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Leitfäden und Tipps
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Zur Bedeutung der Lebensweltorientierung in derJugendhilfe, Abschlussarbeiten von Pädagogik / Erziehungswissenschaft

Herausforderungen an Pädagogik und Psychologie

Art: Abschlussarbeiten

2019/2020

Hochgeladen am 10.04.2020

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Manfred Thuns
Zur Bedeutung der Lebensweltorientierung in der
Jugendhilfe
Herausforderungen an Pädagogik und Psychologie
Vom Fachbereich 5
Philosophie/Psychologie/Sportwissenschaft
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
angenommene Dissertation
zur Erlangung des Grades eines
Doktor der Philosophie
Erstreferent : Prof. emer. Dr. Dr. P. Gottwald, Fachbereich 5
Zweitreferent : Prof. Dr. J. von Maydell, Fachbereich 1
Drittreferent : Prof. Dr. W. D. Scholz, Fachbereich 1
Datum der Disputation: 14.05.2003
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Manfred Thuns

Zur Bedeutung der Lebensweltorientierung in der

Jugendhilfe

Herausforderungen an Pädagogik und Psychologie

Vom Fachbereich 5 Philosophie/Psychologie/Sportwissenschaft der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommene Dissertation zur Erlangung des Grades eines

Doktor der Philosophie

Erstreferent : Prof. emer. Dr. Dr. P. Gottwald, Fachbereich 5 Zweitreferent : Prof. Dr. J. von Maydell, Fachbereich 1 Drittreferent : Prof. Dr. W. D. Scholz, Fachbereich 1

Datum der Disputation: 14.05.

Inhalt

La Gorda und ich benutzten das Träumen als Weg, um eine unvorstellbare Welt verborgener Erinnerungen zu erreichen. Das Träumen befähigte uns zur Erinnerung an Ereignisse, die wir durch die Mittel unseres Alltagsgedächtnisses nicht hätten erinnern können. Wenn wir diese Ereignisse im Wachzustand noch einmal durchgingen, konnten wir noch detailliertere Erinnerungen wachrufen. Auf diese Weise gruben wir sozusagen Massen von Erinnerungen aus, die in uns begraben lagen.

Carlos Castaneda: Die Kunst des Pirschens.

Einführung

Der Suchtmittelkonsum von Jugendlichen wurde von den Fachleuten in der Praxis der Jugendhilfe längst als ein ubiquitäres Entwicklungsphänomen diskutiert, als die Jugendhilfe in der Gestalt der Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII selbst erst nach der Einführung ihrer neuen Rechtsgrundlagen im KJHG im Jahre 1990 den „Drogenkonsum“ junger Menschen als Ausschlusskriterium von Hilfen zur Erziehung aus ihren Konzepten zu entfernen begann. Unter welchen Bedingungen, mit welcher Aufgabenstellung und mit welchen Leistungsabsichten sich die Jugendhilfe dem Suchtmittelkonsum Jugendlicher öffnete bedeutet nachzuzeichnen, wie und unter welchen Rahmenbedingungen sie die Intention des KJHG selbst aufgriff und den Prozess der Modernisierung ihrer Leistungen gestaltete. Darin fällt zuerst auf, wie sehr das Konstrukt der Lebensweltorientierung in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe über die Norm des Kinder- und Jugendhilfegesetzes hinaus zu operationalisieren ist, wobei sie zwar produktiv auf die Suchtkrankenhilfe zugehen muss, ohne jedoch allein auf die Adaption ihrer Zugänge angewiesen zu sein. Als Therapeut für die von Suchtmitteln abhängig konsumierenden jungen Menschen hieß es der Versuchung zu widerstehen, ein auf die Qualitäten der Jugendhilfe zugeschnittenes Betreuungssetting vor dem bloßen Hintergrund eines sozialpädagogischen Verständnisses von Beziehungsarbeit gegenüber den tatsächlichen Anforderungen an eine qualifizierte Prävention zu transformieren (Thuns, 1992).

Als ich aus der psychotherapeutischen Arbeit mit drogenabhängigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die Jugendhilfe wechselte, waren die Träger der Jugendhilfe damit beschäftigt, die Strukturmaximen des frisch eingeführten Kinder- und Jugendhilfegesetzes in solche Hilfen zur Erziehung zu übersetzen, die auf die Entwicklung und den Erwerb adäquater und unverzichtbarer Kompetenzen für die soziale Integration und Selbständigkeitsentwicklung junger Menschen ausgerichtet sind. Mit ihrem in der neuen Politik des KJHG betrachtet rudimentären, das Hilfeangebot jedoch dominierendem Element der „Heimerziehung“ auch als Bestandteil des KJHG begannen in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe vor allem

unter den Überschriften der „Partizipation von Leistungsberechtigten“, also der Wahrnehmung der Würde und Rechte von Kindern, Jugendlichen und deren Familien, der „Lebensweltorientierung“, die Thiersch (1995) die späte Anerkennung seines Lebenswerkes brachte, er zugleich aber auch Zugeständnisse an ein physikalisches Gebilde von Lebenswelt als Sozialraum riskierte, sowie der „Flexibilisierung von sozialen Hilfen“ in einer pluralisierten Gesellschaft, die besser den als Klienten von Hilfen identifizierten Menschen nicht nur als Leistungsberechtigten, sondern auch als Gestalter seiner Biographie sehen konnte (vgl. Beck, 1986; Kiesler, 1966; Klatetzki, 1994; Mollenhauer u. Uhlendorff, 1992) die bis dahin eher ergänzenden Formen von Hilfen zur Erziehung in teilstationären und ambulanten Projekten jetzt zum selbstverständlichen Beitrag einer Normalisierung der Lebensbedingungen junger Menschen und zu einer neuen Qualität in den Hilfen zur Erziehung zu werden. Zugleich machten sich die Einrichtungen mit neuen Organisationsstrukturen auch ihrer Region erschließbar, indem sie sich der Integration aller Lebensthemen von Kindern und Jugendlichen und deren Bezug zum Gemeinwesen öffnete. Innovativ wollte die Jugendhilfe werden und den Herausforderungen des KJHG mit der Erschließung neuer, in Wirklichkeit sonst ausgegrenzter Zielgruppen begegnen und so pädagogisch neue Wege gehen, ökonomisch dabei zugleich dem Gebot des Wachsens der Institution folgen.

Ein in dieser Perspektive brach liegendes Thema war die Versorgung Suchtmittel konsumierender Kinder und Jugendlicher, überlagert von der medienwirksamen Zur- Schau-Stellung abhängig konsumierender junger Menschen. In ihrer Innenschau wurde die Suchtprävention zu einem strittigen, vor allem aber zu einem Thema mit hoher Priorität nicht nur der Hilfen zur Erziehung selbst, sondern auch ihrer therapeutischen Dienste. Zuerst stellte sich mir hier die Aufgabe, Experte für die Suchtprävention zu sein und als solcher formal neu in den therapeutischen Dienst einer Einrichtung für Jugendhilfe eingebunden zu werden. Diese erste Aufgabe galt jedoch keineswegs den direkten Betreuungsaufgaben für junge Menschen. Der Bedarf der Jugendhilfe an einer Kompetenz für die Betreuung Suchtmittel konsumierender Jugendlicher ging sehr bald in einem Bedarf an Fort- und Weiterbildung für die MitarbeiterInnen zu diesem Thema auf. Meine Aufgabe als „Drogenexperte“ sollte sich zwar zuerst als Koordinator für die Versorgung der ausschließlich Suchtmittel konsumierenden Kinder und Jugendlichen ausweisen. Aber nur scheinbar fand die Jugendhilfe hier ihr neues Thema, das sie mit den klassischen Angeboten der beruflichen Orientierung und der Erlebnispädagogik zu verbinden suchte. Als Problem bildete sich sehr bald die zielgruppenspezifische Orientierung, welches aufzeigte, wie wenig spezifiziert oder manifestiert Probleme im Kindes- und Jugendalter noch sind und wie vielfältig die Formen der Hilfen sein dürfen und müssen (vgl. Thuns, 1992).

Es ist das Unbestimmte des Themas, das zunächst ein beachtliches Maß an Diskussionsbedarf evozierte. Suchtmittel konsumierende Jugendliche, die in den Einrichtungen im Grunde längst leben oder eben Jugendliche, die in den Institutionen auch Suchtmittelkonsum entwickelt haben, sollen unter den Bedingungen von Alltags- und Lebensweltbezug zu einer Zielgruppe der Hilfen werden, auf die es neu zuzugehen oder zutreffender, zu der es sich zu bekennen gilt. Der Umgang mit

Während die Diskussion über „Drogen“ klären soll, schöpft in der Anfangsphase diese regelmäßige Verunsicherung unter den pädagogischen Fachkräften aus jener Unbestimmtheit, die sich zwischen restriktiver Drogenpolitik und Akzeptierender Drogenarbeit bewegt. Die in der Drogenpolitik geprägten und über die Medien transportierten „Drogenmythen“ bestimmen den Diskurs, und die Bedrohlichkeit des Themas weicht erst mit dem zunehmenden Wissen darum. Meine Rolle als „Drogenexperte“ im therapeutischen Dienst erweitert sich um die eines Fortbildungsreferenten. Aus der eigenen Erfahrung schöpfend, gemeinsam mit oder als Moderator für weitere Experten aus den regionalen Drogenberatungsstellen, der Landesstelle für Jugendschutz und pädagogischen Initiativen der Region, die bereits mit der Drogenarbeit in Berührung sind oder mit sozial auffälligen jungen Menschen arbeiten, werden Workshops organisiert und durchgeführt, die das Thema für die Öffentlichkeit aller MitarbeiterInnen der Einrichtung zur Sprache bringen, und die sich vor allem an die ja bereits vorhandene fachliche Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte richten, auch diese Kinder und Jugendlichen in ihre Tätigkeit zu integrieren. In den Vordergrund drängt sich immer mehr der begegnende Umgang mit dem einzigartigen und konkreten jungen Menschen, und als „Handwerkszeug“ nehmen die bereits angewandten Methoden einen breiten Raum ein. Die gemeinsame Durcharbeitung der Biographie entlang noch vorhandener Fotografien, die Interaktionsübung zur Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die kreative Gestaltung einer Collage bis hin zu erlebnispädagogischen Unternehmungen und praktischen, handwerklichen und den Alltag strukturierenden Projekten kommen als Hinweise und Anregungen dem Bedürfnis der pädagogischen Fachkräfte, die „etwas tun wollen“, entgegen. Sicherheit gibt, dass für das (sucht-)präventive Handeln im Alltag das Besinnen auf die eigenen pädagogischen Kompetenzen und auf die traditionellen Angebote der Jugendhilfe nicht verzichtet werden kann.

Besonders wichtig wurde dabei die praktische Vernetzung. Der allgemeine Wunsch nach Annäherung an das Thema war nur an der Oberfläche ein Bedürfnis nach Information, in Wirklichkeit jedoch eines nach Handlungssicherheit. So lag es nahe, nach den Schnittmengen zwischen der Suchtkrankenhilfe und der Jugendhilfe zu suchen oder sie zu schaffen. Die Erweiterung meiner Rolle als Fortbildungsreferent, die sich zunächst intern an den Bedürfnissen der pädagogischen Fachkräfte der Auftrag gebenden Einrichtung orientierte, um die externe Darstellung des Problems des Suchtmittelgebrauches junger Menschen spiegelt die erstrebte Verknüpfung der Einrichtungen der Jugendhilfe selbst oder über ihre Verbände EREV und AFET, für die ich als Referent und Autor tätig war, mit Kontakt- und Beratungsstellen der Drogenhilfe sowie deren Verbände wieder. In den ersten Jahren nach Einführung des KJHG waren es mit dem Diakonischen Werk (1992 in Münster und 1993 in einem Fortbildungsseminar für Pädagogen), dem EREV (1993 in Würzburg und Kassel) oder dem Arbeitskreis „Suchtmittelkonsumierende Jugendliche“ (1997 in Hannover) Fachverbände der Jugendhilfe, die mich als Referent der Jugendhilfe zum Thema „Jugendliche Drogenkonsumenten“ zu ihren Fachkongressen und Foren einluden. Mit dem Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe (GVS) verbindet mich seit 1992 ein Arbeitskreis zum Suchtmittelgebrauch und des abhängigen Verhaltens von Minderjährigen. Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) und der Fachverband für Drogen und Rauschmittel (FDR) machten in den 1990er Jahren mit ihren Kongressen der Jugendhilfe deutliche Offerten, sich von der Exklusivität ihrer

Zuständigkeit zu lösen und auf eine Kooperation zuzugehen. Auf dem 1. Europäischen Kongress „Jugend und Drogen“ (1996 in Münster) war ich Referent der Arbeitsgruppe „Jugendhilfe und Drogen“

Beide Hilfesysteme hatten sich auf die Suche nach hilfreichen Projekten, und mehr noch nach einer Kultur der Kooperation aufgemacht. Über die Grenzen der institutionellen Bedingungen und Zuständigkeiten und ihrer Ideologien hinaus kann diese Kooperation aber nur von der Übereinkunft getragen sein, zu einem gemeinsamen Verständnis von Pädagogik zu finden, deren Ziele und Hilfen den Bedürfnissen und der Lage der Kinder, Jugendlichen und deren Familien entspricht. Die Berührung von Drogenhilfe und Jugendhilfe wurde zu einer neuner Überschrift einer sonst von der epidemischen Ausweitung der Drogenabhängigkeit, der HIV- Infektion, den kostenrechtlichen Grundlagen der Drogenarbeit und der Substitutionsfrage bestimmten Diskussion. Auch wenn aus der Polarität von Behandlung vs. Strafe keine Ersatzdebatte um Therapie und Erziehung wurde, besitzt die Jugendhilfe hier eine natürliche Kompetenz, die es für den Hilfebedarf junger Menschen, die im Hilfesystem der Suchtkrankenhilfe nur wenig berücksichtigt wird, fruchtbar zu machen galt. Kooperation wird wichtig, weil die Unbestimmtheit des Themas in der Jugendhilfe verunsicherte, zugleich die Angebote der Drogehilfe aber nicht ohne weiteres auf jugendliche Suchtmittelkonsumenten übertragen werden konnten. Zwar fanden sich in der Drogenhilfe strukturell in ihren Jugend- und Drogenberatungsstellen oder in der Philosophie der Release-Bewegung jugendspezifische Komponenten. Damit wird der gesetzliche Rahmen des KJHG aber noch nicht Bestandteil der Drogenhilfeplanung. Der Kooperationsauftrag aus dem KJHG lässt sich hier mit der Suchrichtung der Suchtkrankenhilfe verbinden, die jeweils benachbarten Arbeitsfelder in die Hilfeplanung einzubeziehen. Allerdings darf dabei niemals übersehen werden, dass es immer die veränderten finanziellen und sozialrechtlichen Bedingungen sind, die solche neuen Anforderungen an die Kooperation der Versorgung von suchtgefährdeten jungen Menschen stellen, weniger jedoch die Einnahme der Perspektive von jungen Menschen als handelnde Akteure in ihrem Gegensatz zu einem verwalteten Zustand mit umschriebenen Zuständigkeiten.

Der Blick der Jugendhilfe auf die Wirklichkeit der Drogenarbeit führte auf diesem Wege zu einer besseren Bestimmung des Themas. In der Drogenhilfe geht es gegenüber Relikten aus der Drogenpolitik schon lange nicht mehr um die polare Debatte über Abstinenz oder Akzeptanz. Wenn die Sicherung eines einigermaßen gesunden Überlebens das primäre Ziel der Suchtkrankenhilfe ist, darf die Arbeit nicht beim folgenden Schritt erst mit Beratung und Therapie beginnen. In der Suchtkrankenhilfe gehören Akuthilfe und Suchtbegleitung zu den Komponenten eines integrativen Konzeptes. In der Jugendhilfe beendeten wir damit nicht einfach nur eine redundante Diskussionen um den Grad der Akzeptanz des Suchtmittelgebrauchs zwischen Untersagen und Tolerieren. Diese zunehmend in der Fachöffentlichkeit ausgetragene Debatte machte allein schon und ungeachtet praktischer Kooperationsformen für diejenigen, die sich dieser Debatte für ihre Hilfen zuwendeten, einen Blick auf die Risikofaktoren der Genese von Sucht frei und damit die Hinwendung zur Frage nach den typischen Merkmalen des Suchtmittelkonsums junger Menschen möglich. Das relativ späte Einsteigen von Jugendhilfe und

die Gesellschaft (Erikson, 1966), wobei die Ich-Entwicklung in sozialisationstheoretischer (Hurrelmann, 1988) sowie soziologischer (Beck, 1986) Hinsicht zu betrachten ist.

Mit der Lebensweltorientierung öffnet sich die Jugendhilfe zum Suchtmittelkonsum junger Menschen und begibt sich die Jugendhilfe sehr bald in einen Diskurs um Handlungsmaximen für ihre Projekte für junge Menschen, die entwicklungspsychologisch vor Aufgaben und Krisen stehen, die deren je eigene Lösungsstrategien bedeutsam machen. Darin wird der Suchtmittelkonsum zu einem Entwicklungsphänomen, zu einer neuen Entwicklungsaufgabe (Jessor, 1983; Silbereisen u. Kastner, 1985), das sich im Verlaufe des Werdens durch die tätige Übernahme von Verantwortung für die Gestaltung des Lebens verändert. Nicht übersehen werden darf dabei die anthropologische Dimension des Gebrauchs von Suchtmitteln sowie deren spezifische Funktion im Jugendalter. Diese Perspektive relativiert die Brisanz des Suchtmittelgebrauchs, die bislang über eine mythisch aufgeladene Drogenpolitik die Ausschlusskriterien der Jugendhilfe begründete, in deren Schatten jedoch eine flottierend konsumierende Gesellschaft existiert.

Als kulturimmanentes Phänomen wäre der Suchtmittelkonsum junger Menschen vielleicht suchtpräventiv unter den Bedingungen einer Drogenkultur mit pädagogisch begleitenden Initiationsriten zu kultivieren. Dagegen steht jedoch der wissenschaftliche Anspruch auf rationale, weil Regeln gehorchender Vernunft. Die harmonische Schaffung von Ordnung entdeckt die Klassifikation, die dem rauschhaften Durcheinander des Suchtmittelgebrauchs das Symbol negativ auffallenden Verhaltens zuweist. Da im interpersonellen Umgang die Sprache zu einer wichtigen Weise des Handelns wird, mag der Unterschied zwischen „angepasst“ und „auffällig“ zwar nur ein Sprachspiel sein. In der Folge dient jede Klassifikation als nützliches Mittel der Bewältigung der Welt mittels einer Schaffung von Ordnung und Kontrolle, die mehr die Motive des Klassifizierens als die der Abweichung identifizierbar macht. Suchtprävention bleibt per se auf die Verhinderung von Suchtmittelkonsum angelegt und macht den Gebrauch zum Risiko und die Drogenkultur zu einer Illusion, die sie institutionell niemals gelingen lassen darf. Der vernünftige Rausch ist eine contradictio per se.

Präventionsziele zwischen anthropologischem So-Sein des Menschen und rational begründeter Abstinenz siedeln sich in der lebensweltorientierten Jugendhilfe besser dort an, wo sie die Lebenskompetenzen der heranwachsenden jungen Menschen fördern und die Identitätsbildung auch unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen sichern kann. Präventives Handeln bezieht sich in der Jugendhilfe also viel weniger auf suchtmittelspezifische Themen und sekundärpräventive Projekte als auf die gesundheitspsychologisch die bio-psycho-soziale Gesundheit (Bühringer,

  1. betreffenden, so wichtigen Fertigkeiten wie den Erwerb von Lebenskompetenzen (Künzel-Böhmer et.al., 1993) und der Ausbildung protektiver Faktoren (Schwarzer, 1992) unter Einbezug der salutogenetischen Perspektive (Antonovsky, 1987) auch als entwicklungspsychologische Anforderung. Zu den Aufgaben einer den Konsum von Suchtmitteln akzeptierenden Jugendhilfe wird dann,

den Suchtmittelgebrauch als jugendtypisches Experimentier- und Risikoverhalten aufzufassen. Als eines der entwicklungspsychologischen Risiken gehört der Konsum legaler wie illegaler Drogen bei jungen Menschen zu ihren Sozialisationsbedingungen, die unter der Risikoperspektive des Individualisierungstheorems von Beck (1986) die Anforderungen (Hurrelmann, 1994a) an die Selbständigkeitswerdungen junger Menschen durch eine aktive Lebenserweiterung als zentrale Entwicklungsaufgabe verstärkt.

Suchtpräventives Handeln lässt sich nicht in Programmen fassen. Suchtmittelkonsum entsteht aus ganz unterschiedlichen Gründen mit unterschiedlichen Funktionen in ebenso unterschiedlichen Lebensbereichen. Beim Aufbau und der Durchführung geeigneter Projekte im Umgang auch mit diesen jungen Menschen war es primär von Bedeutung, die Foren von Jugendhilfe und Drogenhilfe auch zur fachpolitischen Darstellung zu nutzen, die Hilfen entlang den entwicklungspsychologischen Theorien zur psychosozialen Gesundheit aufzubauen. Auf diesem Wege wurden mir die Sozialisationsmittler zu wichtigen Partnern, die an den Lebensthemen der Kinder und Jugendlichen teil haben. Besonders wichtig wurde die Vernetzung mit den Institutionen der schulischen und berufsvorbereitenden Bildung und Ausbildung, also die Verknüpfung von sozialpädagogisch betreutem Wohnen, dem Lernen und der Qualifizierung. Die Verbindung von Jugendhilfe und Schule erweist sich über die Schulsozialpädagogik und die handlungsorientierte Ausrichtung von Schule (Neukäter u. Wittrock, 1993) dafür als eine innovative Strategie der Hilfen zur Erziehung. Die Jugendhilfe leistet einen wichtigen Beitrag für sozialpädagogische Konzepte mit einem selbstbewussten Profil der Schulsozialpädagogik und schafft mit der Integration ihrer Konzepte eine breitere Basis, als sie sich in Modellversuchen findet.

Dabei begann auch hier die Annäherung mit den gleichen Fragestellung wie bei der Öffnung der Jugendhilfe zu diesem Thema. Meine sehr frühen Kontakte zum Schulleiter ebneten den Weg zur Einrichtung gemeinsamer Arbeitskreise. Die Tatsache, wie regelmäßig und häufig diese Arbeitskreise tagen, lässt darauf schließen, wie wichtig beiden Seiten das Thema und die Zusammenarbeit ist. Erneut nehmen wir uns vor, konkrete Projekte zu planen und uns nicht in unendlichen Diskussionen zu verlieren. Massive Hürden gilt es zu sichten und zu umschiffen. Zwei davon sind die immerwährende Frage nach der Zuständigkeit einzelner oder ganzer Bereiche für welche Aufgabenstellung sowie die ängstlichere nach den Mitarbeitern und ihrer Kompetenz, die Projekte auch umsetzen zu können. Hier zeigt sich, wie undeutlich der Begriff der „Drogengefährdung“ zur Beschreibung Suchtmittel konsumierender Jugendlicher als Vorstufe von Sucht und Abhängigkeit ist und wie wenig brauchbar eine solche Klassifikation für Projekte ist. Auf der anderen Seite wird bei der Konkretisierung handlungsorientierter Projekte von Erziehung und Bildung noch deutlicher, wie sehr es um die Lebensthemen der Kinder und Jugendlichen gegenüber einem „Spezialangebot“ gegen die Drogengefährdung mehr als neuer Markt denn als lebensweltorientiertes Konzept gehen muss. Der Argwohn gegen Sonderprojekte manifestiert sich auch im Widerstand der Mitarbeiter gegen solche „neuen Wege“, denn die Projekte erheben mit ihrem besonderen Integrationsanspruch unterschwellig den Vorwurf, bislang sei nur ausgegrenzt worden. Die Verstimmung der bereits in der Jugendhilfe wie auch in Schulen auf

dienstrechtlichen Unterweisung des/der MitarbeiterIn folgt in der Regel „Das-dem- Jungen-Hinterher“, der natürlich die Mütze bis kurz über die Augen ins Gesicht gezogen auf und davon ist und die Frage aufwirft, wer jetzt gegen den Laternenpfahl treten soll.

Diese Fesseln überwinden hieß das Aufbrechen der sozialen Definitionsmacht. Das Aufbrechen bindender Stundenpläne und anderer schulischer Zeittakte, das Aufgeben des schulischen Fächerkanons hin zu individuellen Förderplänen und auf Lerngruppen

  • nicht Klassen – bezogene Projekte mit ihrem Anspruch auf Flexibilität und gemeinschaftlichem Lernen ließ einen milden Wind wehen, der in den Projekten Mut machte. Wichtig war es auch zu erkennen, mit den Projekten nicht in spontanen Aktionen zu versanden. Darin nämlich kamen scheinbar plötzlich LehrerInnen mit SchülerInnen nicht zurecht und dann mussten die SchülerInnen ebenso schnell aus der Schule entfernt werden. Auch mit dem Bestehen unserer Projekte verweigern sich SchülerInnen. Doch unter Beachtung des lebensweltbezogenen Hilfebedarfs kümmert sich nun auch die Schule über das disziplinarische Problem hinaus um Abhilfe, die sich nicht in Ausgrenzung zu anderen Zuständigkeiten verliert, sondern in Termini wie Integration, Motivation sowie Bildung und Begegnung ihre leitendenden Ideale findet. In ihrem präventiven Ambitionen lernt die Schule die Möglichkeiten der Flexibilität im Alltag von Schule kennen, die über den hierarchisch gegliederten Rahmen einer Schule hinaus geht und die Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu nutzen sucht.

Die Schule beginnt die Vorteile der Dezentralisierung zu verstehen. Indem sie nicht gleichzeitig und an allen Orten für alle Kinder und Jugendlichen in Betreuung und Aufsicht zuständig ist, erleben die Lehrenden eine Entlastung. In der Schule wird der Sinn erfasst, nicht alle SchülerInnen gleicher (ausgrenzender) Problemstellung zu gleicher Zeit zu unterrichten. Die Stunden- und Pausenklingel verstummt. Es ist nicht nur ein weiteres Sprachspiel, wenn im Schulverbund nicht mehr von der Separierung von Schülern, sondern von differenzierten Lernangeboten gesprochen wird. Bleibt die Schule in ihren Grundfesten auf Strukturen bezogen und fast zwanghaft an Leistungsanforderungen gebunden, so will sie mit der Jugendhilfe doch lernen, im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf der Ebene von Beziehung und weniger schulisch definierter LehrerInnen- SchülerInnen-Verhältnisse zu begegnen. Nach dem Verstummen von Schulklingeln strukturieren im Schulverbund die Lerngruppen ihre Unterrichtseinheiten eigenverantwortlich, sekundär entzerren sie das Problem der Schulpause. Das Projekt der Lernwerkstatt geht in nach Gewerken differenzierten Werkstattprojekten in der Sekundarstufe I über, die der Motivation der SchülerInnen dienen und über die Durchführung von Bauarbeiten der Schule vom Umbau in Gebäuden bis zur Anlegung von Spielplätzen reichen. Zugleich integriert die Jugendhilfe spezialisierte Angebote wie die Erlebnispädagogik oder die Reitpädagogik in schulsozialpädagogische Hilfen. Das Jugendzentrum ist heute ein Bistro im Schulverbund.

Eine sozialpädagogische Diagnostik (Müller,1997) als der Aspekt, unter dem der Mensch sich selbst zur Darstellung bringt, wirkt auf diese Weise des Unterrichtens ein. Die Jugendhilfe entwickelt in Kooperation mit der Schule ein sozialpädagogisch motiviertes Bildungsverständnis als eine neue Einheit von Bildung und Erziehung, das

es zulässt, den jungen Menschen in seiner biographischen Gewordenheit gegenüber der institutionellen und hilfefeldbezogenen Orientierung Subjekt von Hilfeplanung sein zu lassen. Kasuistik als hermeneutisches sozialpädagogisches Fallverstehen (Mollenhauer u. Uhlendorff, 1992) avanciert zum Pendant herrschender medizinisch- psychologischer und pädagogischer Diagnostik. Die Diagnostik in pädagogischen Handlungsfeldern unterlag bislang der diagnostischen Aufgaben der Bewertung, Beurteilung und Prognose von Lernprozessen mit Mindestanforderungen an die Objektivität, Gültigkeit und Zuverlässigkeit (schulischen) Lernverhaltens, was dem unsicheren Vorgang des Zensierens eine sicherere Basis daraus ableitbarer pädagogischer Maßnahmen verschaffen soll. Ein solches Motiv stellt im pädagogischen Raum bis heute ein wichtiges Kriterium für den Ruf nach mehr Diagnostik dar. Gerade in der sozialpädagogischen Perspektive (Rauschenbach et.al.,

  1. des Bildungsgeschehens ist die Hilfe zur Erziehung nur dann effizient, wenn sie Beziehung zum tragenden Grund hat und sich nicht allein auf die vielfältigen Bemühungen, die Präzision bei der Informationserhebung hinsichtlich Objektivität und Zuverlässigkeit zu verbessern, verlässt. Die Sozialpsychologie lehrt in ihrer heuristischen lebensweltorientierten Handlungsperspektive, wie sehr sich psychologisches und sozialpädagogisches Handeln von der technisch-therapeutischen Weise hin zur Begegnung mit den Betroffenen, und darin zur ressourcenorientierten Unterstützung von notleidenden Menschen bei der produktiven Bewältigung ihrer Alltagskonflikte gewendet hat.

Betroffene und HelferInnen finden sich so jenseits der von der Sozialpsychologie beschriebenen Definitionsprozesse in einem Beziehungsgeschehen zusammen, das sich in der Jugendhilfe als Erleben effizienter Gemeinschaft darstellt. Mit der Lebensweltorientierung belebt die Hilfe zur Erziehung für Kinder, Jugendliche und deren Familien zudem die Gemeindepsychologie neu, wobei darauf zu achten ist, inwieweit sie von der Sozialraumorientierung administrativ überlagert wird. Organisatorische Aspekte und rechtliche Rahmenbedingungen geben eine Richtung für Institutionen der Jugendhilfe an, unter denen sie ihre lebensweltliche Orientierung durch Qualitätskriterien abzusichern sucht. Eine wahrende lebensweltliche Praxis ist von solchen Zwängen frei. In der effizienten Gemeinschaft in Wohngruppen wie in flexiblen Settings im Gemeinwesen werden die Ziele und Normen in den helfenden Arrangements von den Wertvorstellungen und emotionalen Qualitäten ihrer Mitglieder bestimmt. Diese Erkenntnis gilt insbesondere für kleine Gemeinschaften. Bei der Ausübung der Hilfen zur Erziehung haben die Träger der Jugendhilfe jetzt darauf zu achten, wie sehr sie die Qualität und die Wirkung von Beziehung gegenüber institutionellen Verhältnissen und ökonomischen Anforderungen behaupten können. Ohnehin darf das ökonomische Kalkül in der sozialen Arbeit nicht mehr als die betriebswirtschaftliche Begleitung der Pädagogik ausmachen.

Als herausragende Herausforderung bleibt die Integration der psychologischen Fachaspekte in die pädagogischen Konzepte der Jugendhilfe. In dieser Arbeit, die aus der konkreten praktischen Arbeit mit sozial auffälligen Kindern und Jugendlichen heraus gewachsen ist, lässt sich der professionelle Wandel der Jugendhilfe als ein Prozess ihrer Modernisierung in ihren aktuellen Repräsentationsformen

der Leistungsberechtigten und auf Professionalisierung der sozialen Arbeit zu tun, die Leistungen und die sie erbringenden Dienste auf die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und deren Familien abzustellen. Zugleich sind die ökonomischen Aspekte der sozialen Arbeit zu berücksichtigen, in deren Folge die Hilfen zu Erziehung eine Profilschärfung im Sinne ihrer evaluierbaren Leitungsfähigkeit und ihrer Qualität ausweisen müssen. Die Kunst besteht darin, administrative Ansprüche an die soziale Arbeit als ein pädagogisches Controlling nutzen zu können, während es in den Handlungsfeldern um Beziehungsangebote für Kinder, Jugendliche und deren Familien in einer gelingen Praxis der Wahrgebung und Wahrnehmung (Gottwald,

  1. der (symbolischen) Handlungen von Menschen geht.

Was die Jugendlichen aus dem Ort betraf, so hatte Hippolyte eine Verhaltensmaßregel angeordnet: „Sie dürfen sich nicht betrinken, das würde man uns später zu sehr vorwerfen. Gebt ihnen Limonade, und wenn sie damit nicht zufrieden sind, dann ruft Casimir.“

Michel Folco: Die rechte Hand Gottes.

1. Die Jugendhilfe und ihr Verhältnis zu Suchtmittel

konsumierenden Jugendlichen

Kindern und Jugendlichen zu einem Leben in psychosozialer Gesundheit und an gesellschaftlicher Teilhabe zu verhelfen bilden heute in der Suchtkrankenhilfe wie in der Jugendhilfe die Ziele pädagogischer wie therapeutischer Konzepte. Kern der daraus resultierenden Arbeit ist die Bedürfnislage und die Erlebenswelt der Kinder und Jugendlichen. Für die Jugendhilfe ist es aber keineswegs selbstverständlich, darin wie die Suchtkrankenhilfe einen unvoreingenommenen Zugang zu Suchtmittel konsumierenden Jugendlichen zu finden. Unter strukturellen Aspekten hat sich die Jugendhilfe erst vor wenigen Jahren dem Problem des Suchtmittelkonsums ihres Klientels offen gestellt (vgl. EREV, 1991; Thuns et.al., 1995). Möglich wurde diese Offenheit mit der Einführung des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes KJHG (SGB VIII) im Jahre 1990. Basierend auf den Strukturmaximen der Lebensweltorientierung, der Partizipation und der Prävention, wie sie mit dem Achten Jugendbericht (Deutscher Bundestag, 1990) vorgegeben werden, löste das KJHG das als Ordnungs- und Eingriffinstrument wirkende Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ab und schaffte darüber die Voraussetzungen, über Lösungsperspektiven für Suchtmittel konsumierende junge Menschen nachzudenken. Relevant ist hier die Zuwendung der öffentlichen Erziehung zum Suchtmittelkonsum junger Menschen. Damit erweitert sich strukturell und realitätsbezogen die Wahrnehmung der Jugendhilfe über ihr Mandat für die besonders gefährdeten Mädchen und Jungen im Sinne sozialer Auffälligkeit hinaus auf deren Konsum und Missbrauch von Suchtmitteln. Bis dahin galt der Konsum vorrangig illegaler Drogen als ein Ausschlusskriterium der Jugendhilfe.

Reglementierung des Alltags und im schlimmsten Fall in einer feindseligen Haltung von Betreuten und Betreuern. Dabei ist die institutionelle Haltung von einer Paradoxie durchzogen, wenn sie die sekundäre Anpassung (Goffman, 1972) ihrer Klienten an ihre rigiden Organisationsformen provoziert, ein Verhalten, über das die Klienten den Erwartungen der Institution zu umgehen versuchen und unerlaubte Ziele verfolgen, weil sie darüber eine Möglichkeit erfahren, sich der zugeschriebenen Rolle und ihrer Selbstaufgabe entziehen zu können, die Institution sich zugleich genau daraus legitimiert. Die Jugendhilfe konnte sich den treibenden Reformkräften jener Zeit, insbesondere in der Sozialpsychiatrie nicht entziehen (vgl. Dörner u. Plog, 1972). Die Befähigung der Hilfe bedürfender und in der Reformlogik auf Leistung Anspruch habender Menschen zum eigenständigen Handeln gewinnt an Priorität und die der Funktionalität der Institutionen wird zunächst zurück gedrängt. Das Interesse an der Sozialisierung ist es, effiziente Voraussetzungen für die soziale Integration zu schaffen.

Die Auseinandersetzung um die Bedeutung gesellschaftlicher Kontrolle und die Emanzipation und Autonomie gerade auch der jungen Menschen haben in der Jugendhilfe zu einer kritischen Prüfung ihrer Methoden und Verfahren beigetragen. Funktional war die Sozialpädagogik zwar immer die Antwort auf die typischen Probleme der Gesellschaft, der sie durch Erziehung und Bildung zu begegnen suchte (Merten, 1998). Ausgehend von dem menschlichen Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Teilhabe wurde in ihr insbesondere die gesellschaftliche Seite im Sinne eines dafür mit Mandat versehenen staatlichen Wächteramtes, diese Sicherheit und Teilhabe herzustellen, betont (vgl. Kastner u. Kunkel, 1998). Als ihren Auftrag verstand sie aber vielmehr die Befreiung des Individuums aus der Abhängigkeit. Erziehung und Bildung standen für sie schon immer im Dienste von Aufklärung, Emanzipation und Autonomie. Als scheinbar natürliche Gegenposition erfahren die Ideen der Aufklärung eine Renaissance. Nach der Gesellschaftslehre der Aufklärung stellen Menschen ihre Geschichte und ihren Fortschritt selbst her; Vernunft, Selbstbestimmung und autonome Subjektivität bilden die Ziele des gesellschaftlichen Prozesses. Der von der moralisch und religiös motivierten Definitionsmacht befreite und im Wissen und in Vernunft aufwachsende Mensch nur kann für die Menschheit überhaupt einen Fortschritt bedeuten.

Die natürlichen Rechte des Menschen als freies zum Ausdruck bringen seiner Lebensäußerungen, Rechte, die alle haben, weil sie als Menschen geboren sind, bilden den Grundgedanken der Aufklärungsphilosophie, die schließlich in eine Übereinstimmung gesellschaftlicher Rationalität mit der unveränderlichen, naturgegebenen Vernunft des Menschen mündet. In einem so motivierten gesellschaftspolitischen Klima unter Legitimationsdruck geraten begaben sich Theoretiker wie Praktiker auf die Suche nach neuen Konzepten (vgl. IGFH, 1977). Infolge der in solchen historischen Entwicklungen gleichzeitig natürlich auch zunehmenden Fachlichkeit und der gesellschaftlichen Liberalisierung trat bereits in den 1960er Jahren der pädagogische Ansatz individuumszentrierter Hilfen besser hervor, der, basierend auf einem Menschenbild, nach dem Kinder und Jugendliche in und durch pädagogische Prozesse beeinflussbar sind und deren Sozialisation als zum Positiven gestaltbar ist, die Jugendhilfe zum KJHG führte. In einem als

Modernisierung auffassbaren Prozess vollzieht sich ein Wandel hin zu einer Betrachtungsweise, die Problemlagen im Kontext des Lebensalltages der Kinder und Jugendlichen zu deuten und den methodischen Ansatz ebenso im Lebensalltag der Betroffenen in dem Bemühen um dessen Bewältigung zu finden. Jugendhilfe sollte kein Ersatz mehr sein für andere Felder der Gesellschaftspolitik, vor allem kein verlängerter Arm der Justiz wie in der Fürsorgeerziehung.

Historisch geht es um das Reflektieren über das Erziehungs- und Bildungsverständnis in der „Heimerziehung“ und insbesondere um die Frage, welchen Beitrag denn die Jugendhilfe als Sozialisationsmittler zur Integration von Kindern und Jugendlichen leisten kann. Gegenstand der Jugendhilfe ist schließlich das Recht des jungen Menschen auf Erziehung (Ribbert, 1976), und dieses verfassungsmäßig abgesicherte Recht legitimiert die Jugendhilfe als einen eigenständigen Erziehungsträger neben Schule und Berufsausbildung, die allerdings erst dann relevant wird, wenn die Erziehung durch Eltern und Familie und nachrangig durch die Schule nicht mehr gewährleistet ist. Dieses Recht auf Erziehung stellt für „Personensorgeberechtigte“, also primär für Eltern, eine Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder dar. Die Auswahl und die Durchsetzung der Erziehungsziele, aber auch der methodische Weg dorthin sind ein durch Grundgesetz (GG) und Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgesichertes Recht vorrangig von Eltern. In dieses Elternrecht darf der „Staat“ per Gesetz nur dann eingreifen, wenn die (personensorgeberechtigten) Eltern den Erziehungsanspruch ihres Kindes nicht erfüllen, wenn Kinder also zu verwahrlosen drohen (nach GG), wenn Eltern ihr Erziehungsrecht missbrauchen (nach BGB) oder wenn Eltern als Erziehungsberechtigte selbst Unterstützung brauchen (nach KJHG). Mit einer solchen Legitimation wird das Recht auf Erziehung Gegenstand der Jugendhilfe als Repräsentantin der öffentlichen Erziehung.

1.2. Intentionen des KJHG

Die leitende Norm des KJHG ist, den Kindern und Jugendlichen durch die Sicherung ihrer Sozialisation zu ihren Lebensrechten auf existentielle Sicherung ihrer Grundbedürfnisse in psychosozialer wie in materieller Hinsicht, auf soziale Anerkennung sowie auf ihren Zugang zur Bildung und Kultur zu verhelfen. Die Leitnorm des KJHG verlangt die Hilfe zur Entwicklung und Erziehung des jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Diese Rechtsnorm ist zugleich ein weit gefasstes Konzept. In ihrer Weite ermöglicht sie die Realisierung differenter und multipler Erziehungsvorstellungen. Gerade die Ziele der Erziehung können nicht „staatlich“ vorgegeben werden. Die Bedeutung der Rechtsnorm liegt in der Bandbreite und Unterschiedlichkeit von Erziehungszielen der (sozial-)pädagogisch Handelnden. In der sozialpädagogischen Praxis gilt es, sich mit den eigenen Erziehungs- und Lebensvorstellungen der Art auseinander zu setzen und