es zu Intensitätsverlust • Lorentzfaktor Strahlen sind nicht streng monochromatisch und divergent. Dies beeinflußt die Linienform der Reflexe. Die folgende Auflistung gibt einen erweiterten Überblick über strukturelle Eigenschaften, die die Inten- sitäten von Röntgenreflexen verändern. Während sich Nahordnung und Clusterbildung im Vergleich zu der statistischen Besetzung in einer Veränderung der Untergrundstreuung auswirken, kommt es im Fall von Überstrukturen zu weiteren Reflexen. Statistische Besetzung q I Nahordnung q I Cluster q I Überstruk- tur q I 2.6 Das reziproke Gitter Das Braggsche Gesetz deutet sehr anschaulich die Beugung an einem Gitter. Es ist aber nicht einfach, gleichzeitig alle Netzebenenabstände in ihren verschiedenen Orientierungen zu überblicken. Das Bragg- sche Gesetz läßt sich aber auf eine bemerkenswerte Weise umformen, daß man diesen Überblick ganz leicht bekommt. Hierbei spielt das sogenannte reziproke Gitter eine bedeutene Rolle. Es wurde als Hilfskon- strukt eingeführt, um die Komplexität des realen Gitters zu veranschaulichen. Hierfür wird die Braggsche Gleichung 2.4 umgestellt. nλ = 2d sin Θ sin Θ = nλ 2d oder für n = 1 sin Θ = λ 2d Diese Gleichung ist in der nebenstehenden Abbildung geometrisch interpretiert. Hierbei wird in einem Kreis mit r = 1 unter einem Winkel von Θ ein Schenkel abgetragen (Richtung der Netzebe- ne). Die Länge der Sehne gegenüber dem Winkel ist 2 sin Θ. An- hand dieser Darstellung wird der Primärstrahl, die Richtung des gebeugten Strahles und die Normale der beugenden Netzebenen- schar dargestellt. Die Normale hat die Richtung der Kreissehne und hat die Länge λ 1 d . reflektierende Ebene hklθ gebeugter StrahlNormale zur Kristallebene direkter Strahl 2 2θ θ λ d hkl 1 42 2. KRISTALLSTRUKTUREN Analog gilt für die Gittervektoren des direkten Gitters in Relation zum reziproken Gitter: ~b∗ × ~c∗ V ∗ = ~a ~c∗ × ~a∗ V ∗ = ~b ~a∗ ×~b∗ V ∗ = ~c (2.12) mit V ∗ = ~a∗(~b∗ × ~c∗). Jede Kristallstruktur hat zwei mit ihr verbundene Gitter: 1. Das Kristall- oder direkte Gitter: Ein Gitter im Ortsraum, Die Dimension ist die einer Länge. Das mikroskopische Bild gibt eine Darstellung der Kristallstruktur. 2. Das reziproke Gitter (oder auch Gitter im Impuls- oder Fourier-Raum): Das Gitter befindet sich im Impulsraum und hat die Dimension einer Länge−1. Das Beugungsbild ist die Darstellung des reziproken Gitters. Ewaldsche Konstruktion Ein reziproker Gittervektor setzt sich aus der Linearkombination der jeweiligen Einheitsvektoren zusam- men: ~G = h~a∗ + k~b∗ + l~c∗ (2.13) Dieser reziproke Gittervektor hat für die Beugung an einem Kristall eine besondere Bedeutung. Die Menge der reziproken Gittervektoren bestimmt nämlich die möglichen Reflexe. k k’ k∆ Bei Streuung: ~k → ~k′ gilt: ~k′ = ~k + ∆~k Die Streuamplitude ist: F = ∫ n(~r) exp[−i∆~k~r]dV mit n(~r) = ∑ nG exp[i ~G~r] folgt F = ∑ G ∫ nG exp[i( ~G − ∆~k)~r]dV Die Streuamplitude ist nur dann nicht zu vernachlässigen, wenn das Argument der Exponentialfunktion verschwindet, also ∆~k = ~G (2.14) Diese Bedingung ist nur schwer zu erfüllen. Die Ewaldsche Konstruktion zeigt, wo ein Reflex zu finden ist. Man denke sich den Kristall im Mittelpunkt einer Kugel, deren Radius durch die Wellenlänge des ein- fallenden Röntgenstrahls gegeben ist. Der einfallende Wellenvektor zeigt hierbei immer auf den Ursprung des reziproken Gitters, der damit auf der Oberfläche der Kugel an dem Punkt liegt, wo der primäre Strahl die Kugel verläßt. Der Strahl verläuft immer entlang einem Durchmesser der Kugel. 2.6. DAS REZIPROKE GITTER 43 * * Θ k a a bb k’ G Abbildung 2.11: Zur Ewaldschen Konstruktion. Das graue Gitter ist das im Zentrum der Kugel liegende Kristallgitter, während das schwarze Gitter das reziproke Gitter repräsentiert. Der Vektor ~k weist in die Einfallsrichtung der Strahlung und endet an einem beliebigen Punkt des reziproken Gitters. Die Kugel hat den Radius λ. An jedem Punkt, der auf der Kugel liegt entsteht ein gebeugter Strahl. Bei willkürlicher Orientierung liegt im Allgemeinen kein Gitterpunkt auf der Oberfläche der Kugel. Unter diesen Umständen entsteht keine Beugung der Strahlung, da die Wegdifferenz zwischen zwei parallelen Wellen vor und nach einer Beugung in die Richtung des betrachteten Durchstoßpunktes an der Ober- fläche der Kugel kein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge ist. Liegt jedoch ein reziproker Gitterpunkt auf der Oberfläche der Kugel, so ist fuer diesen Punkt die Braggsche Reflexionsbedingung erfüllt und es kommt zu einem Reflex. Um die Richtungen möglicher Reflexe zu finden, stellt man sich einen vollständigen Ausschnitt des re- ziproken Gitters in der Nachbarschaft der Ausbreitungskugel vor. Das reziproke Gitter wird nun nach irgendeiner Vorschrift gedreht. Immer wenn irgendein reziproker Gitterpunkt auf die Kugeloberfläche tritt entsteht ein Reflex in diese Richtung (vom Mittelpunkt der Kugel aus gesehen). Die Brillouin Zone Eine weitere Bedeutung kommt dem reziproken Gitter durch seine Wigner Seitz Zelle zu. Diese ist eine primitive Zelle des reziproken Gitters, die wie folgt konstruiert wird. Man zeichnet die Verbindungsgeraden von einem gegebenen Punkt im reziproken Gitter zu allen seinen Nachbarn. Danach konstruiert man die Mittelsenkrechten (in 3-dim Ebenen). Die kleinste so entstehende Fläche (in 3-dim Volumen) ist die Wigner Seitz Zelle. Mit diesen Zellen kann man den gesamten Raum ohne Lücken füllen. Die Bedeutung der Brillouin Zone ist in der Festkörperphysik von zentra- ler Bedeutung, man nennt sie auch erste Brillouin Zone. Durch einen reziproken Gittervektor kann jeder Wellenvektor so verschoben werden, daß er auf einen Punkt in der ersten Bril- louin Zone zeigt. Hierdurch vereinfacht die Physik in eindrucksvoller Weise, da die Beschreibung von Fermiflächen, Elektronenbahnen, Energiebändern und dergleichen sich mehr auf die erste Brillouin Zone beschränken kann. 2.6.2 Die reziproken Gitter der kubischen Strukturen Das reziproke Gitter des einfach kubischen Gitters Die Basisvektoren des Kristallgitters sind: ~a1 = a~x ~a2 = a~y ~a3 = a~z 44 2. KRISTALLSTRUKTUREN ~x, ~y und ~z sind orthogonale Einheitsvektoren, dann gilt ~a2 × ~a3 = a~y × a~z = a2[~y × ~z] = a~x ... und für das Volumen gilt: V = ~a1 · ~a2 × ~a3 = a~x · a2~x = a3 Nach Gleichung 2.9 lauten dann die Basisvektoren des reziproken Gitters: ~a2 × ~a3 V = ~a∗1 ~a3 × ~a1 V = ~a∗2 ~a1 × ~a2 V = ~a∗3 Das reziproke Gitter ist ebenfalls einfach kubisch mit der Gitterkonstanten 1 a . Die erste Brillouin Zone wird von Grenzflächen umschlossen, die durch Ebenen gebildet sind, die senkrecht auf den Gittervektoren (±~a∗1, ±~a∗2 und ±~a∗3) des reziproken Gitters stehen und diese in der Mitte schneiden, also ±1 2 ~a∗1 = ± 1 2a ~x ± 1 2 ~a∗2 = ± 1 2a ~y ± 1 2 ~a∗3 = ± 1 2a ~z Die erste Brillouin Zone hat die Gestalt eines Würfels mit der Kantenlänge 1 a und dem Volumen ( 1 a )3 . Das reziproke Gitter des kubisch raumzentrierten Gitters Die in Abbildung 2.12 gezeigten primitiven Basisvektoren können als Funktion der Kantenlänge des kubischen Gitters dargestellt werden. Sie lauten: ~a1 = a 2 (~x + ~y − ~z) ~a2 = a 2 (−~x + ~y + ~z) ~a3 = a 2 (~x − ~y + ~z) y z x a2 a1 a3 Abbildung 2.12: Primitive Translationen des kubisch raumzentrirten Gitters; diese Vektoren verbinden den Gitterpunkt am Ursprung mit dem Gitterpunkt in der Würfelmitte. Die primitive Gitterzelle erhält man aus diesen Achsen ein vollständiges Rhomboeder aufbaut. Das Volumen der primitiven Einheitszelle ist: V = ~a1 · ~a2 × ~a3 = ~a1 · (( −a 2 ~x + a 2 ~y + a 2 ~z ) × (a 2 ~x − a 2 ~y + a 2 ~z )) = ~a1 · ((a 2 a 2 − ( −a 2 ) a 2 ) ~x + (a 2 a 2 − ( −a 2 ) a 2 ) ~y + (( −a 2 ) a 2 − a 2 a 2 ) ~z ) 2.7. RÖNTGEN DIFFRAKTION 47 Die Brillouin Zone wird wiederum durch die Ebenen gekennzeichnet, die diese Vektoren in ihrer Mitte schneiden, also bei: 1 2a (±~x ± ~y ± ~z) Abbildung 2.16: Brillouin-Zone des kubisch flächenzentrierten Gitters. Die Einheitszellen sind im reziproken Raum, das reziproke Gitter ist kubisch raumzentriert. Die Bedeutung der ersten Brillouin Zone Nur Wellen, deren Wellenvektor (vom Ursprung aus aufgetragen) auf der Oberfläche der Brillouin Zone enden werden durch den Kristall gebeugt. Dies ist wichtig fuer Kristallstrukturanalysen durch Röntgen- oder Neutronenbeugung. Das Selbe gilt fuer Elektronenbeugung, woraus die Bandstruktur ermittelt wird. Die Bandstruktur wird im Übrigen stets innehalb der Brillouin Zone aufgetragen, und zwar entlang eines speziellen Weges. Letzendlich werden auch Gitterschwingungen anhand der Brillouin Zone beschrieben. 2.7 Röntgen Diffraktion An dieser Stelle soll weniger auf die Methoden eingegangen werden, als das ihre prinzipielle Funktionsweise erläutert werden. Prinzipiell muß die Beugungs-Bedingung erfüllt sein, damit ein Beugungsbild entstehen kann. Die Laue Methode arbeitet mit weißem Röntgenlicht. Es werden Einkristalle untersucht. Abhängig von der Orientierung des Kristalls zum Primärstrahl entsteht ein Beugungsbild für alle möglichen Scharen von Netzebenen. Dies ist möglich, da in weißem Röntgenlicht jede beliebige Wellenlänge enthalten ist und hierdurch jeder beliebige Netzebenenabstand die Röntgenstrahlen mit der passenden Wellenlänge zur Interferrenz bringen kann. Hier gezeigt ist ein Kristall, der leicht gedreht ist. Sein Abbild, das reziproke Gitter ist in die selbe Richtung gedreht, wie der Kristall im Ortsraum. Kommen nun mehrere Kristalle in den Strahl, so überlagern sich die reziproken Gitter im Ursprung. Da jedes Abbild der Rotation des dazugehörigen Kristalls folgt, erscheinen die verschiedenen reziproken Gitter um ihren Ursprung gegeneinander verdreht. Werden beliebig viele Kristalle in den Strahl gebracht verschmieren die Punkte der reziproken Gitter zu Kreisbahnen. 2.7. RÖNTGEN DIFFRAKTION 47 Die Brillouin Zone wird wiederum durch die Ebenen gekennzeichnet, die diese Vektoren in ihrer Mitte schneiden, also bei: 1 2a (±~x ± ~y ± ~z) Abbildung 2.16: Brillouin-Zone des kubisch flächenzentrierten Gitters. Die Einheitszellen sind im reziproken Raum, das reziproke Gitter ist kubisch raumzentriert. Die Bedeutung der ersten Brillouin Zone Nur Wellen, deren Wellenvektor (vom Ursprung aus aufgetragen) auf der Oberfläche der Brillouin Zone enden werden durch den Kristall gebeugt. Dies ist wichtig fuer Kristallstrukturanalysen durch Röntgen- oder Neutronenbeugung. Das Selbe gilt fuer Elektronenbeugung, woraus die Bandstruktur ermittelt wird. Die Bandstruktur wird im Übrigen stets innehalb der Brillouin Zone aufgetragen, und zwar entlang eines speziellen Weges. Letzendlich werden auch Gitterschwingungen anhand der Brillouin Zone beschrieben. 2.7 Röntgen Diffraktion An dieser Stelle soll weniger auf die Methoden eingegangen werden, als das ihre prinzipielle Funktionsweise erläutert werden. Prinzipiell muß die Beugungs-Bedingung erfüllt sein, damit ein Beugungsbild entstehen kann. Die Laue Methode arbeitet mit weißem Röntgenlicht. Es werden Einkristalle untersucht. Abhängig von der Orientierung des Kristalls zum Primärstrahl entsteht ein Beugungsbild für alle möglichen Scharen von Netzebenen. Dies ist möglich, da in weißem Röntgenlicht jede beliebige Wellenlänge enthalten ist und hierdurch jeder beliebige Netzebenenabstand die Röntgenstrahlen mit der passenden Wellenlänge zur Interferrenz bringen kann. Hier gezeigt ist ein Kristall, der leicht gedreht ist. Sein Abbild, das reziproke Gitter ist in die selbe Richtung gedreht, wie der Kristall im Ortsraum. Kommen nun mehrere Kristalle in den Strahl, so überlagern sich die reziproken Gitter im Ursprung. Da jedes Abbild der Rotation des dazugehörigen Kristalls folgt, erscheinen die verschiedenen reziproken Gitter um ihren Ursprung gegeneinander verdreht. Werden beliebig viele Kristalle in den Strahl gebracht verschmieren die Punkte der reziproken Gitter zu Kreisbahnen. 48 2. KRISTALLSTRUKTUREN In den mittleren Darstellungen des reziproken Gitters sind jeweils nur Ausschnitte des Gitters gezeigt. Das rechte Bild zeigt den Ursprung des reziproken Gitters in der Bildmitte. Es ist leicht einzusehen, daß die Laue Methode für Orientierungsbestimmungen an Einkristallen und nicht an Polykristallen einge- setzt wird. Laue Bilder eines kubischen Systems sind hier beispielhaft für die < 100 > und < 111 > Orientierungen gezeigt. ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` < 100 > ` ` `` ` `` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ```` ` ``````` `` ` `````` `` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ``````` ```````` ` `` `` ````` ``` `` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ```` ` ` ` ` ` ` ` `````` ` ` ` ````` `` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ` ````` ` ` ` ````` ` ` ` ``` ` ````` ` ```` ``` ` ` ` ` ` ` ` ` `` ` ` ` ` ` ` ```` ` ` ``` < 111 > Für polykristalline Proben ist diese Methode unzweckmäßig und es kommen Pulver Diffraktions Me- thoden zum Einsatz. Pulverdiffraktometer messen nicht in zwei Dimensionen, sondern nur in einer. Dies entspricht einem Intensitätsprofil entlang des Radius eines der gezeigten Bilder. 2Θ I Für Pulverproben werden monochromatische Röntgenstrahlen verwendet. Durch die große Anzahl und der statistischen Verteilung der Kristallite wird jede beliebige Orientierung durch den Strahl erfaßt. Ist die Bragg-Bedingung erfüllt, so kommt es unter den vorgegebenen Winkeln zur Beugung. Prinzipiell ist es auch möglich Einkristalle mit monochromatischen Röntgen- strahlen zu untersuchen. Hierbei muß für jede einzelne Schar von Netzebenen der gesamte Winkelbereich abgerastert werden, um zu testen, ob die Refle- xionsbedingung für diese Anordnung erfüllt werden kann. Hieraus sieht man schon, daß dies ein sehr aufwendiges Verfahren ist und in der Praxis nur für ganz besondere Aufgaben eingesetzt wird (Vierkreisdiffraktometrie). 2.7.1 Die ITs (International Tables for Crystallography) Die ITs bestehen aus mehreren Bänden (Volume A: Space-Group Symmetry; Volume B: Reciprocal Space; Volume C: Mathematical, Physical and Chemical Tables; Volume D: Physical properties of cry- stals Volume E: Subperiodic Groups; Volume F: Crystallography of Biological Macromolecules; Volume G: Definition and exchange of crystallographic data). Der Zweck dieser Reihe ist es Daten, die zur Anwen- dungen der kristallographischen Methoden in allen Wissenschaften relevant sind, zu sammeln und kritisch auszuwerten. Dabei wird besonders Wert auf die Struktur und Eigenschaften der Materialien gelegt. Die einzelnen Bände bestehen aus Tabellen, die von praktischen Erklärungen und Beispielen begleitet werden. Für die Metallphysik in der Anwendung ist der Teil A über die Theorie und praktische Anwendungen der Raumgruppen der wohl wichtigste. Im nun Folgenden (siehe Doppelseite 50,51) sind die Seiten aus den ITs zur Raumgruppe I 4/mmm aufgefürt. An diesem Beispiel soll die Struktur der ITs verdeutlicht werden. Die Kopfzeile iA enthält die verschiedenen Symbolde, die die Raumgruppe klassifizieren. Auf der ersten Seite für jede Raumgruppe stehen in zwei Zeilen von links nach rechts: Das kurze Hermann-Mauguin 2.7. RÖNTGEN DIFFRAKTION 51 iA iF iG iH iI CONTINUED No.139 I 4/mmm Generators selected (1); t(1, 0, 0), t(0, 1, 0); t(0, 0, 1); t( 1 2 , 1 2 , 0); (2); (3); (5); (9) Positions Multiplicity, Coordinates Reflection condition Wyckoff letter, Site symmetry (0, 0, 0)+ ( 1 2 , 1 2 , 1 2 )+ General: 32 o 1 (1) x, y, z (2) x, y, z (3) y, x, z (4) y, x, z hkl: h + k + l = 2n (5) x, y, z (6) x, y, z (7) y, x, z (8) y, x, z hk0: h + k = 2n (9) x, y, z (10) x, y, z (11) y, x, z (12) y, x, z 0kl: k + l = 2n (13) x, y, z (14) x, y, z (15) y, x, z (16) y, x, z hkl: l = 2n 00l: l = 2n h00: h = 2n Special: as above, plus 16 n .m. 0, y, z 0, y, z y, 0, z y, 0, z no extra conditions 0, y, z 0, y, z y, 0, z y, 0, z 16 m ..m x, x, z x, x, z x, x, z x, x, z no extra conditions x, x, z x, x, z x, x, z x, x, z 16 l m.. x, y, 0 x, y, 0 y, x, 0 y, x, 0 no extra conditions x, y, 0 x, y, 0 y, x, 0 y, x, 0 16 k ..2 x, x + 1 2 , 1 4 x, x + 1 2 , 1 4 x + 1 2 , x, 1 4 x + 1 2 , x, 1 4 hkl: l = 2n x, x + 1 2 , 3 4 x, x + 1 2 , 3 4 x + 1 2 , x, 3 4 x + 1 2 , x, 3 4 8 j m2m . x, 1 2 , 0 x, 1 2 , 0 1 2 , x, 0 1 2 , x, 0 no extra conditions 8 i m2m . x, 0, 0 x, 0, 0 0, x, 0 0, x, 0 no extra conditions 8 h m . 2m x, x, 0 x, x, 0 x, x, 0 x, x, 0 no extra conditions 8 g 2mm . 0, 1 2 , z 1 2 , 0, z 0, 1 2 , z 1 2 , 0, z hkl: l = 2n 8 f ..2/m 1 4 , 1 4 , 1 4 3 4 , 3 4 , 1 4 3 4 , 1 4 , 1 4 1 4 , 3 4 , 1 4 hkl: k, l = 2n 4 e 4mm 0, 0, z 0, 0, z no extra conditions 4 d 4m2 0, 1 2 , 1 4 1 2 , 0, 1 4 hkl: l = 2n 4 c mmm . 0, 1 2 , 0 1 2 , 0, 0 hkl: l = 2n 2 b 4/mmm 0, 0, 1 2 no extra conditions 2 a 4/mmm 0, 0, 0 no extra conditions Symmetry of special projections Along [001] p4mm Along [100] c2mm Along [010] p2mm a′ = 1 2 (a − b) b′ = 1 2 (a + b) a′ = b b′ = c a′ = 1 2 (−a + b) b′ = 1 2 c Origin at 0, 0, z Origin at x, 0, 0 Origin at x, x, 0 Maximal non-isomorphic subgroups I [2] I 422 (1; 2; 3; 4; 5; 6; 7; 8)+ [2] I 4/m 1 1 (I 4/m) (1; 2; 3; 4; 9; 10; 11; 12)+ [2] I 4mm (1; 2; 3; 4; 13; 14; 15; 16)+ [2] I 42m (1; 2; 5; 6; 11; 12; 15; 16)+ [2] I 4m 2 (1; 2; 7; 8; 11; 12; 13; 14)+ [2] I 2/m 2/m 1 (Immm) (1; 2; 5; 6; 9; 10; 13; 14)+ [2] I 2/m 1 2/m (Fmmm) (1; 2; 7; 8; 9; 10; 15; 16)+ (Continued on preceding page) 52 2. KRISTALLSTRUKTUREN 2.7.2 Experimentelle Röntgendiffraktion Mittels einer Meßanordnung in Bragg-Brentano-Geometrie, in der die Bragg-Reflexe unter doppelten Beugungswinkel 2Θ beobachtet werden, kann die Kristallstruktur einer polikristallinen Probe bestimmt werden. Die an den Netzebenen gebeugten Strahlen ergeben einen Kegelmantel, dessen Öffnungswinkel dem Abstand der betreffenden Netzebenen entspricht. Hierdurch ist eine Rekonstruktion der Kristall- struktur möglich. Ist diese bekannt, so kann im Fall kubischer Materialien die Gitterkonstante nach Gleichung 2.16 berechnet werden. sin2 Θ = λ2 4a2 (h2 + k2 + l2) (2.16) Hierin ist Θ der Winkel, unter dem die Reflexe erscheinen, a die Gitterkonstante, λ die Wellenlänge der eingestrahlten Röntgenstrahlung und hkl die Millerschen Indices. 0 200 400 600 800 1000 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Intensität [willk. Einh.] Winkel 2Θ Abbildung 2.17: Diffraktogramm einer BaxK1−xBiO3 Pulverprobe, gemessen mit CuKα, λ = 0, 15406 nm. Die Reflexlagen und -Indizierungen dieses Diffrakto- ZUM NACHDENKEN: • Wie groß ist die Gitterkonstande der BaxK1−xBiO3 Pulverprobe (s. Abb. 2.17 und Tab. 2.3)? gramms sind in Tabelle 2.3 angeführt. BaxK1−xBiO3 besitzt eine kubische Provskitstruktur (Raumgruppe Pm3m; 221). (1 0 0) 20,67 (2 2 0) 60,98 (3 2 1) 84,32 (1 1 0) 29,39 (2 2 1), (3 0 0) 65,12 (4 0 0) 91,70 (2 0 0) 42,05 (3 1 0) 69,12 (4 1 0) 95,40 (2 1 0) 47,30 (2 2 2) 76,84 (3 3 0), (4 1 1) 99,12 (2 1 1) 52,13 (3 2 0) 80,60 Tabelle 2.3: Reflex-Indizierung und -Lage der Röntgenreflexe einer BaxK1−xBiO3 Pulverprobe. 2.8. APERIODISCHE ORDNUNG 53 2.8 Aperiodische Ordnung Die Bravais Gitter können nur 2, 3, 4 oder 6 zählige Symmetrieachsen haben. 1982 wurde die Klasse der Quasikristalle entdeckt (Shechtman), die unter anderen eine fünfzählige Symmetrie hat. Seither stellen die Quasikristalle ein verwirrendes Puzzlespiel dar: Warum bilden Atome ein komplexes quasiperiodisches Muster anstelle einer regulären und sich wiederholenden Kristallanordnung? Obwohl es keine Kristallstruktur mit periodisch wiederkehrender Ordnung gibt, wird in Röntgen- und Elektronenbeugungsexperimenten eine langreichweitige Ordnung nachgewiesen, die die Grundlage für ein Beugungsmuster ist. Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine langreichweitige aperiodische Ordnung. Mit dem sogenannten Penrose Muster gelingt es eine Fläche mit zwei Clustern zu bedecken, ohne daß sich die Cluster überlappen, oder Lücken zurück lassen. Abbildung 2.18: Zweidimensionales Penrose Muster mit fünf-zähligen Symmetrieelementen. Darüberhinaus gibt es Strukturen, die in einer Ebene aperiodisch geordnet sind und in der dritten Dimen- sion eine periodische Ordnung aufweisen. Auch im Dreidimensionalen gelingt es ein Volumen mit zwei unterschiedlichen Clustern lückenlos zu füllen, sodaß in allen Raumrichtungen eine aperiodische Ordnung entsteht. Die wohl bekanntesten Strukturen sind der Ikosaeder (links) und der Dodekaeder (rechts) Einige Eigenschaften der Quasikristalle: • Im Allgemeinen schlechte elektrische und thermische Leitfähigkeit (obwohl nur aus Metallen aufgebaut). • Hart und spröde • Geringe Reibung Mit der Entdeckung der Quasikristalle ist eines der Dogmen der Festkörperphysik gefallen. Hierdurch ist ersichtlich, daß selbst die relativ alte Festkörperphysik keine abgeschlossene Naturwissenschaft ist. 56 3. KRISTALLISATION 3.1 Keimbildung Wird eine Schmelze unter die Schmelztemperatur abgekühlt, so stellt sich nicht spontan der feste Zu- stand ein. Dies liegt daran, daß sich ein fester Keim, also ein kleines Volumen mit kristalliner Anordnung von endlicher Größe durch thermische Fluktuationen bilden muß. Solche Fluktuationen kommen auf- grund thermisch verursachter Atombewegungen immer vor. Oberhalb der Schmelztemperatur ist der Keim grundsätzlich instabil, das heißt er löst sich schneller auf, als er wachsen kann. Bei Temperaturen unterhalb des Schmelzpunktes gibt es zwar eine treibende Kraft, die ein Wachstum des Keimes fordert. Da es aber auch bei diesen Temperaturen thermische Fluktuationen gibt, kommt es auch zu Auflösepro- zessen, die den Keim verkleinern. Es gibt noch einen weiteren Beitrag, der einen Keim wieder aufzulösen versucht. Die Oberfläche eines Keimes liefert immer einen positiven Beitrag zur spezifischen Energie ei- nes Objektes (γ). Bildet man einen Keim, so gewinnt man Volumenenergie aufgrund der Tatsache, daß das Volumen des Keimes eine geringere freie Enthalpie aufweist, als die umgebene Schmelze. Zum an- deren muß Oberflächenenergie aufgewendet werden. Ein kleiner Keim kann in erster Näherung als rund betrachtet werden. Damit gilt für einen kugelförmigen Keim: ∆GK = − 4 3 πr3∆GU + 4πr 2γ (3.1) G∆ ∆G ∆G ~r 3 ~r 2 ∆G r K V O G∆ ∆G ~r 2 ∆G ∆G ~r 3 r K r* V O Abbildung 3.1: Freie Enthalpie und deren Oberflächen und Volumenanteil eines idealen kugelförmigen Keims für T > TS (links) und T < TS (rechts). Für T > TS ist ∆GU < 0 → ∆GK ist immer positiv. Jeder Keim zerfällt daher unter Energiegewinn. Für T < TS nimmt die freie Enthalpie eines Keimes erst ab einem kritischen Radius ab. Um diesen Wert zu bestimmen, wird das Maximum der freien Enthalpie bestimmt (Ableitung). d(∆GK) dr = 0 (3.2) −4πr2∆GU + 8πrγ = 0 (3.3) 8πγ = 4πr∆GU (3.4) 2γ ∆GU = r = r∗ (3.5) Im Maximum der freien Enthalpie sind die chemischen Potentiale im Keim und in der umgebenen Phase gleich. Allerdings ist das Gleichgewicht labil, da sowohl eine Vergrößerung, als auch eine Verkleinerung des Keims eine Verringerung der freien Enthalpie des Systems bewirken. Erst größere Keime haben im Vergleich mit ihrer Umgebung (Grenzfläche) eine positive Energiebillanz und wachsen weiter. Jeder Keim muß diesen Potentialwall überwinden. Man nennt dies auch Keimbildungsarbeit, sie ent- spricht einer Aktivierungsenergie für die Keimbildung, die durch thermische Fluktuationen aufgebracht werden muß. Damit hängen die ∆GK und r ∗ Werte empfindlich von der Überschreitung ab. Sie sind für 3.1. KEIMBILDUNG 57 kleine Überschreitungen unendlich groß und verringern sich mit zunehmender Temperaturerniedrigung unterhalb des Schmelzpunktes. G∆ Teq T3 K 1r (T ) r (T )K 2 r (T )K 3 T2 T1 G (T )K 1 G (T )K 2 k r ∆ ∆ T r* ∆ Abbildung 3.2: Freie Enthalpie eines Keimes in Abhängigkeit von der Temperatur T3 < T2 < T1 < TS (links). Kritischer Keimradius in Abhängigkeit von der Unterkühlung (rechts). Da die Keimbildung durch thermische Fluktuationen erfolgt kann man eine Keimbildungsgeschwindigkeit definieren: Ṅ ∝ exp [ ∆G kT ] (3.6) Da G stark von der Temperatur abhängt machen sich kleine Unterkühlungen in starken Änderungen von Ṅ bemerkbar. Es wird zwischen homogener Keimbildung                                                                                                                                                                                                    Schmelze Keime Keime Schmelze                                                                                                                                                                                                                         Abbildung 3.3: Schemata der homogenen (links) und he- terogenen Keimbildung (rechts). und heterogener Keimbildung unterschieden. Homogene Keimbildung findet in der Schmel- ze nach den eben beschriebenen Abläufen statt. Im Fall der heterogenen Keim- bildung kann ein Teil der Oberfläche des Keimes durch die Tiegelwand, oder durch Schwebeteilchen in der Schmelze bereitge- stellt werden. Hierdurch verringert sich die zur Keimbildung notwendigerweise aufzubringende Oberflächenenergie und der Keim kann leichter wachsen, als dies im homogenen Fall der Fall wäre. Es gilt: ∆Ghet = f∆Ghom ; f ≤ 1 (3.7)   γSW SK γ Keim Schmelze Wand Θ Θ Θ γKW Beispielsweise gilt für die Keimbildung an einer glatten Wand: f = 1 4 (2 + cos Θ)(1 − cos Θ)2 Θ - Benetzungswinkel. Ist dieser sehr gross geht f → 1, was be- deutet, daß der Tropfen so gut wie nicht benetzt. Es liegt der Fall der homogenen Keimbildung vor. Ist der Winkel sehr klein, wird die gesamte Wand bekeimt f → 0. Ist der Winkel gerade θ = 90◦ so wird cos Θ = 0 und f = 1/2. In diesem Fall ist die Gestalt des Keimes an der Wand gerade eine Halbkugel. Im Vergleich zu ei- nem homogenen Keim muß nur die Hälfte an Oberflächenenergie aufgebracht werden. Wenn bei der Kristallisation von spontaner Keimbildung ausgegangen wird kommt es bei der Einkri- stallzüchtung zu einer Reihe von Problemen. Zunächst muß eine relativ große Überschreitung hergestellt werden, die Keimbildung setzt dann aber sehr vehement und mit einer unerwünscht großen Anzahl von 58 3. KRISTALLISATION Keimen ein, die nicht schnell genug zurückgenommen werden kann. Die Schmelze kristallisiert an vie- len Stellen gleichzeitig. Eine Möglichkeit, dies Problem in den Griff zu bekommen, besteht darin, die Schmelze nur an einem Punkt zu unterkühlen. Bei der Czochalski-Methode wird ein kalter Keimkristall in die Schmelze eingetaucht, an dem die Kristallisation erfolgt. Dieser Keim wird langsam wieder aus der Schmelze hinausgezogen; an ihm wächst der Kristall. Durch den Einsatz eines solchen Impfkristalls kann die spontane Keimbildung in der Schmelze unterdrückt werden. Durch den Impfkristall kann auch die Wachstumsrichtung und -kinetik vorgegeben werden. Allerdings muß dafür Sorge getragen werden, daß der Impfkristall nicht beim Eintauchen in die Schmelze aufgelöst wird. Wenn es möglich ist verwendet man daher gerne isostrukturelle Kristalle mit höheren Schmelzpunkten. Eine andere Möglichkeit besteht in der Auslese der wachsenden Keime. Dies kann am wirkungsvollsten durch eine Verjüngung des für die wachsenden Kristalle zu Verfügung stehenden Querschnitts erfolgen. 3.2 Kristallwachstum Nach der Bildung eines stabilen Keimes wächst dieser durch die Anlagerung weiterer Bausteine weiter. Da die Energie der Oberfläche des wachsenden Kristalls von der Kristallographischen Richtung abhängt, versucht das System seine Energie so gering wie möglich zu halten, indem die Oberfläche mit höherer Energie so gering wie möglich gehalten wird.                                                                                                                          b a                                                         b a Abbildung 3.4: Kristallwachstum auf einer Fläche geringer Energie; sie wird schneller bedeckt, als der Kristall in andere Richtungen (z.B. senkrecht dazu) wachsen kann. Die Oberfläche wird von den langsam wachsenden Ebenen gebildet, denn die schnell wachsenden Ebenen verschwinden im Laufe der Zeit. Das wohl bekannteste Modell für das Kristallwachstum stammt von Kossel und Stranski. Nach diesem Modell gibt es für die Bausteine (Atome / Moleküle) an den Oberflächen eines Kristalls verschiedene Positionen, die durch unterschiedliche Bindungsenergien gekennzeichnet sind. 2 3 1 2 33 2 1 1 5 5 Abbildung 3.5: Zum Modell von Kossel und Stranski: Verschiedene Stadien des Flächenwachstums einer Oberfläche (von links nach rechts: vollständige Fläche - Wachstum von Rand - Wachstum von Nukleationszentren auf der Ober- fläche) sowie verschiedene Lagen auf der Oberfläche eines Kristalls gekennzeichnet durch ihre Bindungsenergien. Die Abtrennarbeit, die aufgewendet werden muß, um einen Baustein aus dem Kristallverbund abzutren- nen, hängt empfindlich von seiner Position ab, was sich aus Unterschieden in der Anzahl und Anordnung der Nachbarn für die einzelnen Positionen erklärt. Von Besonderer Bedeutung ist hierbei die Halbkri- stalllage. Beim Aufbau eines Kristalls werden fast alle Bausteine über solche Halbkristalllagen angela- gert. Der Energiegewinn beim Anlagern eines Bausteines in ein Loch ist größer als der Gewinn bei der 60 3. KRISTALLISATION                 T x TS Kristall Schmelze Abbildung 3.7: Temperaturverlauf an der Erstarrungsfront eines Kristalls bei Wärmeabfuhr durch die Schmelze. Wächst in diesem Regime der Kristall über die Front hinaus, so wächst er sehr schnell weiter, da an ihm die kalte Schmelze kristallisiert. Es bilden sich lange und dünne Kristalle, die sich häufig in andere Richtungen weiter verzweigen. Diese Gebilde heißen Dendriten. In diesem Fall bewegt sich die Erstarrungsfront uneben und nicht stabil. Abbildung 3.8: Strukturbildung eines wachsenden Dendriten (T. Wilke) Einfluß von Fremdatomen Fremdatome neigen bei der Erstarrung dazu, sich in der Schmelze anzureichern. Hierdurch wird die Erstarrungstemperatur weiter abgesenkt. In Legierungen besteht in der Regel ein endlicher Temperatur- bereich, in dem Schmelze und Kristall nebeneinander im Gleichgewicht stehen. Auf diesen Sachverhalt wird im Zusammenhang mit den Phasendiagrammen im nächsten Kapitel eingegangen. 3.3 Erstarrung von Legierungen Da es neben der Kenntnis über die Existenz und das Aussehen von Phasendiagrammen wichtig ist, diese auch lesen zu können, werden nun noch einige besondere Punkte bei der Erstarrung von mehrkompo- nentigen Schmelzen herausgestellt und danach im Detail auf die Phasendiagramme eingegangen. Da in Legierungen die Schmelze und eine feste Phase durch ein Homogenitätsgebiet, in dem beide Phasen ne- beneinander vorliegen, getrennt sind ist es wichtig zu verstehen, wie die Kristallisation einer festen Phase von Statten geht. 3.3. ERSTARRUNG VON LEGIERUNGEN 61 Kristallisiert man aus einer Schmelze bei einer festen Temperatur eine feste Phase aus, so haben Schmelze und feste Phase eine nominell unterschiedliche Zusammensetzung, nämlich diejenige, an denen die Konode bei der Temperatur die Solidus- beziehungsweise Liquiduslinie durchstößt. Im Zusammenhang mit der Kristallisation wurde bereits die Problematik des Wärmeflusses besprochen. An dieser Stelle tritt noch das Problem der Diffusion hinzu, da es zwischen Schmelze und fester Phase einen Konzentrationsunterschied gibt, Auf Diffusionsprozesse wird später noch einmal genauer eingegangen; an dieser Stelle betrachten wir die isotherme Diffusion mit konstanten Diffusionskoeffizienten. Die Diffusion ist die Voraussetzung für die Beschreibung der Kinetik von Festkörperreaktionen, wobei eine inhomogene Konzentrationsverteilung Voraussetzung für die Diffusion ist. Diese ist zugleich die treibende Kraft. jD = −D dx dr (3.8) jD - Diffusionsstrom; D - Diffusionskonstante; dx dr - örtliche Änderung der Konzentration. Dies ist das sogenannte erste Ficksche Gesetz. Wenn die Wärme durch den Kristall abgeleitet wird ergibt sich ein Temperaturverlauf, wie er in den rechten Teilbildern von Abbildung 3.9 für verschiedene Diffusionszustände gezeigt wird. Die gestrichelten Linien geben den Temperaturverlauf an der Erstarrungsfront beim Durchlaufen der Front wieder. Die gepunktete Kurve gibt die Liquiduslinie der Schmelze wieder, die sich gemäß des Zustandsdiagramms (oben) mit der Zusammensetzung ändert. In den linken Bildern ist der Konzentrationsverlauf in der festen Phase und der Schmelze bei der angegebenen Position der Erstarrungsfront als durchgezogene Linie gezeichnet. Die gestrichelten Linien geben die Zusammensetzung von Kristall und Schmelze an der Erstarrungsfront an. Von oben nach unten aufgetragen sind diese Bilder für (1) beliebig schnelle Diffusion in Schmelze und Kristall, (2) für schnelle Diffusion in der Schmelze, aber praktisch keiner Diffusion in der festen Phase und schließlich (3) der stationäre Zustand, der weder im Kristall noch in der Schmelze eine endliche Diffusion aufweist. Verläuft die Diffusion in beiden Phasen sehr schnell, so haben beide Phasen zu jedem Zeitpunkt ihre Gleichgewichtszusammensetzung. Ist die Diffusion nur in der festen Phase gehemmt, so kommt es nur in der Schmelze zum Konzentrationsausgleich und die Schmelze reichert sich mit fortschreitender Erstarrung an Legierungsatomen bis weit über die Grenze x2 hinaus an. Nach Abschluß der Erstarrung verbleibt ein Konzentrationsgradient im Kristall. Ist die Diffusion in beiden Phasen stark eingeschränkt, werden die Legierungsatome, die nicht in den Kristall eingebaut werden, zwar an die Schmelze abgegeben, verbleiben aber an der Erstarrungsfront, wo sie sich immer weiter anreichern, während die Schmelze in weiterer Ent- fernung zur Erstarrungsfront in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung erhalten bleibt. An der Schmelze kann sich die Konzentration bis maximal x2 anreichern, da dann der Kristall mit x0 erstarrt und damit die Schmelze von x0 auf x2 angereichert wird. Die Zusammensetzung der Schmelze ändert sich in ZUM NACHDENKEN: • Wie verändert sich der Verlauf der Erstarrung in Legierungen im Vergleich zur Erstarrung von Elementen? • Unter welchen Voraussetzungen kommt es zur konstitutionellen Unterkühlung? • Warum kommt es bei der konstitutionellen Un- terkühlung zur Bildung von Dendriten? dem dünnen Bereich, in dem die Fremdatome vorlie- gen, sehr stark und entsprechend stark steigt die Li- quidustemperatur, wie es im Diagramm ersichtlich ist, von T2 auf T1. Wenn dieser Anstieg größer als der tatsächliche Temperaturgradient in der Schmelze ist (ausgezogene Linie) dann ist die Temperatur kurz hin- ter der Erstarrungsfront niedriger, als die Liquidusli- nie der Schmelze mit der vorliegenden Zusammenset- zung. In diesem Fall spricht man von konstitutionel- ler Unterkühlung, weil sie durch den zusammenset- zungsabhängigen Zustand einer Legierung verursacht wird. Entsteht nun eine Unregelmäßigkeit an der Erstarrungsfront und ragt diese vor, so wird sie von einem Gebiet der Schmelze umgeben, das kälter ist, als die der Zusammensetzung entsprechenden Gleichge- wichtstemperatur. In diesem Fall kommt es zu schnellem Wachstum in die konstitutionell unterkühlte Zone. Dies kann nur durch einen sehr steilen Temperaturgradienten verhindert werden. Konstitutionelle Unterkühlung ist gewöhnlich eine Ursache von Dendritenbildung in Legierungen. 62 3. KRISTALLISATION                        T1 T2 T1 T2 T1 T2 x2 x1 T1 T2 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 x in % T [°C] Cu Ni α S 1100 1200 1300 1400 1000 1085° 1455° αS+ x0 x0 x2 x0 x2 x0 x2 x1 x1 x1 T T T x x x δ δ r r Schmelze Kristall Schmelze Kristall Abbildung 3.9: Konzentrations- (links) und Temperaturverlauf (rechte Teilbilder) für beliebig schnelle Diffusion in Schmelze und Kristall, schnelle Diffusion in Schmelze, aber langsamer im Kristall, sowie langsame Diffusion in Schmelze und Kristall (von oben nach unten). Durchgezogene Linien geben den Verlauf von Konzentration und Temperatur an der Front wieder, während die gestrichelten eine Funktion des Durchlaufens durch die Front sind. 66 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION (183◦C). Darüberhinaus sind ausgezeichnete Konzentrationen in Atomprozent angegeben, wobei in Klam- mern die Werte für Gewichtsprozent angegeben sind. Diese Konzentrationen bezeichnen die maximale Löslichkeit von Pb in (Sn) bei 1.45 at.-%Pb, die maximale Löslichkeit von Sn in (Pb) bei 71 at.-%Pb, sowie die eutektische Zusammensetzung bei 26 at.-%Pb. Selbstverständlich sind die schon bekannten Phasenräume mit angegeben. 10 30 40 50 60 70 80 85 90 9520 183° 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb S S+(Pb) (Sn)+(Pb) 71(81)26.1(38.1)1.45(2.5) 100 (Sn) T [°C] 300 232° Sn x in % 327° S+(Sn) (Pb) w in % Abbildung 4.1: Sn-Pb-Phasendiagramm Ein geeignetes Experiment zur Ermittlung des Gleichge- ZUM NACHDENKEN: • Welche Phasen und Koponenten sind in Abbildung 4.1 dargestellt? wichtszustandes ist die thermische Analyse. Hierbei wird die Temperatur der Probe in Abhängigkeit von einer Re- ferenztemperatur (i. A. gleicher Probenhalter ohne Pro- be) und von der Rate der Temperaturänderung gemes- sen. Bei jeder Phasenreaktion wird eine gewisse Reakti- onswärme umgesetzt, die zusätzlich abgeführt / hinzu- geführt werden muß. Hierdurch wird zum Beispiel eine Abkühlung mehr oder weniger verzögert. Es treten zwei Fälle auf: 1. Phasenumwandlung bei einer Temperatur: Verzögerung der Abkühlung, bis die gesamte Reakti- onswärme abgeführt ist. In diesem Fall muß die Reakti- onswärme von der Probe abtransportiert werden, wodurch in der Rate die Referenztemperatur davonläuft. In der soge- nannten Differenzthermoanalyse verursacht dieses Verhal- ten einen exothermen Peak. Bei Phasenübergängen bei ei- ner Temperatur ändert sich die Entropie sprunghaft. ∆ TOfen(t) T Probe (t) ReferenzT (t) T t S T t T S 2. Phasenumwandlung in einem Temperaturintervall: (zum Beispiel bei dem Durchlaufen eines S + α-Bereiches) Während des gesamten Intervalls erfolgt die Phasenumwandlung und verzögert die Abkühlung. Die Abkühlkurve wird flacher als die der Referenz verlaufen, sie läuft verzögert ab. Die Entropie verändert sich während der Umwandlung. In Differenzthermoanalyse-Kurven wirkt sich dieses Verhalten in Kurven mit veränderter Steigung aus. 4.1.1 Die Phasenregel Materie kann in drei Aggregatzuständen (Phasen) vorliegen: fest, flüssig und gasförmig. Generell exi- stiert immer die Phase im thermodynamischen Gleichgewicht, deren freie Enthalpie die geringste ist. In Abbildung 4.2 sind die freien Enthalpien der drei Phasen in Abhängigkeit von der Temperatur für ein beliebiges System aufgetragen. 4.1. GRUNDLAGEN 67 G∆ T [ K ] fest flüssig fest gasförmig gasförmigflüssig Abbildung 4.2: Freie Enthalpie der drei Aggregatzustände eines beliebigen Systems. Bei hohen Temperaturen ist die freie Enthalpie der Gasphase am geringsten; dieser Zustand liegt im thermodynamischen Gleichgewicht vor. Bei tiefen Temperaturen ist das Material fest. Der Existenzbereich der drei Phasen wird in erster Linie durch die charakteristischen Temperaturen festgelegt: Schmelztemperatur : flüssig ⇋ fest Siedetemperatur : flüssig ⇋ gasförmig Sublinationstemperatur : fest ⇋ gasförmig Diese Temperaturen sind jedoch druckabhängig. Die Existenz einer Phase wird also im Druck-Temperatur- Phasendiagramm durch einen Bereich beschrieben. Am Knotenpunkt (=Tripelpunkt) sind alle drei Phasen miteinander im Gleichgewicht. Vom Tripelpunkt aus für steigenden Druck und Temperatur ist der Übergang flüssig ⇋ gasförmig unstetig, bis der soge- nannte kritische Punkt erreicht ist. Jenseits des kritischen Punktes verläuft der Übergang kontinuierlich. T*s T*b T*s T*b0 1 2 TP kr. P. p [ m b ar ] T [ K ] fest flüssig3p* 273.16 6.11 0 1 kr. P. p [ m b ar ] T [ K ] festp* 5.01 flüssig 3 2 216.6 gasförmig gasförmigTP Abbildung 4.3: Druck-Temperatur-Phasendiagramme von Wasser (H2O) und Kohlendioxid (CO2). Die Existenzbereiche der Phasen im Gleichgewicht lassen sich qualitativ mit der Gibbschen Phasen- regel beschreiben. F = n − P + 2 (4.3) Hierin sind: F - Freiheitsgrade; P - Anzahl der Phasen; n - Anzahl der Komponenten. ¤ Komponenten sind die verschiedenen chemischen Elemente (Bausteine) aus denen das System zusammengesetzt ist. ¤ Phasen sind physikalisch einheitliche Substanzen, wobei die chemische Zusammensetzung nicht notwendigerweise einheitlich sein muß. ¤ Die Freiheitsgrade geben die Anzahl der Systemgrößen an, die unter bestimmten Bedingungen noch frei wählbar sind. 68 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION 0 kr. P. p [ m b ar ] T [ K ] fest flüssig TP gasförmig 31 2 Im Einstoffsystem (n = 1) gilt: F = −P + n + 2 i1 P=1 ⇒ F = −1 + 1 + 2 = 2 (p und T sind frei wählbar) i2 P=2 ⇒ F = −2 + 1 + 2 = 1 (p oder T ist frei wählbar) i3 P=3 ⇒ F = −3 + 1 + 2 = 0 (p und T sind fest vorgegeben) Abbildung 4.4: Ausgezeichnete Punkte im Zustandsdiagramm von Wasser. Da Schmelz- und Siedepunkt in Metallen nur schwach von dem äußeren Druck abhängen und der Druck in der Regel der Atmosphärendruck ist, wird die Gibbsche Phasenregel in der Form F = n − P + 1 (p = konstant) verwendet, was in der Abbildung 4.4 einem isobaren Schnitt entspricht. Das Aufschmelzen und Verdampfen bei konstantem Druck läßt sich recht einfach aus dem p − T - Phasend̃iag̃ramm ermitteln. Man braucht lediglich bei dem gesuchten Druck eine horizontale Linie durch das Diagramm zu ziehen (isobarer Schnitt). Diese Linie ist das T -Zustandsdiagramm, die in Abbildung 4.5 aufgestellt gezeigt ist. TSm TSi TSi TSm fest+flüssig flüssig+gasförmig flüssig fest 0 kr. P. p [ m b ar ] T [ K ] TP fest flüssig T [ K ] gasförmig gasförmig Abbildung 4.5: Zum isobaren Schnitt im Zustandsdiagramm. 4.1.2 Das Hebelgesetz Führt man nun analoge Betrachtungen auch für die anderen Temperaturen zwischen T2 und T4 (Abb. 1.3) aus, dann ergeben sich im Zustandsdiagramm drei Bereiche: Einen Bereich einphasig flüssiger Zustände (S), der durch die sogenannte Liquiduslinie begrenzt wird, einen Bereich einphasig fester Zustände (α), der durch die sogenannte Soliduslinie begrenzt wird und zuletzt einen linsenförmigen Bereich zweipha- siger Zustände flüssig / fest zwischen Liquidus- und Soliduslinie. T3 T5 T4 T1 T2 +Sα A B T S α x x x x α S Abbildung 4.6: Zustandsdiagramm eines vollständig mischbaren Systems Der zweiphasige Bereich bedeutet, daß ein System mit der summarischen Zusammensetzung x bei der Temperatur T3 im Gleichgewicht aus einer flüssigen Phase (S) mit der Zusammensetzung x S und einer festen Phase (α) mit der Zusammensetzung xα besteht. 4.2. EUTEKTISCHE SYSTEME 71 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb S S+(Pb) (Sn)+(Pb) 100 T [°C] 300 Sn x in % (Pb) (Sn) S+(Sn) Abbildung 4.8: Sn-Pb-Phasendiagramm: Abkühlverhalten einer Sn − 80at.-%Pb-Legierung Beim Abkühlen einer Sn−80at.-%Pb-Legierung kommt es bei T = 310◦C zunächst zum Übergang in das S + (Pb)-Zweiphasengebiet. Entsprechend der Gleichgewichtsbedingung scheidet entlang der Konoden ein (Pb)-Mischkristall mit der Zusammensetzung Sn−95at.-%Pb aus. Bei weiterer Abkühlung verschiebt sich die Konzentration der Schmelze entlang der Liquiduslinie und die Konzentration der ausgeschiedenen (Pb)-Mischkristalle verändert sich entsprechend dem Verlauf der Soliduslinie mit sinkender Temperatur. Je niedriger die Temperatur ist, um so größer wird der Sn-Anteil im Mischkristall. Dies geschieht bis bei T = 260◦C keine Restschmelze mehr vorhanden ist. Der Mischkristall sei an dieser Stelle homogen. Bei weiterer Abkühlung erreicht der Mischkristall T = 160◦C, wo er erneut in eine Sn-reiche und eine Pb-reiche feste Phase aufspaltet. Bei der Abkühlung von 150◦C bis zu 100◦C ändern sich die Hebelarme der Konoden. Daher kommt es zu einer Phasenreaktion von (Pb) → (Sn). Beim Abkühlen einer Legierung mit einer nominellen Zusammensetzung von Sn − 50at.-%Pb geschieht nun Folgendes: Es sei angemerkt, daß dieser Verlauf äquivalent für jede Zusammensetzung ist, deren Zusammensetzung zwischen den Konzentrationen von maximaler Löslichkeit der beteiligten Komponenten ineinander ist. 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb S S+(Pb) 100 T [°C] 300 Sn x in % (Pb) (Sn) S+(Sn) (Sn)+(Pb) Abbildung 4.9: Sn-Pb-Phasendiagramm: Abkühlverhalten einer Sn − 50at.-%Pb-Legierung Oberhalb der Liquiduslinie liegt die Schmelze einpha- ZUM NACHDENKEN: • Unterhalb welcher Temperatur(en) kommt es bei der Sn − 50at.-%Pb- bzw. Sn − 80at.-%Pb- Legierung zur Bildung der (Sn)-Phase? sig vor. Sobald der Legierungszustandspunkt unter T = 245◦C fällt wird die Schmelze instabil und es scheidet sich der (Pb)-Mischkristall aus der Schmelze aus. Mit weiter sinkender Temperatur verändern sich die Konzentrationen von Schmelze und Mischkristall entsprechend der Vorgaben von Liquidus- und Solidus- linie, wobei sich ständig (Pb) aus der Schmelze ausscheidet. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel einer Sn − 80at.-%Pb-Legierung erreicht die Zusammensetzung des Mischkristalls nicht die nominelle Zusam- mensetzung der Legierung (der Verlauf der Soliduslinie schneidet nicht die xPb = 50%- Linie) und es 72 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION wird nicht alle Schmelze in den (Pb)-Mischkristall umgewandelt. Bei T = 183◦C hat die Schmelze ihren tiefsten Punkt im Zustandsdiagramm erreicht (xPb = 26%), aber zu diesem Punkt besteht die Legierung noch zu 47% aus Schmelzphase (Hebelgesetz!). Die noch in der Probe vorhandene Schmelze kann nicht weiter abgekühlt werden, sondern muß vollständig zerfallen; und zwar in die (Sn)- ud (Pb)-Phase. Diese Phasenreaktion endet erst mit dem vollständigen Zerfall der S-Phase. Dies ist die eutektische Reaktion, daher sagt man auch die Restschmelze erstarrt eutektisch. Nachdem diese Reaktion abgelaufen ist, sind nur noch (Sn) und (Pb) Mischkristalle vorhanden. Die Restschmelze nimmt knapp oberhalb der eutek- tischen Temperatur einen Anteil von 38% ein (Hebelgesetz). Diese Restschmelze erstarrt zu 65% in (Sn) und 35% in (Pb). Das Gesamtverhältnis in dem Gemisch beträgt bei T = 183◦C gemäß der Hebelbezie- hung 70% (Pb) zu 30% (Sn). Wieder ändern sich die Hebelarme der Konoden bei sinkender Temperatur und es kommt zu der Reaktion (Pb) → (Sn). Aus den Pb-reichen Mischkristallen scheidet sich Sn aus, das sich an den Sn-reichen Mischkristallen anlagert. Bei T = 100◦C beträgt das Verhältnis im Gefüge 54% (Pb) zu 46% (Sn). Jede Sn-Pb-Legierung zwischen 1.47at.-%Pb und 71at.-%Pb besitzt bei T = 183◦C drei stabile Phasen: S, (Sn) und (Pb). Dieser Dreiphasenraum ist zu einer Linie entartet. Bisher wurden die Bezeichnungen (Pb) und (Sn) verwendet ohne sie zu erklären. Hierbei handelt es sich um die Bezeichnung für einphasige (!) Mischkristalle unter Angabe ihrer Hauptkomponente. Natürlich findet man in einem (Pb)-Mischkristalle Sn-Atome (sofern das zugrundeliegende Phasendiagramm das von Sn-Pb ist :-). Mischkristalle sind feste Lösungen von Atomen. Da die feste Phase in metallischen Werkstoffen kristallin ist, bezeichnet man diese als Mischkristalle. Entsprechend ihrer atomaren Anord- nung unterscheidet man systematisch zwei Arten von Mischkristallen, nämlich die interstitiellen und die substitutionellen Mischkristalle. Bei interstitiellen Mischkristallen befinden sich die Legierungsatome auf Zwischengitterplätzen des Matrixgitters, während bei Substitutionsmischkristallen die Legierungsato- me auf regulären Gitterplätzen sitzen. Interstitielle Mischkristalle sind dann typisch anzutreffen, wenn die Legierungsatome sehr viel kleinere Atomradien aufweisen, als die Matrixatome. Abbildung 4.10: Formen der Mischkristallbildung interstitiell (links) und substitutionell (rechts) 4.2.1 Das Gefüge einer eutektischen Legierung Anhand mehrere Zusammensetzungen soll nun die Bildung des Gefüges beim Abkühlen von Schmelzen eutektischer Systeme erklärt werden. Zunächst wird eine Sn − 60at.-%Pb-Legierung betrachtet. 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb S 100 T [°C] 300 Sn x in % (Pb) (Sn) S+(Sn) (Sn)+(Pb) S+(Pb) 1 3 4 5 2 Abbildung 4.11: Sn-Pb-Phasendiagramm: Abkühlverhalten einer Sn − 60at.-%Pb-Legierung 4.2. EUTEKTISCHE SYSTEME 73 Oberhalb von 260◦C ist die Legierung flüssig. Das Gefügebild zeigt einzig und alleine die Schmelzphase. i1 Unterhalb von 260◦C beginnt die feste (Pb)-Phase aus der Schmelze auszuscheiden. Im Gefüge erkennt man die Schmelze und einzelne (Pb)-Mischkristalle (Primärkristalle). i2 Der Anteil der Kristalle wird mit weiter absinkender Tempe- ratur entsprechend dem Hebelgesetz größer. i3 Ist die eutektische Temperatur erreicht wird keine weitere (Pb)-Phase mehr ausgeschieden. In einer gewissen Zeit erstarrt bei dieser Temperatur die restliche Schmelze eutektisch i4 Das eutektische Gefüge umgibt die zuerst erstarrten (Pb)- Mischkristalle. Das Gefüge selbst ist eine feinkörnige/lamellare Mischung aus (Sn) und (Pb) Kristallen. i5 Kühlt man eine Schmelze mit eutektischer Zusammensetzung ab, so liegt oberhalb der eutektischen Temperatur alleine die Schmelze vor. Bei der eutektischen Temperatur bildet sich das eutektische Gefüge i2 , welches bis zu tiefen Temperaturen bestehen bleibt (s. Abb. 4.12). 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb 100 T [°C] 300 Sn x in % (Pb) (Sn) S+(Sn) S+(Pb) (Sn)+(Pb) S 1 2 3 i1 i2 i3 Abbildung 4.12: Sn-Pb-Phasendiagramm: Abkühlverhalten und Gefügeentwicklung einer Sn− 26at.-%Pb-Legierung 250 200 150 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Pb 100 T [°C] 300 Sn x in % (Pb) S+(Pb) (Sn)+(Pb) S (Sn) S+(Sn) 1 2 3 i1 i2 i3 Abbildung 4.13: Sn-Pb-Phasendiagramm: Abkühlverhalten und Gefügeentwicklung einer Sn− 10at.-%Pb-Legierung 76 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION 4.5 Systeme mit Mischungslücke Wie bereits besprochen gibt es noch andere Formen von Zustandsdiagrammen mit vollständiger Löslich- keit der Komponenten. In Abbildung 4.17 berühren sich Solidus- und Liquiduslinie in einem Punkt mittlerer Konzentration. Als Beispiel ist das Au-Ni-Phasendiagramm gezeigt. 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1000 T [°C] α +α’ " S+α x in % ~42 600 700 800 900 1000 1063° 1100 1200 1300 1400 1453° 812° Au Ni α αS+ S ~71 1 2 3 5 4 i1 i2 i3 i4 i5 Abbildung 4.17: Au-Ni-Phasendiagramm: Abkühlverhalten und Gefügeentwicklung einer Au − 70at.-%Ni-Legierung Dieses Au-Ni-Phasendiagramm ist gleichzeitig ein Beispiel für eine Mischungslücke in der festen Phase. Unterhalb von T = 812◦C sind die Komponenten nicht mehr in allen Konzentrationsbereichen mischbar; mit sinkender Temperatur nimmt der Bereich der Mischbarkeit immer mehr ab und die Mischungslücke weitet sich aus. Beide Phasen werden α (also α′ und α′′) genannt, weil sie im Zustandsdiagramm zum gleichen Phasen- raum gehören. Die Striche sollen ausdrücken, daß es sich trotzdem um zwei verschiedene Phasen handelt, da die jeweiligen Komponentengehalte verschieden sind. Diese Phasen bilden eine sogenannte kohärente Grenzfläche, da die Phasen praktisch keine unterschiedlichen Gitterparameter haben. 4.6 Peritektische Systeme Im Fall von peritektischen Systemen kommt es genauso zur Bildung reiner Mischkristalle (Os) oder (Rh), wie es in Abbildung 4.18 gezeigt ist. Von besonderer Bedeutung ist nun die peritektisch gebildete Phase (Os) + (Rh). Peritektisch schmelzende Legierungen werden vor allem dann beobachtet, wenn die Schmelzpunkte der reinen Komponenten stark unterschiedlich sind. 4.6. PERITEKTISCHE SYSTEME 77 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 (Os)+(Rh)(Os) (Rh) x in % T [°C] Os Rh 1500 2000 2500 3000 1000 S3027° 1965° S+(Rh) 2600° 19 S+(Os) 31 Abbildung 4.18: Os-Rh-Phasendiagramm: Ein Beispiel für ein (rein) peritektisches System Die nun folgende Beschreibung der peritektischen Phasenbildung läßt sich jedoch einfacher für eine pe- ritektisch schmelzende Phase durchführen, die nicht einen so ausgedehnten Existenzbereich bei der pe- ritektischen Temperatur aufweist. Daher ist in Abbildung 4.19 das Au-Bi-Phasendiagramm gezeigt. Das sich an das Peritektikum bei 33at.-%Bi noch ein Eutektikum bei 81at.-%Bi anschließt, soll hier nicht weiter stören. Die Löslichkeit der Komponenten ineinander ist so niedrig, daß hier die (Au)-, (Bi)- und (Au2Bi)-Phasen zu Strichen entartet sind. T [°C] x in % 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1000 300 400 200 100 500 600 700 800 900 1000 Au Bi 1063° 241° 81 S S+Au Bi S+Au S+Bi 2 2Au+Au Bi Au Bi+Bi2A u B i 2 266° 373° Abbildung 4.19: Au-Bi-Phasendiagramm Die intermetallische Phase Au2Bi zerfällt bei 373 ◦C. Die von (Au) ausgehende Liquiduslinie überdeckt diese Phase, daher spricht man auch von peritektischer Überdeckung. Die Phase Au2Bi kann nicht beim Aufheizen direkt in die Schmelze übergehen, sie zerfällt in eine feste (Au)-Phase und eine Au-ärmere Schmelze. 78 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION T [°C] Au Bi+Bi22Au+Au Bi S+Au Bi2 x in % 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1000 300 400 200 100 500 600 700 800 900 1000 Au Bi 81 S S+Bi S+Au 2 A u B i 1 2 4 3 i1 i2 i3 i4 Abbildung 4.20: Au-Bi-Phasendiagramm: Abkühlverhalten und Gefügeentwicklung einer Au − 33at.-%Bi-Legierung Der Abkühlvorgang einer Legierung mit Au−33at.-%Bi verläuft entsprechend umgekehrt. Zuerst scheidet sich (Au) aus der Schmelze aus. Bei 373◦C reagiert das bereits ausgeschiedene (Au) mit der Schmelze und bildet Au2Bi. Erst wenn (Au) und die Schmelze vollständig verbraucht sind, ist die peritektische Reaktion abgeschlossen. Es liegt alleine Au2Bi vor. Im Folgenden werden die Abkühlungen zweier charakteristischer Au-Bi-Legierungen mit Au− 20at.-%Bi und Au − 40at.-%Bi besprochen. Dabei soll die peritektische Dreiphasenreaktion mit ihrem Einfluß auf das Gefüge erläutert werden. T [°C] Au Bi+Bi22Au+Au Bi S+Au Bi2 x in % 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1000 300 400 200 100 500 600 700 800 900 1000 Au Bi 81 S S+Bi S+Au 2 A u B i 1 2 3 4 i1 i2 i3 i4 Abbildung 4.21: Au-Bi-Phasendiagramm: Abkühlverhalten und Gefügeentwicklung einer Au − 20at.-%Bi-Legierung 4.7. ALLGEMEINE SYSTEME 81 und S zu β, bis α komplett umgewandelt wurde. Dieser Vorgang kann sehr lange dauern. Kühlt man die Legierung weiter ab, bevor der Vorgang abgeschlossen ist, wird immer ein Anteil primär erstarrten α-Mischkristalles im Gefüge zu finden sein. Da aber in diesem Fall mehr Schmelze vorhanden ist, als nötig wäre, um die gesamte α-Phase umzuwandeln wird der Prozeß schneller voranschreiten. In dem Fall, in dem direkt die peritektische Zusammensetzung xSn = 14, 5at.-% kristallisieren soll, kann die Verweildauer extrem lang sein, da die ganze Probe in ihrem Volumen homogenisiert werden muß, während in dem be- sprochenen Fall lediglich die Sn-Konzentration über eine gewisse Schwelle geschoben werden muß. Kühlt man die Legierung weiter ab, so scheidet sich β aus der Schmelze aus, bis die Konzentration der β-Phase einen so großen Wert angenommen hat, daß alle Schmelze umgewandelt wurde. Es liegt nun ein reiner β-Mischkristall vor, der noch Konzentrationsschwankungen aufweist, die leicht durch Glühbehandlungen ausgeglichen werden können. Die Präparation der γ-Phase verläuft äquivalent. Will man hingegen eine ausscheidungsgehärtete β + γ- Phase herstellen, benötigt man noch mehr Zeit, da man diese nicht direkt aus der Schmelze herstellen kann. Zunächst wird β auskristallisiert (wie im Fall der Au−20at.-%Bi-Legierung), das mit der Schmelze zu γ reagiert, aber im Überschuß vorliegt, sodaß noch β-Phase vorhanden bleibt, wenn die gesamte Schmelze mit β zu γ umgewandelt wurde. Jede Zusammensetzung im Bereich 52 < xSn < 100at.-% erstarrt eutektisch zu γ und (β − Sn). Zu- sammensetzungen im Bereich 26, 5 < xSn < 52at.-% sollten dies auch tun, wobei auch hier wieder ein hinreichend langsamer Präparationsverlauf vorausgesetzt wird. In diesem Bereich kristallisiert nämlich zunächst die β-Phase aus, die dann wieder mit der Schmelze zur γ-Phase umgewandelt werden muß. Sie bleibt jedoch als Gefügebestandteil erhalten, wenn die peritektische Phasenreaktion nicht abgeschlossen ist, bevor die Legierung unter die peritektische Temperatur von T = 480◦C abgekühlt wurde. Will man den Prozeß, eine peritektische Phase zu erstarren beschleunigen, so muß man erreichen, daß die Schmelze eine andere Zusammensetzung hat, als die der festen Phasen. Darüberhinaus müssen die- se Zusammensetzungen (peritektische für die feste Phase und die Zusammensetzung des peritektischen Punktes für die Schmelze - 14, 5at.-%Sn für β und 21at.-%Sn für S) während des ganzen Kristallisations- vorganges konstant bleiben. Nach dem bisher Bekannten ist dies unmöglich, da eine Schmelze an einer Komponente angereichert wird, sobald Bestandteile kristallisieren, die eine geringere Konzentration die- ser Komponente aufweisen. Der Ausweg ist z. B. das Zonenschmelzen. Nährstab und Ziehstab haben die peritektische Zusammensetzung, während die flüssige Zone dazwischen die Zusammensetzung des peri- tektischen Punktes aufweist. Nun braucht man nur noch dafür zu sorgen, daß immer gleich viel Material in die Schmelze nachgeführt wird, wie auskristallisiert. Weiterhin muß das Volumen der Schmelzzone konstant gehalten werden, was sich in der Praxis oft als die größte Herausforderung erweist. Hierdurch wird ein stationärer Zustand erreicht, mit dem man peritektische Phasen schnell und in größerer Menge kristallisieren kann. 82 4. REALE ZUSTANDSDIAGRAMME UND IHRE INTERPRETATION 4.8 Beispiel: Stahl Stahl spielt in der Technologie von heute eine wichtige Rolle, daher ist das zugrundeliegende Fe-C- Phasendiagramm so wichtig, daß es an dieser Stelle vorgestellt wird. 400 600 800 1000 1200 1400 1600 − Ferrit − Austenit α γ − Cementit − delta Eisenδ χ Fe C3 Fe C3 Fe C3 T [°C] w in % 20.69 4 Stahl Gußeisen 0 6.67 Fe C δ γ+ α γ+ α+γ L α+ L+ γ δ+γ δ+ L L Abbildung 4.24: Das Fe-C- oder auch Stahl-Phasendiagramm Das Zustandsdiagramm wird im Wesentlichen durch das Eutektikum bei 4, 26wt.-%C und die eutektoide Reaktion bei 0.69wt.-%C bestimmt. Die einzelnen Phasenräume haben besondere Namen: ¤ Ledeburit: Eutektikum bei 4, 26wt.-%C, sowie die Phasen dieser Zusammensetzung ¤ Perlit: eutektoide Reaktion bei 0.69wt.-%C ¤ Ferrit: reines Eisen unterhalb von 911◦C (bcc) ¤ δ-Fe: bcc-Hochtemperaturphase des Eisens ¤ Austenit: fcc-Phase des Eisens zwischen den beiden vorher genannten ¤ Zementit: scheidet sich mit x > 4, 26wt.-%C eutektisch aus der Schmelze aus (Fe3C) ¤ Martensit: entsteht aus Austenit bei schneller Abkühlung Eigenschaften Ferrit - Perlit - Zementit → Festigkeit und Sprödigkeit nimmt zu → Umform- und Zerspanbarkeit nimmt ab Der Zusatz von Kohlenstoff in Eisen erweitert das γ-Feld des Austenit und schließt den Existenzbereich von α auf der Temperaturachse. Maximal 2wt.-%C lösen sich in γ, aber nur 0, 02wt.-%C in α. Dies liegt an der Größe der Zwischengitterplätze, die in fcc, beziehungsweise in bcc-Phasen zur Verfügung stehen. Ternäre (und noch mehrkomponentigere) Eisenlegierungen mit interstitiellen C-Atomen und weiteren substitutionellen Legierungszusätzen spielen als Edelstähle eine technisch bedeutende Rolle. Die Zusätze verändern das γ-Feld in verschiedener Weise. ¤ Die γ-Öffner (Ni, Co, Mn) ergeben austenitische, oft gut verformbare und rostfreie Stähle. ¤ Die γ-Schließer (Al, Si, Ti, Mo, V, Cr, Nb) bilden Karbide und intermetallische Phasen mit α-Eisen. 5 Grundlagen ternärer Phasendiagramme Wenn eine Legierung aus drei Komponenten besteht, wird ihr Zustand durch drei Variablen festgelegt: Temperatur und zwei Gehaltsangaben (damit liegt auch der Gehalt der dritten Komponente fest). Bei sogenannten ternären Systemen ist eine zweidimensionale Darstellung der Phasendiagramme nicht möglich und man weicht in dreidimensionale Darstellungen aus. Die Grundfläche dieser Darstellung be- schreibt die Gehalte und nach oben in den Raum hinein wird die Temperatur aufgetragen. In dieser Darstellung bilden Ein- und Mehrphasengebiete dreidimensionale Körper. 5.1 Das Gehaltsdreieck Das Gehaltsdreieck beschreibt die Grundfläche der Darstellung eines ternären Phasendiagramms. A, B und C seien die Komponenten einer Legierung mit den Gehalten xA, xB und xC. Da nur zwei Gehalte unabhängig voneinander sind (xA + xB + xC = 100%) lassen sich die drei als ein Punkt in einer Fläche darstellen. Als Fläche wählt man ein gleichseitiges Dreieck, das sogenannte Gehaltsdreieck. . . . C A B ab xB x Cx c P A Abbildung 5.1: Gehaltsdreieck einer Legierung aus A, B und C In der Abbildung 5.1 sei P eine Legierung, dann entsprechen die Abstände des Punktes P von den Seiten den drei Gehalten. Dies ist so einzusehen: Für jeden Punkt in einem gleichseitigen Dreieck ist die Summe der drei Abstände von den Seiten gleich der Höhe des Dreiecks. Die Höhe des Dreiecks setzt man gleich 100%. Zum leichteren Ablesen der Gehalte benutzt man ein Dreieckskoordinatennetz. 83 86 5. GRUNDLAGEN TERNÄRER PHASENDIAGRAMME In Analogie zu den binären Systemen nennt man die unteren Begrenzungsflächen des Schmelz-Einphasen- raumes Liquidusflächen. Die Schnittlinie zweier Liquidusflächen soll Liquidusschnittlinie genannt werden (steht für die oft verwendeten Begriffe ’Linien doppelt gesättigter Schmelzen’, oder ’eutektische Rin- ne’ und ’peritektische Kurve’. Letztere sind in manchen Systemen aber nur sehr schwer gegeneinander abgrenzbar). Die Fläche, die den Liquidusflächen gegenüber liegen werden Solidusflächen genannt. Bei den isothermen Schnitten handelt es sich, wie der Name schon sagt, um Schnitte des ternären Körpers bei gleicher Temperatur. Man erhält für die entsprechende Temperatur Höhenschichtlinien der Phasenräume. Die Abbildung 5.5 zeigt mehrere Schnitte, die allerdings zum leichteren Erkennen noch perspektivisch gezeichnet sind. Auch in den Schnitten sind die Schmelze hellgrau und die Mischkristalle dunkelgrau dargestellt. Der bei der zweittiefsten Temperatur gezogene Schnitt ist in Abbildung 5.6 noch einmal nicht perspektivisch gezeigt. A C B S β α P Pα PS β Abbildung 5.6: Isothermer Schnitt zeigt Ein- und Mehrphasenräume im Gehaltsdreieck Er enthält die Einphasenräume der S-, α- und β- Phasen. In diesem Schnitt ist der Zustandspunkt (◦) einer Legierung eingezeichnet. Die Legierung ist in S-, α- und β-Phasen aufgespalten, da diese im Mehr- phasenraum liegende Legierung aufspalten muß. Die Phasenzustandspunkte liegen auf den Phasengrenzen zu den benachbarten Einphasenräumen. Zur Berechnung des Phasengehaltes in der Legierung (xS, xα und xβ) dient das Schwerpunktgesetz, der entsprechenden Erweiterung des Hebelgesetzes auf ternäre Systeme: (xi S − xi)x S + (xi α − xi)x α + (xi β − xi)x β = 0 (5.1) und analog für die Massengehalte: (wi S − wi)w S + (wi α − wi)w α + (wi β − wi)w β = 0 (5.2) wobei i für eine beliebige Komponente A, B oder C steht. Es gilt: 1 = xS + xα + xβ (5.3) nB = nB S + nB α + nB β (5.4) xB = nB n ; xB S = nB S nS ; xS = nS n xB α = nB α nα ; xα = nα n xB β = nB β nβ ; xβ = nβ n (5.5) nB n = nB S n + nB α n + nB β n (5.6) nB n = nB S nS nS n + nB α nα nα n + nB β nβ nβ n (5.7) 5.3. ABKÜHLEN EINER TERNÄREN LEGIERUNG 87 xB = xB SxS + xB αxα + xB βxβ (5.8) es gilt aber auch ((5.3)·xB): xB = xBx S + xBx α + xBx β (5.9) und damit: 0 = (xB S − xB)x S + (xB α − xB)x α + (xB β − xB)x β (5.10) q.e.d. ZUM NACHDENKEN: • Welche Ein- und Mehrphasengebiete sind in den isothermen Schnitten von Abb. 5.5 dargestellt? • Warum und unter welchen Voraussetzungen kommt es zur Aufspaltung der Zustandspunkte in zwei bzw. drei Phasen (s. Abb. 5.6)? • Wie wird der Bereich, der durch drei Phasen im thermodynamischen Gleichgewicht gekennzeich- net ist aus dem isothermen Schnitten bestimmt? ¤ Die Konoden, die die Zustandspunkte der stabilen Phasen einer Legierung verbinden umranden die Fläche ¤ An den Ecken der Fläche liegen die Phasenzu- standspunkte in der Fläche liegt der Legierungs- zustandspunkt ¤ Mit den jeweiligen Phasengehalten werden die Phasenzustandspunkte belastet ¤ Damit liegt der Legierungszustandspunkt im Schwerpunkt der Fläche Das Schwerpunktgesetz eignet sich gut zum Abschätzen der Mengenverhältnisse ¤ je dichter der Legierungszustandspunkt an einem Phasenzustandspunkt liegt, desto größer ist der zugehörige Phasengehalt in der Legierung ¤ wenn der Legierungszustandspunkt auf einer Konode liegt (die Verbindungslinie der drei Phasen- zustandspunkte sind ja Konoden) ist die Menge der gegenüberliegenden Phase gleich Null ¤ der Legierungszustandspunkt muß innerhalb seiner Konodenfläche liegen 5.3 Abkühlen einer ternären Legierung Allgemein kann das Abkühlen einer ternären Legierung anhand des Durchlaufens von fünf charakteristi- schen Temperaturbereichen beschrieben werden. 1. Die Legierung wird im Zustand des einphasigen Gleichgewichts der Schmelze solange abgekühlt, bis sie die Liquidusfläche erreicht (1). Die Projektion des Zustandspunktes auf das Gehaltsdreieck bleibt unverändert (1’). 2. Die Legierung befindet sich im zweiphasigen Gleichgewicht. Sobald die Liquidusfläche erreicht ist scheidet sich feste Phase β aus. Hierdurch verarmt die Schmelze an B und ihr Zustandspunkt wandert mit fortschreitender Abkühlung und Ausscheidung von B auf der Liquidusfläche von B weg nach unten zu tieferen Temperaturen. Nach dem Schwerpunktgesetz muß die Konode, die den Zustandspunkt mit B verbindet durch die Projektion des ersten Berührungspunktes des aus der Schmelze kommenden Zustandspunktes mit der Liquidusfläche laufen. Projiziert man die Zustandspunkte auf das Gehaltsdreieck, so wandert der Punkt 1’ nach 2’ sodaß sich 1’ von B entfernt. 3. Im dreiphasigen Gleichgewicht hat der Zustandspunkt die Liquidusschnittlinie erreicht, er befindet sich auf der zu C und B gehörenden Liquidusfläche. Die Schmelze kann also weiter wie bisher B ausscheiden und nun zusätzlich noch die C-Phase. Es liegt ein Gleichgewicht von S-, B- und C- Phase vor. Durch das Ausscheiden von B- und C-Phase verarmt die Schmelze an den Komponenten B und C und reichert sich an A an. Der Zustandspunkt läuft nun in Richtung A, bis der ternäre eutektische Punkt erreicht ist (3’). 88 5. GRUNDLAGEN TERNÄRER PHASENDIAGRAMME T B C A 2 1 1’ 3’ 2’ 3 T T 2 3 1 T Abbildung 5.7: Verlauf des Zustandspunktes bei Abkühlung einer ternären Legierung - hier am Beispiel des ternären einfach eutektischen Systems 4. Im ternären eutektischen Punkt liegt der Zustandspunkt auf allen drei Liquidusflächen. In diesem Punkt befinden sich die Phasen S, A, B und C im Gleichgewicht, wobei sich die Restschmelze in die Phasen A, B und C zersetzt. 5. Im letzten Temperaturbereich herrscht ein dreiphasiges Gleichgewicht. Nachdem sich die Schmelze zersetzt hat liegen nur noch die Phasen A, B und C im Gleichgewicht vor, die nun weiterhin ohne Veränderung des Zustandes abgekühlt werden können. Damit kann für jeden beliebigen Zustandspunkt der Weg der Projektion auf das Gehaltsdreieck bei der Abkühlung beschrieben werden. C A B 900 200 2 0 0 300 500 600 700 800 3 0 0 5 0 0 4 0 0 400 2 0 0 30 0 40 0 5 0 0 6 0 0 7 0 0 8 0 06 0 0 Abbildung 5.8: Wege von verschiedenen Zustandspunkten bei der Abkühlung im Gehaltsdreieck Zunächst bewegt sich der Zustandspunkt von der ausgeschiedenen Komponente weg. Dabei trifft er entwe- der den ternären eutektischen Punkt, oder die Liquidusgrenzlinie. War der Zustandspunkt einer binären (B-C als ein Bsp. in Abb. 5.8) Legierung zugeordnet, so endet der Weg des Zustandspunktes im binären 5.3. ABKÜHLEN EINER TERNÄREN LEGIERUNG 91 Eine Besonderheit stellt die Sattelfläche dar. Der Schmelzzustandspunkt einer Legierung auf der Verbin- dungslinie, die über eine Randphase, der intermetallischen Phase und den Sattelpunkt geht, wandert auf der Liquidusfläche bis in den Sattel und zerfällt dort eutektisch in die Randphase und die intermetallische Phase. Der Schmelzzustandspunkt läuft also nicht in die Liquidusschnittlinie weiter zu einem der ternären eutektischen Punkte. Diese Tatsache läßt sich mit der Schwerpunktbe- ZUM NACHDENKEN: • Wie zerfällt eine Legierung im Sattelpunkt zwi- schen zwei ternären Eutektika? • Wie ändert sich der Zustandspunkt einer Legie- rung der Zusammensetzung A:20, B:40, C:40 in den in Abb. 5.12 und 5.14 gezeigten isothermen Schnitten? • Unter welchen Umständen kommt es nach der ternären peritektischen Reaktion zu einem Gleichgewicht in dem keine Schmelze auftritt? ziehung veranschaulichen. Nimmt man an, daß der Schmelzzustandspunkt dort ein Stück auf der Liqui- dusschnittlinie in Richtung eines Eutektikums läuft, wird ein Konodendreieck gebildet. Der Legierungszu- stand würde dann aber auf der Seite liegen, die durch die intermetallische Phase und die Randphase gebil- det wird. Damit ist der Anteil der Schmelzphase aber gleich Null. Der Sattelpunkt zwischen den Eutektika ist im Ge- haltsdreieck leicht zu sehen wenn die Isothermen ein- gezeichnet sind. Zu beachten ist, daß vom Sattelpunkt aus die Zustandspunkte in die Eutektika entlang ei- ner Liquidusgrenzlinie laufen. Die Liquidusgrenzlinien sind hier ebenfalls eingezeichnet. Ist nun bei einem solchen betrachteten System der Schmelzzustandspunkt einer der an den binären Pha- sendiagrammen beteiligten Randsystemen viel höher, so reicht der dazugehörige Phasenkoexistenzbereich mit der Schmelze weiter in den ternären Körper hinein. T S P E T S E P Abbildung 5.13: Ternäre Körper von Systemen mit einem eutektischen und einem peritektischen Punkt Die Liquidusschnittlinien, die den Phasenkoexistenzbereich begrenzen laufen in einem Punkt zusammen, der jedoch kein Eutektikum ist. Von diesem Punkt P aus fällt die weiterführende Liquidusschnittlinie in das Eutektikum ab. Durch die Anhebung einer Schmelztemperatur und der damit verbundenen Ver- größerung des Phasenkoexistenzbereiches (bis über den gedachten Sattelpunkt eines zweifach eutektischen Systems hinweg) kommt es zur ternären peritektischen Phasenreaktion. 92 5. GRUNDLAGEN TERNÄRER PHASENDIAGRAMME C A B V 1 2 E P Abbildung 5.14: Gehaltsdreieck mit Schmelzisothermen und Liquidusgrenzlinien eines Systems mit einem ternären Eutektikum und einer ternären peritektischen Phasenreaktion Die Besonderheit dieses Systems soll bei der Besprechung der Abkühlung eines Zustandspunktes gezeigt werden. 1. Die Legierung kühlt einphasig aus der Schmelze bis zum Erreichen der Liquidusfläche ab 2. Nach dem Auftreffen auf die Liquiduslinie wird für die Legierung 2 B-Phase und für 1 die C- Phase ausgeschieden (s. Abb. 5.14), die Schmelze verarmt und der Zustandspunkt wandert bis zur Liquidusschnittlinie 3. Bei Erreichen der Liquidusschnittlinie werden zwei Phasen (B und C) ausgeschieden 4. Wenn der Punkt P erreicht ist, kann zusätzlich eine Phase ausscheiden. Hier stehen S, A, B und V im Gleichgewicht Wenn eine Legierung bei der Abkühlung durch ein Vierphasengebiet läuft, muß eine Vierphasenreaktion erfolgen, denn vor dem Vierphasengleichgewicht stehen höchstens drei und nachher wiederum höchstens drei Phasen miteinander im Gleichgewicht (Gibbsche Phasenregel). Um die peritektische Reaktion zu verstehen, muß man sich klarmachen, welche Gleichgewichte vor, während und nach der Reaktion vorliegen. Dicht vor der Reaktion habe die Legierung das Gleichge- wicht S + B + C. Bei der Reaktion stehen S + B + C + V im Gleichgewicht. Darunter kann entweder ein Gleichgewicht mit der Schmelze, oder ohne Schmelze auftreten. ¤ Gleichgewicht mit Schmelze: Der Schmelzzustandspunkt liegt auf der Liquidusschnittlinie BV. Das Gleichgewicht muß also zwi- schen S + B + V bestehen. ¤ Gleichgewicht ohne Schmelze: B + C + V Welches dieser beiden Gleichgewichte vorliegt, läßt sich anhand des Schwerpunktgesetzes erkennen. Le- gierung 1 liegt im Konodendreieck BCV, besitzt also drei stabile feste Phasen. Legierung 2 hingegen liegt im Konodendreieck BVP, besitzt also die stabilen Phasen S (in P), C und V. Also gilt: dicht oberhalb TP bei TP dicht unterhalb TP S + B + C S + B + C + V C + B + V i1 S + B + V i2 Hieraus ergibt sich die peritektische Phasenreaktion zu: S + C ⇌ V + B Diese Reaktion endet für die Legierung 1 beziehungsweise 2 dadurch, daß S bzw. C verbraucht ist und nur noch B + C + V bzw. S + B + V vorhanden ist. 5.3. ABKÜHLEN EINER TERNÄREN LEGIERUNG 93 Nun zurück zur Abkühlung: 5. ¤ Legierung 1: Nach der peritektischen Reaktion stehen B+C+V im Gleichgewicht, die weiter abgekühlt werden können, ohne daß weitere Reaktionen stattfinden. ¤ Legierung 2: S → B + V Nach Abschluß der peritektischen Reaktion stehen S + B + V im Gleichgewicht. Bei weiterer Abkühlung läuft S unter Ausscheidung von B und V die Liqui- dusgrenzlinie zum eutektischen Punkt hinunter. S → A + B + V Wenn der ternäre eutektische Punkt erreicht ist, zerfällt die Restschmelze eutektisch in A, B und V. Nach Abschluß der eutektischen Reaktion stehen die drei festen Phasen A + B + V im Gleichgewicht. Sie können ohne weitere Phasenreaktion weiter abgekühlt werden. Bei der ternären peritektischen Reaktion setzen sich zwei im Konodenbereich gegenüberliegende Phasen in die beiden Anderen um. Die Reaktion ist beendet, sobald eine Phase verbraucht ist. Welche es ist, richtet sich nach der Lage des Legierungszustandspunktes im Konodendreieck. Nachdem bisher die Liquidusfläche behandelt wurde soll nun die Abkühlung einer Legierung unter Berück- sichtigung der Umwandlungen im Festen besprochen werden. S T α β 2 4’ 3’ 3 4 2’ 1 1’ Abbildung 5.15: Abkühlung und Ausscheidungsvorgänge in einer ternären Legierung 1. Schmelze: Die Legierung wird im Schmelzzustand abgekühlt, bis sie auf die Liquidusfläche stößt 2. Schmelze + β-Phase: Dieser Bereich entspricht genau der Schmelzumwandlung bei Systemen mit vollständiger Mischbarkeit. Der Punkt 1 auf der Liquidusfläche steht mit 1’ auf der Solidusfläche im Gleichgewicht. Bei Abkühlung läuft der Zustandspunkt von 1 auf der Liquidusfläche nach 2’ und die ausgeschiedene feste β-Phase von 1’ nach 2. Über den genauen Weg sagt der ternäre Körper nichts. Man weiß nur soviel: Die Konode muß immer durch den Legierungszustandspunkt laufen. Während der Abkühlung wandelt sich die Schmelze in den β-Kristall um. Dieser Bereich endet, wenn die Schmelze verbraucht ist. 3. β-Phase: von Punkt 2 bis Punkt 3 kühlt die Legierung einphasig als β-Phase ab. Es kommt zu keiner Phasenreaktion.