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Leitfäden und Tipps
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Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung, Skripte von Historische Geographie

Städtische Räume: Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung

Art: Skripte

2019/2020

Hochgeladen am 09.04.2020

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[1] DER SPIEGEL 52/1999, S. 130 f.
M 2 Deutsche Stiftung Weltbe-
völkerung (Hrsg.): Datenreport
2004. Hannover 2004, S. 6 – 15
Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung
Verstädterung
Slum
Migration
Land-Stadt-Wande-
rung
Push-Faktoren
Pull-Faktoren
Der nebenstehende Text
[1]
ist inzwischen zwar
mehr als zehn Jahre alt, er hat an Brisanz und
Aktualität aber bis heute nichts verloren. Der
Anteil der städtischen Bevölkerung in den Ent-
wicklungsländern ist zwischen 1980 und 2006
von 29 % auf 45 % angewachsen – und es ist da-
von auszugehen, dass sich die Wachstumsra-
ten in den nächsten Jahrzehnten weiterhin zwi-
schen 4 und 7 % bewegen werden. So könnte
z. B. die Agglomeration Mumbai (Bombay) bei
gleichbleibendem Wachstum im Jahre 2015 die
26-Millionen-Grenze überschreiten.
Ursachen des Städtewachstums
Migration und natürliche demographische Pro-
zesse sind zu jeweils etwa gleichen Teilen für
das rapide Städtewachstum in den Entwick-
lungsländern verantwortlich. Besonders junge
Bevölkerungsgruppen verlassen den ländlichen
Raum, da sie hier auf absehbare Zeit keine Le-
bensperspektive sehen. Der ländliche Raum
verliert so die wirtschaftlich aktivste Bevölke-
rungsgruppe, während die Aufnahmekapazität
der Städte infolge der starken Zuwanderungen
überfordert ist.
Migration und Verstädterung
„In Dörfern Afrikas, Asiens und Lateinameri-
kas gilt die Parole aus dem Europa des Mittelal-
ters: ‚Stadtluft macht frei!‘ Tag für Tag verlassen
170 000 Menschen in der Dritten Welt ihre Fel-
der und ziehen in wuchernde Metropolen.
Doch statt der erträumten Befreiung von Armut
und sozialen Fesseln bringt die Verstädterung
oft nur neues Elend. Gerade im Zeitalter der
Globalisierung finden viele Zuwanderer keine
Arbeit und enden mit ihren Familien in Slums
ohne Strom und Kanalisation. Es gibt keine
Schulen, niemand transportiert den Müll ab.
Die verschmutzte Umwelt macht die Menschen
krank. Verbittert schauen die Bewohner der
Elendsviertel auf überall entstehende Ghettos
der Reichen, die von privaten Sicherheitsdiens-
ten bewacht werden müssen. Denn die Kluft
zwischen Wohlhabenden und Habenichtsen er-
zeugt Gewaltkriminalität, gegen die kommunale
Behörden nicht ankommen. Polizisten wagen
sich nicht mehr in von Banden beherrschte ‚No
go areas‘. Angesichts der Polarisierung in vie-
len Megacitys warnen Experten vor der sozialen
‚Zeitbombe Megastadt‘.“ [1]
M 1 Motive der Land-Stadt-Wanderung
Nachteilige Strukturmerkmale des länd-
lichen Raums (Push-Faktoren)
Persönliche Motive und
Kommunikationsmedien
Attraktive Strukturmerkmale des
städtischen Raums (Pull-Faktoren)
niedriger Lebensstandard
unzureichende Ernährungslage infolge
Landknappheit
Arbeitslosigkeit
Unterdrückung durch Grundbesitzer
Ausbeutung durch Zwischenhändler
mangelnde Versorgung mit öffentli-
chen Dienstleistungen (Schule, Kran-
kenhaus etc.)
geringe Teilnahmemöglichkeit an Gü-
tern und Dienstleistungen des Staates
erstarrte Sozialstrukturen
mangelnde Innovationsbereitschaft
Ernterisiko durch Witterungseinflüsse/
Bodenzerstörung
Glaube an eine Verbesserung der
Situation („schlechter kann es
nicht werden“)
außengeleitetes Verhalten/Mode
(„wie der Freund/Bruder“)
Radio/Fernsehen/Presse
Berichte von Besuchern aus der
Stadt
Saisonarbeit in der Stadt, z. B. auf
Baustellen
Arbeitsmöglichkeiten
höherer Verdienst
Aufstiegschancen
größere persönliche Freiheit
größere Auswahl an öffentlichen
Infrastruktureinrichtungen
(Schule, Krankenhaus etc.)
größere Teilnahmemöglichkeit an
Gütern und Dienstleistungen des
Staates
abwechslungsreicherer Lebens-
alltag
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[1] DER SPIEGEL 52/1999, S. 130 f. M 2 Deutsche Stiftung Weltbe- völkerung (Hrsg.): Datenreport

  1. Hannover 2004, S. 6 – 15

Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung

Verstädterung

Slum

Migration

Land-Stadt-Wande- rung Push-Faktoren Pull-Faktoren

Der nebenstehende Text [1] ist inzwischen zwar mehr als zehn Jahre alt, er hat an Brisanz und Aktualität aber bis heute nichts verloren. Der Anteil der städtischen Bevölkerung in den Ent- wicklungsländern ist zwischen 1980 und 2006 von 29 % auf 45 % angewachsen – und es ist da- von auszugehen, dass sich die Wachstumsra- ten in den nächsten Jahrzehnten weiterhin zwi- schen 4 und 7 % bewegen werden. So könnte z. B. die Agglomeration Mumbai (Bombay) bei gleichbleibendem Wachstum im Jahre 2015 die 26-Millionen-Grenze überschreiten.

Ursachen des Städtewachstums Migration und natürliche demographische Pro- zesse sind zu jeweils etwa gleichen Teilen für das rapide Städtewachstum in den Entwick- lungsländern verantwortlich. Besonders junge Bevölkerungsgruppen verlassen den ländlichen Raum, da sie hier auf absehbare Zeit keine Le- bensperspektive sehen. Der ländliche Raum verliert so die wirtschaftlich aktivste Bevölke- rungsgruppe, während die Aufnahmekapazität der Städte infolge der starken Zuwanderungen überfordert ist.

Migration und Verstädterung

„In Dörfern Afrikas, Asiens und Lateinameri- kas gilt die Parole aus dem Europa des Mittelal- ters: ‚Stadtluft macht frei!‘ Tag für Tag verlassen 170 000 Menschen in der Dritten Welt ihre Fel- der und ziehen in wuchernde Metropolen. Doch statt der erträumten Befreiung von Armut und sozialen Fesseln bringt die Verstädterung oft nur neues Elend. Gerade im Zeitalter der Globalisierung finden viele Zuwanderer keine Arbeit und enden mit ihren Familien in Slums ohne Strom und Kanalisation. Es gibt keine Schulen, niemand transportiert den Müll ab. Die verschmutzte Umwelt macht die Menschen krank. Verbittert schauen die Bewohner der Elendsviertel auf überall entstehende Ghettos der Reichen, die von privaten Sicherheitsdiens- ten bewacht werden müssen. Denn die Kluft zwischen Wohlhabenden und Habenichtsen er- zeugt Gewaltkriminalität, gegen die kommunale Behörden nicht ankommen. Polizisten wagen sich nicht mehr in von Banden beherrschte ‚No go areas‘. Angesichts der Polarisierung in vie- len Megacitys warnen Experten vor der sozialen ‚Zeitbombe Megastadt‘.“ [1]

M 1 Motive der Land-Stadt-Wanderung

Nachteilige Strukturmerkmale des länd- lichen Raums (Push-Faktoren)

Persönliche Motive und Kommunikationsmedien

Attraktive Strukturmerkmale des städtischen Raums (Pull-Faktoren)

  • niedriger Lebensstandard
  • unzureichende Ernährungslage infolge Landknappheit
  • Arbeitslosigkeit
  • Unterdrückung durch Grundbesitzer
  • Ausbeutung durch Zwischenhändler
  • mangelnde Versorgung mit öffentli- chen Dienstleistungen (Schule, Kran- kenhaus etc.)
  • geringe Teilnahmemöglichkeit an Gü- tern und Dienstleistungen des Staates
  • erstarrte Sozialstrukturen
  • mangelnde Innovationsbereitschaft
  • Ernterisiko durch Witterungseinflüsse/ Bodenzerstörung - Glaube an eine Verbesserung der Situation („schlechter kann es nicht werden“) - außengeleitetes Verhalten/Mode („wie der Freund/Bruder“) - Radio/Fernsehen/Presse - Berichte von Besuchern aus der Stadt - Saisonarbeit in der Stadt, z. B. auf Baustellen - Arbeitsmöglichkeiten - höherer Verdienst - Aufstiegschancen - größere persönliche Freiheit - größere Auswahl an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen (Schule, Krankenhaus etc.) - größere Teilnahmemöglichkeit an Gütern und Dienstleistungen des Staates - abwechslungsreicherer Lebens- alltag

Entwicklungsländer • Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

Verstädterungsgrad

Metropolisierung

Megapolisierung

demographische Primacy

funktionale Primacy

Metropolisierung und Megapolisierung Besorgniserregend ist in den Entwicklungslän- dern vor allem das explosionsartige Wachstum der Metropolen und der Megastädte. Unter Me- tropolen verstehen wir die Hauptstädte und die Millionenstädte eines Landes, unter Megastäd- ten – nach einer Definition der Vereinten Natio- nen – Städte mit mehr als 5 Mio. Einwohnern. Der Konzentrationsprozess der Bevölkerung in den Millionenstädten zeigt sich in fast allen Entwicklungsländern. Oft umfassen die Haupt- städte über ein Viertel der Gesamtbevölkerung eines Landes. Dieses bevölkerungsmäßige Über- gewicht einer Metropole wird als demographi- sche Primacy bezeichnet. Ihr Indikator ist der prozentuale Anteil der Metropolbevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Landes. Für die Agglomeration Mexiko-Stadt z. B. betrug er 2006 18,8 % und für Lima 28,7 % (Berlin 4,1 %). Mit der demographischen Primacy allein lässt sich das Problem der Metropolisierung jedoch nicht erfassen. Aussagekräftiger ist im Hinblick auf die Entwicklungsperspektiven eines Lan- des die funktionale Primacy. Darunter versteht man die starke Konzentration von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen in der jeweiligen Metropole. Infolge ihrer über- proportionalen Ausstattung mit Einrichtungen der Infrastruktur und mit Arbeitsplätzen im Se- kundären und Tertiären Sektor wachsen die re- gionalen Disparitäten im Land.

Regionale Trends der Verstädterung Der Verstädterungsgrad, d. h. der Anteil der Be- völkerung eines Landes, der in Städten lebt, weist starke regionale Unterschiede auf. Wäh- rend Lateinamerika mit durchschnittlich 76 % den Verstädterungsgrad Europas und Nord- amerikas nahezu erreicht hat, sind die Ent- wicklungsländer in Asien und Afrika noch stark ländlich geprägt. Besonders in Subsahara-Af- rika gibt es „reine“ Agrarländer wie z. B. Burundi oder Uganda mit einem Verstädterungsgrad von lediglich 10 bzw. 13 %. Im weltweiten Ver- gleich wachsen die Städte Afrikas jedoch beson- ders stark, im Durchschnitt um etwa 5 % jähr- lich. Die Probleme, die sich aus dieser schnell voranschreitenden Verstädterung ergeben, wer- den durch die seit zwei Jahrzehnten anhaltende wirtschaftliche Stagnation noch verstärkt. Die Durchschnittswerte für den Verstädterungs- grad und das Städtewachstum verschleiern das Ausmaß des Prozesses. Dieser wird erst deutlich, wenn die absoluten Zahlen betrachtet werden. Ein städtisches Wachstum von z. B. 5 % besagt, dass sich die Einwohnerzahl dieser Stadt in nur 14 Jahren verdoppeln wird. Kinshasa z. B. hätte dann statt heute 7,3 Mio. Einwohner in 14 Jah- ren 14,6 Mio. und Lagos statt 10,1 Mio. 20,2 Mio. Die wenigen Beispiele lassen erahnen, was für ein Konfliktpotenzial dieses Städtewachstum in sich birgt und welche gewaltigen Probleme auf die Städte zukommen.

M 2 Verstädterungsgrad und BSP/Kopf auf der Erde Anfang des 21. Jh.s

Äquator

nördl. Wendekreis

nördl. Polarkreis

Wendekreis

südl.

C h i n a

Japan

Nigeria I n d i e n

Ägypten

B r a s i l i e n

Mexiko

U S A

I n d o n e s i e n

New York

Mexiko

Buenos Aires

Rio de São Paulo Janeiro

Lagos

Los Angeles Osaka Kairo (^) Karachi Delhi

Mumbai

Dhaka Manila

Jakarta

Beijing Tokyo

Shanghai Kalkutta

AFRIKA 38%

AUSTRALIEN/ OZEANIEN 74%

ASIEN 38% NORDAMERIKA 78%

LATEINAMERIKA/ KARIBIK 76%

EUROPA 74%

Städte mit mehr als 10 Mio. Einwohnern seit: 1950 1975 2000

Verstädterungsgrad (%)

30 bis 45

5 bis 30

45 bis 60

60 bis 75 bis 100 keine Angaben

Bruttosozialprodukt pro Kopf in PPP 2002

1000

unter

2500 7500

über 15000 US-$ keine Angaben

75

1000 US-$ 2 500 US-$ 7500 US-$

bis bis bis bis 15000 US-$

0 4000 km

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

Fallbeispiel: Mumbai (Bombay)

M 10 Maßnahmen der Stadt

„Die Gegenmaßnahmen der Stadtverwal- tung reichen von der Legalisierung illegal besetzter Flächen über mehrere ‚Slumauf- wertungsprogramme‘ bis hin zu Zwangs- räumungen … Bis zu 80 000 illegale Hüt- ten werden jährlich zwangsgeräumt oder demoliert, nur um dann an anderer oder auch an der gleichen Stelle einige Tage später wieder neu aufgebaut zu werden. Es ist keine Seltenheit, dass Hüttenbe- wohner innerhalb weniger Jahre ihre Be- hausung sieben- oder achtmal wieder auf- bauen müssen.“

M 8 Anzahl der Marginalsiedlungen in Mumbai Jahr Anzahl Zunahme 1971 442 – 1981 619 40 % 1991 1 068 72 % 2001 1 719 61 % Zunahme 1971 – 2002

1 277 289 %

M 9 Marginalsiedlung Dharavi in Mumbai Dharavi Nr. 561 „G“, Kernstadt

1981 2001/

Einwohner 40 520 43 918 Anzahl Toiletten 0 276 Ew./Toilette k. A. 159 Anzahl Wasser- anschlüsse

130 211

Ew. /Wasser- anschluss

312 208

Anzahl Elektrizitäts- anschlüsse

0 755

Ew./Elektrizitäts- anschluss

k. A. 586

Ew. pro Behausung k. A. 5

M 4 Funktionale Primacy Mumbais Mumbai Indien Index ** Einwohner in Mio. 2001 11,9 1 027,0 (a) 1,1 % Pro-Kopf-Einkommen 2002 – 2003 (Indische Rupien = Rs) 45 471 14 712 (b) 309 Haushalte mit Einkommen von > 86 000 Rs pro Jahr 1999 47 % 3,4 % (b) 1382 Telefonanschlüsse pro 100 Ew. 1999 14,0 2,7 (b) 519 Krankenhausbetten pro 1 000 Ew. 1998 4,2 0,7 (b) 600 Marginalbevölkerung 2001 für U. A.***

  • Anteil an urbaner Bevölkerung, offizielle Angaben 34,3 % 21,3 % (b) 161 Top Indische Unternehmen 2001
  • Top 100 43 100 (a) 43,0 % Hauptsitze von indischen Banken (2001) 48 95 (a) 50,5 % ** (a) = Anteil Mumbai an Indien (%), (b) = Indien = 100 *** Bei diesen Angaben handelt es sich um die offiziellen Angaben der Stadtverwaltung für die urbane Ag- glomeration (U. A.). Anmerkung: Die Zahlen beziehen sich, falls nicht anders angegeben, auf das Kerngebiet M. C. Municipal Corporation (Greater Mumbai)

M 5 Mumbai – Indiens Wirtschaftshaupt- stadt

„Vor knapp 350 Jahren noch ein ‚Braut- geschenk‘ der Portugiesen an das briti- sche Königshaus ist Mumbai heute In- diens größte und wirtschaftlich aktivste Stadt. Gerade in den letzten Jahren, in de- nen Indiens Bedeutung als internationaler Wirtschaftsstandort enorm gestiegen ist, konnte auch Mumbai an dem Aufschwung partizipieren. Keine Straßenecke mehr, in der nicht der Einfluss ausländischer Unter- nehmen oder auch die wachsende Kauf- kraft der Menschen zu spüren wäre.“

M 6 Mumbai, Stadt der Gegensätze

„In keiner Metropole Indiens ist die Dis- krepanz zwischen Reichtum und unvor- stellbarer Armut so ausgeprägt, so maß- los wie in der reichsten Stadt des Sub- kontinentalstaates. Den schätzungsweise 12 000 Dollarmillionären … stehen – nach amtlichen Angaben – knapp 6,5 Millio- nen Marginalbewohner … gegenüber: das sind 54,1 % der Bevölkerung! … In Mumbai [lebt] die Mehrzahl der Margi- nalbewohner noch immer in Squatter- siedlungen … Das bedeutet nicht allein ein Wohnen in überwiegend einräumigen fensterlosen Hütten … , sondern, wichti- ger, das weitgehende Fehlen [der Befrie- digung] von Grundbedürfnissen.“

M 7 Lebensbedingungen in Squattersied- lungen

„Die Flächen zwischen und vor den Hüt- ten sind oftmals mit Müll übersät … Die Bewohner haben keinerlei Besitzrechte an dem Land. Daher müssen sie mit der ständigen Angst leben, dass ihre Hütten aus öffentlichem Interesse kurzfristig ge- räumt werden. Sie verfügen zumeist nicht über einen eigenen Stromanschluss (auch nicht illegal) und es sind keine befestig- ten Wege vorhanden. Oftmals fehlen öf- fentliche Infrastruktureinrichtungen völ- lig. So ist es keine Seltenheit, dass sich in einer Marginalsiedlung in Mumbai der Straßenverlauf von heute auf morgen än- dert, weil irgendeine Hütte zusammen- fiel und/oder über Nacht neue Hütten auf dem (Trampel-)Pfad errichtet wurden … Zwar wurden in manchen Marginalsied- lungen durch Eigenleistung der Bewoh- ner eigene Produktionsstätten geschaf- fen. Allerdings befinden sich die meisten Marginalsiedlungen in den Händen so ge- nannter ‚Slum Lords‘, die … Schutzgelder bei den Bewohnern erpressen, unrecht- mäßige ‚Mieten‘ eintreiben (obwohl ihnen die Flächen gar nicht gehören, sondern das Hüttenviertel illegalen Charakter hat), Wasser aus Tanks zu überhöhten Preisen an die Einwohner verkaufen und den Ge- winn der dortigen Produktionsstätten in die eigene Tasche stecken.“

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

[1] nach Martin Coy/Frauke Kraas: Probleme der Urbanisie- rung in den Entwicklungsländern. In: Petermanns Geographische Mitteilungen, 147 Jg., H. 1. Gotha: Perthes 2003, S. 36 – 37

Geographieunterrichts, Bd. 8/I: Entwicklungsländer I. Köln: Aulis 2007, S. 213

M 11 Eberhard Rothfuß/Veronika Deffner: Informeller urbaner Sektor – ungesicherte Ökonomie der Mehrheit in Lateinamerika, Afrika und Asien. In: Dieter Böhn/Eberhard Rothfuß (Hrsg.): Handbuch des

informeller Sektor (G)

Häufig wird die Bezeichnung „informell“ auch mit „illegal“ gleichgesetzt. Dies ist jedoch eine Diskriminierung für jeden „Informellen“, der in dieser Tätigkeit die einzige Möglichkeit sieht, sich und seine Familie zu ernähren.

Merkmale des informellen Sektors Einige Merkmale des informellen Sektors zeigen, warum er auch zukünftig in den Entwicklungs- ländern bedeutsam sein wird. Dazu zählen:

  • geringe Eintrittsschranken,
  • Verwendung lokaler Ressourcen,
  • kleine Betriebsgrößen,
  • Vorherrschen von Familienunternehmen,
  • Einsatz arbeitsintensiver, angepasster Techni- ken,
  • Möglichkeit zum Erwerb der benötigten Fer- tigkeiten außerhalb des formellen Schulsys- tems.

Der informelle Sektor als Über-

lebensstrategie

Trotz ihres beherrschenden Übergewichts kön- nen die Metropolen und Großstädte der Entwick- lungsländer die Hoffnungen der Neuankömm- linge oft nicht erfüllen. Die Aufnahmefähigkeit der lokalen Industrie und des öffentlichen Terti- ären Sektors reicht nicht aus, um der Masse der Zuwanderer Arbeit zu bieten. Die meisten su- chen deshalb ein Auskommen im so genannten informellen Sektor. Man spricht deshalb auch vom informellen Sektor als einer „Ökonomie der Mehrheit“ in den Entwicklungsländern.

Als informell bezeichnet man jene wirtschaft- lichen Tätigkeiten, die keinem geregelten Ar- beitsverhältnis unterliegen, von der Steuer nicht erfasst werden und auch keinen sozial- und ar- beitsrechtlichen Schutz genießen. Bei uns würde man von „Schattenwirtschaft“ oder „Schwarzar- beit“ sprechen. Beide Begriffe treffen aber nicht die Verhältnisse in den Entwicklungsländern. Während bei uns die Einkünfte aus der Schatten- wirtschaft meist Neben- oder Zuerwerb sind, gilt der informelle Sektor in den Entwicklungslän- dern als Überlebensökonomie. Zum informel- len Sektor zählen z. B. Straßenhändler, Rikscha- fahrer, Müllsammler, ambulante Handwerker, Schuhputzer oder fliegende Händler in Zügen.

A 6 Beschreiben Sie in einem kurzen Aufsatz den möglichen Alltag eines gleichaltrigen Mädchens bzw. Jungen in einem Slum von Mumbai. A 7 Erläutern Sie, warum der informelle Sektor für eine immer größer werdende „Schicht der Unge- sicherten“ die einzige Möglichkeit der Existenz- sicherung darstellt. A 8 Nach Auffassung von Experten könnte der in- formelle Sektor entwicklungsfördernd genutzt wer- den. Erörtern Sie mögliche Wege dazu.

M 12 Chilenische Schuhputzer

M 11 Im informellen urbanen Sektor Beschäftigte in ausgewählten Ländern Jahr Anteil informeller Tätigkeit an der Gesamtbeschäftigung (%)

Frauen (%)

Männer (%) Lateinamerika Mexiko 1999 29,7^ 28,0^ 30, Peru 1999 71,5 66,7 77, Brasilien 1997 27,3 27,1 27, Argentinien 2000 40,6 43,9 35, Subsahara-Afrika Ghana 1997 78,5 – – Kenia 1999 36,4 29,5 43, Südafrika 2001 31,0 38,2 25, Asien Indien 2000 51,3 49,3 53, Thailand 2000 47,1 46,9 47, Indonesien 1999 39,4 44,4 36,

Entwicklungsländer • Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

nachhaltige Stadt- entwicklung (G)

Stadtplanung

Unverzichtbar ist, dass bei allen Fragen der städ- tischen Entwicklung die „drei Dimensionen der Nachhaltigkeit“ das planerische Leit- prinzip abzugeben haben: die soziale, ökonomi- sche und ökologische Dimension. Entsprechend komplex und schwierig sind die Planungs- und Steuerungskonzepte. Mit einfachen Sanierungs- programmen allein lässt sich jedenfalls den städ- tischen Problemen nicht beikommen. Zu be- achten ist auch, dass eine Steuerung „von oben“ zunehmend durch eine Steuerung „von unten“ ergänzt wird. Die Bürger und Bürgerinnen müs- sen sowohl bei den Entscheidungen (Prinzip der Partizipation) als auch bei der Kontrolle (Prinzip des Monitoring) einbezogen werden, denn nur so lässt sich eine Akzeptanz und eine aktive Be- teiligung der unmittelbar Betroffenen erreichen, und ohne eine wirksame politische Partizipation sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit gefährdet. In die Prozesse müssen schließlich auch weitere Akteure einbezogen werden, wie z. B. lokale Förderinstitutionen (z. B. Selbsthilfe- gruppen) oder Träger der Entwicklungszusam- menarbeit aus dem Norden (z. B. GTZ, NGOs), die ohnehin in den Städten der Entwicklungs- länder bereits eine namhafte Rolle spielen.

Lösungsansätze einer nachhaltigen

Stadtentwicklung

Zusätzlich zu den auf den Vorseiten geschilder- ten wirtschaftlichen und sozialen Problemen kommen gravierende ökologische, wie sie in der Übersicht M 14 aufgelistet sind. Solche komple- xen Probleme stellen spezifische Anforderun- gen an die städtischen Verwaltungen. Die bei uns erprobten Lösungsstrategien können dabei jedoch nicht ohne Weiteres übernommen wer- den, da in den Entwicklungsländern in der Re- gel ganz andere sozioökonomische und politi- sche Rahmenbedingungen vorliegen. Allgemeiner Konsens besteht jedoch hinsicht- lich der Forderung nach einer nachhaltigen Stadtentwicklung, wie sie u. a. auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992, der lokalen Agenda 21 und der Charta von Aalborg 1994 gefordert wird. Besonders die Überlegungen der Charta von Aalborg sind in- zwischen zum Orientierungsraster einer öko- logisch und sozial verträglichen Stadtplanung in den Entwicklungsländern (und den Indust- rieländern) geworden.

M 14 Städtische Probleme in Entwicklungsländern

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Wachstum, Expansion, Umbau

  • Flächenexpansion
  • Bevölkerungswachstum: nationale und internatio- nale Arbeitsmigration, natürliches Wachstum
  • funktionaler Umbau
  • Expansion der informellen Bebauung
  • Verfall der Innenstädte
  • Entstehung diffuser Zentralität
  • Transformationsprozesse und Strukturwandel
  • zunehmendes Landnutzungsmosaik

Sozioökonomische Probleme

  • soziale Verdrängungsprozesse
  • fehlende Arbeitsplätze im formellen Sektor
  • Ausweitung des informellen Sektors
  • inner- und transurbane Interessenkonflikte
  • Zunahme von sozioökonomischen Disparitäten
  • sozialräumliche Fragmentierung: Expansion von Marginalvierteln, Bildung von Gated Communities
  • Zunahme von Armut
  • soziale Desorganisation, Unruhen, Kriminalität

Überlastungs- und Umweltprobleme

  • Flächen„verbrauch“ und -inhomogenität
  • Bodenversiegelung
  • Grundwasserabsenkung
  • Belastung durch Müll und Abwasser
  • Luftverschmutzung (Industrie, Verkehr)
  • verstärkte Anfälligkeit für Umweltkatastrophen
  • zunehmende Landsenkung und Überschwemmungen

Anforderungen an die Stadtpolitik

  • Notwendigkeit holistischer* Ansätze
  • Wohnraumversorgung
  • soziale Infrastruktur: Energie, Wasser, Gesundheit, Bildung, Verkehr (ÖPNV), Sicherheit
  • stadthygienische Infrastruktur: Müll, Abwasser
  • Umwelt- und Ressourcenschutz
  • Krisenprävention, Verwundbarkeitsreduzierung
  • Regierbarkeit – Governance – Partizipation (vgl. S. 336)
  • Stärkung der Zivilgesellschaft

Politikversagen

Globalisierung

Entwicklungsländer • Städtische Räume – Probleme und Ansätze nachhaltiger Stadtentwicklung

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

 $ 

Charta von Aalborg www.aalborgplus10.dk/media/ charter_german.pdf

M 14 nach ebenda, S. 34 * holistisch = ganzheitlich M 15 ebenda, S. 40

M 15 Szenarien der Stadtentwicklung in den Entwicklungsländern

A 11 Ermitteln Sie wesentliche Leitgedanken der Charta von Aalborg (z. B. Internet, s. u.). A 12 Die drei Szenarien von M 15 fassen die aktuel- len Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspek- tiven der Metropolen in den Entwicklungsländern zusammen.

A 12 a) Erläutern Sie die drei Modelle. A 12 b) Erörtern Sie, welches Szenario Ihrer Mei- nung nach das wahrscheinlichste ist.

Quelle: 978-3-623-29260-1 FUNDAMENTE Geographie, Geographisches Grundbuch, Schülerbuch, Oberstufe, S. 324 - 331

Das Tempo der! Verstädterung nimmt welt- weit immer mehr zu. Gegenwärtig wächst die Weltbevölkerung um rund 80 Mio. pro Jahr, wobei über 75 % dieses Zuwachses auf die Städte entfal- len – ein Betrag, welcher der Gesamtbevölkerung Frankreichs entspricht. Aber dieses Wachstum der städtischen Bevölke- rung weist starke regionale Unterschiede auf. In den entwickelten Ländern schwächt sich der Ver- städterungsprozess deutlich ab. Hier leben bereits heute über drei Viertel der Bevölkerung in urbanen Strukturen. Ganz anders in den Entwicklungslän- dern, hier wird sich die Stadtbevölkerung in den nächsten 30 Jahren voraussichtlich verdoppeln, von jetzt zwei auf vier Mrd. Menschen. Aber auch bei diesem „Wachstum des Städ- tewachstums“ muss differenziert werden. In Lateinamerika –! Verstädterungsgrad zurzeit 75 % – ist eine weitere Zunahme der städtischen Bevölkerung zulasten der ländlichen Herkunftsge- biete nicht sehr wahrscheinlich. Anders in Afrika und Asien, wo erst rund ein Drittel der Bevölkerung in Städten lebt. Da hier die rurale Bevölkerung in den meisten Ländern nach wie vor mit großer Dy- namik wächst (um 2 – 4 % pro Jahr), ist für einen entsprechenden „Nachschub“ bei der! Land- flucht gesorgt, sodass in den nächsten Jahrzehn- ten mit jährlichen Wachstumsraten von 4 – 6 % bei der städtischen Bevölkerung zu rechnen ist.

Verstädterung in Entwicklungsländern „Die Gleichzeitigkeit des Wachstums der städ- tischen und ländlichen Bevölkerung in den ärmsten Staaten muss zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur ... führen … Es verwundert daher auch nicht, dass die Stadtverwaltungen in den Staaten [der Drit- ten Welt] es erst gar nicht probieren, das städ- tische Wachstum planerisch und infrastruktu- rell zu bewältigen. Auch wenn sie es wollten, so hätten sie keine Chance, denn es fehlt ih- nen an entsprechenden Ressourcen. Der Not folgend, bleibt ihnen keine andere Möglich- keit, als den Prozess weitgehend ungesteuert laufen zu lassen und auf eine Form der Selbst- regulierung zu hoffen. Squattersiedlungen … , illegal und im „self help“ errichtet, stellen oft die einzigen realen Unterbringungsmöglich- keiten der neu Hinzugekommenen dar …“ Heinz Fassmann: Landflucht – Dritte Welt. In: Praxis Geogra- phie, 34. Jg, H. 7 – 8. Braunschweig: Westermann 2004, S. 7 – 8

Arbeiten Sie aus den Materialien dieser Doppel- seite wesentliche Erscheinungsformen des Ver- städterungsprozesses in den Entwicklungslän- dern heraus. Charakterisieren Sie Unterschiede zwischen den aktuellen Verstädterungsprozessen in Latein- amerika, Afrika und Asien.

Überforderung: „Auch für europäische Metropolen würde ein Wachstum in dieser Größenordnung [der Metropolen in den Ent- wicklungsländern] eine fast nicht lösbare Aufgabe darstellen. Berlin müsste in einem solchen Fall jährlich mehr als 150 000 Einwohner zusätzlich un- terbringen und versorgen, Hamburg oder Wien mehr als 80 000 … Keine dieser Städte würde das schaf- fen …“ Ebenda, S. 8

Quelle: 978-3-623-29700-2 TERRA Entwicklungsländer im Wandel, Themenband Leben in der "Einen Welt", Oberstufe, S. 56 - 63

Ursachen der Verstädterung

Pull-Faktor: Hoffnung auf einen Arbeitsplatz in der Stadt

Geburtenüberschuss und Zuwanderung „An erster Stelle steht das ‚natürliche‘ Eigen- wachstum der Stadtbevölkerung aufgrund des Überschusses der Geburten über die Sterbefälle. Hinzu kommen die städtischen Nettogewinne der Migrationsbewegungen zwischen Stadt und Land … Das Gewicht der einzelnen Faktoren ist je nach Region unter- schiedlich. In Entwicklungsländern – ohne China – ist jedoch nach wie vor das „natür- liche“ Wachstum der Stadtbevölkerung der Hauptfaktor … Die Attraktivität der Städte beruht wesent- lich auf realen und potenziellen Vorteilen und wird durch die Ausbreitung moderner Massenkommunikation noch verstärkt. Die Einkommensmöglichkeiten in den Städten der Entwicklungsländer sind oft besser, mit allerdings großen Unterschieden für die ver- schiedenen Schichten. Hinzu kommen ein in der Regel besserer Zugang zu medizinischen Diensten und Ausbildungsmöglichkeiten. Dadurch werden so genannte Pull-Effekte er- zeugt. Hinzu kommt der Push-Effekt defizitä- rer ländlicher Entwicklung …“ Ingomar Hauchler u.a. (Hrsg.): Globale Trends 2002. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag 2001, S. 103

Afrika – Ursachen der Landflucht „Vereinfacht dargestellt resultiert Landflucht in Afrika aus einem anhaltend hohen Bevöl- kerungswachstum und folglich einer ausge- sprochen jungen Bevölkerung, … dem Flä- chendruck auf dem Land, der relativen und absoluten Armut, dem Fehlen nichtlandwirt- schaftlicher Arbeitsplätze sowie der Tatsache, dass das monetäre Einkommen der Familien aus der Landwirtschaft bzw. begrenzt verfüg- baren Lohnarbeit auf dem Land unzureichend ist … Es wandern ein oder mehrere Familienmit- glied(er) ab, die auf Grund ihrer Fähigkeit oder Ausbildung die besten Chancen auf einen Ar- beitsplatz haben, und diese werden anfäng- lich von ihren Familien monetär oder durch das Herstellen von Kontakten unterstützt. Die Wichtigkeit von (ethnischen) Netzwerken ist hoch und gerade für Migranten spielen Verbindungen zu Verwandten oder Bekann- ten oft eine entscheidende Rolle bei Woh- nungs- und Arbeitssuche im formellen, aber auch informellen Sektor. Als Gegenleistung retournieren die Migranten einen Teil ihres Einkommens … Landflucht ist nicht ausschließlich eine Flucht vor Armut und Arbeitslosigkeit, sondern zu- nehmend auch vor Lebensstilen und Sozial- strukturen, die als beengend empfunden wer- den. Einen wesentlichen Beitrag leisten hierzu die Medien durch die Verbreitung westlicher Lebensstile und die Steigerung von Konsum- wünschen … Ein relativ neu aufgetretenes Problem, das jedoch ständig an Brisanz gewinnt, ist die Degradierung der ländlichen Umwelt in Afrika und die damit verbundene Umwelt- flucht … Die zwingenden und oft nicht rever- siblen Fluchtgründe sind Bodenerosion, der Wegfall landwirtschaftlicher Nutzflächen und Wasserknappheit …“ Ingrid Pranger: Afrika – vergebliche Suche nach ländlicher Idylle. In: Praxis Geograpie, a. a. O., S. 26 – 27

Quelle: 978-3-623-29700-2 TERRA Entwicklungsländer im Wandel, Themenband Leben in der "Einen Welt", Oberstufe, S. 56 - 63

Bogotá

Lagos

Kairo

Delhi

KarachiBombay (Mumbai)

Lahore Dhaka

Bangkok

Manila

Seoul

Kalkutta Wuhan

Toronto

Belo Horizonte Luanda

Abidjan

Guatemala City

Shenyang

Bandung

Ho Chi Minh

Jiddah

Riad

Bagdad

Kabul

Surat Pune

Ahmedabad Chittagong Yangon Hanoi

London Paris

Rhein- Ruhr

Moskau

Buenos Aires

Rio de São Janeiro Santiago Paulo

Lima

Los Angeles Chicago

New York

Kinshasa Jakarta

Bangalore

Madras

ºstanbul Teheran Osaka

Peking(Beijing) Tokyo

Tianjin Shanghai Hongkong (Xianggang)

Mexiko City Hyderabad

10 Mio. Ew.

5 – < 8 Mio. Ew. 8 – < 10 Mio. Ew.

Stadtbevölkerung (Mio. Ew.)

(^10 ) 15 203025

0 4000 km

Megastädte und Metropolen

Als Ergebnis des Verstädterungsprozesses sind weltweit riesige Bevölkerungsballungen ent- standen, die heute mit Begriffen wie Megastadt oder! Megalopolis bezeichnet werden. Be- sonders in Entwicklungsländern ist dabei der Konzentrationsprozess so weit fortgeschritten, dass oft über 25 % der Gesamtbevölkerung in der Hauptstadt leben. Das bevölkerungsmäßige Übergewicht dieser ! Metropole oder Primate City wird als de- mographische Primacy bezeichnet. Ihr Indikator ist der prozentuale Anteil der Metropole an der gesamten Landesbevölkerung. Ein weiterer ge- bräuchlicher Indikator ist der Index of Primacy, der als Quotient zwischen der größten und zweitgrößten Stadt eines Landes definiert ist.

Megastädte mit 5, 8 und 10 Mio. Ew. im Jahre 2015 Nach UN 2002, in Frauke Kraas: Megacities as Global Risk Areas. In: Petermanns Geographische Mitteilungen, 147. Jg., H. 4. Gotha: Perthes 2003, S. 8 (Kartographie: Regine Spohner, leicht verändert)

Mit der Bevölkerungszahl allein und ihrem Zu- wachs lässt sich das Problem der! Metropo- lisierung jedoch nur unzureichend erfassen. Viel aussagekräftiger ist im Hinblick auf die Entwick- lungsperspektiven eines Landes die funktio- nale Primacy. Darunter versteht man die hohe Konzentration von politisch-administrativen, wirtschaftlichen, sozialen sowie kulturell-wis- senschaftlichen Funktionen und insbesondere auch von Macht- bzw. Entscheidungsträgern in der jeweiligen Metropole. Durch deren über- proportionale Ausstattung mit Einrichtungen der! Infrastruktur (z. B. Ausbildungsplätzen, Krankenhausbetten, Kommunikationssystemen usw.) und Arbeitsplätzen im! Sekundären so- wie! Tertiären Sektor nimmt in einem Prozess der Selbstverstärkung das Wohlstandsgefälle zu den übrigen Regionen des Landes ständig zu.

„Metropole“ (griech.): Haupt-, Weltstadt Megastadt/Megalopolis: Formalstatistische Abgrenzung von Bevöl- kerungsballungen mit einer zugrunde gelegten „5-Millionen-Untergrenze bei einer Mindestdichte von 2 000 Ew./km² sowie einer monozentrischen Struktur“ Dirk Bronger: Megastädte. In: Geographische Rundschau,

48. Jg., H. 2, Braunschweig: Westermann 1996, S. 74 – 75

Quelle: 978-3-623-29700-2 TERRA Entwicklungsländer im Wandel, Themenband Leben in der "Einen Welt", Oberstufe, S. 56 - 63

A r a b i s c h e W ü s t e

L i b y s c h e W ü s t e

N i l d e l t a

Kairo Gise

Alexandria

Tanta

Port Said

Suez

Luxor

Asyut

Al-Mansurah

Shubra al-Khaima

G o l (^) f v (^) o n S u ez

M i t t e l m e e r

Nil

Nil

Suez-Kanal

30 32

30

28

26

0

1

2

3

4

5

6

7

8

Mio. Einw.

Kairo Alexandria

Gise Shubra al-KhaimaPort Said

SuezLuxorAsyut

Al-Manurah

Tanta

Einwohnerzahlen ägyptischer Großstädte (in Mio.) 1917 1976 1996 2006 (Schätzung) 0 50 100 150 km

Raumbeispiel Ägypten „Im abgebildeten Ranking [der Großstädte Ägyptens – Grafik 13] wird der extreme Grö- ßenabstand deutlich, obwohl die Metropol- region keine administrative Einheit bildet. Sie besteht primär aus drei zusammengewachse- nen Städten, die zu verschiedenen Gouverno- raten gehören, nämlich Kairo (8 Mio. Ew.), Giza (2,5 Mio.) und Shubra Al-Kheima (1 Mio.) … Das quantitativ-statistische Merkmal der Be- völkerungskonzentration korrespondiert bei den meisten Megastädten in Entwicklungs- ländern mit deren funktionaler „Primacy“ im zentralörtlichen System des Landes. Für Kairo trifft dies uneingeschränkt zu, weil die staat- lichen Strukturen und das Städtesystem des Landes hochgradig zentralisiert sind. Selbst in der ägyptischen Umgangssprache findet diese Bedeutung darin Ausdruck, dass die Hauptstadt mit demselben Namen bezeich- net wird wie das ganze Land, als Masr. Ihre herausragende Bedeutung für nationale Entwicklungen gewinnen Megastädte viel- fach nicht nur aus der Konzentration von zen- tralörtlichen Funktionen, sondern auch durch die oftmals prekäre Nachbarschaft von natio- nalem Machtzentrum und politisch sensiblen Krisen- und Problemgebieten in den Margi- nalvierteln. Diese räumliche Nähe trägt dazu bei, dass Ereignisse in der Hauptstadt viel un- mittelbarer die politische Stabilität gefährden können als Vorkommnisse an der Peripherie. So wurden die informellen Wohnsiedlungen in Kairo in den letzten Jahren wiederholt zu Schauplätzen gewaltsamer Auseinander- setzungen zwischen militanten Islamisten und dem staatlichen Sicherheitsapparat. Bis heute bilden Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Massenarmut und schlechte Versorgungslage den Hintergrund für latente Unruheherde in der Hauptstadt.“ Detlef Müller-Mahn/Montasser Abdelghani: Urbanisierung in Ägypten. In: Geographische Rundschau 58, 2006, H. 11. S. 13

Ägyptische Großstädte und ihre Bevölkerungsent- wicklung Nach Populastat 2003 und World Gazetteer 2006; in ebenda, S. 13

Deutschland: ausgewählte demographische Daten Ende 2005 Gesamtbevölkerung: 82,438 Mio. Ew. Verstädterungsgrad: 87 % Die zehn größten Städte: Berlin 3 395 189 Hamburg 1 743 627 München 1 259 677 Köln 983 347 Frankfurt a. Main 651 899 Stuttgart 592 569 Dortmund 588 168 Essen 585 430 Düsseldorf 574 514 Bremen 546 852 Nach © Statistisches Bundesamt Deutschland, Wiesbaden 2007, auf: http://www.destatis.de/cgi- bin/gv

Quelle: 978-3-623-29700-2 TERRA Entwicklungsländer im Wandel, Themenband Leben in der "Einen Welt", Oberstufe, S. 56 - 63

Der in dem Habitat-Bericht verwendete Ausdruck ! „Slum“ steht umgangssprachlich für städti- sche Elendssiedlungen. Sie zeigen – häufig in be- drückender Weise –, dass und wie bestimmte Be- völkerungsgruppen in einer räumlichen, aber auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Randexis- tenz leben. In Entwicklungsländern sind hiervon in erster Linie die Zuwanderer aus dem ländlichen Raum betroffen, für die sich die Hoffnungen auf ei- nen existenzsichernden Arbeitsplatz nicht erfüllt haben. Der! „Informelle Sektor“ ist für sie häufig die einzige Chance, sich Zugang zu lebenswichtigen Gütern und Einrichtungen zu verschaffen. Ihre Suche nach einer Unterkunft richtet sich zum einen auf heruntergekommene Viertel in den Innenstädten, die vormals von öko- nomisch besser gestellten Bevölkerungsgruppen bewohnt waren, von diesen aber verlassen wur- den. Da aber nur ein Bruchteil der Zuwanderer in diesen – im engeren Sinne als innerstädtische Slums bezeichneten – Elendsquartieren ein Un- terkommen findet, bauen sich viele der Migranten im randstädtischen Bereich – meist in gemeinsa- men spontanen Aktionen und ohne rechtliche

Erlaubnis durch die Behörden oder den Land- eigentümer – illegale Behausungen. Diese rand- städtischen Hütten- bzw. Squattersiedlungen und die innerstädtischen Slums werden in dem Ober- begriff Marginalsiedlungen zusammengefasst. Zwar bietet die Abwanderung in die Städte für einzelne Migranten durchaus die Chance, die eigene Lebenssituation zu verbessern. Wenn es aber nicht gelingt, durch entsprechende Maß- nahmen die Attraktivität der ländlichen Räume zu verbessern und damit die! Landflucht zu vermindern, ergeben sich für die betroffenen Län- der weitreichende Probleme. Der Zustrom in die urbanen Ballungsräume führt zur weiteren Über- lastung und verschärft die sozialen Gegensätze. Die wachsende Kluft zwischen Wohlhabenden und marginalisierten Habenichtsen erzeugt Ge- walt, die von den Behörden kaum noch wirksam bekämpft werden kann. Von Banden beherrschte „No go areas“ entstehen, in die sich Polizisten nicht mehr hineinwagen. Besonders in den Groß- städten und Metropolen werden ganze Stadtteile unregierbar. Experten warnen vor der „sozialen Zeitbombe Megastadt“.

Weitere Folgen der Marginalisierung „– Vernachlässigung der Jugend mit ‚Begleiter- scheinungen‘ wie z. B. drastische Steigerung der Kriminalität, Brutalisierung der nach- wachsenden Generation und wachsende Anfälligkeit für politischen Extremismus;

  • wachsende Konkurrenz um Einkommens- möglichkeiten; sinkende Bezahlung und Abschaffung von Sozial- und Umweltstan- dards;
  • Zunahme von Prostitution, von Drogen- konsum und -handel sowie Stärkung der Stellung von diktatorischen ‚slum lords‘;
  • wachsende Abschottung der mittleren und höheren Schichten und Vertiefung der sozialen Fragmentierung;
  • gravierende Übernutzung der natürlichen Ressourcen im urbanen Raum und seiner Umgebung … mit Erhöhung des ‚ökologi- schen Fußabdrucks‘ pro Kopf … Die Liste ließe sich fortsetzen.“ Ingomar Hauchler u. a. (Hrsg.): a. a. O., S. 106

Erläutern Sie den Begriff „Marginalisierung“. Stellen Sie anhand konkreter Beispiele dar, was dieser Begriff für den Alltag von Betroffenen be- deutet. Erklären Sie, warum Experten vor der „sozialen Zeitbombe Megastadt“ warnen.

Ökologischer Fußabdruck: „Um das Ausmaß der Auswirkungen bestimmter menschlicher Lebensweisen feststellen zu können, hat eine Arbeitsgruppe der Uni- versity of British Columbia/ Kanada die Methode des ökologischen Fußabdrucks entwickelt. Dieser soll den Ressourcenbedarf des Menschen bildlich in Form des Flächenverbrauchs dar- stellen.“ Matthias Scholliers: Nachhaltige Stadtentwicklung. In: Norbert von der Ruhren/Arno Kreus (Hrsg.): Fundamente Kursthemen. Städ- tische Räume im Wandel. Gotha und Stuttgart: Klett-Perthes 2005,. S. 94

Quelle: 978-3-623-29700-2 TERRA Entwicklungsländer im Wandel, Themenband Leben in der "Einen Welt", Oberstufe, S. 56 - 63

„Die genaue Zahl der Einwohner scheint keiner zu wissen. 18 Millionen sagt der eine, 22 der nächste, ein anderer spricht von 25 Millionen Menschen. Die Stadt, in der rund ein Viertel der mexikanischen Bevölkerung lebt, gilt als die am schnellsten wachsende Agglomeration der Er de. Im Jahr 2025 werden hier, so eine Prognose, 32 Millionen Menschen leben. Oder mehr. Nacht für Nacht rollen aus allen Himmelsrichtun gen des Landes Tausende von Lastwagen heran und laden an der Central de Abasto, dem mit einer Fläche von knapp 330 ha weitläufigsten Großmarkt der Welt, mehr als 30 000 Tonnen Lebensmittel ab. Der größte Teil davon wird von 85 000 Händlern, Boten und Fuhrleuten in der Stadt verteilt. Mit dem, was übrig bleibt, wird der Rest des Landes versorgt. Jeden Tag scheidet MexikoStadt 20 000 Tonnen Müll aus, die abgeholt und auf immer größeren Halden abgeladen werden. Nur etwa 15 Prozent

des Abfalls – Glas, Metall, Papier, Pappe und Plastik – werden von einer straff organisierten Mafia, sog. Pepenadores, aussortiert und einer Wiederverwendung zugeführt. Der Rest wird verbuddelt. Die Erde zum Zuschütten des Mülls wird unterdessen knapp und muss aus immer größeren Entfernungen herbeigeschafft werden. Eine Müllverbrennung oder systematische Kompostierung von Müll, der immerhin zur Hälfte aus organischen Stoffen besteht, gibt es bisher nicht. Offizielle Begrün dung: zu teuer. Eine Zeitbombe ist der Giftmüll, der nur zu einem Viertel in der einzigen, 700 Kilometer entfernten Sondermülldeponie von Monterrey entsorgt wird. Der Rest wird unter den Hausmüll gemischt. Auch die Luft ist angereichert mit Schadstoffen. Zwar fallen in den letzten Jahrzehnten keine kadmiumverseuchten Vögel mehr vom Himmel wie Ende der [19]achtziger Jahre. Aber immer noch werden von den 4,2 Millionen Autos und den 30 000 Industriebetrieben jeden Tag um die 20 000 Tonnen Dreck in die Atmosphäre gebla sen.“ Leben in der Stadt. Lust oder Frust. Spiegel Special, Nr. 12 / 1998. Hamburg: Spiegel-Verlag 1998, 102 f.

Verstädterung in Entwicklungsländern

Historische Innenstadt von Mexiko-Stadt

Moloch mit gewaltigen Umwelt-

problemen

„Monstruopolis“ Mexiko-Stadt

Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 58 - 77

Ökologische Folgen der Entwässerung

„Die Umgestaltung der Natur und Lebensbedin gungen im Hochtal von Mexiko seit der azteki schen Zeit war radikal und umfassend. Die Tro ckenlegung des Sees von Texcoco … hat sich in mehrfacher Hinsicht als ein später Fluch Monte zumas erwiesen. Heute ist der Wasserhaushalt im Hochtal so nachhaltig gestört, dass man zur TrinkwasserVersorgung der 20MillionenStadt längst auf die Nachbarräume bis hin zum mee resnahen Tiefland angewiesen ist. Selbst das kurzfristige Ziel, die Überschwemmungsgefahr ... zu bannen, wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: Die fortschreitende Austrocknung des Hochtals führte dazu, dass der ehemals sehr wasserrei che Untergrund zusammenschrumpfte und, vor allem im Stadtgebiet, bis zu 10 m absackte.“ Hans-Jörg Sander: Umweltprobleme im Hochtal von Mexiko. In: Geographische Rundschau, 42. Jg., H. 6,. Braunschweig: Wester- mann 1990, S. 328

Megapolisierung und Hyperurbanisierung

Metropolisierung und Zentralismus

„Wie in anderen Ländern Lateinamerikas ist der Urbanisierungsprozess seit den 1930er Jahren durch ein starkes Wachstum der Großstädte (Metropolisierung) bei einer gleichzeitigen Kon zentration auf wenige Zentren gekennzeichnet. In besonderer Weise haben sich Wirtschaftsak tivitäten und Bevölkerung in der Hauptstadt ver dichtet, sodass das nationale Städtesystem eine ausgesprochen zentralistische Struktur (Primat struktur) aufweist. Dort, wo sich die politische Macht konzentriert ..., sind auch die wichtigsten Wirtschaftsfunktionen sowie die bedeutendsten Einrichtungen von Kultur und Wissenschaft an gesiedelt. Dies gilt in besonderer Weise für wirt schaftliche Schlüsselbereiche … Wie massiv sich die Ballung in der Hauptstadt erhöht hat, wird bereits durch deren Bevölke rungsentwicklung deutlich: Entfielen zu Beginn des 20. Jh.s auf MexikoStadt gerade einmal 3 % der Einwohner des Landes, waren es 1930 6 %, 1960 15 % und 1990 20 %. Bei diesen Werten ist das weitere Einzugsgebiet von Mexiko Stadt nicht berücksichtigt.“ Gerhard Sommerhoff/Christian Weber: Mexiko. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 186

Kernstadt: das engere Stadtgebiet von Mexiko-Stadt (Ciudad de Mexico, 145 km² groß) Kerngebiet: der Hauptstadtdistrikt (ca. 1 500 km²), er umfasst die Kernstadt und die angrenzenden 15 „Bezirke“ und ist weitgehend identisch mit dem „Distrito Federal“ Metropolitane Agglomeration: die gesamte verstädterte Zone rund um Mexiko-Stadt (ca. 7 000 km²) Nach Dirk Bronger: Metropolen, Megastädte, Global Cities. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, S. 68

Magnet Mexiko-Stadt

„In Mexiko bilden die Großstädte und insbe sondere die Hauptstadt die Zentren und Brenn punkte der Entwicklung: Dort ballen sich die Ar beitsplätze in Industrie, Handel und modernen Dienstleistungen. Hier konzentrieren sich die Bildungseinrichtungen, und das Qualifikations niveau der Bevölkerung liegt weit über dem der ländlichen Regionen. Die Infrastruktur und die bauliche Situation sind deutlich besser als auf dem Land. Dieses konzentrierte Angebot mo derner Entwicklungsmöglichkeiten macht die mexikanischen Großstädte zu begehrten Zielen für Migranten. Unter dem großen demographischen Druck können die mexikanischen Städte ihre Entwick lungs und Integrationsfunktion nur bedingt erfüllen. Seit den 1950er Jahren nimmt die Be völkerung in der Metropolitanregion von Mexi ko Stadt täglich um 800 Menschen zu, wobei sich die Wachstumsdynamik inzwischen an die Stadtränder verlagert.“ Gerhard Sommerhoff / Christian Weber: a. a. O., S. 195 – 196

Bevölkerungsentwicklung der Metropo-

litanzone von Mexiko-Stadt

0

5

10

15

20

Ew. (Mio.)

1900 10 20 30 40 1950 60 70 80 902000

Kernstadt KerngebietMetropolitane Agglomeration

Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 58 - 77

Städtische Überlebensökonomie

Das regulierte Chaos

„Angesichts der vielen negativen Rekorde mag es überraschen, dass die mexikanischen Städ te noch immer ´funktionieren´. Nach europäi schen Maßstäben wären die Agglomerationen Mexikos wohl schon längst unter der Last ihrer massiven Probleme zusammengebrochen. Trotz aller Krisenszenarien und Untergangsprognosen entwickeln die mexikanischen Großstädte, selbst MexikoStadt, in einigen Fällen sogar eine be achtenswerte Dynamik. Umweltverschmutzung, Armut und Kriminalität sind nur eine Seite des ur banen Mexiko. Daneben halten eine große Soli darität, eine beeindruckende Kultur der Selbsthil fe und ein beachtliches Improvisationsvermögen das Leben in den Städten aufrecht. Trotz düsterer Perspektiven begegnet man immer wieder Spu ren eines positiven Lebensgefühls. … Die Einstellung der Menschen und die äußeren Lebensumstände bilden für manchen außen ste henden Betrachter so einen scheinbaren Wider spruch. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Diagnose einer chaotischen Stadtent wicklung.“ Gerhard Sommerhoff / Christian Weber: a. a. O., S. 200

Informelle Siedlungsentwicklung

Marginalsiedlungen

„Die Marginalisierung breiter Bevölkerungs schichten dokumentiert sich in den peripheren Hüttenvierteln, die in den letzten 40 Jahren an den Rändern der Großstädte wie Pilze aus dem Boden gewachsen sind. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung in den meisten mexikanischen Großstädten stehen mit Blick auf ihre Wohn und Einkommensverhältnisse am Rande der Gesell schaft. Bevölkerungsexplosion und Migration ha ben zu einer massiven Ausweitung der randstäd tischen Elendsquartiere geführt, die von einem städtischen Standard hinsichtlich eines Wasser und Kanalanschlusses weit entfernt sind. Im Osten von Mexiko Stadt erstrecken sich die größten Elendsquartiere der Welt: Mit einer Ein wohnerzahl … je nach Quelle zwischen 1 und 3 Mio. Einwohnern … (der Zensus von 1990 nennt 1 256 115 Menschen), galt Nezahualcoyotl lange Zeit als ‚verlorene Stadt‘ (Ciudad perdida): Von der offiziellen Stadtplanung ignoriert, gab es keine öffentliche Infrastruktur, weder Schulen noch einen Anschluss an die öffentlichen Versorgungs und Entsorgungsnetze. Neza zählt inzwischen zu den konsolidierten Marginalsiedlungen, die zu nehmend in den Stadtkörper integriert werden.“ Gerhard Sommerhoff und Christian Weber: a. a. O., S. 197 – 198

Marginalsiedlung in Mexiko-Stadt

Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 58 - 77