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Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene SS 2020 Prof. Bäcker Hausarbeit, Hausarbeiten von Öffentliches Recht

Hausarbeit zur Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene, Prof. Bäcker, Sommersemester 2020

Art: Hausarbeiten

2019/2020

Hochgeladen am 17.07.2020

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Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M.
Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene
Sommersemester 2020
Hausarbeit
Am öffentlichen G-Gymnasium in Mainz erscheint seit einigen Jahren die Schülerzeitung „Die
Musterschüler“ im Rahmen einer schulischen Veranstaltung. In der aktuellen Ausgabe der
„Musterschüler“ findet sich ein Artikel, in dem über einen Besuch mehrerer Vertreterinnen und
Vertreter von Mainzer Schülerzeitungen im Polizeipräsidium Mainz berichtet wird. Der Artikel
befindet sich im Heft neben einer von der Polizei bei allen teilnehmenden Schülerzeitungen
geschalteten Werbeanzeige, die über Karrieremöglichkeiten bei der Polizei informiert. Durch
diese Werbeanzeige kann die Schülerzeitung etwa ein Drittel der Kosten für die aktuelle Aus-
gabe decken. Der Artikel, dessen Layout sich stark an die Anzeige anlehnt, lautet:
„Angesichts der Tatsache, dass dieser Artikel von Angesicht zu Angesicht neben einer Polizeiwer-
bung steht, sollte auch diskutiert werden, ob es moralisch zu rechtfertigen ist, der Keulen schwin-
genden, wasserspritzigen, knüppeldicken, Tränengas furzenden Faust des Polizeistaates Möglichkeit
zur Werbung zu geben oder ob es gerade deshalb eine gute Tat ist, weil eben die Polizei doch,
obgleich dies unpopulär ist, vielleicht Freund und Helfer ist, ob wir denn um des lieben Geldes
willen jetzt alle Prinzipien über Bord geschmissen haben oder ob wir letzten Endes diesen Artikel
nur schreiben, um die Anzeige zu rechtfertigen. Die Anzeige spricht für sich. Langweilig, mit billi-
gem Computer gemacht und äußerst anbiedernd zeigt sie, wie marode die Polizei ist.
Auf einer Redaktionsreise zur Mainzer Polizei stellten wir fest, dass nicht nur die geographische
Nachbarschaft unsere Schule mit dem Polizeipräsidium verbindet. Auch die Gräue und Dunkelheit
langer Gänge lässt einen hier wie zu Hause im G-Gymnasium sich deprimiert und allein fühlen. Mit
dem schweren Duft aus Lüftungsschächten meint man, den Angstschweiß der Gefangenen zu rie-
chen. Schwaden von Aktenordnern kriechen durch Flure und Treppenhäuser. Die Anlage ist ein
verschachteltes, neonbeleuchtetes, leeres Labyrinth. Ironisch prangen, wenn überhaupt, stillose Blu-
menbilder an den Wänden. An den verschlossenen Türen, hinter denen man Folterknechte wähnt,
obwohl wahrscheinlich nur Schreibtischtäter dort vegetieren, sind Schilder angebracht, die seltsame
Kürzel zeigen oder aber Namen wie ‚Führungsstab‘. Bürokratie, die in den Wahnsinn treibt, den sie
selbst verkörpert.
Der PR-Beauftragte erzählt uns zur Einführung konfuse Dinge über die Polizei, die sich freue, den
jungen Leuten ein Bild ihrer selbst zu vermitteln. Sofort frage ich mich, ob das ernst gemeint sein
kann. Dieser Moloch, dieser menschenfeindliche Alb, dieses 1984? Hier wird man zum Kriminellen,
wenn man noch keiner ist. Aus Phobie vor diesem Umfeld gesteht man schneller als unter Folter
jedes auch nicht begangene Verbrechen. Wieder konfuse Lobreden auf die Polizei. Der betont lo-
ckere, coole, loyale Pressesprecher erzählt von ‚artikelmäßig‘ zu kriegenden ‚Thematiken‘. Die
deutsche Sprache ist unerschöpflich, oder war es unerschöpfbar?
Rund 1000 Schutzpolizisten werden zu 500-600 Einsätzen am Tag geschickt. Angefordert werden
sie von der Befehlsstelle, die hunderte von Anrufen täglich erhält. Nur 20% davon sind nach dem
Notrufmissbrauchsgesetz gerechtfertigt. Die Leitung sei häufig besetzt. Das erste Bewundernswerte
an dieser Exkursion ist also die Erkenntnis, dass die Polizei es schafft, voller Selbstbewusstsein die
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Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M.

Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene Sommersemester 2020

  • Hausarbeit –

Am öffentlichen G-Gymnasium in Mainz erscheint seit einigen Jahren die Schülerzeitung „Die Musterschüler“ im Rahmen einer schulischen Veranstaltung. In der aktuellen Ausgabe der „Musterschüler“ findet sich ein Artikel, in dem über einen Besuch mehrerer Vertreterinnen und Vertreter von Mainzer Schülerzeitungen im Polizeipräsidium Mainz berichtet wird. Der Artikel befindet sich im Heft neben einer von der Polizei bei allen teilnehmenden Schülerzeitungen geschalteten Werbeanzeige, die über Karrieremöglichkeiten bei der Polizei informiert. Durch diese Werbeanzeige kann die Schülerzeitung etwa ein Drittel der Kosten für die aktuelle Aus- gabe decken. Der Artikel, dessen Layout sich stark an die Anzeige anlehnt, lautet:

„Angesichts der Tatsache, dass dieser Artikel von Angesicht zu Angesicht neben einer Polizeiwer- bung steht, sollte auch diskutiert werden, ob es moralisch zu rechtfertigen ist, der Keulen schwin- genden, wasserspritzigen, knüppeldicken, Tränengas furzenden Faust des Polizeistaates Möglichkeit zur Werbung zu geben oder ob es gerade deshalb eine gute Tat ist, weil eben die Polizei doch, obgleich dies unpopulär ist, vielleicht Freund und Helfer ist, ob wir denn um des lieben Geldes willen jetzt alle Prinzipien über Bord geschmissen haben oder ob wir letzten Endes diesen Artikel nur schreiben, um die Anzeige zu rechtfertigen. Die Anzeige spricht für sich. Langweilig, mit billi- gem Computer gemacht und äußerst anbiedernd zeigt sie, wie marode die Polizei ist. Auf einer Redaktionsreise zur Mainzer Polizei stellten wir fest, dass nicht nur die geographische Nachbarschaft unsere Schule mit dem Polizeipräsidium verbindet. Auch die Gräue und Dunkelheit langer Gänge lässt einen hier wie zu Hause im G-Gymnasium sich deprimiert und allein fühlen. Mit dem schweren Duft aus Lüftungsschächten meint man, den Angstschweiß der Gefangenen zu rie- chen. Schwaden von Aktenordnern kriechen durch Flure und Treppenhäuser. Die Anlage ist ein verschachteltes, neonbeleuchtetes, leeres Labyrinth. Ironisch prangen, wenn überhaupt, stillose Blu- menbilder an den Wänden. An den verschlossenen Türen, hinter denen man Folterknechte wähnt, obwohl wahrscheinlich nur Schreibtischtäter dort vegetieren, sind Schilder angebracht, die seltsame Kürzel zeigen oder aber Namen wie ‚Führungsstab‘. Bürokratie, die in den Wahnsinn treibt, den sie selbst verkörpert. Der PR-Beauftragte erzählt uns zur Einführung konfuse Dinge über die Polizei, die sich freue, den jungen Leuten ein Bild ihrer selbst zu vermitteln. Sofort frage ich mich, ob das ernst gemeint sein kann. Dieser Moloch, dieser menschenfeindliche Alb, dieses 1984? Hier wird man zum Kriminellen, wenn man noch keiner ist. Aus Phobie vor diesem Umfeld gesteht man schneller als unter Folter jedes auch nicht begangene Verbrechen. Wieder konfuse Lobreden auf die Polizei. Der betont lo- ckere, coole, loyale Pressesprecher erzählt von ‚artikelmäßig‘ zu kriegenden ‚Thematiken‘. Die deutsche Sprache ist unerschöpflich, oder war es unerschöpfbar? Rund 1000 Schutzpolizisten werden zu 500-600 Einsätzen am Tag geschickt. Angefordert werden sie von der Befehlsstelle, die hunderte von Anrufen täglich erhält. Nur 20% davon sind nach dem Notrufmissbrauchsgesetz gerechtfertigt. Die Leitung sei häufig besetzt. Das erste Bewundernswerte an dieser Exkursion ist also die Erkenntnis, dass die Polizei es schafft, voller Selbstbewusstsein die

skandalösen Missstände und ihren maroden technischen Standard zu ertragen. Telefonisch angekün- digte Selbstmorde seien ‚unproblematische Dinge‘. Zitat: ‚Ich kann es keinem raten, in den Rhein zu springen, wenn er sich umbringen will – die meiste Zeit im Jahr ist der so flach, dass man mit den Füßen im Schlick steckenbleibt, das ist kein schöner Tod. Nur bei Hochwasser merkt man nicht viel, weil man sich da durch die Strömung sofort das Genick bricht.‘ Im weiteren Gespräch rechnet man uns in ähnlicher makaber-nüchterner Manier vor: Das Durchschnittsalter der herointoten Män- ner liege bei 29 Jahren, bei Frauen bei 24, ihr Anteil an den Abhängigen betrage ein Viertel. Die Jugendkriminalität sei um 53% gestiegen gegenüber dem letzten Jahr. Die Drogenmafia wasche 30% ihrer Gelder bei großen deutschen Industrieunternehmen. Als ein Kollege im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen erzählt, er sei von Neonazis zusammengeschlagen worden, findet das der PR- Polizist ‚niederschmetternd‘. Noch gebe es keine Nachwuchsschwierigkeiten, aber die seien zu er- warten, da die Wirtschaft so boome. Bei der Polizei sei es aber ‚spannender‘ (vielen Dank an alle Neonazis). Irgendwie konnte ich es kaum ändern – aber mein Artikel wendet sich permanent gegen die Polizei. Ich schildere sie grau, mies, tückisch, so wie es in ist. Ich bin ein Konformistenschwein. Aber ich bin ehrlich. Die Polizei ist nicht so schlimm. Wir brauchen sie. Es ist äußerst unpopulär, die wert- volle Aufgabe der Polizei in der Gesellschaft zu honorieren. Aber sie macht es mir schwer, da sie sich anbiedert, beispielsweise mit nebenstehender Anzeige. Die Polizei mag ein Apparat sein wie aus 1984, aber die Menschen, aus denen sie besteht, müssen es nicht sein. Wehret den Anfängen! Diskriminiert keine Polizisten, denn es gibt solche und solche, und solche sind vielleicht in der Mehrheit. Die Polizei tut alles, um anerkannt zu werden, sie tut aber genau damit alles, um genau das nicht zu werden. Daher tut ihr alles, damit sie es wird! Und ich tue alles, dass sie aufhört, weiter so alles zu tun. Amen.“

Schulleiterin S erfährt vier Wochen vor dem geplanten Erscheinungstermin durch die Bera- tungslehrerin, die gegenüber der Redaktion der „Musterschüler“ erfolglos auf Änderungen hin- gewirkt hat, vom Inhalt des Artikels. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Zeitung bereits im Druck. Nach Anhörung der Redaktion und der Beratungslehrerin untersagt S den Vertrieb der aktuellen Ausgabe der „Musterschüler“ auf dem Schulgelände und ordnet die sofortige Voll- ziehung dieser Anordnung an. Zur Begründung führt sie aus, der Artikel habe allgemeinpoliti- sche Fragen zum Gegenstand, deren Erörterung nicht Sinn einer Schülerzeitung als schulischer Veranstaltung sei. Zudem liefen die darin enthaltenen Anwürfe gegen die Polizei dem Bil- dungsauftrag der Schule grob zuwider. Dieser Auftrag umfasse eine grundlegende Achtung vor der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik und vor ihren Institutionen, die der Artikel vollständig vermissen lasse. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei er- forderlich, um von vornherein zu verhindern, dass insbesondere jüngere Schüler mit diesen polizeifeindlichen Inhalten in Berührung kommen.

Die Redaktion der „Musterschüler“ ruft gegen diese Entscheidung von S, in der sie eine unzu- lässige Zensurmaßnahme und einen groben Verstoß gegen das Schulrecht sieht, erfolglos den Schulausschuss und die Schulbehörde an und legt im Anschluss Widerspruch gegen das Ver- triebsverbot ein. Da der geplante Erscheinungstermin nun aber schon unmittelbar bevorsteht und die betroffene Ausgabe der „Musterschüler“ neben dem umstrittenen Artikel eine Reihe von aktuellen, rasch veraltenden Inhalten enthält (etwa Termine bevorstehender Schulveran- staltungen), beantragen die teils volljährigen, teils minderjährigen Redaktionsmitglieder ge- meinsam bei dem Verwaltungsgericht Mainz, ihnen den Vertrieb umgehend zu ermöglichen.

Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg?