




























































































Besser lernen dank der zahlreichen Ressourcen auf Docsity
Heimse Punkte ein, indem du anderen Studierenden hilfst oder erwirb Punkte mit einem Premium-Abo
Prüfungen vorbereiten
Besser lernen dank der zahlreichen Ressourcen auf Docsity
Download-Punkte bekommen.
Heimse Punkte ein, indem du anderen Studierenden hilfst oder erwirb Punkte mit einem Premium-Abo
Community
Finde heraus, welche laut den Docsity-Nutzern die besten Unis deines Landes sind
Kostenlose Leitfäden
Lade unsere Leitfäden mit Lernmethoden, Hilfen zur Angstbewältigung und von Docsity-Tutoren erstellte Tipps zum Verfassen von Haus- und Abschlussarbeiten kostenlos herunter
Ich gebe eine unifizierte Definition sprachlicher Schnittstellen als sprach- lich-arbiträr determinierter Systeme, die Repräsentationen außersprachlicher ...
Art: Grafiken und Mindmaps
1 / 241
Diese Seite wird in der Vorschau nicht angezeigt
Lass dir nichts Wichtiges entgehen!
zur Erlangung der Lehrbefähigung für das Fach
vorgelegt der Philosophischen Fakulät II der Humboldt-Universität zu Berlin
von
geb. am 25.5.1966 in Einbeck
Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Jürgen Mlynek
Dekanin Prof. Dr. Verena Lobsien
Berlin, den 14.4.
Gutachter: 1. Prof. Dr. Norbert Fries
ii
Einleitung
Spätestens seit de Saussures Cours de linguistique générale wird die Arbitrarität des Zei- chens als eines der zentralen Charakteristika menschlicher Sprache angesehen: Die Verbin- dung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem ist nach dieser Auffassung nicht durch in- härente Merkmale determiniert, sondern grundsätzlich beliebig. Der folgende Absatz gibt die klassische Textstelle hierzu wider:
„Le lien unissant le signifiant au signifié est arbitraire, ou encore, puisque nous en- tendons par signe le total résultant de l’association d’un signifiant à un signifié, nous pouvons dire plus simplement : le signe linguistique est arbitraire. [„Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Be- zeichnetem erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch einfacher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig.“] (de Saussure 1916/1967: 1.Teil, Kap.I, §2)
Die Arbitrarität bezieht sich hier auf die Verknüpfung der beiden Seiten des sprachlichen Zeichens: Das Zeichen als bilaterale Entität ist arbiträr, weil der Zusammenhang seiner bei- den Konstituenten, Signifikant und Signifikat, arbiträr ist.^1 Diese Arbitrarität hebt de Saus- sure neben der Linearität des Signifikanten als eines der beiden zentralen Prinzipien von Sprache hervor. Sprache ist hierbei als mentales System zu verstehen: Signifikanten und Signifikaten sind als images acoustiques bzw. concepts charakterisiert, sie haben den Status mentaler Repräsentationen.
Während im Cours das Merkmal der Arbitrarität erstmals systematisch in eine solche Theorie sprachlicher Zeichen integriert wird – und hier einen zentralen Stellenwert ein- nimmt –, ist die Diskussion sprachlicher Arbitrarität selbst erheblich älter. Bereits in frühe- ren, insbesondere sprachphilosophischen Untersuchungen wurde dieser Aspekt menschli- cher Sprache als eines ihrer hervorstechenden – und immer schon als besonders problema- tisch empfundenen – Merkmale diskutiert.^2 Die Ansicht, die Verbindung sprachlicher Aus- drücke mit ihrer Bedeutung sei arbiträr, war dabei stets nicht nur im philosophischen Dis-
(^1) Daneben wird Arbitrarität an einigen Stellen auch als Eigenschaft des Signifikanten charakterisiert. Zur Exegese des 2 Begriffs im^ Cours^ vgl. ausführlich García (1997). Coseriu (1967) führt die Diskussion zur Arbitrarität von Sprache bis auf Aristoteles zurück und zeigt Vorläufer ver- schiedener Elemente der SAUSSUREschen Auffassung unter anderem in der Logik von Port-Royal, bei Hobbes, Locke,
Einleitung (^) 3
nemcharakter hat, in anderen jedoch nicht (* sprachliche Willkür gegenüber phonetischen Strukturen), oder dass die Distinktion zwischen Substanz- und Objektkonzepten in einigen Sprachen durch eine grammatische Differenzierung von Massen- versus Zählnomen aufge- griffen wird, in anderen jedoch nicht (* sprachliche Willkür gegenüber konzeptuellen Strukturen).
Sprachliche Arbitrarität zeigt sich daher nicht nur auf der Ebene von Lexikoneinträ- gen, sondern auch auf der Ebene sprachlicher Subsysteme. Dieser Aspekt sprachlicher Ar- bitrarität bildet den zentralen Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel ist es, zu zeigen, dass diese Arbitrarität ein konstituierendes Moment des sprachlichen Systems ist, und dies nicht nur auf der Lautseite – wo eine Differenzierung von Repräsentationsebe- nen bereits stärker etabliert ist –, sondern auch auf der Bedeutungsseite, und dass sich grammatische Teilsysteme als diejenigen Systeme, in denen sich sprachliche Arbitrarität manifestiert, als spezifische Schnittstellen erfassen lassen, nämlich als Schnittstellen außer- sprachlicher Module der Laut- und Bedeutungsorganisation.
Ich werde zunächst eine generelle Definition sprachlicher Schnittstellensysteme ein- führen und auf dieser Basis eine Modellierung von Semantik und Phonologie als ausge- zeichneter Instanzen solcher Systeme vorstellen. Das syntaktische System, als dritte sprach- liche Schnittstelle, wird demgegenüber eine untergeordnete Rolle in der Diskussion spielen. Die definierten Schnittstellen bilden Repräsentationen der Muttermodule auf ein Format ab, auf das grammatische Prozesse zugreifen können, und bilden daher Systeme mit einer grundsätzlich eigenständigen, weil sprachlich bestimmten Struktur.
Im Zentrum der Untersuchung steht die Differenzierung eines sprachlichen semanti- schen Systems SEM, die ich von drei Seiten motiviere, indem ich für die folgenden Thesen argumentiere:
Repräsentationelle Perspektive: (1) Charakteristische Abweichungen der semantischen von der konzeptuellen Ebene lassen sich durch eine Definition von SEM als sprachlicher Schnittstelle erfassen. (2) Die Art dieser Abweichungen etabliert systematische Parallelen von SEM zum phonologischen System, die sich auf die Schnittstellen-Funktion der beiden Sys- teme zurückführen lassen.
Einleitung (^) 4
Prozessualisierungsperspektive: (3) Die Identifikation von SEM als eigenständiges, sprachlich-arbiträr bestimmtes System hat eine psychologische Realität: Die Modellierung sprachlicher Schnitt- stellen motiviert eine Untersuchung zur Sprachverarbeitung, die Evidenz für die Prozessualisierung von SEM-Merkmalen liefert.
Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut:
Kapitel 1 klärt den Hintergrund der Untersuchung: Das Thema „Arbitrarität, Ikonizi- tät und Kompositionalität“, das hier zunächst nur angeschnitten wurde, wird dort genauer ausgeführt und in einen semiotischen Zusammenhang gestellt. Dies wird es uns insbesonde- re ermöglichen, die Art und Weise, wie Arbitrarität sich auf der Systemebene manifestiert und dort mit Ikonizität interagiert, als Charakteristikum menschlicher Sprache in Abgren- zung zu anderen Zeichensystemen herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang gehe ich daher auch auf verschiedene Aspekte von Kommunikationssystemen anderer Spezies ein, um aufzuzeigen, inwiefern sich hier Parallelen und mögliche Vorstufen zu unterschiedli- chen Merkmalen menschlicher Sprache finden.
Kapitel 2 führt das Konzept sprachlicher Schnittstellen als Ansatzpunkte systemati- scher Arbitrarität ein und modelliert diese innerhalb einer dreigeteilten Architektur des Sprachsystems. Ich gebe eine unifizierte Definition sprachlicher Schnittstellen als sprach- lich-arbiträr determinierter Systeme, die Repräsentationen außersprachlicher Module der Laut- und Bedeutungsrepräsentation für grammatischen Prozesse zugänglich machen. Kor- respondenzregeln, die diese Schnittstellensysteme verknüpfen, erfassen ikonische Aspekte in der Korrelation phonologischer, syntaktischer und semantischer Repräsentationen. Die- ses Modell charakterisiert Semantik und Phonologie als parallele Schnittstellen innerhalb des Sprachsystems und liefert damit eine übergreifende Perspektive auf die Distinktion und Interaktion außersprachlicher und sprachlicher Phänomene.
Kapitel 3 motiviert den Status der Semantik als eigenständiges Schnittstellensystem SEM in Abgrenzung zu generellen Strukturen des konzeptuellen Moduls CS und zeigt auf, welche Phänomene ein solches Schnittstellensystem erfassen muss. Die unterschiedliche Evidenz für eine Distinktion nicht-sprachlicher und sprachlicher (und damit aus Sicht des konzeptuellen Systems arbiträrer) Aspekte der Bedeutung lässt sich unter drei Typen von Phänomenen subsumieren: (1) die konzeptuelle Unterspezifiziertheit und mögliche konzep-
Einleitung (^) 6
von Sprachevolution als der Entwicklung solcher Schnittstellen im Zusammenspiel von Arbitrarität und Ikonizität.
1 Arbitrarität, Ikonizität und Kompositionalität
Welchen Status hat Arbitrarität für das sprachliche System, welche Relevanz hat dieses Merkmal für Sprache kontrastiv zu anderen Zeichensystemen? Die Diskussion dieser Fra- gestellung soll den Hintergrund für die Modellierung von sprachlicher Arbitrarität als Schnittstellenphänomen näher beleuchten. Im Fokus des vorliegenden Kapitels stehen da- her nicht so sehr die Annahmen unterschiedlicher semiotischer Modelle; Ziel ist es viel- mehr, die Arbitrarität sprachlicher Zeichen in einen Zusammenhang mit Merkmalen ande- rer Zeichensysteme zu stellen und aufzuzeigen, welche besonderen Auswirkungen die Ver- bindung von Arbitrarität und Kompositionalität für Sprache hat. Dies wird es erlauben, cha- rakteristische Systemeigenschaften von Sprache unter dem Blickwinkel von Arbitrarität und Ikonizität zu betrachten, und damit den Weg für die Definition von Schnittstellen für die Integration von Laut- und Bedeutungsrepräsentationen in das sprachliche System berei- ten.
Um den Rahmen der Untersuchung möglichst weit zu fassen, spreche ich im folgen- den (in Anlehnung an die von Hjelmslev 1943; 1963 geprägte Terminologie) zunächst von der Ausdrucks- und Inhaltsseite von Zeichen, wobei ich unter Zeichen generell einen Aus- druck fasse, der mit einem Inhalt verknüpft wird, ohne dass diese Verknüpfung jedoch Er- gebnis einer kognitiven Verarbeitung durch den menschlichen Geist sein muss. Ich lasse somit in Morris’ (1938; 1946) Terminologie Interpreten ohne Einschränkung, ohne die Voraussetzung komplexer kognitiver Vorgänge zu, so lange differenzierte Interpretanten , d.h. Dispositionen zu beobachtbarem Verhalten des – nicht notwendigerweise menschli- chen – Empfängers in Reaktion auf unterschiedliche Zeichen vorliegen.^4
Zur Abgrenzung der menschlichen Sprachfähigkeit unterscheide ich in Anlehnung an die klassische semiotische Dreiteilung von Peirce (1931: 2.227ff) ikonische, indexikalische und symbolische Zeichen und skizziere zunächst das Auftreten von Ikonizität und Indexika- liät in Kommunikationssystemen anderer Spezies, bevor ich auf die Arbitrarität sprachlicher Symbole 5 eingehe. Ich konzentriere mich dabei auf die unterschiedliche Art der Verbindung
(^4) Vgl. die Definition von Interpretanten bei Morris (1946): „The disposition in an interpreter to respond because of a sign, by response-sequences of some behavior-family will be called an interpretant.“ Morris (1938: 3) gibt folgende Illustration („I“ steht hierbei fürbehavior (I) involved in the hunting of chipmunks (D) to a certain sound (S)”. interpretant , „D” für designatum und „S” für sign ): „A dog responds by the type of (^5) Wie hier bereits deutlich wird, weicht diese Terminologie von der im Cours verwendeten ab: Der Begriff des „Sym- bols“, wie er hier – Peirce folgend – gebraucht wird, entspricht eher dem des (sprachlichen) Zeichens, des arbiträren
1.1 Ikonizität (^) 9
von Ausdruck und Inhalt ist – auch wenn diese Ähnlichkeit relativ zu unterschiedlichen kulturellen Kontexten u.ä. sein kann.
Da die Interpretation auf eine solche Ähnlichkeitsbeziehung rekurrieren kann, setzt sie nicht notwendigerweise eine Vertrautheit mit dem jeweiligen Zeichen voraus. Ein Bei- spiel sind Verkehrsschilder, die vor Wildwechsel warnen, in Europa oft ein rotes Dreieck mit einem Zeichen für einen Hirsch. Während das Dreieck selbst nicht-ikonisch ist, hat das enthaltene Tierzeichen eine ikonische Komponente: Die Graphik (= Ausdruck) ähnelt der Silhouette eines Hirsches, die Verbindung ist durch eine visuelle Ähnlichkeit motiviert.^8 Diese ikonische Komponente unterstützt die Interpretation vergleichbarer Schilder, die an- dere, ungewohnte Ikone enthalten, etwa Verkehrsschilder, die vor Kamelen, vor Elchen oder vor Pinguinen warnen; die Bedeutung der Ikone auf diesen Schildern kann über visuel- le Merkmale ermittelt werden, die auf zentrale Vertreter der betreffenden Tierarten verwei- sen.
Ikonische Elemente treten auch in der Tierkommunikation auf, gut belegt beispiels- weise für den Bienentanz: Wie von Frisch nachwies, können zum Stock heimkehrende Ho- nigbienen die Distanz und Lage von Futterquellen durch die Dauer und Ausrichtung ihres Tanzes signalisieren.^9 Die Bedeutung des Tanzes beruht hier auf Merkmalen, die dieser unabhängig von der Futterquelle besitzt, nämlich seiner Dauer und Ausrichtung. Diese
(^8) Diese ikonische Verbindung bezieht sich allerdings nur auf einen zentralen Vertreter der denotierten Gruppe; in diesem Fall auf Hirsche, als zentrale Vertreter für Wildtiere (die möglichen Generalisierungen – hier etwa auf Rehe,Wildschweine etc. – können sich je nach kulturellem und geographischem Kontext des Schildes unterscheiden). (^9) Vgl. von Frisch (1965) und (1977: Kap.11). Dies gilt für den Schwänzeltanz, der auf weiter entfernte Futterquellen verweist. Zur Anzeige von Futterquellen, die nah am Bienenstock liegen, benutzen die Bienen dagegen einen Rund-tanz, der lediglich das Vorhandensein einer lohnenden Futterquelle signalisiert. Die Form des Schwänzeltanzes ähnelt einer liegenden 8 mit einer langen Geraden in der Mitte. Auf dieser geradlinigen Strecke treten seitliche Schwänzel-bewegungen auf, die durch Vibrationsstöße unterstützt werden. Die Gerade wird bei längerer Entfernung langsamer getanzt, so dass die Dauer der Schwänzelzeit die Länge des Fluges (in Abhängigkeit zum Kraftaufwand für die Bie- ne) signalisiert. Bei Schwänzeltänzen auf horizontaler Fläche im Freien stimmt die Ausrichtung der Geraden zurSonne bzw. zum polarisierten Licht blauen Himmels mit der Ausrichtung des Fluges zum Futterplatz überein; bei vertikalen Schwänzeltänzen im dunklen Stock wird der Winkel zur Sonne auf den Winkel zum Lot transponiert.
1. Arbitrarität, Ikonizität und Kompositionalität (^) 10
Merkmale ähneln Merkmalen des Fluges zu der betreffenden Futterquelle (der Flug hat eine bestimmte Dauer und eine bestimmte Ausrichtung zur Sonne, je nach Entfernung und Lage der Futterquelle); die Verbindung von Ausdruck und Inhalt kann somit über eine Ähnlich- keitsbeziehung hergestellt werden, der Tanz fungiert als ikonisches Zeichen.
1.2 Indexikalität
Indexikalität liegt vor, wenn die Verbindung von Bezeichnung und Bezeichnetem durch einen zeitlichen oder räumlichen Bezug hergestellt wird; indexikalische Ausdrücke treten gemeinsam mit ihrem Inhalt auf. Die Interpretation kann hier unter anderem auf kausale Zusammenhänge rekurrieren, etwa wenn Tränen als Index für intensive Gemütsbewegun- gen (Trauer, Wut, Freude) aufgefasst werden. Als Zeichenquelle fungieren hier somit an- ders als bei ikonischen Zeichen nicht gemeinsame Merkmale, sondern ein zwischen Aus- druck und Inhalt bestehender Zusammenhang (in Abbildung 2 dargestellt als graue Linie im Hintergrund):
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Ausdruck und Inhalt als Quelle indexikali- scher Zeichen
Da indexikalische Zeichen auf einen Zusammenhang rekurrieren können, der unabhängig vom Zeichenstatus besteht, müssen sie nicht intentional erzeugt sein, um interpretiert zu werden: Indizes setzen keinen bewussten Sender für die Informationsvermittlung voraus. Indexikalische Elemente sind daher grundsätzlich nicht auf menschliche und möglicherwei- se auch nicht auf tierische Kommunikation beschränkt.
Insbesondere könnte man unter dem Begriff der Indexikalität auch ein Phänomen fas- sen, das in den letzten Jahren verstärkt in der Biochemie diskutiert wurde:^10 den chemischen
(^10) Vgl. etwa die Beiträge in Dicke & Bruin (Hg.) (2001).
Ausdruck Inhalt
1. Arbitrarität, Ikonizität und Kompositionalität (^) 12
Adaption der PEIRCE schen Dreiteilung für eine Theorie zur Evolution symbolischen Den- kens. Wie er betont, können auf dieser Grundlage auch die unterschiedlichen Alarmrufe einiger Tierarten, beispielsweise von Meerkatzen, als indexikalisch verstanden werden.
Aufbauend auf frühen Arbeiten Thomas Struhsackers (vgl. Struhsacker 1967) führten Arbeitsgruppen um die Primatologen Robert Seyfarth und Dorothy Cheney im Amboseli Nationalpark in Kenia in den späten 1970ern und 80ern eine Reihe von Studien durch, in denen sie solche Alarmrufe bei Meerkatzen systematisch untersuchten (Seyfarth et al. 1980; Cheney & Seyfarth 1990). Sie konnten nachweisen, dass die Affen mindestens drei ver- schiedene Alarmrufe bei Bedrohung durch unterschiedliche Raubtiere benutzen. Eine Art von Ruf wird produziert, wenn ein Leopard sich nähert, eine andere, wenn ein Adler gese- hen wird, und eine dritte bei Schlangen. Wenn andere Mitglieder der Meerkatzengruppe diese Rufe hören, reagieren sie mit jeweils unterschiedlichen und der jeweiligen Bedrohung angemessenen Verhaltensmustern: Während sie bei Leopardenrufen in einen Baum flüch- ten, klettern sie bei Adlerrufen aus den Bäumen herab und blicken zum Himmel und suchen bei Schlangenrufen das Gras ab.
Diese Rufe weisen damit einige Ähnlichkeit zu den oben erwähnten chemischen Sig- nalen unter Pflanzen auf: Sie werden bei konkreter Bedrohung produziert, sie unterscheiden sich bei unterschiedlichen Arten von Bedrohungen, und sie rufen bei anderen Mitgliedern der Spezies entsprechend unterschiedliche Reaktionen hervor, die der jeweiligen Bedro- hung angemessen sind. Wie die chemischen Pflanzensignale sind die Alarmrufe der Meer- katzen nicht ikonisch; es besteht keine Ähnlichkeit zwischen dem Ruf und dem jeweiligen Raubtier – z.B. klingt der Leopardenruf nicht wie das Knurren eines Leoparden, und die Intensität der Rufe hat keinen Einfluss auf die Reaktionen der Meerkatzen. Ähnlich wie die Pflanzensignale können diese Rufe vielmehr als Indizes verstanden werden; die Reaktionen der Meerkatzen weisen auf eine Interpretation der Rufe als Ausdrücke hin, die mit differen- zierten Inhalten (nämlich der Anwesenheit je nach Ruf unterschiedlicher Arten von Raub- tieren) verknüpft sind.
Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Alarmrufen und den chemischen Sig- nalen von Limabohnen besteht darin, dass die Rufe der Meerkatzen nicht kausal mit ihren Inhalten verknüpft sind und vermutlich Intentionen erster Ordnung im Sinne von Dennett (1987: Kap.7) implizieren: Sie sind nicht unwillkürlicher Ausdruck der Angst, die durch den Anblick eines Raubtieres hervorgerufen wird – auch wenn dies diachron die Basis für
1.2 Indexikalität (^) 13
die Entstehung dieser Rufe sein mag –, sondern implizieren bestimmte Überzeugungen oder Wünsche des Senders, etwa die Überzeugung, dass ein Leopard in der Nähe ist, oder der Wunsch, dass andere Meerkatzen in einen Baum flüchten.
Es konnten daher vereinzelt auch Fälle beobachtet werden, in denen ein Affe einen Leoparden-Alarmruf ausstieß, obwohl kein Raubtier in der Nähe war. Durch diese „Täu- schung“ konnte jedoch ein drohender Kampf zwischen der Gruppe des Rufers und einer anderen, überlegenen Gruppe von Meerkatzen vermieden werden, da der Ruf den Effekt hatte, dass sämtliche Meerkatzen in die Bäume flüchteten. Zudem produzieren Meerkatzen, die sich nicht in einer Gruppe befinden, Alarmrufe oft auch dann nicht, wenn sie ein Raub- tier bemerken. Ein Alarmruf würde hier die Aufmerksamkeit auf das bedrohte Tier lenken, ohne dass andere Affen gewarnt würden oder zur Unterstützung gegen das Raubtier beitra- gen könnten.
Ein weiteres Phänomen, dass darauf hinweist, dass Alarmrufe nicht kausal – als Aus- druck der Furcht – mit der Anwesenheit eines Raubtieres verbunden sind, ist die Art ihres Erwerbs. Junge Meerkatzen verwenden die verschiedenen Alarmrufe zunächst noch unspe- zifischer als die erwachsenen Tiere und insbesondere auch in Fällen, in denen keine Bedro- hung besteht; beispielsweise werden Adlerrufe zu Beginn häufig auch bei fallenden Blät- tern produziert.
Zusammenfassend lassen sich diese Rufe damit als intentional einsetzbare Mittel der Kommunikation charakterisieren. Sie sind indexikalisch insofern, als die Verbindung zwi- schen Ausdruck und Inhalt auf dem regelmäßigen Zusammenhang zwischen der Produktion des Rufes und der Anwesenheit des betreffenden Raubtiers beruht. Da dieser Zusammen- hang nicht-kausal ist, kann er – wie oben deutlich wurde – in Ausnahmefällen auch umgan- gen werden; diese Indizes bilden daher bereits den Übergang zu arbiträren Zeichen.
1.3 Symbolische Zeichensysteme: Arbitrarität und systembedingte
Zuordnungen
Die Interpretation von Symbolen gründet nicht in Merkmalen, die dem Ausdruck oder sei- ner Verbindung mit dem Inhalt inhärent sind; sie rekurriert weder auf Ähnlichkeiten, noch auf kausale Verbindungen oder generell auf zeitliche oder räumliche Bezüge zwischen Ausdruck und Inhalt. Die Verknüpfung von Ausdruck und Inhalt ist damit im Fall von
1.3 Symbolische Zeichensysteme: Arbitrarität und systembedingte Zuordnungen (^) 15
Signifikats.^13 Aus Sicht des einzelnen Sprechers ist die Verknüpfung jedoch nicht beliebig und frei wählbar, sondern gegeben – eben weil auf Konvention gründend; es besteht, in Platons Worten, „eine Richtigkeit der Worte [...], [...] die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet“.
Arbitrarität und Konventionalität wurden in der sprachphilosophischen Diskussion oft im Gegensatz zu einer möglichen Ähnlichkeitsbeziehung zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihrem Inhalt gesehen. Auch Platon diskutiert beispielsweise im Kratylos – wie auch Leibniz im weiteren Verlauf der Nouveaux Essais – eine solche Ähnlichkeitsbeziehung als mögliche Basis für die Bedeutung von Worten, wendet jedoch ein, diese allein sei nicht ausreichend, es sei vielmehr „notwendig [...], jenes gemeinere, die Verabredung, mit zu Hülfe zu nehmen bei der Richtigkeit der Worte.“ (Platon, Kratylos : 435 [Äußerung von Sokrates]). Dies impliziert jedoch nicht, dass eine Ähnlichkeit (oder eine kausale Verbin- dung) zwischen Ausdruck und Inhalt gar nicht auftreten darf oder beispielsweise die Form eines bestimmten Symbols nicht motivieren kann.
Ein häufig genanntes sprachliches Phänomen sind in diesem Zusammenhang Onoma- topoetika. Bezeichnungen wie „wau wau“ oder „Kikeriki“ ähneln offensichtlich dem Hun- degebell bzw. dem Hahnenschrei, auf die sie referieren, und ähnliches findet sich auch für stärker grammatisch integrierte Elemente, etwa für ein Verb wie miauen. Bereits de Saussu- re verwies jedoch darauf, dass auch hier eine konventionelle Basis vorhanden ist, wie etwa der übereinzelsprachliche Vergleich zeigt (für „wau wau“ oder „Kikeriki“ beispielsweise mit französisch „ouaoua“ und „cocorico“ oder englisch „bow wow“ und „cock-a-doodle- do“).
Dennoch sind diese Zeichen offensichtlich nicht völlig unmotiviert und stellen damit streng genommen ein Problem für eine Explikation von Arbitrarität dar, wie sie an einigen Stellen im Cours gegeben wird, etwa wenn als Erläuterung zur Arbitrarität ausgeführt wird,
(^13) Vgl. de Saussure (1916: 141): „Le mot arbitraire appelle aussi une remarque. Il ne doit pas donner l’idée que le signifiant dépend du libre choix du sujet parlant […]; nous voulons dire qu’il est […] arbitraire par rapport au signi- fié“.
1. Arbitrarität, Ikonizität und Kompositionalität (^) 16
der Signifikant sei „ immotivé , c’est-à-dire arbitraire par rapport au signifié, avec lequel il n’a aucune attache naturelle dans la réalité.“^14 (de Saussure 1916: 141).
Es ist daher sinnvoll, die Arbitrarität von Symbolen abweichend von dieser Explika- tion grundsätzlich in ihrer konventionellen Basis zu sehen und nicht so sehr in der Unmoti- viertheit der Ausdrücke. Symbole können nach dieser Auffassung sowohl unmotiviert als auch motiviert sein; insbesondere können sie ihren Referenten ähneln und damit ein ikoni- sches Potential haben. Wesentlich ist, dass dieses Potential nicht (oder nicht mehr) realisiert wird, d.h. nicht der Konstitution von Referenz dient: Die Verbindung zwischen Ausdruck und Inhalt ist nicht durch die Ähnlichkeitsbeziehung determiniert, sondern konventionell bestimmt.
In diese Richtung geht bereits eine weitere Stelle im Kratylos. Gegenüber Kratylos' Ansicht, es gäbe eine „natürliche Richtigkeit der Wörter“ (Platon, Kratylos : 383), unabhän- gig von der Gewohnheit der Sprechenden, gibt Sokrates dort zu bedenken:
„[...] so wird dir doch Verabredung der Grund der Richtigkeit der Wörter, da ja die unähnlichen Buchstaben nicht weniger als die ähnlichen kund machen, sobald sie Gewohnheit und Verabredung für sich haben. Und wenn denn auch ja Gewohnheit nicht Verabredung ist: so ist es deshalb doch nicht richtig zu sagen, daß in der Ähn- lichkeit die Darstellung liege, sondern in der Gewohnheit müßte man sagen, denn die- se wie es scheint stellt dar, durch Ähnliches wie durch Unähnliches.“ (Platon, Kratylos : 435)
Die konventionelle Determiniertheit kann, wie an den obigen Beispielen deutlich wurde, einzelsprachliche Unterschiede zwischen motivierten Symbolen bedingen; zudem erlaubt die konventionelle Basis auch im Fall motivierter Symbole grundsätzlich eine Veränderung oder Substitution auf der Ausdrucksseite, und diese kann unter anderem zum Verlust des ikonischen Potentials führen, ohne dass das Zeichen dadurch seine Bedeutung verliert.
Ein Gedankenexperiment für das oben erwähnte Verb miauen verdeutlicht dies. Mi- auen besitzt sicher ein ikonisches Potential: Der Ausdruck bildet zumindest zu einem ge- wissen Grad die Lautäußerungen von Katzen nach, auf die er sich bezieht; er teilt damit ein Merkmal mit dem Inhalt des Zeichens.
(^14) In der deutschen Übersetzung: „ unmotiviert ist, d.h. beliebig im Verhältnis zum Bezeichneten, mit welchem es in Wirklichkeit keinerlei natürliche Zusammengehörigkeit hat“ (de Saussure 1967: 80).