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Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das ... 2.6.1 Beitrag der Geographie für die Bildung für nachhaltige Entwicklung .
Art: Skripte
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Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Haupt- und Realschulen in der Fachrichtung Geographie, einge- reicht dem Landesschulamt – Prüfungsstelle Gießen -.
Thema: urbane Gärten – Merkmale und Potentiale für den schulischen Einsatz im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung
Verfasser: P. Brenda
35396 Gießen
1. Einleitung:
Umweltzerstörung, der anthropogene Klimawandel, ein global steigendes Bevöl- kerungswachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern, steigende Lebensmit- telnachfrage trotz gleich bleibender Ressourcen, aber auch die zunehmende Be- bauung von landwirtschaftlichen Flächen wie beispielsweise in China und nicht zuletzt die Peak-Oil-Problematik zeigen in unserer heutigen Zeit auf, mit welchen sozialen und ökologischen Problemen der Mensch zu kämpfen hat und haben wird. (Müller, 2011) Betrachtet man dabei das systemische Zusammenwirken oben genannter Problem- felder, so ist zu erkennen, dass die Probleme zum großen Teil ineinander greifen und sich wechselseitig bedingen. Durch ein in den letzten 20 Jahren enormes Bevölkerungswachstum in China wurden zunehmend landwirtschaftliche Nutzflächen bebaut, die eigentlich der Versorgung der chinesischen Bevölkerung dienen sollten. Stattdessen verschiebt sich die Landwirtschaft in Flächen, die weniger ertragreich sind, und durch den massiven Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden erhofft man sich annähernd hohe Erträge zu erwirtschaften. Dabei zeigt sich an dieser Stelle schon das Di- lemma: Der Einsatz von Kunstdüngern, die auf Erdölbasis hergestellt werden, ist zum ei- nen umweltschädigend und zum anderen verschärft es die ohnehin schon beste- hende Peak-Oil-Problematik, dass die Erdölvorkommen in absehbarer Zeit er- schöpft sind. Angesichts des bedrohlichen Ausmaßes von aktuellen und zukünftigen ökologi- schen, sozialen, sowie ökonomischen Problemen gibt es langsam ein Umdenken in unserer Gesellschaft. (Müller, 2011) Besonders die vielzitierte Kehrseite der Globalisierung, die zu einer noch größeren ungleichen Verteilung von Ressourcen und dem Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern des globalen Nordens und Sü- dens beigetragen hat, wird heute von einigen Menschen kritisch betrachtet. Eine der größten Herausforderungen, der sich der Mensch gegenüber gestellt sieht, ist der seit der Industrialisierung einsetzende anthropogene Klimawandel, der spätes- tens seit dem Weltklimagipfel 1992 in Rio de Janeiro zu großen Teilen in der Ge- sellschaft Anklang findet.
Durch die Notwendigkeit, etwas ändern zu müssen um das globale 2-Grad-Ziel zu erreichen, bilden sich in den letzten Jahren verstärkt Initiativen wie beispielsweise die „Transition Towns“, die sich zur Aufgabe gemacht haben, einen gesellschaft- lichen Wandel einzuleiten. (Dietrich, 2014) Diese Initiativen sind stark durch ihren partizipativen, ökologischen und sozialen Charakter geprägt. Angesichts des Ziels der nationalen Stadtentwicklungspolitik, bis 2020 die Neuin- anspruchnahme von außerstädtischen Flächen durch stärkere Innenbebauung zu senken, damit nicht weitere Grünflächen der Stadtentwicklung weichen müssen, lässt sich ebenfalls ein Umdenken im ökologischen Umgang und dem Erhalt von außerstädtischen Grünflächen erkennen. Dabei ergibt sich auf den ersten Blick ein Konflikt zwischen dem Ziel der Nachverdichtung und dem Erhalt von städtischen Grünflächen. Betrachtet man diesen Aspekt jedoch genauer, so lassen sich kombi- nierte Möglichkeiten finden um beide Ziele umzusetzen. (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 2015) Durch ein steigendes Umweltbewusstsein und den Wunsch nach Maximierung der Lebensqualität im urbanen Raum durch Grünflächen hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein neuer Trend entwickelt. Unabhängig also von einer politischen Ebene hat sich so ebenfalls in den letzten Jahren in Deutschland eine Do-it-yourself-Mentalität unter kreativen Akteuren, den sogenannten „Urban-Hipstern“, gebildet, die darauf abzielt, gesellschaftliche Fragen und Probleme selbst in die Hand zu nehmen und somit „bottom-up“^1 ihre Lebenswelt neu zu gestalten. Verstärkt setzt diese Entwicklung in Großstädten wie Berlin, München oder Leipzig ein, da dort eine Vielzahl von kreativen Akteu- ren vorhanden ist. Aus dem Wunsch die eigene Stadt mitzugestalten und mehr at- traktive Grünflächen zu schaffen, die ökologische und soziale Aspekte beinhalten sollen, haben sich sogenannte „urbane Gärten“ gebildet. (Müller, 2011) Diese urbanen Gärten erfüllen in vielen Städten weltweit bereits einen großen Mehrwert für die Gesellschaft in sozialer, ökologischer und ökonomischer^2 Sicht. Zum anderen folgen die Gärten dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, so-
(^1) Bottom up: Ansatz, bei dem Akteure auf der unteren Hierarchieebene die Initiative für Veränderungen selbst in die Hand nehmen und umsetzen, statt diese von oben herab diktiert zu bekommen. 2 Aus ökonomischer und sozialer Sicht, erfüllen urbane Selbsterntegärten in Südamerika seit mehreren Jahren einen essen- ziellen Zweck der Lebensmittelversorgung in Armenviertel. Die urbane Landwirtschaft hat in einigen Ländern dazu geführt, dass Versorgungsengpässe für sozial niedrigere Milieus geschlossen wurden und diese sich selbst wieder als wirksamer Teil einer Gemeinschaft gesehen haben. In Folge dessen war ein deutlicher Rückgang der Kriminalität zu verzeichnen.2011) (Müller,
nen erhoffe ich mir weitere Einblicke für die gelungene Einsetzbarkeit und Poten- tiale für den Unterricht herauszufinden. Die Schülerinteressenstudien von Hem- mer und Hemmer werden ebenfalls in diesem Kapitel herangezogen um zu veror- ten, ob ein Interesse an der beschriebenen Thematik besteht und welche Möglich- keiten urbane Gärten bieten, um die von Schülerinnen und Schülern weniger prä- ferierten Themen interessanter und lebensnahe zu gestalten. In Kapitel drei meiner Arbeit werden die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung dargestellt und auf Grundlage ihrer Einsetzbarkeit im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung diskutiert. Ziel meiner Arbeit ist es, im vierten Kapitel aus den Ergebnissen ein Konzept für einen urbanen Garten zu entwickeln, in dem Potentiale für den schulischen Ein- satz im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung verwirklicht sind. Somit soll meine Arbeit mir und auch anderen angehenden Lehrkräften als Kom- pendium dazu dienen, Bildungspotentiale von urbanen Gärten zu erkennen und Einsatzmöglichkeiten im schulischen Bereich zu finden. In meinem abschließenden fünften Kapitel werde ich in einem Fazit meine Er- gebnisse und das daraus entstandene Konzept prägnant zusammenfassen.
2. Theorie:
Dieses Kapitel stellt zunächst jeweils eine Definition von urbanen Gärten sowie von Bildung für nachhaltige Entwicklung heraus. Für ein besseres Verständnis werden verschiedene Begriffe, die synonym zu „urbanen Gärten“ gebraucht wer- den, über ihre Hauptfunktion voneinander abgegrenzt, sodass im Verlauf dieser Arbeit keine Unstimmigkeiten auftreten. Nach der Festlegung der Begrifflichkei- ten wird beantwortet werden, welchen Mehrwert urbane Gärten für die Gesell- schaft haben und welche Merkmale diese aufweisen. Um die Konzeption der Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verstehen, ist es zunächst notwendig, die Grundgedanken und Leitziele einer nachhaltigen Ent- wicklung sowie deren Anfänge und fortlaufende Entwicklung zu betrachten. Im danach folgenden Abschnitt wird legitimiert, weshalb Bildung als Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung als essenziell angesehen wird.
Abschließend werden in diesem Kapitel die geographischen Basiskonzepte sowie schulische normative Vorgaben wie das Schulcurriculum oder die Bildungsstan- dards thematisiert. Die urbanen Gärten und der Bildung für nachhaltige Entwick- lung werden in diesem theoretischen Teil meiner Arbeit definiert und für die spä- tere Untersuchung soweit aufgearbeitet, dass sie in dem späteren methodischen Teil analysiert werden können.
2.1 Definition „urbane Gärten“
Eine einheitliche Definition von urbanen Gärten gestaltet sich dahingehend schwierig, da es eine Vielzahl von synonym verwendeten Begriffen gibt. Dies zeigt sich beispielsweise durch die sich im deutschen Sprachgebrauch etablierten Begriffe „urban gardening“, „Urbane Gärten“ und „Urbane Gemeinschaftsgärten“. Durch ständige Innovationen der urbanen Gartenprojekte und sich jeweils vom Standort abhängig entwickelnde Formen ergibt sich eine begriffliche Schwam- migkeit. Zwei Vorschläge für eine weit sowie eine eng gefasste Definition gibt Ella von der Haide in ihrem Werk „die neuen Gartenstädte“. In einer ersten und weit gefassten Definition stellt sie heraus, dass urbane Gärten „[…] neue und alte Formen von bürgerschaftlicher Hortikultur im Stadtbereich wie Schul-, Kita-, Therapie-, Klein-, Mieter-, Kraut- und Dachgärten sowie bür- gerschaftliche Park- , Baumscheiben-, Straßenbäume- und Biotoppflegeprojekte, öffentliche Streuobstwiesen und andere grüne Allmenden. Manchmal werden so- gar private Hausgärten und Balkone so bezeichnet.“ (von der Haide, 2014, S.5) In ihrer eng gefassten Definition beschreibt sie dagegen den „urbanen Garten als neue Form öffentlicher oder teilöffentlicher, bürgerschaftlicher, partizipativer, kooperativer, experimenteller, ökologischer, produktiver, DIY Freiraumgestal- tung im Siedlungsbereich.“ (von der Haide, 2014, S.5) Damit jedoch im weiteren Verlauf meiner Arbeit keine Unklarheiten auftreten, wenn es um den Begriff der urbanen Gärten geht, ist es sinnvoll, eine weite und eine enge Definition vorzustellen und eine begründete Entscheidung für eine zu treffen. Anhand der in der weiten Definition beschriebenen Beispiele von urbanen Gärten lässt sich erkennen, dass selbst Straßenbaumprojekte, Kleingartenanlagen sowie
Wie in der Abbildung zu erkennen ist, sind die herkömmlichen Gartenformen eher an der privaten Nutzung orientiert, die Neuen dagegen verstehen sich eher als ge- meinschaftliche Gärten, die je nach Ausprägung eine übergeordnete Funktion er- füllen sollen. So erhebt beispielsweise der „Interkulturelle Garten“ als Teil der Gemeinschaftsgärten den Anspruch, als Treffpunkt verschiedener Kulturen zu fungieren, Integration und den Abbau von Vorurteilen durch gemeinsames Gärt- nern zu ermöglichen. Die Selbsterntegärten nehmen in dieser Grafik eine besonde- re Stellung ein, da diese aus dem Konzept der saisonalen Verpachtung entstanden sind. So werden auf städtischen Grünflächen gegen Bezahlung durch die späteren Kon- sumenten Lebensmittel von Landwirten angebaut und müssen lediglich selbst ge- erntet werden. (Dietrich 2014) Das „Guerilla Gardening“, als eine Form des poli- tischen Protestes, setzt dagegen auf die ungefragte Besitznahme von Brachflä- chen. Die Akteure prangern durch diese Art von urbanem Gärtnern die Privatisie- rung und spekulative, kommerziell orientierte Stadtentwicklungspolitik von urba- nen Flächen an, setzen ein Zeichen für Partizipation und tragen zur Aufwertung des Bezirks bei. (Dietrich 2014)
Diese Art des urbanen Gartenbaus ist allerdings laut §303 des Strafgesetzbuchs als Sachbeschädigung zu werten, wenngleich viele Städte und Kommunen von einer Anzeige absehen, da letztlich die Vorteile eines urbanen Gartens überwiegen. Ein Sonderfall, der in meiner Arbeit nur der Vollständigkeit halber erwähnt wer- den sollte, ist das „virtuelle Gärtnern“. Dabei ist in den letzten Jahren ein deutli- cher Trend in Computerspielen aufgekeimt, in denen das virtuelle Gärtnern im Vordergrund steht. Wie bereits Dietrich (2014) feststellt, ist eine spielerische An- näherung an das Thema Gartenbau erkennbar. Da allerdings keine Realbegegnung mit den urbanen Gärten geschieht, ist dies lediglich eine Randerscheinung, die in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt wird. Es ist allerdings ratsam, diese Ent- wicklung weiter zu verfolgen. Ein besonderer Aspekt hinsichtlich meines Untersuchungsgegenstandes sind die in der Grafik nicht repräsentierten pädagogischen Gärten, die sich der Vermittlung von pädagogischen Inhalten verschreiben. Pädagogische Gärten können laut (Dietrich 2014) jedoch als integraler Bestandteil aller Gärten angesehen werden, da urbane Gärten allesamt ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes pädagogi- sches Konzept verfolgen. Alles in allem muss aber bedacht werden, dass die Grenzen zwischen einzelnen Formen der neuen urbanen Gärten, wie weiter oben untergliedert, sehr fließend und Mischformen weit verbreitet sind. (Dietrich 2014). Ein Problem, das die begriffliche Abgrenzung erschwert, sind die ebenfalls im Sprachgebrauch weit verbreiteten Termini der „urbanen Landwirtschaft“ bezie- hungsweise des „urban farming“. Diese bezeichnen Formen eines urbanen Gar- tens, die speziell auf die Nahrungsmittelproduktion im städtischen Siedlungsbe- reich ausgerichtet sind. Dabei muss allerdings zwischen verschieden stark ausgeprägten Erscheinungen differenziert werden. Die solidarische Landwirtschaft als beispielsweise ein Konzept, bei dem mehrere städtische Haushalte sich zusammenschließen und eine Austauschbeziehung mit einem Landwirt eingehen, nimmt nochmal eine Sonderstellung innerhalb der ur- banen Landwirtschaft ein. Der Agrarwirt bekommt zunächst eine finanzielle Ent- lohnung, produziert Lebensmittel im urbanen oder peri-urbanen^4 Raum und gibt
(^4) Peri-urban: Stadtrandgebiete
ein Netzwerk, in dem sie Ideen, Saatgut und Werkzeuge austauschen konnten. Im Jahr 1978 entstand aus dieser Vernetzung das gemeinschaftliche Programm „Green Thumb“. (von der Haide 2014) Ziel war es, in Kooperation mit weiteren engagierten Bürgern Brachflächen um- zugestalten und die Entstehung neuer urbaner Gärten zu fördern. Dieses Projekt hatte insgesamt 15 Jahre lang stetigen Erfolg, bis es durch die urbanen Gärten zu einer Aufwertung und in Folge dessen zu einer Gentrifizierung der Stadtviertel kam. (von der Haide 2014) Durch die damit ansteigenden Mieten musste eine Vielzahl an kreativen Akteuren den hohen Mietpreisen weichen und die bestellten Gärten zurücklassen, sodass die Anzahl von knapp 1000 urbanen Gärten auf 600 fiel. (von der Haide 2014) Seit einigen Jahren gibt es wieder einen Zuwachs von neuen urbanen Gemein- schaftsgärten, die nun durch das New Yorker Grünflächenamt sowie durch das Projekt „Green Thumb“ unterstützt und als wertvoller Beitrag für die ökologische und soziale Stadtentwicklung gesehen wer- den. (Green Thumb NYC, 2016)
Wie in Abbildung 2 zu sehen ist, nimmt das Netzwerk „Green Thumb“ eine be- deutende Rolle ein bei der Entstehung neuer urbaner Gärten. Aus der Vielzahl der teilweise stark akkumulierten Gärten in einem Stadtviertel kann man schließen, dass es in diesen Stadtvierteln sowohl viele Brachflächen als auch die Notwendig- keit zur Aufwertung und Umgestaltung durch urbane Gärten gab. In Deutschland gibt es eine verstärkte Entwicklung der neuen urbanen Gartenfor- men allerdings erst seit knapp 15 Jahren, wobei Berlin als Vorreiter gelten kann. (Gehrke 2012) Durch die Jahrzehnte lange politische Spaltung Berlins in einen Ost- und Westteil kam es in beiden Teilen der Stadt zu einer doppelten Stadtent- wicklungspolitik. Bereits kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands fing man an, doppelt aus- gebaute Infrastruktur stillzulegen oder abzureißen, sodass vermehrt Brachflächen entstanden. Ähnlich wie in New York formierten sich kreative Akteure und Raumpioniere, die die leerstehenden Brachflächen revitalisieren wollten. Als eines der bekanntesten Beispiele ist hier der Prinzessinnengarten auf der ehe- maligen Brachfläche am Moritzplatz zu nennen, der zunächst für die Stadt Berlin nur eine Zwischennutzungsfunktion darstellte. Inzwischen ist der Prinzessinnen- garten in Berlin kaum wegzudenken und bietet Workshops, Vorträge, Lesungen und sogar Filmvorführungen an. (Prinzessinnengärten 2016) Besonders in den letzten Jahren, durch die weiter in die Bevölkerung diffundie- rende Erkenntnis der globalen Klima- und Ressourcenproblematik, haben urbane Gärten neben der Aufwertung der eigenen Stadtviertel auch durch ihr nachhaltiges Leitbild an Zuspruch gewonnen. Einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung ha- ben die 2006 ins Leben gerufenen Transition Towns vom irischen Permakultura- listen Rob Hopkins geleistet. Die sogenannten Transition Towns sind Gemeinschaftsprojekte, die einen gesell- schaftlichen Wandel in Richtung eines nachhaltigen Lebensstiles in den Städten und Kommunen initiieren wollen und somit auch bottom-up wie die urbanen- Gärten-Projekte versuchen die städtische Lebenswelt zu ändern. (Hopkins 2008) Diese besondere Akzentuierung der Transition Towns auf sozio-kulturelle und ökologische Aspekte findet auch unter den Akteuren des urban-gardening An- klang. Selbst in kleineren Städten wie Andernach haben sich urbane Gärten gebil- det, bei denen der Aspekt der nachhaltigen, biologischen Nahrungsmittelprodukti- on in Form eines Selbsterntegartens entstanden ist. (von der Haide 2014)
hin zu wieder sozialen Treffpunkten und einer sogenannten „grünen Lunge“ der Städte, die maßgeblich zu gesünderen Luft- und damit Lebensbedingungen beitra- gen kann. (von der Haide 2014) Die gemeinsam verfolgten Interessen der urbanen Gärtner können als ausschöpf- bares Potential für eine kooperative Stadtentwicklung genutzt werden, in der die Politik zu Teilen entlastet wird und die Bürger sich selbst als wirksamer Teil der Gesellschaft wahrnehmen und einbringen können.^5 (Gehrke 2012) Ein weiterer in- teressanter Aspekt der urbanen Gärten als Chance für die Stadtentwicklungspolitik ist, dass urbane Gärten in vielfältigen und höchst anpassungsfähigen Formen exis- tieren und somit sowohl kleine Baulücken als auch große Brachflächen nutzen können. Durch mobile Formen von urbanen Gärten, bei denen die jeweiligen Elemente der Grünfläche durch Rollen bewegt werden können, ergibt sich zudem eine hohe Flexibilität und eine Menge an kreativen Möglichkeiten zur Gestaltung. Ein weiterer Gesichtspunkt, wie von der Haide (2014) herausstellt, ist, dass urban gardening- Projekte besonders durch ihre hohe Anpassungsfähigkeit auch auf jede Stadt anwendbar sind, da bei expandierenden Städten urbane Gärten die Möglich- keit eröffnen, auf engem Raum neue Grünflächen zu schaffen. In schrumpfenden Städten können dagegen entstehende Brachflächen genutzt werden. Ein positiver Effekt, der als Folge von urbanen Gärten nachgewiesen werden konnte, ist die Stabilisierung von sozial benachteiligten Stadtvierteln. (von der Haide 2014) Sozial benachteiligte Stadtviertel verfügen laut einer Konferenz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit (2014) über weniger Grünflächenanteile als gehobene Stadtviertel, was gleich mehrere Probleme nach sich zieht: Zum einen gibt es durch weniger Grünflächen in sozial benachteiligten Vierteln eine höhere Feinstaubbelastung und weniger Ausgleich im städtischen Mikrokli- ma und somit qualitativ schlechtere Lebensbedingungen. (Gehrke 2012; Senats- verwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, 2014) Zum anderen gibt es aber auch weniger Treffpunkte, an denen Menschen zusammenkommen und einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen können.
(^5) Besonders in den USA und Kanada, in denen es urban gardening Projekte bereits seit Anfang der 70er Jahre gibt, sind positive Auswirkungen für das Gemeinwesen und für die Stadtentwicklung zu verzeichnen. Allerdings muss auch bedacht werden, dass durch die Gärten Gentrifizierungsprozesse einzelner Stadtviertel in Gang gebracht werden können, die als unerwünschte Folge häufig zu Mietpreissteigerungen und letztlich zur Ver- drängung der dort ansässigen Bevölkerung führen können.
Durch einen urbanen Garten in ärmeren Vierteln wird ein Ort der gemeinsamen Freizeitbeschäftigung und Begegnung geschaffen, der Menschen unabhängig von kultureller Herkunft oder sozialem Status über gemeinsame Freizeitgestaltung in die Gesellschaft integrieren kann. (von der Haide 2014; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, 2014) Laut der Umweltbewusstseinsstudie 2014 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit^6 wurde von 30% der Befragten angege- ben, das Genießen einer intakten Umwelt sei einer der 5 wichtigsten Aspekte ei- nes guten Lebens. (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reak- torsicherheit 2014) Auch hier zeigt sich eine gesellschaftliche Forderung nach ei- nem Leben, in dem die Natur einen hohen Stellenwert hat. Diese Forderung nach einem besseren Leben mit Naturerlebnissen können urbane Gärten zu einem ge- wissen Teil erfüllen. Zudem stellt das gemeinschaftliche Anbauen sowie Beziehen von kostengünsti- gen, selbstangebauten Lebensmitteln eine Möglichkeit dar, steigende Armut in so- zial benachteiligten Vierteln abzuschwächen, sowie eine stärkere Identifikation mit der eigenen Stadt zu schaffen. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl durch gemeinsame Organisation und Tätigkeit kann wiederum andere Bewohner animie- ren, sich selbst mehr zu engagieren. (Gehrke 2012) Der bislang in diesem Abschnitt zu kurz gekommene ökologische Aspekt der ur- banen Gärten wird im Folgenden stärkerer beleuchtet, da urbane Gärten sowohl Potentiale für eine Klimaanpassung in urbanen Gebieten als auch ein Potential zum Erhalt der Biodiversität darstellen. Das Produzieren von Lebensmitteln im urbanen Raum erfüllt gleich mehrere gesellschaftlich relevante Funktionen. Zum einen tragen die Pflanzen der ästhetischen Verschönerung des Stadtbildes bei, zum anderen binden diese einen Teil des durch motorisierten Verkehr in der Stadt ausgestoßenen klimaschädlichen Treibhausgases Kohlenstoffdi- sowie Koh- lenstoffmonoxids. Neben der Bindung von Treibhausgasen filtern Pflanzen in ur- banen Gärten zudem auch ausgestoßenen Feinstaub. Da prozentual ein Großteil der Lebensmittel in Städten konsumiert wird, kann die Produktion von Lebensmit- teln in urbanen Gebieten zudem ein wichtiger Faktor für die Klimaanpassung sein, da kaum Transportwege anfallen.
(^6) Im Folgenden abgekürzt mit „BMUB“
Urban gardening Projekte haben über ihre soziale und ökologische gesellschaftli- che Relevanz hinaus ein ausgesprochenes Potenzial, als Mittler zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu dienen, da sie sich dem Leitziel der Nachhaltigkeit verschreiben. Im nächsten Abschnitt wird nun zu klären sein, was Nachhaltigkeit ist, um danach Potenziale und Merkmale speziell für den schulischen Einsatz im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung abzuleiten.
2.4 Definition der nachhaltigen Entwicklung
Die Idee der Nachhaltigkeit wurde erstmals von Hans Carl von Carlowitz 1713 in einem ökologisch ökonomischen Kontext erwähnt. Als Leiter des Oberbergamtes Freiberg im Erzgebirge war es unter anderem seine Aufgabe, die Waldrodung, die in Folge des vermehrten Holzbedarfes als Energieträger bei der Verhüttung in Erzschmelzen benötigt wurde, zu überwachen und anzuordnen. Dabei bemerkte er, dass der Bedarf an Holz zur Aufrechterhaltung der Metallproduktion und des Städteausbaus die Regenerationsfähigkeit der Wälder übertraf. In seinem Gut- achten „Sylvicultura oeconomica“ über die Forstwirtschaft postuliert er, dass die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen nicht die Regenerationsrate übersteigen darf, da sonst in absehbarer Zeit die Produktion zum Erliegen kommt. Dieses Prinzip des kontrollierten und bewussten Abbaus von natürlichen Rohstoffen nannte Car- lowitz „nachhaltig“. Dies stellte er bereits 1713 als ein übergeordnetes Prinzip heraus, jedoch wurde diesem bis ins 20. Jahrhundert wenig Beachtung geschenkt. Der heutige Begriff der nachhaltigen Entwicklung ist somit erst durch den 1987 veröffentlichten Brundtland-Bericht bekannt geworden. In dem von der Brundt- land-Kommission verfassten Report zur zukünftigen Umwelt- und Entwicklungs- politik wird nachhaltig als eine Entwicklung beschrieben: „ Sustainable develop- ment is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ (Brundtland-Kommission 1987, S.51) Der zentrale Aspekt einer nachhaltigen Entwicklung ist demnach eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der aktuellen sowie künftiger Generationen gleichermaßen entsprechen kann und ihnen die Möglichkeit gibt, ihren Lebensstil zu wählen. Die Leitziele der nachhaltigen Entwicklung werden von der Brundtland- Kommission in drei Dimensionen eingeteilt, die sich wechselseitig beeinflussen.
Wie Hoffmann ergänzend zur oben genannten Definition treffend formuliert, meint nachhaltige Entwicklung: “[…] eine wirtschaftlich-gesellschaftliche Ent- wicklung, in der Ökonomie, Ökologie und soziale Ziele so in Einklang gebracht werden, dass die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden.“ (Hoffmann, 2000, S.24) Demnach soll eine ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung stattfin- den, die zugleich generationenübergreifend wirkt. Das Erste der drei Leitziele, die ökologische Nachhaltigkeit, orientiert sich dabei stark an dem eingangs des Kapi- tels von Carlowitz geforderten Prinzip, natürliche Ressourcen nur so weit zu nut- zen, wie ihre Regenerationsfähigkeit es zulässt. (Hauenschild, Bolscho 2005) Zu- dem sollte die Nutzung von nicht-nachhaltigen Rohstoffen vermieden werden, und die Freisetzung von Treibhausgasen darf die Aufnahmefähigkeit der Umwelt nicht übersteigen. Ein besonderes Augenmerk liegt demnach auf der Sicherung von Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser, Luft und Vegetation, sowie dem Er- halt der Biodiversität. (Hauenschild, Bolscho 2005; Hoffmann 2000) Eine Ökonomie gilt erst dann als nachhaltig, wenn sie stetig betrieben werden kann, ohne auf Kosten der Ökologie oder anderer Menschen zu gehen. Daraus ergibt sich die Maxime, dass die Gesellschaft nicht über ihre Verhältnisse leben sollte. Die soziale Nachhaltigkeitsentwicklung verschreibt sich der Aufgabe, sowohl in- tra- als auch intergenerativ einen gerechten Zugang zu Ressourcen zu ermöglichen und die Gesellschaft in der Art umzustrukturieren, dass es keine größeren Kon- flikte wegen einer ungleichen Verteilung gibt. Besonders brisant ist das Thema der gerechten, globalen Verteilung von Rohstoffen vor dem Hintergrund des Nord-Süd-Wohlstandsgefälles. An dieser Stelle greift die soziale Nachhaltigkeit auch die „sustainable develop- ment goals“ auf, eine Zielstellung über 17 Punkte, deren Umsetzung sich die glo- bale Staatengemeinschaft verschrieben hat. In der sozialen Nachhaltigkeit hat so- mit jeder Mensch das gleiche Recht auf eine nachhaltige Entwicklung. (Hauen- schild, Bolscho 2005)