Docsity
Docsity

Prüfungen vorbereiten
Prüfungen vorbereiten

Besser lernen dank der zahlreichen Ressourcen auf Docsity


Download-Punkte bekommen.
Download-Punkte bekommen.

Heimse Punkte ein, indem du anderen Studierenden hilfst oder erwirb Punkte mit einem Premium-Abo


Leitfäden und Tipps
Leitfäden und Tipps

Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens, Skripte von Gesundheitspsychologie

Kapitel aus In B. Renneberg & P. Hammelstein (Hrsg.). Gesundheitspsychologie (pp. 35-60).

Art: Skripte

2019/2020

Hochgeladen am 10.04.2020

Andrea_Manowski
Andrea_Manowski 🇩🇪

4.6

(22)

1 / 26

Toggle sidebar

Diese Seite wird in der Vorschau nicht angezeigt

Lass dir nichts Wichtiges entgehen!

bg1
5
Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens
Sonia Lippke, Babette Renneberg
5.1 Furchtappelltheorien: Modell
gesundheitlicher Überzeugungen
und Theorie der Schutzmotivation 36
5.2 Theorie des geplanten Verhaltens
und sozialkognitive Theorie 40
5.3 Von der Absicht zum Verhalten:
Volitionale Modelle des
Gesundheitsverhaltens – 45
5.4 Stufenmodelle: Das transtheoretische
Modell und allgemeine stadientheoretische
Annahmen – 47
5.5 Theoretische Integration und
Lösungsansätze – 55
> In diesem Kapitel geht es um Theorien und Modelle
des Gesundheitsverhaltens. Gesundheitsverhalten ist
jegliches Verhalten, das die Gesundheit fördert und
langfristig erhält, Schäden und Einschränkungen fern-
hält und die Lebenserwartung verlängert. Gesund-
heitsverhalten kann auch die Unterlassung eines Risi-
koverhaltens sein, also wenn Verhaltensweisen, die
die Gesundheit gefährden, aufgegeben oder reduziert
werden.
Beispiele für Gesundheitsverhaltensweisen werden in
den Kap. 9–16 genannt und umfassend behandelt. In
diesem Kapitel geht es um die Erklärung und Vorher-
sage von Gesundheitsverhaltensweisen. Dies ist mög-
lich mit verschiedenen Variablen, Motiven, Determi-
nanten und Konstrukten (wie z. B. den »Tricks« im
folgenden Beispiel).
Einzelne Einflussfaktoren (wie die Tricks in dem
Beispiel) können zu einer Theorie oder einem Modell
zusammengefasst werden.
Jedoch geht es bei der Erklärung und Vorhersage
von Erleben und Verhalten nicht darum, das Rad
immer wieder neu zu erfinden, sondern sich an dem
zu orientieren, was schon bekannt und erprobt ist.
Theorien und Modelle können hierbei zentral sein und
helfen, besser zu verstehen, wieso bestimmte Einflüsse
zum gewünschten Erfolg führen oder auch gerade
nicht (Kap. 8).
Beispiel
I I
Herr A. will mit dem Rauchen aufhören. Er geht in
die Apotheke, besorgt sich Nikotinpflaster und fragt
den Apotheker nach Tipps. Der Apotheker nennt
ihm Tricks, wie z. B. bestimmte Orte zu meiden, nur
mit Freunden auszugehen, die selbst nicht rauchen
und, wenn sich das Verlangen nach einer Zigarette
meldet, Obst zu essen. Herr A. ist erfolgreich und
will begeistert seinen Kollegen Herrn B. davon über-
zeugen, ebenfalls das Rauchen aufzugeben. Aber
mit den »Tricks« klappt es nicht. Herr B. will nicht
aufhören und raucht die gleiche Anzahl Zigaretten
trotz der Überzeugungsversuche von Herrn A.
Exkurs
I I
Streng genommen sind Theorien und Modelle nicht
das gleiche; die beiden Begriffe werden in diesem
Kapitel jedoch synonym verwendet (außer wenn
es sich um feststehende Namen von Theorien und
Modellen handelt).
pf3
pf4
pf5
pf8
pf9
pfa
pfd
pfe
pff
pf12
pf13
pf14
pf15
pf16
pf17
pf18
pf19
pf1a

Unvollständige Textvorschau

Nur auf Docsity: Lade Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens und mehr Skripte als PDF für Gesundheitspsychologie herunter!

Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Sonia Lippke, Babette Renneberg

5.1 Furchtappelltheorien: Modell gesundheitlicher Überzeugungen und Theorie der Schutzmotivation – 36

5.2 Theorie des geplanten Verhaltens und sozialkognitive Theorie – 40

5.3 Von der Absicht zum Verhalten: Volitionale Modelle des Gesundheitsverhaltens – 45

5.4 Stufenmodelle: Das transtheoretische Modell und allgemeine stadientheoretische Annahmen – 47

5.5 Theoretische Integration und Lösungsansätze – 55

In diesem Kapitel geht es um Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens. Gesundheitsverhalten ist jegliches Verhalten, das die Gesundheit fördert und langfristig erhält, Schäden und Einschränkungen fern- hält und die Lebenserwartung verlängert. Gesund- heitsverhalten kann auch die Unterlassung eines Risi- koverhaltens sein, also wenn Verhaltensweisen, die die Gesundheit gefährden, aufgegeben oder reduziert werden.

Beispiele für Gesundheitsverhaltensweisen werden in den  Kap. 9–16 genannt und umfassend behandelt. In diesem Kapitel geht es um die Erklärung und Vorher- sage von Gesundheitsverhaltensweisen. Dies ist mög- lich mit verschiedenen Variablen, Motiven, Determi- nanten und Konstrukten (wie z. B. den »Tricks« im folgenden Beispiel). Einzelne Einflussfaktoren (wie die Tricks in dem Beispiel) können zu einer Theorie oder einem Modell zusammengefasst werden. Jedoch geht es bei der Erklärung und Vorhersage von Erleben und Verhalten nicht darum, das Rad immer wieder neu zu erfinden, sondern sich an dem zu orientieren, was schon bekannt und erprobt ist. Theorien und Modelle können hierbei zentral sein und

helfen, besser zu verstehen, wieso bestimmte Einflüsse zum gewünschten Erfolg führen oder auch gerade nicht ( Kap. 8).

Beispiel I I

Herr A. will mit dem Rauchen aufhören. Er geht in die Apotheke, besorgt sich Nikotinpflaster und fragt den Apotheker nach Tipps. Der Apotheker nennt ihm Tricks, wie z. B. bestimmte Orte zu meiden, nur mit Freunden auszugehen, die selbst nicht rauchen und, wenn sich das Verlangen nach einer Zigarette meldet, Obst zu essen. Herr A. ist erfolgreich und will begeistert seinen Kollegen Herrn B. davon über- zeugen, ebenfalls das Rauchen aufzugeben. Aber mit den »Tricks« klappt es nicht. Herr B. will nicht aufhören und raucht die gleiche Anzahl Zigaretten trotz der Überzeugungsversuche von Herrn A.

Exkurs I I

Streng genommen sind Theorien und Modelle nicht das gleiche; die beiden Begriffe werden in diesem Kapitel jedoch synonym verwendet (außer wenn es sich um feststehende Namen von Theorien und Modellen handelt).

! Theorien und Modelle beschreiben, wie und unter welchen Bedingungen bestimmte Einflussfaktoren zusammenwirken und ein Kriterium (z. B. Absicht, mit dem Rauchen aufzuhören oder tatsächliche Nikotin- abstinenz) beeinflussen.

Aus Modellen lassen sich Hypothesen ableiten, um diese zu testen und Modifikationsprogramme theo- riegeleitet und evidenzbasiert zu entwickeln und zu überprüfen. Entsprechend werden in den folgenden Abschnitten verschiedene Inhalte der Theorien vor- gestellt. Ferner werden Befunde berichtet, die für und gegen ihre Annahmen sprechen. Zur Erklärung von individuellem Verhalten werden üblicherweise drei Gruppen von Modellen unterschie- den: ▬ motivationale Modelle zur Absichtsbildung ( Ab- schn. 5.1 und Abschn. 5.2), ▬ volitionale Modelle (insbesondere  Abschn. 5.3) so- wie ▬ Stadienmodelle ( Abschn. 5.4) und Hybridmodelle ( Abschn. 5.5).

Exemplarisch werden im Folgenden Theorien und Mo- delle eingeführt, anhand derer Verhaltensänderungs- maßnahmen entwickelt werden können.

5.1 Furchtappelltheorien: Modell gesundheitlicher Überzeugungen und Theorie der Schutzmotivation

Definition Theorien, die annehmen, dass Menschen mit ih- rem Risiko konfrontiert und wachgerüttelt werden müssen, damit sie ihr Verhalten ändern, werden als Furchtappelltheorien bezeichnet. In diesem Rah- men sind besonders prominent: ▬ das Modell gesundheitlicher Überzeugungen und ▬ die Theorie der Schutzmotivation.

In den 1950er Jahren hat die Gesundheitsförderung ihr Hauptaugenmerk auf die Gesundheitsaufklärung gerichtet. Menschen sollten sich der Gefahren be- stimmter Lebensstile bewusst sein oder werden und damit gesundheitliche Überzeugungen ausbilden, die zu gesundheitlichem Handeln motivieren.

5

36 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Beispiel (^) I I Seit einigen Jahren ist auf jeder Zigarettenpackung etwas zu lesen wie »Rauchen kann zu einem langsa- men und schmerzhaften Tod führen« oder »Wer das Rauchen aufgibt, verringert das Risiko tödlicher Herz- und Lungenerkrankungen«. Raucher sollen sich der Gefahr bewusst werden und ihr Verhalten ändern. Fast alle Raucher wissen um die Gefahren, aber es sind kaum Verhaltensänderungen im Tabakkonsum zu beobachten. Ist nun zu erwarten, dass die von den EU-Gesundheitsministern geplanten Bilder, die erschreckende Gesundheitsfolgen durch das Rau- chen zeigen, mehr Effekte zeigen ( Abschn. 9.1)?

Modell gesundheitlicher Überzeugungen Das Modell gesundheitlicher Überzeugungen (»Health Belief Model«/HBM; Becker 1974; Rosenstock 1966; ⊡ Abb. 5.1) erklärt menschliches Handeln rational und stammt aus der Tradition der Erwartungswertmodelle. Das HBM war eins der ersten Modelle zur Erklärung von Gesundheits- und Risikoverhalten. Nach dem HBM erhöhen die wahrgenommene gesundheitliche Bedrohung und eine Kosten-Nutzen-Bilanz die Wahr- scheinlichkeit einer Verhaltensänderung (⊡ Abb. 5.1). Dabei setzt sich die Bedrohung zusammen aus ▬ wahrgenommener Verwundbarkeit (»ich habe ein erhöhtes Risiko, eine Herz- oder Lungenerkran- kung zu bekommen«) und ▬ Schweregrad (»so eine Herz- oder Lungenerkran- kung ist tödlich«).

Ferner wird die Bilanz gebildet aus ▬ Kosten (»wenn ich das Rauchen aufgebe, dann kostet mich das große Überwindung«) und ▬ Nutzen (»wenn ich aufhöre zu rauchen, dann verrin- gere ich mein Risiko, an einer Herz- oder Lungener- krankung langsam und schmerzhaft zu sterben«).

Beide Faktoren können durch demographische Va- riablen (z. B. Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status) und psychologische Charakteristika (Persön- lichkeit, Mitmenschen, Gruppendruck usw.) beeinflusst werden. Darüber werden auch die Gesundheitsmo- tivation (»ich bin beunruhigt wegen meines Gesund- heitszustands«) und die Handlungsreize (z. B. der Rat des Arztes, eine nahe stehende Person, die eine nicht-

ein Parameter können Effektstärken (ES) wie stichpro- bengewichtete Korrelationen (r (^) +) sein. ES von d+ =0. (entspricht r+ =0.37) gelten als groß, ES von d (^) + =0. ( r (^) + = 0.24) als mittel und d+=0.2 (r+=0.1) als klein. Wei- tere Informationen und eine kostenfreie Software, die auch in der Metaanalyse von Milne et al. (2000), ver- wendet wurde, ist zu finden unter: http://web.fu-ber- lin.de/gesund/gesu_engl/meta_e.htm In einem Überblick über Interventionsstudien auf Grundlage des HBM haben Abraham u. Sheeran (2005) festgestellt, dass 13 von 17 Maßnahmen, die auf Grundlage des HBM entwickelt wurden, effektiv wa- ren. Auch wenn das Ergebnis viel versprechend klingt, liegen zwei Einschränkungen vor:

  1. Es muss von einem »publication bias« ausgegangen werden, d. h., dass häufig nur signifikante Ergebnisse publiziert werden und damit der Anteil unwirksa- mer Studien sehr viel höher ist als angegeben.
  2. Die Interventionen sind keine Modelltestungen, son- dern nur Maßnahmen, die auf Grundlage des HBM oder Teilaspekten des Modells entwickelt wurden ( Kap. 8). Ferner können einige der Interventions- studien ebenso gut oder passender anderen Theorien zugeschrieben werden (z. B. dem transtheoretischen Modell;  Abschn. 5.4).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass – auch wenn ei- nige Befunde für das HBM zu sprechen scheinen – sich zahlreiche Probleme ergeben, die zwei größten sind: ▬ Einige Modellkomponenten (in ⊡ Abb. 5.1 grau ) und Mechanismen (z. B. Zusammenwirken von Ver- wundbarkeit und Schweregrad, s. geschwungene Klammer in ⊡ Abb. 5.1) sind trotz zahlreicher An- wendungen des Modells kaum untersucht worden. ▬ Ferner ist zu beachten, dass die Korrelationen (⊡ Abb. 5.1) zwar tendenziell die erwarteten Zu- sammenhänge andeuten, aber doch gering sind. Damit klären sie so wenig Varianz auf, dass weitere Faktoren, die im Modell nicht berücksichtigt wer- den, das Gesundheitsverhalten deutlich beeinflus- sen zu scheinen.

Somit ist über die Bewährung des gesamten HBM keine Aussage möglich. Diverse Prozesse sind nicht berücksichtigt und Modellweiterentwicklungen haben gezeigt, dass Faktoren wie Intention und Selbstwirk- samkeitserwartung fehlen (Abraham u. Sheeran 2005; Schwarzer 2004).

Das HBM war eines der ersten Modelle zur Er- klärung von Gesundheits- und Risikoverhalten. Ein Verdienst des HBM ist, dass es im Bereich der »Public Health« den Fokus auf beeinflussbare Faktoren gerich- tet hat. Dies geschah in einer Zeit, in der hauptsäch- lich sozioökonomische bzw. demographische Faktoren wichtig erschienen. Das Modell weist jedoch theore- tische Schwächen auf und kann kaum auf empirische Evidenz bauen, so dass es heute in der Gesundheits- psychologie und für die Gesundheitsförderung nicht mehr als aktuell gilt.

Theorie der Schutzmotivation Ein Modell, das dem HBM stark ähnelt, jedoch Selbst- wirksamkeitserwartung und Intention berücksichtigt, ist die Theorie der Schutzmotivation (»Protection Motivation Theory«/PMT; Rogers 1975; ⊡ Abb. 5.2). Rogers wollte mit dem Modell erklären, wie Furchtap- pelle auf Gesundheitsverhalten Einfluss nehmen. Die PMT beschreibt, wie Furchtappelle ▬ Bedrohungseinschätzungen (Verwundbarkeit, Schweregrad) beeinflussen, dadurch ▬ zu mehr Schutzmotivation (Intention) führen und somit ▬ Verhalten ändern.

Ferner sollte eine höhere Handlungswirksamkeit eine höhere Intention zur Verhaltensänderung und damit mehr erwünschtes Verhalten zur Folge haben. Dieses Modell wurde erweitert, indem auch Selbstwirksam- keitserwartung und Handlungskosten, Belohnungen und Informationsquellen Berücksichtigung fanden. Zur PMT wurden dann im Jahr 2000 zwei Metaana- lysen von Floyd et al. (2000) und Milne et al. (2000) veröffentlicht. Das Modell ist in ⊡ Abb. 5.2 mit den Befunden aus der einen Metaanalyse dargestellt. Die Informationsquellen wie Beobachtungsler- nen, verbale Überzeugungen, Persönlichkeitsvariablen und Erfahrungen (in ⊡ Abb. 5.2 nicht gezeigt) wür- den wiederum Einfluss nehmen auf die Bedrohungs- einschätzung und die Bewältigungseinschätzung. Die Bedrohungseinschätzung setzt sich zusammen aus intrinsischer Belohnung (»ich fühle mich besser, wenn ich nicht rauche«) und extrinsischer Belohnung (»mein Arzt lobt mich, wenn ich nicht rauche«). Diese werden von wahrgenommener gesundheitlicher Ver- wundbarkeit (»Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass

5

38 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

ich Lungenkrebs bekomme«) und Schweregrad (»Lun- genkrebs ist sehr schwerwiegend und kann zum Tode führen«) abgezogen werden (⊡ Abb. 5.2). Die Bewälti- gungseinschätzung besteht aus den positiven Kompo- nenten Handlungswirksamkeit (»wenn ich aufhöre zu rauchen, dann lebe ich länger«) und Selbstwirksamkeit (»ich traue mir zu, mit dem Rauchen aufzuhören, auch wenn ich gestresst bin«), von denen die Handlungs- kosten (»wenn ich aufhöre zu rauchen, dann kostet mich das große Überwindung«) abgezogen werden. Be- drohungseinschätzung und Bewältigungseinschätzung führen zu einer Schutzmotivation / Intention (»ich habe die Absicht, mit dem Rauchen aufzuhören«) und theoretisch zur Verhaltensänderung (Nichtrauchen). In ⊡ Abb. 5.2 sind typische Befunde wiedergege- ben (Ergebnisse aus der Metaanalyse von Milne et al. 2000): ▬ Je mehr sich Personen als selbstwirksam einschät- zen, je mehr sie glauben, dass ihr Verhalten eine Wirkung hat, je mehr sie sich als anfällig und die Gesundheitseinschränkungen als schwerwiegend wahrnehmen, ▬ desto stärker bilden sie eine Intention aus und des- to eher zeigen sie später das Zielverhalten.

In beiden Metaanalysen hat sich gezeigt: Selbstwirksamkeitserwartung ist der stärkste Prä- diktor für die Schutzmotivation bzw. Intention. Auch wenn alle Effektstärken bei Floyd et al. höher ausgefal- len sind als bei Milne et al., kommen beide Metaanaly- sen zu diesem Ergebnis. Milne et al. untersuchten auch die Effekte von ex- perimentellen Manipulationen und stellten fest, dass Bedrohungseinschätzungen stärker beeinflusst werden konnten (Verwundbarkeit r+ =0.63 und Schweregrad r+=0.66) als die anderen Variablen (Handlungswirk- samkeit r+=0.42, Selbstwirksamkeit r+ =0.32, Hand- lungskosten r (^) + =0.09). Die in die Metaanalyse einbe- zogenen Studien waren in der Manipulation der Be- drohungseinschätzungen also wirksamer als bei der Beeinflussung der Bewältigungseinschätzungen. In einer Metaanalyse über Interventionsstudi- en zu Angstappellen fanden Witte u. Allen (2000), dass der Schweregrad am stärksten beeinflusst werden konnte (r+=0.44). Angstappelle führen auch zu mehr Selbstwirksamkeit und Handlungswirksamkeit (beide r+=0.36) und zu mehr Verwundbarkeitswahrnehmung und Furcht (beide r+=0.36). Wenn man Personen Rück- meldung über ihr individuelles Risiko gibt, nehmen

5.1 · Furchtappelltheorien: Modell gesundheitlicher Überzeugungen und Theorie der Schutzmotivation

Abb. 5.2. Die Theorie der Schutzmotivation mit aggregierten Korre- lationen aus der Metaanalyse von Milne et al. (2000). Komponenten in grau und gestrichelt sind uneinheitlich und weniger häufig untersucht

worden. r+ sind stichprobengewichtete Korrelationen (Effektstärken) aus der Metaanalyse von Milne et al. (2000)

5  

 $ 

  

+$  

 $

6 

5    

 ./

 ./

 .

 .!

  

  

9    

+$   

!

!

 .4:

 

 .

 .

5; <  

Beispiel I I

An der Bushaltestelle hängt ein Plakat, das eine Brille zeigt. Die Bügel sind gezeichnet und die Gläser rosa. Bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass die Gläser unbenutzte Kondome sind. Oben steht »Für Verliebte« und unten »mach‘s mit«. Dieses Plakat der Kampagne »Gib Aids keine Chance« ist eines von zahlreichen, die an verschiedensten Orten zu sehen sind. Was macht dieses Plakat so ansprechend? Es ist irgendwie lustig, es vermittelt das Gefühl, berührt zu werden und konkret Ideen zu bekommen, was man machen kann, um Verliebtsein und Sexualität auch mit »rosaroter Brille« genießen zu können. Das Poster vermittelt die Einstellung, dass man Kondome ganz selbstverständlich benutzen kann, dass Kondo- me sinnvoll sind und anziehend sein können.

Im Folgenden werden zuerst die Theorie des geplanten Verhaltens und danach die sozialkognitive Theorie beschrieben.

Theorie des geplanten Verhaltens

Die Theorie des geplanten Verhaltens (»Theory of Planned Behavior«/TPB; ⊡ Abb. 5.4) von Ajzen (1991) ist eine Erweiterung der Theorie des überlegten Han- delns (»Theory of Reasoned Action«/TRA; Fishbein u. Ajzen 1975). Beide Theorien wurden erfolgreich

auf gesundheitspsychologische Fragestellungen über- tragen und für verschiedene Gesundheitsverhaltens- weisen metaanalytisch untersucht. Die TRA postu- liert, dass Verhaltensänderungen durch Einstellungen und subjektive Norm beeinflusst werden und dass ihr Einfluss durch die Intention vermittelt wird. Damit fehlt der TRA die Kompetenzkomponente (genauso wie dem in  Abschn. 5.1 beschriebenen HBM). Aus diesem Grunde entwickelte Ajzen die Theorie weiter, indem er die wahrgenommene Verhaltenskontrolle als wichtige Determinante von Intention und Verhalten einführte (⊡ Abb. 5.4). Mit Einstellungen sind positive oder negative Bewertungen des Zielverhaltens gemeint (»Kondombenutzung ist unerotisch, ... ist sicher, ... ist langweilig, ... macht Spaß«). Die subjektive Norm stellt den erlebten sozialen Druck dar, das Zielverhal- ten auszuüben oder zu unterlassen (»die meisten Men- schen, die mir wichtig sind, meinen, dass ich Kondome benutzen sollte; oder ... meinen, dass Kondome unat- traktiv sind«). Die wahrgenommene Verhaltenskont- rolle ist der Selbstwirksamkeitserwartung sehr ähnlich (»ich habe vollkommene Kontrolle darüber, ob ich in der Zukunft Kondome benutze« oder »ich bin mir sicher, dass ich regelmäßig Kondome benutzen kann«). Zur Überprüfung der TPB haben Conner u. Sparks (2005) neun vorliegende Metaanalysen zu einzelnen Verhaltensbereichen aggregiert wie ▬ Kondombenutzung und ▬ körperlicher Aktivität (Hagger et al. 2002; ⊡ Abb. 5.4)

5.2 · Theorie des geplanten Verhaltens und sozialkognitive Theorie

Abb. 5.4. Die Theorie des geplanten Verhaltens mit aggregierten Korrelationen aus der Metaanalyse über Metaanalysen von Conner

u. Sparks (2005). r+ sind stichprobengewichtete Korrelationen (Effekt- stärken)

5  

   

 = &

#     

 

 .0/

 .83  .

 .38  .

 .8/

 .

 .

Im Gegensatz zur PMT nimmt die TPB auch einen di- rekten Einfluss von Kompetenzerwartung (Selbstwirk- samkeitserwartung, Verhaltenskontrolle) auf das Ver- halten an und nicht nur vermittelt über die Intention: ! Wer sich stärker zutraut, das Zielverhalten auszuüben, wird nicht nur eine höhere Intention haben, sondern auch direkt mehr handeln. In der ⊡ Abb. 5.4 sind Conner u. Sparks’ Befunde wie- dergegeben. Zwei Punkte sollten beachtet werden:

  1. Die Befunde fallen sehr positiv aus. Dies liegt zum einen an zahlreichen querschnittlichen Designs (die ES stellen lediglich korrelative Zusammenhänge zwischen zum gleichen Messzeitpunkt gemessenen Variablen dar), zum anderen daran, dass oftmals keine Veränderungen berücksichtigt wurden (Per- sonen, die regelmäßig Kondome benutzen, haben auch eine stärkere Absicht dazu sowie eine höhere Verhaltenskontrolle, weil sie das Zielverhalten ja bereits praktizieren usw.). Experimentelle Manipu- lationen sind in der Metaanalyse (wie bei der PMT; s. Milne et al. 2000) nicht berichtet worden.
  2. Die TPB ist sehr viel umfassender als in der ⊡ Abb. 5.4 dargestellt. Einstellungen werden durch Verhaltensüberzeugungen (Überzeugungen über Verhaltenskonsequenzen und Bewertung der Ver- haltenskonsequenzen) beeinflusst, subjektive Norm durch normative Überzeugungen (Überzeugun- gen über die Erwartungen signifikanter anderer so- wie der Einwilligungsbereitschaft) und Verhaltens- kontrolle durch Kontrollüberzeugungen und der subjektiven Stärke, mit der internale und externale Faktoren das Verhalten behindern oder fördern. Diese Überzeugungen werden wiederum durch weitere externale Variablen beeinflusst wie ▬ demographische Variablen (z. B. Alter, Ge- schlecht, Beruf, Bildung), ▬ Persönlichkeitsfaktoren und ▬ Umweltfaktoren (z. B. Verfügbarkeit).

Sozialkognitive Theorie Ähnliche Annahmen wie die Theorie des geplanten Verhaltens trifft die sozialkognitive Theorie (»Social- Cognitive Theory«/SCT; ⊡ Abb. 5.5) von Bandura (2004). Ziele (Intentionen) bestimmen, ob Menschen ihr Verhalten ändern oder aufrechterhalten. Sie medi- ieren den Einfluss von Selbstwirksamkeitserwartung,

Handlungsergebniserwartung sowie soziostrukturel- len, behindernden und unterstützenden Faktoren auf das Verhalten (⊡ Abb. 5.5). Die Selbstwirksamkeitserwartung nimmt (genau- so wie in der TPB angenommen) direkten Einfluss auf das Verhalten. Die SCT ist mittlerweile in vielen Bereichen menschlichen Handelns und der Gesund- heitsförderung untersucht worden. Es liegen zahlreiche Reviews zum Modell sowie zu einzelnen Konstrukten vor. Überblicksartikel kommen zu dem Schluss, dass ▬ Selbstwirksamkeitserwartung, ▬ Ergebniserwartungen, ▬ Zielsetzung (z. B. Shilts et al. 2004) und ▬ soziale Unterstützung hilfreich für Verhaltensänderung sind. Trotz der gro- ßen Popularität der SCT und zahlreichen empirischen Untersuchungen auf Grundlage der SCT sind bis heute keine Metaanalysen zu finden. Auch Banduras Modell ist komplizierter als in der ⊡ Abb. 5.5 wiedergegeben. So nimmt Bandura (2004) an, dass das Wissen um Gesundheitsrisiken und -ge- winne eine wichtige Voraussetzung für Änderungen ist. Nur wenn Menschen sich bewusst sind, dass ihr Lebensstil Einfluss auf ihre Gesundheit nimmt, kön- nen sie eine Entscheidung treffen, den gewohnten Lebensstil zu ändern. Dazu müssen sie jedoch ausrei- chend Selbstwirksamkeitserwartung (»ich kann auch dann Kondome benutzen, wenn ich mich überwinden muss«) und funktionale Ergebniserwartungen haben (⊡ Abb. 5.5). Ergebniserwartungen können positiv und negativ sein und haben nach Bandura ▬ physische Komponenten (»wenn ich Kondome be- nutze, dann fühle ich mich wohler«), ▬ soziale Komponenten (»wenn ich Kondome benutze, dann bin ich bei meinen Freunden anerkannt«) und ▬ selbstevaluative Komponenten (»wenn ich Kondo- me benutze, dann bin ich stolz auf mich«).

Typischerweise haben Menschen mit Schwierigkeiten zu kämpfen, bekommen aber auch Hilfe aus der Umge- bung. Ferner nehmen soziokulturelle Faktoren Einfluss, die z. B. im Gesundheitssystem liegen können. All diese Faktoren bewirken, dass Menschen sich etwas vorneh- men, also Ziele setzten. Diese Ziele können sein: ▬ kurzfristig (»ich will am Freitagabend ein Kondom bei mir tragen«) oder ▬ langfristig (»ich habe mir vorgenommen, in Zu- kunft immer ein Kondom bei mir zu tragen«).

5

42 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Banduras Hauptverdienst ist, neben seiner SCT, in seinen Arbeiten zur Selbstwirksamkeitserwartung zu sehen. Er beschrieb die Entwicklung von Selbstwirk- samkeitserwartung (⊡ Abb. 5.6) und beschreibt damit auch, wie Selbstwirksamkeitserwartung konkret er- höht werden kann. ! Eigene Erfolgserfahrungen stärken die Selbstwirk- samkeitserwartung am meisten. Beobachtungslernen und verbale Verstärkung können ebenfalls Einfluss nehmen. Jemand, der schon einmal in der schwierigen Situa- tion war, z. B. während eines One-night-Stands ein Kondom zu zücken und darauf zu bestehen, es trotz Unannehmlichkeiten anzuwenden, wird sich auch in Zukunft eher zutrauen, wieder ein Kondom zu benut- zen. Hat man im Fernsehen beobachtet , wie jemand das Kondom erfolgreich »ins Spiel bringt«, kann man es sich selbst auch eher vorstellen, als wenn man die Episode nicht gesehen hat. Jedoch ist der Glau- be an die eigene Kompetenz nicht so stark wie bei jemandem, der auf eigene Erfahrungen bauen kann. Bezüglich verbaler Verstärkung stelle man sich z. B. folgendes Szenario vor: Zwei Freundinnen (A und C) unterhalten sich. Die eine (A) erzählt, dass sie einen neuen Freund (B) hat. Beide Freundinnen stimmen darin überein, dass die Kondombenutzung wichtig ist. Trotzdem äußert A Bedenken, dass sie B dazu bringen kann, das Kondom auch zu benutzen. Ihre Freundin (C) rät ihr nun, unbedingt auf der Kondom- benutzung zu bestehen. Sie sagt »Ich weiß, du kannst es, und ich vertraue ganz fest in deine Fähigkeiten«. Dies kann helfen, jedoch kann es auch den gegentei- ligen Effekt haben, z. B. dass Reaktanz ausgelöst wird. Üblicherweise wird angenommen, dass Broschüren und Selbsthilfehefte über diese Quelle des Zuspruchs auf die Selbstwirksamkeitserwartung Einfluss neh- men. Physiologische und affektive Zustände könn- ten darin zu sehen sein, dass A z. B. ein »Kribbeln« empfindet, als sie das Haus verlassen will. A interpre- tiert dies als den eigentlichen Wunsch, ein Kondom mitzunehmen und es später zu benutzen. Sie steckt das Kondom in die Tasche und nimmt nun Gelas- senheit wahr, die sie als Verstärker empfindet, das Richtige getan zu haben und später das Kondom auch zu benutzen. Diese letzte Quelle (⊡ Abb. 5.6) ist die schwächste und wird oftmals nicht berücksichtigt, da sie mit Interventionsprogrammen nur schwerlich zu

erreichen ist. Zu Interventionen auf Grundlage der sozialkognitiven Theorie und der Selbstwirksamkeit siehe  Abschn. 9.1. Die Bedeutung der Kompetenzerwartungen ist in den beiden beschriebenen Theorien (in der SCT »Selbstwirksamkeitserwartung«, in der TPB »Verhal- tenskontrolle« genannt) in diesem Abschnitt zentral. Ferner wird in beiden Theorien die Verhaltensabsicht berücksichtigt (in der SCT »Ziel«, in der TPB »Inten- tion«). Defizite weisen die motivationalen Modelle (Alle Modelle in den  Abschn. 5.1 und 5.2) jedoch auf, wenn es um die konkrete Übersetzung von Absichten in Verhalten geht. Hier ist eine Lücke festzustellen, die motivationale Modelle nicht schließen können, da es ihnen um die Beschreibung der Intentionsbildung geht. In den folgenden Abschnitten werden Modelle vorgestellt, die Prozesse nach der Intentionsbildung genauer betrachten.

5

44 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Abb. 5.6. Die Quellen von Selbstwirksamkeitserwartung nach Ban- dura (2004). Die Pfeilstärken deuten an, wie stark der Einfluss der ein- zelnen Quellen auf die Selbstwirksamkeitserwartung sein kann

  ; ! ;  

  &  $ ;   @$ (

   '  A $  *   (

,-   $ ;; &  '$

 !  !  

Zusammenfassung Die Verdienste der beiden Theorien (SCT und TPB) sind vor allem in ihrem Kompetenzansatz (in der SCT »Selbstwirksamkeitserwartung« genannt und in der TPB unter dem Namen »Verhaltenskontrolle«) und der Integration der Verhaltensabsicht (in der SCT »Ziel« und in der TPB »Intention«) zu sehen. Es werden verschiedene weitere sozialkognitive Variablen berücksichtigt, die für beide Theorien umfangreich untersucht wurden. Zusätzlich zu eini- gen methodischen Problemen (z. B. kaum Unter- suchung von Veränderungen) geben die beiden Theorien keine Auskunft darüber, wie Menschen es schaffen, ihre gebildeten Absichten auch in Verhal- ten umzusetzen.

5.3 Von der Absicht zum Verhalten: Volitionale Modelle des Gesundheitsverhaltens

Definition Theorien, die Konstrukte berücksichtigen, die zwischen Intention und Verhalten wirken oder den Prozess der Umsetzung von Intentionen in Verhalten realisieren, werden volitionale Modelle genannt.

Je mehr Menschen wissen, wie sehr sie einem Gesund- heitsrisiko ausgesetzt sind, je mehr sie daran glauben, dass eine Verhaltensänderung dieses Gesundheitsri- siko abwenden kann, je mehr sie darauf vertrauen, ihr Verhalten selbst verändern zu können usw., desto eher nehmen sie sich vor, ihr Verhalten zu ändern. Aber obwohl sie es sich vornehmen, ändern viele Menschen ihr Verhalten nicht. Menschen verhalten sich oft so wie bisher und entsprechend ihren lieb gewonnenen Gewohnheiten (durchschnittliche Korrelation zwischen früherem und jetzigem Verhalten r+=0.51). Damit klärt das bisherige Verhalten 26% der Varianz im nachfolgenden Verhal- ten auf. Die Intention kann nur noch weitere 7% der Verhaltensvarianz erklären. Es scheint also etwas zwi- schen der Intention und dem Verhalten zu geben, das in den letzten Abschnitten beschriebenen Modellen fehlt bzw. in diesen nicht berücksichtigt wird.

Beispiel I I

Drei Studentinnen unterhalten sich beim Mittag- essen darüber, was sie am Abend machen wollen. A sagt, sie plane direkt nach der Uni zum Schwim- men zu gehen und sie habe ihre Schwimmausrüs- tung schon dabei. B meint, sie hätte vor, abends an ihrem Unisportkurs teilzunehmen. C äußert ebenfalls, dass sie am Abend Sport treiben wolle, aber sie wisse noch nicht genau, was sie genau mache. Am nächsten Tag treffen sie sich wieder. C erklärt, sie habe es sich dann doch anders über- legt und habe keinen Sport gemacht. B gibt klein- laut zu, dass sie eigentlich nur kurz nach Hause gehen wollte, um ihre Sportsachen zu holen. Es überfiel sie aber eine akute Lust- und Kraftlosigkeit und sie setzte sich aufs Sofa. Dort lag die Fernbe- dienung des Fernsehers und als dieser erst mal lief, war der Sportkurs vergessen. Als es zu spät war, um noch rechtzeitig zum Sport zu gehen, überkam sie das schlechte Gewissen: Sie war gegen ihren »inne- ren Schweinehund« nicht angekommen und nun war es, als wenn er zufrieden auf dem Sofa neben ihr grunzte... A dagegen war, wie geplant, direkt von der Uni zum Schwimmen gegangen, war trotz ihrer Abgespanntheit und obwohl auch sie keine richtige Lust hatte, ins Wasser gesprungen und hatte sich sofort erfrischt gefühlt. Kraftvoll hatte sie ihre Runden gezogen und war nach dem Schwim- men zufrieden nach Hause gegangen und hatte sich auf ihr Sofa gelegt.

Eine Intention (z. B. Sport zu treiben) stellt nicht sicher, dass entsprechendes Verhalten nachfolgt. Welche Fakto- ren bewirken, dass Menschen an ihren gesetzten Zielen erfolgreich festhalten und sie tatsächlich in Verhalten umsetzen? Auch wenn nichts über die Bedrohungs- wahrnehmung, Selbstwirksamkeitserwartung, antizi- pierten Handlungsergebnisse und andere Faktoren der drei Frauen bekannt ist, macht das Beispiel deutlich, dass alle drei beim Mittagessen die feste Absicht hatten, am Abend Sport zu treiben, sich die Konkretheit ihres Vorhabens jedoch deutlich unterschied.

Rubikonmodell Modelle, die den Prozess nach der Intentionsbildung genauer betrachten, können erklären, wieso es zu einer

5.3 · Von der Absicht zum Verhalten: Volitionale Modelle des Gesundheitsverhaltens

! Pläne nützen nicht nur, leichter Ziele zu erreichen, sondern helfen Menschen auch, sich wohler zu fühlen (d+=0.61; Koestner et al. 2002).

Im Gesundheitskontext gilt es, konkrete Pläne zu machen, die vor allem in schwierigen Situationen hel- fen, an den Zielen festzuhalten. Schwierige Situatio- nen sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass »etwas dazwischen kommen« kann. Das konkrete Ein- planen von solchen Schwierigkeiten hilft, mit ihnen umzugehen.

Studienbox I I

Beispielsweise waren kardiologischen Rehabilita- tionspatienten, die Bewältigungspläne (»coping plans«) formuliert hatten (was tun, wenn etwas dazwischen kommt?), doppelt so lange sportlich aktiv (nämlich fast 3 h pro Woche) wie Patienten, die keine Pläne gebildet hatten (die ca. 1,5 h pro Woche Sport trieben). Außerdem waren sie 1,5-mal so aktiv wie diejenigen, die nur Handlungspläne (»action plans«) erarbeitet hatten (diese Gruppe war ca. 2 h pro Woche sportlich aktiv; Sniehotta et al. 2006).

! Es kommt jedoch darauf an, dass man sich erst für ein Ziel entscheidet und dann dieses Ziel und die Über- windung von Schwierigkeiten dabei möglichst genau plant.

Muss ein fremdgesetztes Ziel geplant werden (z. B. der Arzt »verordnet« körperliches Training), das man selbst nicht ausführen möchte, so bringt Planung kei- nen Vorteil.

Studienbox I I

Orthopädische Patienten wurden danach unter- schieden, ob sie die Absicht hatten, regelmäßig körperlich aktiv zu werden oder dies nicht wollten. Diejenigen, die die Absicht hatten und angeleitet wurden, Handlungs- und Bewältigungspläne zu for- mulieren, waren zu 14% aktiver als diejenigen, die keine Pläne aufstellen sollten. Dieser Effekt zeigte sich nicht bei denjenigen, die keine Absicht hatten aktiv werden wollten (Lippke et al. 2004b).

Von der Planung profitieren also nur Menschen, die sich in der postdezisionalen Phase befinden, nicht

jedoch in der prädezisionalen Phase (⊡ Tabelle 5.1). Das heißt, Menschen in der prädezisionalen Phase be- nötigen andere Strategien, um in die postdezisionale Phase zu gelangen, also erst einmal eine Intention zu bilden. Zusammenfassung Der Verdienst der volitionalen Modelle und Kon- zepte ist vor allem darin zu sehen, dass sie die Lücke zwischen Intention und Verhalten schließen. Sie ergänzen damit die motivationalen Theorien. Pläne sind »wenn-dann«-Verbindungen, die eine automatische Ausführung von Zielen (Intentio- nen) veranlassen. Es sollte geplant werden, wann, wo und wie die Intention umgesetzt werden soll ( Handlungsplanung ). Ferner ist es hilfreich, Barrie- ren zu antizipieren und ihre Bewältigung zu planen ( Bewältigungsplanung;  Kap. 8).

5.4 Stufenmodelle: Das transtheoretische Modell und allgemeine stadientheoretische Annahmen

Modelle, die annehmen, dass Menschen sich in unterschiedlichen »Zuständen« der Verhaltensände- rung befinden, werden Stufen- oder Stadienmodelle genannt. Nach diesen Modellen unterscheiden sich die Stadien qualitativ, d. h. Personen in einem Stadium unterscheiden sich stark von denjenigen in anderen Stadien und kaum von Personen im gleichen Stadi- um. Die Unterschiede bestehen in Gedanken, Gefühlen und im Verhalten.

In den vorherigen Abschnitten sind Theorien und Mo- delle beschrieben worden, die annehmen, dass Men- schen einen kontinuierlichen, linearen Prozess der Verhaltensänderung durchlaufen. Nach den Modellen besteht der Änderungsprozess darin, das Zielverhalten oder seine Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Je stärker die Bedrohung ist und je besser die Bewältigungskom- petenzen sind, die ein Mensch wahrnimmt, desto höher ist die Absicht zur Verhaltensänderung und desto mehr soll das Zielverhalten umgesetzt werden. Aufgrund dieser Annahmen werden Modelle wie das HBM, die PMT und die TPB kontinuierliche, lineare Modelle der Gesundheitsverhaltensänderung genannt. Ihnen

5.4 · Stufenmodelle: Das transtheoretische Modell und allgemeine stadientheoretische Annahmen

stehen Stadien- oder Stufenmodelle gegenüber, die Folgendes postulieren: ! Menschen machen eine Entwicklung über Stufen durch, bei der auf den unterschiedlichen Stufen (als Synonym: Stadien) unterschiedliche Einflüsse wirken und spezifische Faktoren wichtig sind. Nach Stadien- modellen reagieren Personen nur auf die für sie »pas- senden« Reize. Wenn passende Einflüssen erfolgreich sind, wechseln Menschen auf die nächste Stufe/ins nächste Stadium. Das Durchlaufen von mehreren Stadien ergibt die Ent- wicklung hin zum Zielverhalten, z. B. die empfohlene Menge Flüssigkeit pro Tag zu trinken.

Beispiel (^) I I Herr A liest in einer Zeitung, dass Menschen pro Tag mindestens 2 l Wasser und Kräutertees trinken sollten. Ihm wird bewusst, dass er weniger Wasser trinkt, nämlich täglich ca. 3 Gläser à 0,2 Liter. Herr A liest weiter, dass zu wenig Flüssigkeit zu Konzentra- tionsproblemen und Erschöpfungszuständen füh- ren kann, und er überlegt, ob dies einer der Gründe für seine nachmittägliche Müdigkeit sein könnte. Er entschließt sich, von nun an jeden Tag zusätz- lich 2 Flaschen Wasser (à 0,75 l) zu trinken, jeweils vor- und nachmittags eine Flasche, die er sich dafür auf den Schreibtisch bereit stellt. Dies setzt er auch um und stellt nach einiger Zeit fest, dass er nachmittags nicht mehr von der Müdigkeit befal- len wird. Schon bald braucht er sich nicht einmal mehr selbst ans Trinken zu erinnern: Die Flasche auf seinem Schreibtisch gehört einfach dazu, und am Ende jedes Tages hat er ganz automatisch 2 l oder mehr Flüssigkeit zu sich genommen.

Das bekannteste und weit verbreitete Stadienmodell ist das transtheoretische Modell ( »Transtheoretical Model«/TTM) mit seinen fünf bzw. sechs Stadien. Im Folgenden werden Stadienannahmen anhand der TTM-Stadien erläutert.

Erläuterungen der Stadienannahmen am Beispiel des TTM Zentral ist die Ansicht, dass jeder Mensch nur einem Stadium zugeordnet werden kann.

In den Stadien haben Menschen charakteristische Gedanken und Gefühle, sog. »Mindsets«. Personen

  • wie Herr A in dem Beispiel oben – lassen sich folgen- dermaßen in die unterschiedlichen Stadien einstufen (⊡ Tabelle 5.2). Die zentrale Annahme von Stadienmodellen ist, dass Menschen nicht einfach immer mehr Intention entwickeln, sondern eine Entwicklung durchmachen, bei der die Stadien nacheinander durchlaufen wer- den (wie ein Schmetterling: Ei → Raupe → Puppe → Schmetterling). Auf den unterschiedlichen Stufen wirken unterschiedliche Einflüsse, die nachfolgend an- hand einzelner Beispiele dargestellt werden: ▬ So ist z. B. der Anstoß durch einen informierenden Zeitungsartikel im Präkontemplation- (PC-)Stadi- um hilfreich, um sich bewusst zu werden, dass es überhaupt ein Zielverhalten gibt, das gesundheit- lich wichtig ist. ▬ Im Kontemplation- (C-)Stadium kann die Infor- mation aus der Zeitung das Treffen einer Entschei- dung unterstützen. ▬ Danach, also im Präparation - (P-)Stadium, geht es um die konkrete Planung und Vorbereitung. Wenn die Zeitung nur Informationen zu den Vorteilen durch das Zielverhalten anbietet, kann sie bei der Planung und Vorbereitung nicht helfen und wird damit unwichtig. ▬ Wird das Verhalten im Aufnahme- (A-)Stadium oder Aufrechterhaltungs- (M-)Stadium ausge- führt, sind Kontrollmechanismen wichtiger, die Schwierigkeiten bei der Handlungsausführung be- wältigen helfen. ▬ Das letzte Stadium, das Stabilisierungs- Stadium (»Termination«), stammt vor allem aus den Beobach- tungen von Ex-Rauchern, die anfangs große Schwie- rigkeiten haben, nicht mehr zu rauchen (aufgrund ihrer psychischen und physischen Abhängigkeit). Nach längerer Zeit des erfolgreichen Nichtrauchens ist es jedoch wahrscheinlich, dass Menschen kein Verlangen mehr nach einer Zigarette haben oder so- gar Abneigungen gegenüber Tabakrauch empfinden. Dies würde als Stabilisierung bezeichnet werden, da keine Rückfallgefahr mehr besteht und keine weite- ren Kontrollmechanismen notwendig sind. Ob aller- dings Verhaltensweisen wie körperliche Bewegung und Ernährung irgendwann derart automatisiert werden, dass ein Stabilisierungsstadium diagnosti- ziert werden kann, ist bisher nicht eindeutig geklärt.

5

48 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

um 1 und unpassend oder »mismatched« für Personen im Stadium 2. Entsprechend wäre die Intervention II passend für Personen im Stadium 2 und unpassend für Personen im Stadium 1 (⊡ Abb. 5.7). Das TTM trifft solche Annahmen und verbindet diese mit konkreten Strategien (⊡ Tabelle 5.3). Die Stra- tegien stammen aus verschiedenen anderen Theorien (deshalb auch der Name trans theoretisches Modell) und Beobachtungen aus der klinischen Praxis (Pro- chaska et al. 1992).

Exkurs (^) I I Das TTM versteht sich nicht nur als Stadienmodell, sondern auch als Modell, das v. a. durch die Strate- gien Verhaltensänderung beschreibt und unterstüt- zen hilft. In diesem Kapitel wird jedoch der Schwer- punkt auf die Darstellung der Stadien gelegt.

Die Befundlage zu der stadienspezifischen Wirksam- keit der Strategien weist jedoch Schwierigkeiten auf. Zum einen lassen sich kaum Studien finden, die genau die Annahmen in der ⊡ Tabelle 5.2 testen, zum anderen geben Studien, die »matched-mismatched« Designs untersuchen, nur beschränkt Informationen darüber, was die von ihnen untersuchte »matched« Intervention konkret beinhaltet hat (s. auch die Kritik von Adams u. White 2005; Brug et al. 2005). Reviews gibt es mittlerweile für ausgewählte Ge- sundheitsverhaltensweisen, wie HIV-Prävention, Krebs-

präventionsprogramme, körperliche Aktivität und ver- schiedene Gesundheitsverhaltensweisen (Bridle et al. 2005). Metaanalysen zu TTM-basierten Interventionen liegen bisher nicht vor. Die Überblicksartikel weisen sowohl auf die Wirksamkeit von Programmen, die auf Grundlage des TTM entwickelt wurden, aber gleichzeitig auch auf die zahlreichen Schwierigkeiten theoretischer und methodischer Art hin (s. auch Sutton 2005). Die methodischen Probleme der Interventionsstudien sind zumeist nicht TTM-spezifisch, sondern betreffen die (Interventions-)Forschung allgemein ( Studienbox).

Studienbox (^) I I Methodische Probleme von Studien, die für Reviews und Metaanalysen berücksichtigt werden ▬ Die Bestimmung von Gruppen und die Mes- sung von Variablen sind nicht vergleichbar (da unterschiedliche Fragebögen zugrunde gelegt wurden). ▬ Selbstberichte, z. B. über das Verhalten, kön- nen verzerrt sein (Personen können sich nicht richtig erinnern, wollen sich positiver darstellen oder keine Selbstauskünfte geben). ▬ Querschnittliche (statt longitudinale) und korre- lative Designs (statt Veränderungsmessungen). ▬ Faktoren (z. B. Wetter, nationale Kampagnen), die nicht Teil der Untersuchung waren und nicht berücksichtigt wurden, haben die Unter- suchungsteilnehmer und damit das Ergebnis derart beeinflusst, dass ohne eine Kontrolle die- ser Einflüsse keine Aussage über die allgemeine Wirksamkeit der Intervention möglich ist.

Die Überblickstudien, die »matched-mismatched« De- signs betrachten, fassen zusammen, dass ▬ zum einen passende Maßnahmen erfolgreicher waren als unpassende Standardintervention oder Kontrollbedingungen; ▬ zum anderen passende Interventionen nicht nur bessere Ergebnisse zeigen können, sondern ihr Er- folg vor allem darin liegt, dass Ressourcen einge- spart werden können.

Dies sind jedoch Verdienste, die allgemein durch Pas- sung oder Maßschneiderung von Interventionen auf Grundlage unterschiedlicher Modelle erreicht werden können.

5

50 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Abb. 5.7. Allgemeines Design zur Testung der erfolgreichen Passung von Interventionen. (Nach Weinstein et al. 1998)

       

,      $ $ 

 

 $* 

 $* 

,      $ $ 

 

 $* 

 $* 

5.4 · Stufenmodelle: Das transtheoretische Modell und allgemeine stadientheoretische Annahmen

Tabelle 5.3. Strategien und ihre theoretische Wirksamkeit in den Stadien

Strategien (»processes of change«) PC C P A M a. Kognitiv-affektive Strategien Steigern des Problembewusstseins (»consciousness raising«) OXx OXx – – – Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen (»social liberation«) X X O O – Emotionales Erleben (»dramatic relief«, »emotional arousal«) Ox OXx X – – Selbstneubewertung (»self-reevaluation«) – OXx OXx – – Neubewertung der persönlichen Umwelt (»environmental reevaluation«) x Xx X – – b. Verhaltensorientierte Strategien Selbstverpflichtung (»self-liberation«, „commitment«) – – OXx OXx – Nutzen hilfreicher Beziehungen (»helping relationships«) – – X OXx Ox (Selbst-)Verstärkung (»reinforcement management«, „reward«) – – – OXx OXx Gegenkonditionierung (»counterconditioning«) – – – OXx OXx Kontrolle der Umwelt (»stimulus control«) – – – OXx OXx PC Präkontemplation; C Kontemplation; P Präparation; A Aktion; M Aufrechterhaltung; O/X/x theoretisch sollen diese Strategien auf den entsprechenden Stadien helfen ins nächste Stadium zu wechseln (jedoch nicht in andere); O nach Prochaska et al. 1992; X nach Keller et al. 1999; x nach Biddle u. Mutrie 2001. Die Uneinheitlichkeit der Autoren ist typisch für die derzeitige theoretische Uneinigkeit. Ferner liegen bisher nur wenige empirische Befunde vor

Trotz seiner Beliebtheit in Forschung und Praxis sind Studien über das TTM mit verschiedenen spezi- fischen theoretischen und methodischen Problemen konfrontiert.

Theoretische und methodische Probleme

  1. Die Stadien sind ungenügend operationalisiert: Die meisten Studien verwenden Algorithmen zur Bestimmung der Stadien, die Zeitkriterien bein- halten. ▬ So wurde das Aufrechterhaltung sstadium im- mer durch ein 6-Monats-Kriterium definiert (z. B. »Ich trinke schon seit sechs Monaten oder länger mindestens 2 l Wasser pro Tag.«). Oft- mals werden auch die anderen Stadien durch Zeitkriterien definiert, z. B. ▬ PC: keine Intention, das Verhalten in den nächs- ten 6 Monaten zu ändern; ▬ C: Intention, das Verhalten in 1 bis 6 Monaten zu ändern; ▬ P: Intention, das Verhalten in den nächsten 30 Tagen zu ändern (→Bridle et al. 2005).

Das Problem hierbei ist offensichtlich: a) Weshalb sollten genau diese zeitlichen Kriterien (z. B. 6 Monate) entscheidend sein (und nicht z. B. 12 Monate)? Die Zeitkriterien sind arbiträr. b) Diese zeitlichen Kriterien mögen präzisere Kri- terien darstellen, aber es ist nicht klar, was ihr psychologischer Gehalt ist. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, ist in der Definition in ⊡ Tabelle 5.2 auf zeitliche Kriterien verzichtet und besonderer Wert auf psychologische Kriterien wie Intention, Planung und Habituation (»strengt mich überhaupt nicht an«, »mache ich automatisch«) gelegt worden.

  1. Die Stadienzuordnung ist nicht valide, d. h. Men- schen in den Stadien PC und C sollten eine sehr ge- ringe und in P eine sehr hohe Intention haben, das Zielverhalten auszuüben. Personen in PC, C und P dürften logischerweise das Zielverhalten nicht aus- üben, wohingegen diejenigen in A und M alle aktiv sein sollten. Studien haben jedoch immer wie- der gezeigt, dass diese Annahmen empirisch nicht vollständig erwartungskonform gefunden werden (Review s. Nigg 2005).

und Barrieren). Diese Mediatoren oder abhängigen Variablen sollen helfen, die Verhaltensänderung abzu- bilden. Stadien können als Moderator in Theorien wie der TPB verstanden werden (⊡ Abb. 5.9).

Studienbox I I

Stadien als Moderatorvariablen Ob die TTM-Stadien in Theorien wie der TPB als Moderator verstanden werden können, wurde mit einem Multigruppen-Strukturgleichungsmodell untersucht. Dabei zeigt das in ⊡ Abb. 5.9 wiedergegebene Muster: Je optimaler die Einstellung, desto höher die Intention in allen Stadien. Stadienspezifische Effekte zeigen sich dagegen in den anderen sozial- kognitiven Prädiktoren: Subjektive Norm hängt mit Intention nur in PC positiv und in C negativ zusam- men; Verhaltenskontrolle korreliert lediglich in M mit Intention und Verhalten signifikant. Intention und Verhalten korrelieren in allen Stadien außer in C (Lippke et al. 2004a). Im Beispiel (⊡ Abb. 5.9) ist zu erkennen, dass eine bessere Einstellung in allen Sta- dien mit einer höheren Intention zusammenhängt.

! Einstellung ist damit generisch wirksam, d. h. hilf- reich in alle Stadien und damit nicht stadienspezifisch. Andere Variablen (z. B. subjektive Norm) scheinen stadienspezifisch zu wirken, d. h. in Abhängigkeit vom Stadium unterschiedliche Bedeutung und damit für einzelne Stadien passender als für andere zu sein.

Was solch eine Passung von Stadium und sozialkog- nitiven Faktoren idealerweise bedeutet und wie eine Modellstruktur des TTM konkret aussehen soll, ist bis heute nicht eindeutig spezifiziert (s. auch die Kritik von Sutton 2005, S. 227). Klar ist nur, dass Selbst- wirksamkeitserwartung, Pros und Kontras bedeutsame Faktoren während des Verhaltensprozesses sind:

! Nur wer sich zutraut, sein Verhalten zu ändern, wer viele Vorteile durch die Änderung und wenig Nach- teile oder Barrieren wahrnimmt, wird auch erfolgreich von einem Stadium ins nächste wechseln.

Unter der Annahme, dass eine Person ▬ über die Zeit von einem Stadium ins nächste wech- selt und ▬ jeweils typische Kennzeichen dieser Stadien zeigt,

könnte auch ein Querschnitt von Personen betrachtet werden, die sich in unterschiedlichen Stadien befinden. Theoretisch befinden sich die Personen in den unter- schiedlichen Stadien an unterschiedlichen »Punkten« der Verhaltensänderung, die gemeinsam eine natürli- che Entwicklung durch diesen Prozess darstellen. Wie eingangs beschrieben, nehmen Stadienmodelle an, dass dieser Verhaltensänderungsprozess eine dynami- sche Entwicklung ist, also dass

  1. ein Voranschreiten, Zurückfallen und Verbleiben möglich ist und
  2. in den unterschiedlichen Stadien unterschiedliche Kognitionen und Emotionen (sog. »mind-sets«) sowie Verhaltensweisen charakteristisch sind.

Methodische Lösung: Testung von Diskontinuitätsmustern Das letzte Argument bedeutet, dass stadientheoretisch die Faktoren nicht einfach immer stärker werden, son- dern dass nichtlineare Muster zu beobachten sind. Die Untersuchung solcher Diskontinuitätsmuster lässt sich statistisch testen (Sutton 2005). Dabei wird zum einen geprüft, ob z. B. Testvariable A zwischen den Stadien 1 und 2 signifikant unterschiedlich und zwischen den Stadien 2 und 3 gleich ausgeprägt ist, während Testva- riable B ein anderes Muster zeigt. Zum anderen werden die statistischen Trends betrachtet, und ob nichtlineare Trends (quadratische, kubische usw.) über den linearen Trend hinaus Varianzen zwischen den Stadien auf- klären können. Das Muster über die Vulnerabilität in

5.4 · Stufenmodelle: Das transtheoretische Modell und allgemeine stadientheoretische Annahmen

Abb. 5.9. Die Struktur der TPB für die einzelnen TTM-Stadien. (Nach Lippke et al. 2004a). Pfadkoeffizienten sind für die Stadien PC/C/P/A/M angegeben. Signifikante Pfadkoeffizienten unterstrichen. Einst. Ein- stellung, Subj. Norm subjektive Norm, Verh. Kontr. wahrgenommene Verhaltenskontrolle (alle zum 1. Messzeitpunkt); Intention (Mediator) 6 Monate danach; Verhalten 12 Monate nach dem 1. Messzeitpunkt

 

5 !   

/:4:/73//

/1 !4/!13* !1:*

12/B/817/: 171:1212/

 = 31 /73:87/ 

 ) 

⊡ Abb. 5.8 zeigt solch einen nichtlinearen Trend. Dage- gen zeigt sich typischerweise bei Betrachtung der Aus- prägung der Intention über die Stadien ein eindeutiger linearer Trend (⊡ Abb. 5.10). Es geht also nicht einfach nur darum, dass sich alle Stadien signifikant voneinan- der oder von den benachbarten Stadien unterscheiden, sondern darum, ob Unterschiedsmuster vorliegen (was in ⊡ Abb. 5.10 nicht der Fall ist). Der lineare Trend in ⊡ Abb. 5.10 ließe eher die Vermutung zu, dass hier ebenso eine Intentionsskala verwendet werden könnte: Personen, die auf die Frage »Wie groß ist Ihre Absicht, Ihr Verhalten zu ändern?« mit »sehr gering« antworten, würden dem ersten Sta- dium zugeordnet werden, diejenigen, die »ein wenig« angeben, würden dem zweiten Stadium zugeordnet usw. Das heißt, hier könnte von sog. Pseudostadien ausgegangen werden, die keine tatsächlichen qualitativ unterschiedlichen Stadien ausmachen. Hier würde der Stadiengedanke keinen Vorteil gegenüber der reinen Intentionsmessung oder einer anderen proximalen Va- riablen von Verhalten darstellen. Stadien sind jedoch mehr: Es werden zur Diagnos- tik verschiedene Kriterien herangezogen: ▬ behaviorale Kriterien (wird das Zielverhalten voll- ständig ausgeübt?), ▬ kognitive Kriterien (ist eine Entscheidung zur Ver- haltensänderung getroffen worden?), evtl. ▬ zeitliche Kriterien (seit wann wird das Verhalten ausgeführt?) und z. T. ▬ Habituierungskriterien (ist es noch schwierig, das Verhalten auszuüben, besteht Rückfallgefahr?). ! Von den zahlreichen Studien, die die Charakteristika der Stadien betrachten, testen nur sehr wenige, ob sich lineare und nichtlineare Trends statistisch bestäti- gen lassen. Auch die Metaanalysen von Marshall u. Biddle (2001), die die Ausprägungen der Strategien (»Processes of Change«) sowie Selbstwirksamkeitserwartungen, Pros und Kontras über die Stadien untersuchen, haben nicht explizit die Diskontinuitätsmuster geprüft, jedoch deu- ten sie Diskontinuitätsmuster an (⊡ Abb. 5.11). Auch wenn in der Metaanalyse von Marshall u. Bidd- le (2001) Trends über die Stadien nicht getestet wurden, lassen sich Diskontinuitätsmuster beobachten: Die Un- terschiede zwischen PC und C sind sowohl hinsichtlich Pros als auch Kontras größer als zwischen allen anderen benachbarten Stadien. C und P nehmen ähnlich viele

Vorteile wahr, wohingegen Personen in P deutlich mehr Vorteile sehen als Personen in A, und diese wiederum mehr als Menschen in M. Es scheint also ein qualitativ unterschiedlicher Prozess abzulaufen und weniger ein Durchlaufen von Stufen entlang einer kontinuierlichen Handlungs- oder Änderungsbereitschaft vorzuliegen.

5

54 Kapitel 5 · Theorien und Modelle des Gesundheitsverhaltens

Abb. 5.10. Intention (Mittelwerte und Standardfehler/SE) der Per- sonen in den TTM-Stadien Präkontemplation (PC), Kontemplation (C), Präparation (P), Aktion (A) und Aufrechterhaltung (M). (Aus Lippke et al. 2004, S. 597).

,DD,@        

/7"

/2"

41"

44"

48"

47"

42"



      



! 

   "

Abb. 5.11. Durchschnittliche Mittelwertsunterschiede zwischen den Stadien (in mittleren Effektstärken, d+ , metaanalytischer Befund für Pros und Kontras im Bereich körperliche Bewegung; aus Marshall u. Biddle 2001, S. 239).

1":B

!1"

1"1/

!1"

1"

!1"3B

1"

!1" !1"

1

1"

/

,D!DD!,,!!@

, D