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Schriftliche Hausarbeit der Universität zu Köln zum Thema: Unterrichtskonzepte zum Schriftspracherwerb für Schülerinnen und Schüler des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung – Eine empirische Untersuchung an ausgewählten Förderschulen im Regierungsbezirk Düsseldorf
Art: Abschlussarbeiten
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Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung, dem Landesprüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen vorgelegt von: Julia Ippendorf und Nora Schaffner Köln, den 22. November 2009 Gutachter: Prof. Dr. Norbert Heinen Seminar für die Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung an der Universität zu Köln
In dieser Arbeit beschäftigen wir uns theoretisch und empirisch mit dem Schriftspracherwerb an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Obwohl es sich dabei durchaus nicht um eine neue Thematik handelt ist dies insgesamt ein Thema, das unserer Meinung nach in den Diskursen der Geistigbehindertenpädagogik nicht genügend Aufmerksamkeit erhält. Wir betrachten die Beherrschung der Kulturtechniken Lesen und Schreiben als eine wesentliche Form der kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft, da symbolische und schriftliche Informationen besonders wichtige Elemente unserer Kultur bilden. Um Schüler zu Kulturträgern zu bilden ist eine Hinführung zur Schriftkultur ein wesentliches Ziel der schulischen Bildung. Schurad beschreibt in seinem Werk sehr treffend den Auftrag der Schule: „(…) durch Abstraktionsprozesse in Sprache und Denken Welt abzubilden und Welt als zukünftige Aufgabenstellung anzubilden (Lesbarkeit der Welt)“ (Schurad, 2004, 38). Neben ihrer Funktion als Kulturträger sind Lesen und Schreiben unabdingbare Fähigkeiten für eine selbständige Bewältigung fast jeder Alltagssituation. Sich im Alltag, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein, orientieren zu können ermöglicht Selbstbestimmung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen. Deshalb möchten wir in dieser Arbeit bewusst die Vermittlung der Kulturtechniken Lesen und Schreiben an der Schule für geistig Behinderte in den Mittelpunkt stellen. Thematisch daran anschließend stellen wir im empirischen Teil der Arbeit einer von uns selbst konzipierte und durchgeführte Untersuchung über Unterrichtskonzepte im Schriftspracherwerb an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung vor. In diesem Rahmen möchten wir den Teilnehmenden Schulen, namentlich der Mosaikschule in Grevenbroich-Hemmerden, der Sebastianusschule in Kaarst, der Schule am Nordpark in Neuss, der Mosaikschule in Düsseldorf sowie der Theodor-Andresen-Schule in Düsseldorf vielmals für die freundliche Zusammenarbeit und die Unterstützung unserer Forschungsarbeit danken. Um den Lesefluss nicht zu stören verwenden wir in dieser Arbeit bei der Benennung von Personengruppen nur eine, nämlich die maskuline Bezeichnung. Selbstverständlich schließt diese für uns immer die feminine Entsprechung mit ein. Schreiben wir Beispielsweise über Schüler, so bezeichnen wir damit sowohl (männliche) Schüler als auch Schülerinnen. Im ersten Teil der Arbeit führen wir theoretisch in die Thematik ein. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Schriftspracherwerb, ohne dabei explizit auf den Unterricht an Schulen mit
dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung einzugehen. Ziel ist es, den Prozess des Schriftspracherwerbs aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten um für die darauf folgenden Kapitel eine theoretische Grundlage zu schaffen. Um Unterrichtskonzepte in diesem Bereich untersuchen zu können, sollten die verschiedenen Aspekte ausreichend beleuchtet worden sein. Deshalb betrachten wir im ersten Unterkapitel unsere alphabetische Schrift in Abgrenzung zu anderen Schriftsystemen Darauf folgt eine Vorstellung der grundlegenden Prozesse, die das Lesen und Schreiben ausmachen und des Forschungsstandes zum Thema des Schriftspracherwerbsprozesses. In Anschluss daran stellen wir die fachdidaktischen Grundlagen zum Thema Unterricht des Schriftspracherwerbs vor. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Schriftspracherwerb an der Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung und widmet sich sowohl den theoretischen Modellen als auch der Vorstellung konkreter Unterrichtskonzeptionen. Im zweiten Teil der Arbeit stellen wir unsere empirische Untersuchung vor, die sich mit der Fragestellung befasst, wie Unterrichtskonzepte zum Schriftspracherwerb an ausgesuchten Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in der Praxis aussehen. Er beinhaltet ein Kapitel über den Forschungsstand, das Untersuchungsdesign mit der Methodik, Durchführung und Auswertung der Studie sowie die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse.
gewaltige Veränderungen des Schriftbildes stattgefunden. Neuere schriftliche Texte sind nach Günther anders organisiert als mündliche Äußerungen. In der geschriebenen Sprache werden mit Leerzeichen, Großschreibungen und Interpunktionen, mit Initialen, Abkürzungen und Überschriften etc., schriftsprachliche Verfahrensweisen geschaffen, die der mündlichen Sprache fremd sind. So wurde die Schrift beispielsweise entphonetisiert, denn spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts setzt sich die Morphemkonstanz durch (vgl. Günther 2000, 103). Die alphabetische Schrift ist demnach keine Bilderschrift, deren Einzelzeichen man ganzheitlich wahrnimmt und speichert. Ihr Funktionsprinzip liegt darin, dass Laute bzw. Lautsequenzen durch Buchstaben und Buchstabensequenzen repräsentiert werden. Im Folgenden erscheint es notwendig auf die komplexen Beziehungen zwischen der Laut- und der Schriftsprache einzugehen. Hier sind die beiden linguistischen Begriffe Phonem und Graphem von Bedeutung, welche die komplexe Verknüpfung von Lautstruktur und Schriftstruktur deutlich machen. Unter Phonemen verstehen wir die kleinsten bedeutungsunterscheidenden sprachlichen Einheiten der Lautsprache wie beispielsweise das /r/ und /f/ in „rein“ und „fein“. Wechselt man ein Phonem aus, so ändert sich die
auf der schriftlichen Ebene umgesetzten Phoneme werden Grapheme genannt. Zur Niederschreibung der Grapheme brauchen wir Buchstaben. Jedoch sind Grapheme nicht mit Buchstaben gleichzusetzen, denn ein Graphem kann auch mehrere Buchstaben enthalten (Bsp.: „ch“, „sch“) vgl. Marx 2007,23. Nach Ulrich stehen in unserer Sprache für 40 Phoneme nur 30 Grapheme zur Verfügung (vgl. Ulrich 2001, 68). Es besteht also keine Eins zu Eins- Beziehung zwischen Phonemen und Graphemen, sondern eine komplizierte, aber doch geregelte und mit einiger Mühe auch durchschaubare Phonem- Graphem Korrespondenz. Dabei gibt es eine Vielzahl von Zuordnungsmöglichkeiten. Ein Einzelgraphem kann einem Einzelphonem (
Neben dem Phonematischen Prinzip haben jedoch noch weitere teilweise konkurrierende Prinzipien Einfluss auf die deutsche Sprache (vgl. Deneke 2007, 15). Ein weiteres wesentliches Prinzip der deutschen Orthographie ist das morphematische Prinzip. Es besagt, dass ein Morphem als kleinste bedeutungstragende Einheit immer gleich geschrieben wird, auch wenn sich die lautliche Gestaltung der Umwelt ändert (Morphemkonstanz). So bleibt bei Wortableitungen die Schreibung eines Wortstammes gleich (z.B. Bäcker als Ableitung von backen). Neben den beiden Hauptprinzipien der der deutschen Orthographie gibt es weitere Prinzipien: das grammatische-, semantische, historische- und das graphisch-formale Prinzip. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass ein Kind beim Schriftspracherwerb verschiedene Prinzipien bei der Verschriftung berücksichtigen lernen muss, die der schriftkundige Erwachsene bereits verinnerlicht hat. Da die deutsche Orthographie phonemisch (aber nicht phonetisch) orientiert ist, wird von dem Kind insofern eine erhebliche Abstraktionsleistung gefordert, dass es die einzelnen Phoneme als abstrakte Einheiten erkennen und differenzieren muss. Außerdem sind diese Graphem- Phonem Korrespondenzen immer an der Hochsprache orientiert. Diese unterscheidet sich von den jeweiligen individuellen bzw. dialektalen Färbungen, die den mündlichen Sprechakt prägen (Sassenroth 2003, 28) und das Erlernen der Schriftsprache bei alphabetischen Schriften zusätzlich erschweren. Im anschließenden Kapitel wird näher auf die Prozesse, die beim Lesen und Schreiben ablaufen eingegangen.
Das Lesen unserer alphabetischen Schrift ist ein von Psychologen seit den 70er Jahren untersuchter Prozess. Einer der wichtigsten Leseforscher, Kenneth Goodman definiert Lesen wie folgt: „Lesen ist ein psychologisch-kognitives Probierverhalten. Es schließt ein Zusammenspiel von Sprache und Denken ein. Effizientes Lesen ist nicht das Ergebnis einer präzisen Perzeption und Identifikation aller Elemente, sondern Ergebnis einer Fertigkeit im Auswählen der wenigsten, produktivsten Hinweise, die erforderlich sind, um Denkansätze hervorzubringen, die gleich das erste Mal richtig sind.“ (Goodman, 1974, Zitat bei Eberle/ Reiß, 1978, 20)
damit eine spezielle Hürde dar, weil nur eine begrenzte Anzahl an Artikulationen gleichzeitig im Arbeitsgedächtnis speicherbar ist.
erfassbar ist. Steht beispielsweise jemand zu dicht vor einem großen Plakat, dann muss er erst die richtigen Buchstaben bzw. Segmente in den riesigen Flächen erkennen und diese dann zusammenziehen. Ein direkter Abgleich mit dem Wortbild ist hier nur schwer möglich. In solchen Situationen, genauso wie beim Lesen unbekannter Wörter, wird auf die alphabetische Methode zurückgegriffen, um sich die Wortbedeutung erschließen zu können. Dieses in den 70er Jahren entstandene Zwei-Wege-Modell von Coltheart (vgl. Abb. 1), stellt die beiden Prozesse der Erschließung der Wortbedeutung zusammenfassend dar: Abbildung 1: Zwei-Wege-Modell Satzintegration Bis hierhin wurde so getan, als ob der Prozess des Lesens Kontextunabhängig stattfinden würde. Das Gegenteil ist der Fall. Der Kontext, beispielsweise die Gestaltung des eben betrachteten Plakates oder eben der Satz oder Text, in dem sich ein Wort befindet, vereinfacht und beschleunigt den Leseprozess erheblich, denn dieser ermöglicht eine Erwartungshaltung, welches Wort in welcher Form (z. B. Verbflexion) als nächstes im Satz zu erwarten ist. Dieser Prozess ist den Geschriebenes Wort Visueller Abruf Dekodierung Aussprache des Wortes Erkennen der Wortbedeutung Lesen des Gesamten Wortes Wiedererkennen der Buchstaben Phonologische Rekodierung Coltheart 1978
erlesen wird. Diese beiden Prozesse, die generierte Erwartung des nächsten Wortes aufgrund syntaktischer und semantischer Informationen auf der einen Seiten und das Erlesen des Wortes auf der anderen, laufen parallel ab und ermöglichen uns das schnelle, sinnentnehmende Lesen von Texten.
Im Gegensatz zum Leseprozess ist der Schreibprozess noch weitestgehend unerforscht. Schreiben ist definierbar als die „Produktion von Text mit Schreibwerkzeugen“ (Eberle/ Reiß, 1978). Auch hier findet ein Zugriff auf das das mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis statt. Der lexikalische Abruf eines Wortes hat dabei vermutlich Vorrang vor der Synthetisierung. Insofern muss der Rechtschreiber ein großes, intaktes Wissen um die spezifische Schreibweise von Wörtern haben. Ein geübter Schreiber hat Wissen um die Schreibweise von Ableitungsformen, beispielsweise bei zusammengesetzten von Wörtern und Flexionen, sowie Kenntnis der Rechtschreibregeln. Zusätzlich werden semantische Informationen beim schreiben mit einbezogen (z.B. dass oder das). Scheerer Neumann unterscheidet verschiedene Typen des Rechtschreibwissens:
Im Gegensatz zur traditionellen Leseforschung der 60er Jahre, die den Schriftspracherwerb als ungegliederten, in sich geschlossenen und zeitlich begrenzten Vorgang versteht, hat sich seit Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Perspektivenwandel innerhalb der Fachdidaktik des Schriftspracherwerbs durchgesetzt. Die neuere Schriftspracherwerbsforschung arbeitet entwicklungsorientiert, d.h. sie beschäftigt sich mit der Dynamik von Entwicklungsprozessen und versucht kindliches Lesen nicht nur an den Leistungen von Erwachsenen zu messen. Außerdem
befasst sie sich nach Scheerer- Neumann unmittelbar mit den kognitiven, motivationalen und emotionalen Entwicklungen beim Schriftspracherwerb (vgl. Scheerer- Neumann 1996, 1154). Der Schriftspracherwerb kann als aktiver Umgang mit dem Lerngegenstand verstanden werden, der im Vorschulalter beginnt und sich in den folgenden Jahren qualitativ verändert. Die qualitativen Veränderungen sind so einschneidend, dass hier unterschiedliche Phasen bzw. Stufen angeführt werden können, die jeweils durch unterschiedliche Strategien des Lesens und Schreibens definiert sind. Die Annahme qualitativer Veränderungen während des Schriftspracherwerbs lässt Fehler zu, betrachtet diese nach Scheerer- Neumann sogar als entwicklungsbedingte Notwendigkeit (vgl. ebd., 1154). Von der Pädagogik wird gefordert, dass sie nicht die erreichte Leistung und das Ziel der Fehlerlosigkeit, sondern den Lernprozess selbst und das vom Kind schon Erreichte in den Mittelpunkt stellt. So lassen die meisten Modelle Raum für individuelle Entwicklungen und aufgabenspezifische Abweichungen. Den theoretischen Hintergrund dieser Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs bildet einerseits Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung (vgl. Piaget 1969), aber auch Einflüsse der kognitiven Psychologie sind unverkennbar. Besonders Einflussreich war auch das, bereits im letzten Kapitel vorgestellte, aus der psychologischen Leseforschung stammende „Zwei- Wege- Modell der Wortidentifikation“ („Dual- route model“ vgl. Coltheart 1978). Dieses Modell wird - wenn auch teilweise in etwas veränderten Konzeptionen - von allen Stufenmodellen aufgegriffen. Die meisten Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs orientieren sich an dem 1984 entwickelten Modell der englischen Autorin U. Frith. Frith hat ein dreistufiges Modell, bestehend aus einer logographischen- einer alphabetischen- und einer orthographischen Entwicklungsstufe vorgestellt. Auch das Stufenmodell von K. B. Günther, das 1986 als eines der Ersten im deutschen Sprachraum die Schriftspracherwerbsforschung grundlegend geprägt hat und das den Ausgangspunkt der nun folgenden Diskussion bilden soll, orientiert sich an dem Entwicklungsmodell von U. Frith, wurde von K. B. Günther jedoch um die Präliteral- Symbolische Phase 0 und Integrativ- Automatisierende Phase 4 erweitert. K. B. Günther sieht den Schriftspracherwerb bereits in der frühen allgemeinen kognitiven Entwicklung verwurzelt und deswegen sind in diesem Modell gerade die Stadien des frühen Schriftspracherwerbs besonders umfassend (vgl. Sassenroth 2003, 45). Dies ist deshalb zu begrüßen, da oftmals gerade die frühen Phasen des Schriftspracherwerbs entscheidend für das weitere Gelingen der Aneignung des Lesens und Schreibens sind. Die Bedeutung der Präliteral- Symbolischen Phase ist nach Hauck- von den Driesch von besonderer Relevanz für die Pädagogik bei Menschen mit geistiger Behinderung, da sie in den wesentlichen Punkten mit den Stufen des erweiterten Lesebegriffs übereinstimmt (vgl. Hauck- von den Driesch 2003, 78).
Präliteral- Symbolische Strategie Gestützt auf Arbeiten von Vygotsky (1964) und Lurija (1982) geht Günther davon aus, dass der Schriftspracherwerb nicht erst mit dem Lesen und Schreiben von sprachlichem Zeichenmaterial im engern Sinne beginnt, sondern auf vorher entwickelten präliteral- symbolischen Vorbedingungen beruht. Als markantestes Merkmal der rezeptiven Vorstufe sieht Günther die Bildanschauung. Diese beinhaltet im Gegensatz zu vorherigen sensomotorischen Leistungen ein höheres Maß an Abstraktionsfähigkeit, da ein Bild lediglich den gemeinten Gegenstand repräsentiert. Gleichzeitig bleibt das Bild jedoch durch seine Abbildfunktion anschaulich und damit präliteral (vgl. Sassenroth 2003, 47). Diese rezeptiven Erfahrungen der Phase 0 erfordern auf der anderen Seite jedoch produktive Realisierungsweisen, indem das Kind beginnt das Wahrgenommene umzusetzen. Das äußert sich beispielsweise in mimischen Gesten, konstruktivem Bauen und graphischem Gestalten. Das graphische Gestalten, welches eher als symbolisch, denn als realistisch zu bezeichnen ist, bereitet nach Günther am direktesten auf das spätere Schreiben vor (vgl. Günther 1986, 34). Den Kindern kommt es hier weniger auf eine naturgetreue oder detailreiche Abbildung, als auf die Darstellung von einigen bedeutsamen Merkmalen an. Deswegen muss der Betrachter oft den Inhalt der kindlichen Zeichnung erraten. Als ein weiteres Beispiel für diese Stufe sieht Günther außerdem Nachahmungen des Schreibens Erwachsener. Charakteristisch für diese spontanen Nachahmungen sind ihre Orientierung an der Oberflächenstruktur und die Nichtbeachtung der kommunikativen Funktion. Trotzdem sieht Günther diese präliteral- symbolischen Aktivitäten als notwendige Vorbedingungen für den Beginn des Lesens im engeren Sinne an (vgl. K. B. Günther 1986, 35). Damit sich jedoch der Übergang zur eigentlichen Schriftsprachaneignung vollzieht, ist ein qualitativer Sprung nötig, in dem schriftsprachliches Material als solches erkannt werden muss. Logographemische Strategie Laut Günther beginnt diese Phase mit der rezeptiven Modalität, dem Lesen. Hier erkennen die Kinder einige ihnen bekannte und emotional bedeutsame Wörter (wie z.B. Firmenlogos oder den eigenen Namen) aber auch Sätze anhand optisch auffälliger visueller Schlüsselreize (vgl. Schründer Lenzen 2007, 30). Das logographemische Lesen entspricht dem „ganzheitlichen“ Worterkennen. Es ist ein „direkter“ Weg zur Bedeutung ohne phonologisches umkodieren. So werden beispielsweise Schriftzüge wie MC Donalds oder Esso als Wortgebilde erkannt, aber ohne Buchstabenkenntnis wird nur das Logo entschlüsselt. Man kann das Wort also nur deshalb lesen, da man den Schriftzug kennt. Die Buchstaben selbst haben als sogenannte „Cues“ nur Signalcharakter für die Worterkennung, sie werden nicht in ihrem Lautcharakter entschlüsselt (vgl. ebd., 30f.). Es ist jedoch
zu berücksichtigen, dass für jedes Individuum andere Buchstaben des Wortes auffällig sein können. Auch für H. Günther ist es unklar, woran die Kinder in dieser Strategie ein Wort erkennen, seiner Meinung nach sind es irgendwelche zufällig eingeprägten Merkmale. Entscheidend ist für ihn, dass das Kind nicht zwischen Name und Sache bzw. zwischen Zeichen (-träger) und Bedeutung unterscheiden kann. So ist bekannt, dass Kinder auf die Frage nach dem längeren Wort, die „Kuh“ vor dem „Schmetterling“ nennen, weil ersteres das größere Tier ist (vgl. H. Günter 2000, 113). Unbekannte Wörter kann man nach dieser Strategie nicht lesen, allenfalls erraten. Nach einiger Zeit führt diese Lesestrategie jedoch an seine Grenzen. Denn dann ist die Kapazität des visuellen Gedächtnisses erschöpft, so dass diese Strategie letztlich ins Leere führt. (Vgl. Schründer Lenzen, 31). Es ist natürlich, dass die Kinder nach einer Anfangsphase des Lesens versuchen, das erworbene Lesematerial auch selbst zu produzieren. Auch der Beginn des Schreibens von Wörtern ist in der Regel direkt. Die Kinder beginnen zumeist mit dem Aufschreiben von Namen geliebter Personen und für sie wichtiger Objekte, wobei dem Schreiben des eigenen Namens eine herausragende Stellung zukommt (vgl. K. B. Günther 1986, 37). Die Buchstaben der Wörter werden ohne strukturelle Hilfe, ähnlich wie Telefonnummern auswendig gelernt und dann aufgeschrieben. Nach der Meinung verschiedener Autoren ist es durchaus möglich auf naiv- ganzheitliche Weise zu lesen
Orthographische Strategie Mit dieser Strategie werden die Probleme der alphabetischen Strategie überwunden (vgl. K. B. Günther 1986 41). Sie stützt sich auf linguistische Wortbildungsregeln. Der entscheidende Schritt liegt darin, dass sich das Kind von der Lautsprache löst; die Grundeinheiten sind nun Morpheme, häufige Buchstabenkombinationen oder Silben (vgl. Günther 1986, 41). Diese Einheiten können vom Lernenden direkt, ohne lautliches Umkodieren aus dem Lexikon abgerufen werden. Auch wenn die orthographische Strategie zunächst auf der Ebene des Lesens angewendet wird, ist sie ebenso für das Schreiben gültig. Das Lautbezogene Schreiben wird zwar als wichtiges Stadium innerhalb des Schriftspracherwerbsprozesses angesehen, es muss aber so bald wie möglich überwunden werden. Nun wird vom Lernenden die Erkenntnis gefordert, dass die orthographisch korrekte Schreibweise unserer Sprache in weiten Teilen durch morphologische, syntaktische und semantische Beziehungen bestimmt ist (vgl. Sassenroth 2003, 52). Den Einblick in orthographische Strukturen gewinnen die Lernenden durch direkte Instruktion im Unterricht und/ oder durch die eigenaktive Auseinandersetzung mit Lernwörtern. Integrativ- Automatisierte Strategie Dieser Phase liegt keine neue Vorgehensweise zugrunde, sondern sie verdeutlicht den langen Prozess, bis die orthographische Strategie mit ihren vielen linguistischen Regeln soweit gefestigt ist, dass der Umgang mit der Schrift weitgehend automatisiert abläuft. „Sie stellt eigentlich keine neue Strategie mehr dar, sondern bezeichnet den schriftlichen Sprachgebrauch des kompetenten Lesers und Schreibers in einem autonomen und funktionsspezifischen Repräsentationssystem der Sprache“ (Günther 1986, 43). Zusammenfassung und Reflexion des Modells Das dargestellte Entwicklungsmodell hat gezeigt, dass im Prozess des Schriftspracherwerbs Lesen und Schreiben miteinander verwoben sind. Der Lernende durchläuft qualitativ verschiedene Phasen, in denen er sich nach und nach die verschiedenen Prinzipien der deutschen Schriftsprache vorwiegend eigenaktiv aneignet. Für das Erlernen unserer Schriftsprache ist eine genaue Analyse der Laut- und Morphemstruktur erforderlich, was erhebliche Anforderungen an das sprachlich- kognitive Bewusstsein des Kindes stellt. So kann es aufgrund von fehlendem Symbolverständnis, eingeschränkter auditiver Wahrnehmungsfähigkeit, geringen metasprachlichen Kompetenzen, etc. zu Erschwernissen für einige Schülergruppen (wie z. B. Schüler mit einer (geistigen-) Behinderung,
oder sozio- kulturell benachteiligte Schüler) kommen. Betrachtet man die Schreibleistung des Kindes, kann das Stufenmodell Aufschluss über den jeweiligen Entwicklungsstand geben und es können Rückschlüsse auf die individuelle Strategie eines Kindes gezogen werden. So können gezielt Fördermaßnahmen geplant werden, die dem Kind helfen die nächst höhere Phase zu erreichen (vgl. Sassenroth 2003, 67). Im schulischen Unterricht sollte die emotionale Seite, die ebenso über den Lernprozess mitbestimmt jedoch nicht übersehen werden sollte sowie der Zugang zu kreativen und Inhaltsbezogenen Problemlösungen ermöglicht werden. Auch die individuellen Erfahrungen mit Schriftsprache sollten hierbei berücksichtigt werden. Denn letztlich ist die Frage, ob ein Kind mit Freude zu schreiben oder lesen beginnt, ausschlaggebend für den Verlauf des Schriftspracherwerbs. Insgesamt geben die Schriftspracherwerbsmodelle den idealtypischen Prozess der Annäherung des Kindes an die Schriftsprache wider. Jedoch sind individuelle Abweichungen im Lernprozess immer möglich und sollten auch berücksichtigt werden (vgl. Scheerer- Neumann 1996 1155). Dieser Aspekt spielt gerade in der Pädagogik für Menschen mit geistigen Behinderungen eine besondere Rolle. Sie verweilen unterschiedlich lange auf der grundlegenden präliteral- symbolischen Phase, da der Wechsel von einem Erfahrungsbezogenen Umgang mit Sprache hin zu metasprachlichen Kompetenzen für sie eine besondere Anforderung darstellt. Dies macht vielfältige Lernanregungen notwendig, damit sich ein Symbolverständnis entwickeln kann und so der Weg hin zur Schriftsprache geebnet ist (vgl. Hauck- von den Driesch, 2004 84).
Im Grundschulbereich werden „Vorschulische Lernvoraussetzungen“ (Marx 2007, 38) für den Schriftspracherwerb diskutiert. Diese umfassen spezifische, also für den Schriftspracherwerbsprozess direkt verknüpfte Fähigkeiten und unspezifische Fähigkeiten, wie Motivation, Konzentration etc. Der Erwerb dieser Fähigkeiten sollte vor dem Schuleintritt abgeschlossen sein. In der Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung geht man hingegen nicht davon aus, an bereits vorhandene Vorläuferfähigkeiten in vollem Maße anknüpfen zu können. Das Training der Vorläuferfähigkeiten wird hier in den Unterricht integriert. Die unspezifischen Vorläuferfähigkeiten werden in drei Gruppen zusammengefasst: In motivationale Faktoren, wie beispielsweise das Selbstkonzept, die Leistungsmotivation und die