Nur auf Docsity: Lade SR:Aussagedelikte-Arbeitsblatt Prof. Heinrich WS 18 und mehr Skripte als PDF für Strafrecht herunter! Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 1. Oktober 2018 Vorlesung Strafrecht - Besonderer Teil - Arbeitsblatt Nr. 49 Aussagedelikte, §§ 153 ff. StGB I. Rechtsgut: Die staatliche Rechtspflege II. Übersicht: Die Aussagedelikte sind reine Tätigkeitsdelikte sowie abstrakte Gefährdungsdelikte. Zudem sind sie eigenhändige Delikte, Mittäter- schaft und mittelbare Täterschaft sind nicht möglich (daher Sonderregelung in § 160 StGB). §§ 153, 156 StGB sind Vergehen ohne Versuchsstrafbarkeit, § 154 StGB ist ein Verbrechen. III. Täterkreis 1. Falsche uneidliche Aussage (§ 153 StGB): nur Zeugen und Sachverständige 2. Meineid (§ 154 StGB): alle diejenigen, die unter Eid aussagen müssen, also auch: Parteien im Zivilprozess; nicht: der Angeklagte im Strafprozess (vgl. ferner die Ausnahmen der Eidesunmündigkeit und -unfähigkeit in § 60 Nr. 1 StPO) IV. Zuständige Stellen: staatliche Gerichte und alle zur Abnahme von Eiden zuständigen Stellen (nicht: Polizei, Staatsanwaltschaft); beim Meineid zu- sätzlich: Eid muss in diesem Verfahren zulässig sein und von der zuständigen Person abgenommen werden. V. Falschheit der Aussage (vgl. ausführlich Examinatorium Strafrecht BT, Aussagedelikte 1, Arbeitsblatt Nr. 48): 1. Subjektive Theorie: Eine Aussage ist falsch, wenn sie dem subjektiven Vorstellungsbild des Aussagenden widerspricht. Hier also notwendig: Widerspruch zwischen Wort und Wissen. Glaubt der Täter wahrheitsgemäß auszusagen entfällt der objektive Tatbestand. 2. Objektive Theorie (BGH): Eine Aussage ist falsch, wenn sie mit dem objektiven Geschehen nicht übereinstimmt. Notwendig also: Wider- spruch zwischen Wort und Wirklichkeit. Glaubt der Täter wahrheitsgemäß auszusagen entfällt der subjektive Tatbestand. 3. Pflichttheorie: Eine Aussage ist dann falsch, wenn der Aussagende seine Pflicht verletzt, sorgfältig darüber nachzudenken, was er zu sagen hat, d.h. Aussagen ins Blaue hinein macht. Notwendig also: Widerspruch zwischen Wort und Pflicht. VI. Spezialprobleme bei § 153 StGB Erfasst sind nach h.M. nur mündliche Äußerungen. Der Umfang der Wahrheitspflicht wird durch den Vernehmungsgegenstand begrenzt (insbeson- dere wichtig bei Spontanäußerungen). Da eine Aussage vollständig sein muss, ist auch das Verschweigen von Tatsachen tatbestandsmäßig. Voll- endet ist die Tat i.d.R. erst mit Abschluss der Vernehmung, die sich auch über mehrere Verhandlungstage erstrecken kann (denkbar auch: mehrfach „abschließende“ Vernehmungen eines Zeugen in derselben Instanz). VII. Modifikationen der Regelungen des Allgemeinen Teils 1. § 157 StGB (Aussagenotstand): Dies ist ein Spezialfall der inneren Zwangslage des Täters außerhalb der §§ 34, 35 StGB. Allein die subjektive Vorstellung des Täters über die Gefahr einer Bestrafung ist maßgebend. Str. ist insbesondere die Ableistung eines Meineids, um eine vorausgegangene uneidliche Falschaussage zu verdecken. Nach h.M. ist § 157 StGB unanwendbar, wenn die Falschaussage und der Meineid im selben Rechtszug stattfinden; anders ist dies, wenn die Aussage in der Berufungsverhandlung wiederholt wird. 2. § 158 StGB (Berichtigung einer falschen Aussage): Dies ist ein Spezialfall der tätigen Reue = Rücktritt vom vollendeten Delikt. § 158 StGB wird weit ausgelegt und erstreckt sich insbesondere auch auf Teilnehmer an der Falschaussage. Es ist keine Freiwilligkeit erforderlich. Ein Berichtigen setzt das Zurücknehmen der früheren falschen und ihr Ersetzen durch eine richtige Aussage voraus. 3. § 159 StGB: Obwohl der Versuch der Anstiftung nach § 30 StGB üblicherweise nur beim Verbrechen strafbar ist, enthält § 159 StGB eine Erweiterung auf die Vergehen der falschen uneidlichen Aussage (§ 153 StGB) und der falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB). 4. § 160 StGB: Die Verleitung zur Falschaussage enthält eine spezielle Regelung der mittelbaren Täterschaft, die ansonsten bei den Aussagede- likten nicht möglich wäre, da es sich um eigenhändige Delikte handelt. Problematisch sind diejenigen Fälle, in welchen der Täter den falsch Aussagenden irrtümlich für gut- oder bösgläubig hält. VIII. Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen (vgl. ausführlich Examinatorium Strafrecht BT, Aussagedelikte 2, Arbeitsblatt Nr. 49): 1. Verhinderungstheorie: Eine Erfolgsabwendungspflicht besteht bereits dann, wenn eine Partei selbst den Zeugen zur Bestätigung einer unwahren Behauptung benennt oder durch wahrheitswidriges Bestreiten die Vernehmung eines Zeugen veranlasst. 2. Risikoerhöhungstheorie (neuere Rspr.): Eine Pflicht, die Falschaussage eines Zeugen zu verhindern, besteht nur dann, wenn eine Partei den Zeugen in eine dem Prozess nicht mehr eigentümliche („prozessinadäquate“) Gefahr der Falschaussage gebracht hat. Wahrheitswidriges Bestreiten oder die bloße Zeugenbenennung reichen hierfür nicht aus. 3. Eigenverantwortlichkeitstheorie: Eine Pflicht, die Falschaussage eines „mündigen“ Zeugen zu verhindern, besteht nicht. Literatur / Lehrbücher: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf-Hilgendorf, § 47; Eisele, BT 1, §§ 72-79; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 8 I; Rengier, BT II, § 49; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, § 17. Literatur / Aufsätze: Bartholme, Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen, JA 1998, 204; Bosch, Ausgewählte Probleme der Aussagedelikte, JURA 2015, 1295; Cramer, Falsche Versicherung an Eides Statt durch Verschweigen entscheidungserheblicher Tatsachen, JURA 1998, 337; Eisele, Versuch, Rücktritt und Berichtigung der Aussage bei §§ 153 bis 156 StGB, JA 2011, 667; Eschenbach, Verleiten i.S.d. § 160 StGB – eine Verführung zur Überbetonung teleologischer Interpretation, JURA 1993, 407; Geppert, Welche Bedeutung hat die Nichtbeachtung strafprozessualer Vorschriften für die Strafbarkeit nach den §§ 153 ff. StGB, JURA 1988, 496; ders., Grundfragen der Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB), JURA 2002, 173; B. Heinrich, Die strafbare Beteiligung des Angeklagten an falschen Zeugenaussagen, JuS 1995, 1113; Hettinger/Bender, Die Aussagedelikte (§§ 153-162 StGB), JuS 2015, 577; Katzenberger/Pitz, „Si tacuisses ...“. Eine methodische Darstellung der Aussagedelikte, ZJS 2009, 659; Kudlich/Henn, Täterschaft und Teilnahme bei den Aussagedelikten, JA 2008, 510; Otto, Die Aussagedelikte, §§ 153-163 StGB, JuS 1984, 161; ders., Die falsche Aussage i.S. der §§ 153 ff. StGB, JURA 1985, 389; Reese, Die Aussagedelikte als Prüfungsaufgabe, JA 2005, 612; Vormbaum, Versuchte Beteiligung an der Falschaussage – Zum Verhältnis der §§ 30 und 159 –, GA 1986, 353; Wolf, Falsche Aussage, Eid und eidesgleiche Beteuerungen, JuS 1991, 177. Literatur / Fälle: Eisele, Das misslungene Bremsmanöver, JA 2003, 40; Fad, Rechtsstaatliche Offensive in Schilda, JURA 2002, 632; Kelker, Ein Kneipenbesuch mit Folgen, JURA 1996, 89; Mitsch, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Teilnahme, Versuch und Rücktritt bei Aussagedelikten, JuS 2005, 340; Vormbaum, Die hilfreiche Schwester, JuS 1980, 367. Rechtsprechung: BGHSt 3, 221 – Mehrverkehr (Verschweigen von Tatsachen); BGHSt 4, 214 – Altersangabe (Umfang der Aussagen, die der Wahrheitspflicht unterfallen); BGHSt 7, 147 – Offenbarungseid (Inhalt einer Aussage); BGHSt 8, 301 – Eidesnotstand (Verhältnis §§ 153 StGB – 154 StGB); BGHSt 12, 56 – Verschol- lenheit (Wahrheitspflicht im FGG-Verfahren); BGHSt 21, 116 – Verleitung (Probleme des § 160 StGB); BGHSt 24, 38 – Strafrichter (Falsche eidesstattliche Versicherung im Strafverfahren); BGHSt 25, 244 – Mehrverkehr (Verschweigen von Tatsachen); BGHSt 36, 277 – Glaubhaftmachung (Umfang und Grenzen der Wahrheitspflicht bei eidesstattlicher Versicherung); BGHSt 45, 16 – Arbeitsgericht (Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung); BGH NStZ 1993, 489 – Bedenkzeit (Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen).