Nur auf Docsity: Lade Zusammenfassung Verwaltungsrecht I und mehr Zusammenfassungen als PDF für Verwaltungsrecht herunter!
Verwaltungsrecht I
1. Teil Grundlagen
1. Kapitel Die Verwaltung
§ 1 Begriff und Arten der Verwaltung
I. Funktioneller und organisatorischer Begriff der Verwaltung Der Begriff der Verwaltung ist zweideutig : Funktioneller Begriff der Verwaltung: Die Verwaltungstätigkeit Unter der Verwaltung im funktionellen Sinn wird die Tätigkeit (Funktion) verstanden. Eine Definition ist aber schwierig:
- Negative Umschreibung Staatstätigkeit, die nicht in Rechtsetzung und nicht im Entscheid über Rechtsstreitigkeiten oder Strafen besteht. Es ist die Rechtsanwendung, die nicht Rechtsprechung ist. Diese Umschreibung betont aber zu stark den Vollzugscharakter und vernachlässigt die Entschei- dungsmacht.
- Positive Umschreibung Es werden inhaltliche Bestimmungen gegeben wie:
- Erfüllung von öffentlichen Aufgaben
- Verwirklichung des objektiven Rechts von Amtes wegen
- hoheitliches Handeln als Mittel der Verwaltung Dies mag aber keine klare begriffliche Abgrenzung der Verwaltungstätigkeit zu geben. Schlussendlich sind alle positiven Umschreibungen nur Beschreibungen einzelner Merkmale, aber keine Definition. Die negative Definition bleibt die beste Möglichkeit. Organisatorischer Begriff der Verwaltung: Die Verwaltungsbehörden Der organisatorische und der funktionelle Begriff der Verwaltung deckt sich nicht. So üben Verwal- tungsbehörden neben der Verwaltungstätigkeit noch andere staatliche Funktionen aus wie z.B. den Erlass von Verordnungen durch den Bundesrat. Anderseits nehmen auch Parlamente und Gerichte Verwaltungsfunktionen wahr. Z.B. die Justizverwaltung des BGer. II. Arten der Verwaltungstätigkeit Hoheitliche und nicht hoheitliche Verwaltungstätigkeit Meistens tritt der Staat hoheitlich auf, aber nicht immer. Es gibt verschiedene Unterscheidungskriteri- en. Zum Teil wird da staatliche Handeln dann als hoheitlich bezeichnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Regelung zur Anwendung gelangt. Nach anderer Ansicht ist für die Unterscheidung das vorliegen ei- nes Subordinationsverhältnisses massgebend. Also einseitige Anordnungs- und Zwangsbefugnisse gegenüber Privaten, wie z.B. bei polizeilichen Massnahmen. Beispiele nicht hoheitlicher Verwaltungstätigkeit ist die Tätigkeit der Kantonalbanken und z.T. der Be- trieb staatlicher Eisenbahnen und der Post. Nicht hoheitliche Verwaltungstätigkeit erfolgt vielfach durch informelles Verwaltungshandeln oder Realakte. Eingriffs- und Leistungsverwaltung
- Eingriffsverwaltung Hier geschieht Eingriff in die Rechte und Freiheiten der Privaten. Diese müssen von den Privaten geduldet werden. Beispiele sind Enteignung und Einziehung von gesundheitsgefährdenden Stoffen.
- Leistungsverwaltung Hier werden Leistungen wirtschaftlicher oder sozialer Natur vermittelt. Zum Teil hoheitlicher, zum Teil nicht hoheitlicher Natur. Beispiele hier sind Sozialversicherungen wie AHV und IV oder das Sti- pendienwesen. Diese beiden Bereiche sind teilweise miteinander verbunden und werden von den Betroffenen manch- mal als Eingriff oder Leistung empfunden. Stichwort Preisfestsetzung in Landwirtschaft. Für beide Bereiche gelten die gleichen Grundsätze, sprich das Erfordernis gesetzlicher Grundlagen.
- Über die Vorfrage hat die sachkompetente Behörde noch nicht entschieden In der Schweiz gilt der Aspekt der Verfahrensökonomie. Er gebietet, dass die für die Hauptfrage zu- ständige Behörde auch über die Vorfrage entscheidet und nicht den Entscheid der eigentlich zu- ständigen Behörde abwartet.
- Grundsatz: Vorfrageweise Prüfung zulässig Siehe Art. 31 BGG.
- Bindung an klare Praxis der sachkompetenten Behörde
- Möglichkeit des Zuwartens Es darf aber zugewartet werden und ist nur bei sehr komplexen Fragen geboten.
- Sachkompetente Behörde nicht gebunden Denn im Entscheid dieser anderen Instanz erscheint ja die Entscheidung über die Vorfrage nicht im Dispositiv.
- Über die Vorfrage hat die sachkompetente Behörde schon entschieden
- Bindung an den Entscheid der sachkompetenten Behörde als Regel Bsp.: Für die Steuerbehörde, die über die Besteuerung eines Grundstückes entscheidet, ist das Zivilgerichtsurteil über das gültige Zustandekommen eines Grundstückkaufs verbindlich.
- Nur beschränkte Bindung des Strafrichters an Verwaltungsverfügungen, insbesondere bei der Anwendung von Art. 292 StGB Siehe H/M/U^1 , Rz. 77 ff. III. Exkurs: Ombudsstellen (Ombudsmann) Begriff, Aufgaben und Stellung Es handelt sich um eine unabhängige Volksvertretung zwecks Verstärkung der Rechtmässigkeit der Rechtsanwendung, des Rechtsschutzes der Bürger und der parlamentarischen Kontrolle als mahnen- de Instanz eine Aufsicht über gewisse Beamten und Behörden. Er kann bei den Behörden Auskünfte und Akteneinsicht verlangen und ein bestimmtes Verhalten emp- fehlen. Er kann dem Parlament Bericht erstatten. Übersicht über den Stand der Einführung Auf Bundesebene gibt es noch keine Ombudsstelle. Ähnliche Aufgaben haben der Datenschutzbeauf- tragte und der Preisüberwacher, aber mit weiterführenden Kompetenzen. In manchen Kantonen oder Gemeinden sind schon Ombudsstellen eingeführt worden.
2. Kapitel Das Verwaltungsrecht
§ 3 Die Quellen des Verwaltungsrecht
I. Begriff und Bedeutung des Verwaltungsrechts Verwaltungsrecht ist der Inbegriff der Rechtssätze, welche die Verwaltungstätigkeit sowie die Organi- sation und das Verfahren der Verwaltungsbehörden regeln. Es ist v.a. die Verwaltungstätigkeit ge- meint und zwar unabhängig davon, welche staatlichen Organe diese Tätigkeit ausüben. Verwaltungsrecht als öffentliches Recht ist grundsätzlich zwingender Natur und dient der Wahrneh- mung öffentlicher Interessen. Seine Anwendung erfolgt grundsätzlich von Amtes wegen. Es gelten Besonderheiten des Rechtsschutzes. Sie sind auf Bundesebene im VGG und BGG geregelt. II. Die Verfassung Die Verfassung spielt als Garant der rechtsstaatlichen und demokratischen Ausgestaltung des Verwal- tungsrechts eine sehr bedeutsame Rolle. Verfassungsgrundsätze
- Gesetzmässigkeit der Verwaltung (vgl. § 7);
- Grundsatz der Rechtsgleichheit und Willkürverbot (vgl. § 8); 1 HÄFELIN ULRICH/ MÜLLER GEORG/UHLMANN FELIX, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006.
- öffentliches Interesse (vgl. § 9);
- Verhältnismässigkeit (vgl. § 10);
- Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben, insbesondere des Vertrauensschutzes (vgl. § 11) Grundrechte Die Grundrechte der Privaten setzen der Verwaltungstätigkeit Schranken. Zu den Grundrechten gehö- ren auch die allgemeinen Verfahrensgarantien (Art. 29 BV) und jene für das gerichtliche Verfahren (Art. 30 BV). Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen und zwischen Bundesversammlung, Bundesrat und Bundesgericht. Materielles Verwaltungsrecht in der Verfassung Es gibt zahlreiche Bestimmungen der BV, die materiell Verwaltungsrecht darstellen. Solche Normen sind also zugleich Verfassungsrecht und materielles Verwaltungsrecht. Bsp.: Art. 78 Abs. 5 BV: Schutz der Moore und Moorlandschaften. III. Gesetze Begriff Gesetze sind generell-abstrakte Normen, die im besonderen Verfahren der Gesetzgebung erlassen worden sind. Im Folgenden wird auf die Unterscheidung Gesetze im formellen und materiellen Sinn unterlassen und von Gesetzen gesprochen, wenn sie im Verfahren der Gesetzgebung erlassen wurden und von Ver- ordnungen, wenn die Erlasse auf einer Stufe unterhalb des Gesetzes stehen. Auf Bundesebene werden Gesetze von der Bundesversammlung unter Mitwirkung des Volkes (fakul- tatives Referendum) erlassen (Art. 141 Abs. 1 lit. a und b BV). Bedeutung der Gesetze für das Verwaltungsrecht Gesetze sind die wichtigsten Quellen des Verwaltungsrechts. Dies gilt sowohl für die Eingriffs- als auch für die Leistungsverwaltung. Bsp.: EntG; AHVG. Das Verwaltungsrecht ist nicht kodifiziert. Dies und die Tatsache der häufigen Änderung der Erlasse beeinträchtigen die Rechtssicherheit. IV. Verordnungen Begriff Verordnungen sind generell-abstrakte Rechtsnormen, die in einer anderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes ergangen sind, d.h. auf einer Stufe unterhalb des Gesetzes stehen, und keine autonomen Satzungen darstellen. Für den Begriff der Vo ist die erlassende Behörde (ob Exekutive, Judikative oder Legislative) nicht massgeblich. Die Terminologie reicht von Verordnung über Dekret, Reglement, Weisung, Richtlinie, Ordnung oder Benützungsordnung. Arten von Verordnungen für das Verwaltungsrecht
- Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen Hauptkriterium für die Unterscheidung von Rechts- und Verwaltungsverordnungen ist der Adressa- tenkreis.
- Rechtsverordnungen Rechtsverordnungen enthalten Rechtsnormen, die sich an die Allgemeinheit richten, also dem Einzelnen Rechte einräumt oder Pflichten auferlegt oder die Organisation und das Verfahren der Behörden regelt.
- Verwaltungsverordnungen Verwaltungsverordnungen sind generelle Dienstanweisungen einer Behörde an ihre untergeord- nete Behörden. Die Hauptfunktion der Verwaltungsverordnung besteht darin, eine einheitliche, gleichmässige und sachrichtige Praxis des Gesetzesvollzugs sicherzustellen. Verwaltungsverordnungen sind nach herrschender Ansicht keine Rechtsquellen des Verwal- tungsrechts, da sie keine Rechtsnormen enthalten, insbesondere keine Pflichten oder Rechte der Privaten statuieren. Bsp.: Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen zur Resul- tatermittlung mit technischen Geräten bei eidgenössischen Volksabstimmungen.
V. Autonome Satzungen, insbesondere kommunales Recht Autonome Satzungen sind generell-abstrakte Normen, die von Organisationen des öffentlichen Rechts gestützt auf ihre Kompetenz, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen, erlassen werden. Bsp.: Gemeinen, Universitäten, Post. Die Rechtsgrundlage zum Erlass autonomer Satzungen bilden entsprechende Ermächtigungen in den Verfassungen oder Gesetzen des Bundes und der Kantone. VI. Staatsverträge und innerstaatliche Vereinbarungen Staatsverträge
- Begriff Staatsverträge sind völkerrechtliche Verträge zwischen zwei oder mehreren Staaten (bilateral oder multilateral). Rechtsquellen des Verwaltungsrechts sind nur rechtssetzende Staatsverträge , soweit sie unmittelbar anwendbar sind. Unmittelbare Anwendbarkeit setzt eine inhaltlich hinreichend bestimmte Norm voraus, die Rechte und Pflichten der Privaten begründet und als Grundlage für einen Entscheid im Einzelfall dienen kann. Reine Programmnormen reichen nicht aus. Es bedarf zusätzlich der Publikation. Viele Staatsverträge sind nicht Quellen des Verwaltungsrechts.
- Verhältnis zum staatlichen Recht Staatsverträge stehen grundsätzlich im gleichen Rang wie Bundesgesetze. Neuere Staatsverträge gehen älteren Bundesgesetzen vor. Das Verhältnis von älteren Staatsverträgen gegenüber neueren Bundesgesetzen ist umstritten; heute wird aber allgemein ein Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht angenommen. Darstellung der wichtigsten Entscheide des Bundesgerichts :
- Es wird eine völkerrechtskonforme Auslegung angewandt. Grundsätzlich kommt dem internatio- nalen Recht ein Vorrang vor staatlichem Recht zu. Bewusstes Abweichen des Gesetzgebers vom Staatsvertrag ist innerstaatlich massgebend und für das Bundesgericht wegen Art. 919 BV verbindlich.
- Die EMRK (bzw. deren self-executing-Normen), als ein von der Bundesversammlung genehmig- ter Staatsvertrag ist für die rechtsanwendenden Behörden nicht weniger verbindlich als die Bun- desgesetze (Art. 191 BV).
- Völkerrechtliche Überlegungen spielten offenbar bei der Aufnahme der Staatsverträge in Art. 113 Abs. 3 aBV keine Rolle. Es spricht daher auch nichts dagegen, dass der Richter die Bundesge- setze auf ihre Übereinstimmung mit der Konvention überprüft und sie im Einzelfall nicht anwen- det, wenn sie sich als völkerrechtswidrig erweisen.
- Nach Wiener Übereinkommen kann sich die Schweiz insbesondere nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen.
- Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 13 Abs. 3 aBV gilt auch unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung. Innerstaatliche Vereinbarungen Innerstaatliche Vereinbarungen sind Verträge zwischen zwei oder mehreren Gemeinwesen, öffentlich- rechtlichen Körperschaften oder Anstalten. Rechtsquellen des Verwaltungsrechts können sie nur sein, soweit die unmittelbar anwendbare Rechtssätze enthalten. Bloss rechtsgeschäftliche Vereinbarungen sind keine Rechtsquellen des Verwaltungsrechts.
- Vereinbarungen zwischen Bund und Kantonen Art. 48 Abs. 2 BV erlaubt dem Bund, sich im Rahmen seiner Kompetenzen an Verträgen zwischen Kantonen zu beteiligen. Bsp.: Vereinbarung zwischen dem Bund und den Universitätskantonen über die Zusammenarbeit im universitären Hochschulbereich.
- Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Kantonen Art. 48 Abs. 1 BV ermächtigt die Kantone, untereinander Verträge über einen in den kantonalen Kompetenzbereich fallenden Gegenstand abzuschliessen. Die Mehrzahl solcher Verträge ist rechts- geschäftlicher Natur. Sie kommen deshalb als Quellen des Verwaltungsrechts nicht in Frage.
- Unmittelbar Rechts setzende interkantonale Vereinbarungen Hier werden nicht nur Rechte und Pflichten zwischen den beteiligten Kantonen begründet, son- dern es werden auch Normen mit der Publikation für Private unmittelbar rechtsverbindlich. Bsp.: Interkantonale Universitätsvereinbarung.
- Mittelbar Recht setzende interkantonale Vereinbarungen Dies, wenn sich mehrere Kantone über eine einheitliche Regelung für ein bestimmtes Sachgebiet geeinigt und sich verpflichtet haben, ihr kantonales Recht der vereinbarten Vereinheitlichung an-
zupassen. Für Private ergeben sich aus der Vereinbarung keine Rechte und Pflichten. Es liegt hier deshalb keine Rechtsquelle des Verwaltungsrechts vor.
- Allgemein verbindliche interkantonale Vereinbarungen
- Vereinbarungen zwischen anderen Selbstverwaltungskörpern Auch zwischen anderen öffentlichen-rechtlichen Körperschaften, sowie öffentlichen-rechtlichen An- stalten können Vereinbarungen abgeschlossen werden. Zu den Rechtsquellen des Verwaltungs- rechts gehören diese aber nur in den recht seltenen Fällen, in welchen sie unmittelbar Rechte und Pflichten der Privaten begründen. VII. Allgemeine Rechtsgrundsätze Begriff Allgemeine Rechtsgrundsätze sind Rechtsnormen, die wegen ihrer allgemeinen Tragweite in allen Rechtsgebieten, im öffentlichen Recht wie im Privatrecht, Geltung haben. Sie sind im öffentlichen Recht oft ungeschriebenes Recht. Früher wurden sie gestützt auf das Legalitätsprinzip nicht zugelas- sen. Die allgemeinen Rechts grundsätze sind von den Verfassungs grundsätzen zu unterscheiden! Die all- gemeinen Rechtsgrundsätze stehen auf der Stufe des Gesetzes. Sie können daher abgeändert oder aufgehoben werden. Sie dienen der Ausfüllung von Lücken des geschriebenen Rechts. Die Verfas- sungsgrundsätze der Gesetzmässigkeit, der Bindung an das öffentliche Interesse, der Verhältnismäs- sigkeit sowie des Vertrauensschutzes leiten sich dagegen aus der Verfassung ab und können vom Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden. Wichtige Anwendungsfälle
- Rückforderung einer grundlos erbrachten Leistung Zuwendungen, die aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund erfolgten, können zurückgefordert werden.
- Verjährung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen Die Regel findet (v.a.) bei Geldforderungen und anderen Forderungen Anwendung.
- Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen Öffentlich-rechtliche Geldforderungen – sowohl der Gemeinwesen wie der Privaten – sind mit Be- ginn des Verzuges grundsätzlich zu verzinsen.
- Verrechnung von Geldforderungen
- Wahrung von Fristen für Eingaben an Behörden Fristen gelten auch dann als gewahrt, wenn sie rechtzeitige bei einer unzuständigen Behörde ein- gereicht werden. VIII. Gewohnheitsrecht Begriff Rechtsnormen, die infolge einer langjährigen Anwendung durch die Behörden und ihre Anerkennung durch die Behörden und die privaten Betroffenen als ungeschriebenes Recht Geltung haben. Im Gegensatz zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gelten die Normen des Gewohnheitsrechts nicht wegen der allgemeinen Tragweite ihres Inhalts, sondern nur beim vorliegen der im Folgenden aufgezählten Voraussetzungen. Die Zulassung von Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht ist wegen der Gesetzesbindung der Verwaltungstätigkeit problematisch. Voraussetzungen der Zulassung von Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht
- Langjährige, ununterbrochene und einheitliche Praxis der Behörden Ein- oder zweimalige Rechtsanwendungsakte reichen nicht aus.
- Rechtsüberzeugung der Behörden und der Privaten, die von der Regelung betroffen sind Eine Behördenpraxis allein genügt nicht.
- Das Gesetz muss Raum für ergänzende Regelung durch Gewohnheitsrecht lassen Es bedarf einer echten Lücke. Derogatorisches, also Gesetzesbestimmungen widersprechendes Gewohnheitsrecht gibt es nicht.
Verbot extensiver Auslegung von Polizei- und Ausnahmevorschriften ("in dubio pro libertate") Die Bundesgerichtspraxis ist in dieser Frage uneinheitlich. Früher wurde eine restriktive Auslegung be- fürwortet, heute geht die Tendenz zur extensiven Auslegung solcher Vorschriften. Das Verbot der extensiven Auslegung ist aus methodischen Gründen abzulehnen. Dies führte nämlich zu einer generellen Bevorzugung eines Bestimmten Auslegungsergebnisses ohne wertende Abwä- gung zwischen den verschiedenen Lösungen. IV. Verfassungs- und völkerrechtskonforme Auslegung von Verwaltungsrecht Der Sinn einer Vorschrift wird im Blick auf die Verfassung ermittelt. Es ist dann jenes Ergebnis zu wäh- len, welches der Verfassung am besten entspricht. Durch eine völkerrechtskonforme Auslegung ist der Sinn des Landesrechts so zu ermitteln, dass es nicht im Widerspruch zum Völkerrecht steht. V. Lückenfüllung im Verwaltungsrecht Die ältere Lehre und Praxis waren der Meinung, im Verwaltungsrecht gebe es keine Lücken. Wo eine Vorschrift zur Beschränkung der individuellen Freiheit fehle, bestehe Freiheit. Diese Auffassung ist ab- zulehnen; das Verwaltungsrecht kann – wie alle rechtliche Regelungen – lückenhaft sein. Bevor eine ausfüllungsbedürftige Lücke angenommen werden darf, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung nicht eine bewusst negative Antwort des Gesetzes be- deutet, d.h. ein qualifiziertes Schweigen vorliegt. Für Analogie und richterliche Lückenfüllung ist dann kein Platz. Die h.L. und die bundesgerichtliche Rechtsprechung unterscheiden echte und unechte Lücken und behandeln die beiden Fälle im Verwaltungsrecht unterschiedlich. Das Rechtsverweigerungsverbot verpflichtet die rechtsanwendenden Organe echte Lücken zu füllen, während der Legalitätsgrundsatz es ihnen grundsätzlich untersagt, unechte Lücken zu schliessen und diese Aufgabe dem Gesetzgeber vorbehält. Die Unterscheidung zwischen echten und unechten Lücken wird in der Praxis immer weniger beach- tet. Das BGer hat dafür einen neuen Lückenbegriff ( Lücke als planwidrige Unvollständigkeit des Ge- setzes ) übernommen und eine vom Gericht zu schliessende Lücke angenommen, wenn die gesetzli- che Reglung "nach den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen und Zielsetzungen als unvoll- ständig und daher ergänzungsbedürftig erachtet werden müsse".
§ 5 Verwaltungsrecht und Privatrecht
I. Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Regelungen Allgemeines Das Verwaltungsrecht ist ein Teil des öffentlichen Rechts, wobei die Verwaltungstätigkeit z.T. auch auf Privatrecht beruht. Das schweizerische Recht knüpft an diese Unterscheidung verschiedene Rechts- folgen, weshalb man auf sie nicht verzichten kann. So ist z.B. im öffentlichen Recht die Bindung an das Legalitätsprinzip und die Grundrechte viel grösser. Ebenso variieren Verfahren und Rechtsschutz. Die Unterscheidung ist auch in der Verfassung angedeutet (z.B. Art. 122 Abs. 1 BV). Abgrenzungskriterien
- Unmassgebliche Kriterien Nicht massgeblich sind Unterscheidungskriterien wie das formelle (also ob der Erlass öffentlich- rechtlich oder privatrechtlicher Natur ist). Ebenfalls irrelevant ist der zwingende Charakter , die Fis- kustheorie oder die Subjektstheorie (sobald 'der Staat' involviert ist).
- Massgebliche Kriterien
- Subordinationstheorie (Subjektions-, Mehrwerttheorie) Übergeordnetheit des Staates zu den Privaten, also wenn er mit "obrigkeitlicher Gewalt" ihnen gegenüber tritt. Bsp.: Enteignung eines Grundstücks (öffR).
- Interessentheorie Nimmt die Rechtsnorm ausschliesslich oder vorwiegend öffentliche Interessen wahr oder dient sie primär dem Schutz von privaten Interessen? Bsp.: Verbot von Sonntags- und Nachtarbeit (öffR).
- Funktionstheorie Regelt eine Rechtsnorm die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe oder die Ausübung einer öffent- lichen Tätigkeit? (Wobei die Abgrenzung zur Interessentheorie nicht klar möglich ist). Bsp.: Mass- nahmen des Umweltschutzes oder der Raumplanung (öffR).
- Modale Theorie Ist die Sanktion öffentlich-rechtlich (z.B. Widerruf einer Bewilligung) oder zivilrechtlich (z.B. Nich- tigkeit eines Rechtsgeschäfts) ausgestaltet? Bsp.:
- Kombination der verschiedenen Theorien Jedes Element ist für sich alleine noch ungenügend. Es wird deshalb immer mit den andern zusam- men angesehen. Das BGer kombiniert sie einzelfallbezogen im Sinne eines Methodenpluralismus- ses. Dabei hat keines dieser Kriterien a priori Vorrang. Praktische Bedeutung der Zuordnung zum öffentlichen Recht
- Vollzug erfolgt durch die Verwaltungsbehörden von Amtes wegen
- öffentlich-rechtliche Verfahrensvorschriften (VwVG)
- Grundsatz der Gesetzmässigkeit und strengere Befolgung der Grundrechte
- für die Handlungen der Verwaltungsbehörden gilt eine besondere Regelung der Haftung
- Zuständigkeit besonderer Rechtspflegebehörden Gemischte Normen (Doppelnormen) Dabei handelt es sich um Rechtssätze, die zugleich öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Vorschrif- ten enthalten Anwendungsfälle sind z.B. Abstandsvorschriften im Baurecht oder Vorschriften des freien Zuganges zu Wald und Weide (Art. 699 ZGB). Die Bedeutung in der Praxis ist die, dass Doppelnormen sowohl von betroffenen Privaten wie auch von den Behörden von Amtes wegen angewendet werden können und sowohl zivilrechtliche wie auch öffentlich-rechtliche Rechtsschutzorgane zuständig sind. II. Zusammenhänge zwischen Verwaltungstätigkeit und Privatrecht Privatrechtliches Handeln des Staates Bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben sind die Behörden mit Hoheitsgewalt ausgestattet. Er kann aber auch in beschränktem Rahmen als Privatrechtssubjekt auftreten.
- Verbot der privatrechtlichen Betätigung des Staates im öffentlich-rechtliche geregelten Bereich
- Fälle zulässigen privatrechtlichen Handelns des Staates
- Administrative Hilfstätigkeit Bsp.: Beschaffung von Büromaterial
- Verwaltung des Finanzvermögens Bsp.: Vermietung von Liegenschaften; Kauf oder Verkauf von Wertpapieren
- Privatwirtschaftliche Staatstätigkeit Teilname des Gemeinwesens am Wirtschaftsleben in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft. Bsp.: Betrieb einer Gastwirtschaft durch eine Gemeinde; Teile des Geschäftsbereiches von Kantonal- banken.
- Teile der Leistungsverwaltung Wo der Staat für den Privaten wirtschaftliche Leistung erbringt, bedient er sich zum Teil der Rechtsformen des Privatrechts. Bsp.: Transportvertrag im öV, z.B. bei der SBB.
- Zweistufentheorie – Öffentliches Beschaffungswesen (Submission) Die Idee ist, dass wenn der Staat einen privatrechtlichen Vertrag abschliesst, dass er sich nicht dem öffentlichen Recht entziehen kann bezüglich der Frage der Zuständigkeit und des Verfahrens der Willensbildung. Die Zweistufentheorie unterscheidet die interne Willensbildung, welche öffentli- chem Recht unterstellt ist und mit einer Verfügung abgeschlossen wird von dem privatrechtlichen Vertragsabschluss. Das BGer ist dieser Theorie nicht gefolgt. Über diverse Übereinkommen mit dem Ausland (EU) sind aber Regeln eingeführt worden bezüglich Verfahren und Kriterien der Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge zum Schutze der Gleichbehandlung aller Anbieter in den Ver- tragsstaaten. So ist (auf Umwegen) die Zweistufentheorie rechtlich verwirklicht worden.
- Ausdrückliche gesetzliche Regelung Grundsätzlich muss diese Frage vom Gesetz beantwortet werden. Es sollten stets intertemporale Regelungen in neuen Erlassen vorhanden sein. Nach Auffassung des BGer kann die Exekutive kraft ihrer Kompetenz zur Regelung des Inkrafttre- tens das Übergangsrecht umfassend ordnen. Hier entstehen aber Probleme mit dem Gesetzmäs- sigkeitsprinzip.
- Fehlen einer gesetzlichen Regelung Fehlt Übergangsrecht, müssen allgemeine Prinzipien angewandt werden. Nach Vertrauensschutz der Betroffenen und Rechtssicherheit sollte das im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens gelten- de Recht angewendet werden. Da Interesse, neues Recht rasch wirksam werden zu lassen ver- langt, dass Änderungen des Rechts auch dann berücksichtigt werden, wenn sie erst während des erstinstanzlichen oder des Rechtsmittelverfahrens eingetreten sind. Die Bundesgerichtspraxis dazu ist nicht ganz widerspruchsfrei. Richtigerweise sollten Rechtsänderungen nach dem erstinstanzlichen Entscheid nur dann berück- sichtigt werden, wenn die Rechtsänderung auch einen Widerruf rechtfertigen würde. Verfahrensvorschriften sind grundsätzlich mit dem Tag des Inkrafttretens anwendbar. Nach Rechtsprechung des BGer findet die Anwendung des neuen Rechts auf jeden Fall im Grund- satz von Treu und Glauben ihre Grenzen. Rückwirkung
- Echte Rückwirkung
- Begriff Echte Rückwirkung liegt vor, wenn neues Recht auf einen Sachverhalt angewandt wird, der sich abschliessend vor Inkrafttreten dieses Rechts verwirklicht hat.
- Grundsatz des Verbotes der echten Rückwirkung Es ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die echte Rückwirkung unzulässig ist. Niemandem sollen Verpflichtungen auferlegt werden, die sich aus Normen ergeben, welche ihm zum Zeit- punkt, als sich der Sachverhalt verwirklichte, nicht bekannt sein konnten, mit denen er also nicht rechnen konnte und musste.
- Voraussetzungen für die Zulässigkeit der echten Rückwirkung Ausnahmsweise zulässig, bei kumulativer Erfüllung folgender Punkte:
- Die Rückwirkung muss ausdrücklich angeordnet oder nach dem Sinn des Erlasses klar gewollt sein.
- Die Rückwirkung muss zeitlich mässig sein.
- Es bedarf triftiger Gründe.
- Die Rückwirkung darf keine stossenden Rechtsungleichheiten bewirken.
- Die Rückwirkung darf keinen Eingriff in wohlerworbene Rechte darstellen. So ist z.B. die rück- wirkende Enteignung unzulässig.
- Zulässigkeit der Rückwirkung begünstigender Erlasse Die oben genannten Bedenken der Problematik der Rückwirkung entfallen, wenn die Rückwir- kung den Privaten nur Vorteile bringt.
- Unechte Rückwirkung
- Begriff Einerseits : Bei der Anwendung neuen Rechts auf zeitlich offene Dauersachverhalte. Dies ist ge- geben, "wenn bei der Anwendung des neuen Rechts auf Verhältnisse abgestellt wird, die schon unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind und beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch andauern". Anderseits : Wenn das neue Recht nur für die Zeit nach seinem Inkrafttreten zur Anwendung ge- langt, dabei aber in einzelnen Belangen auf Sachverhalte abstellt, die bereits vor Inkrafttreten vorlagen. Bsp.: Neues Gesetz zur Einkommenssteuer, welches vorsieht, dass bei der Bemes- sung der Steuern auf das Einkommen des Vorjahres, d.h. vor Inkrafttreten des Gesetzes, abge- stellt wird.
- Grundsatz der Zulässigkeit der unechten Rückwirkung Die unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig , sofern ihr nicht wohlerworbene Rechte ent- gegenstehen. Es besteht insbesondere ein Anspruch auf eine angemessene Übergangsrege- lung.
Vorwirkung
- Begriff und Problem Im Gegensatz zur Rückwirkung bedeutet Vorwirkung eines Erlasses, dass ein Erlass Rechtswir- kung zeitigt, obwohl er noch nicht in Kraft ist. Es sind zwei Varianten denkbar (positive und negative Vorwirkung):
- Unzulässigkeit der positiven Vorwirkung Positive Vorwirkung liegt vor, wenn ein noch nicht in Kraft gesetzter Erlass unter Vorbehalt seines späteren Inkrafttretens angewendet wird. Dies ist grundsätzlich unzulässig , und zwar auch dann, wenn dafür eine besondere gesetzliche Grundlage besteht.
- Beschränkte Zulässigkeit der negativen Vorwirkung Eine negative Vorwirkung eines Erlasses liegt vor, wenn – insbesondere bei der Behandlung von Gesuchen – das geltende Recht bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts nicht mehr angewendet wird. Häufiger Fall ist die sog. Bausperre. Die negative Vorwirkung ist nur zulässig , wenn sie vom geltenden Recht vorgesehen ist. II. Räumlicher Geltungsbereich Das Territorialitätsprinzip Jedes Gemeinwesen hat seine eigene Rechtsordnung. Im Gegensatz zum Zivilrecht kennt das öffent- liche Recht keine speziellen Kollisionsregeln. Hier gilt dafür das sog. Territorialitätsprinzip, wonach öf- fentliches Recht nur in dem Staat Rechtswirkung entfaltet, der es erlassen hat. Schweizerisches öf- fentliches Recht wird somit nur auf Sachverhalte angewendet, die sich in der Schweiz zutragen. Im interkantonalen und interkommunalen Bereich gelten ebenfalls das Territorialitätsprinzip und der Grundsatz, dass jeder Kanton und jede Gemeinde nur sein bzw. ihr Verwaltungsrecht anwenden. Verschiedene Anknüpfungen Gemäss Territorialitätsprinzip gilt das öffentliche Recht nur für Sachverhalte, die sich im räumlichen Herrschaftsbereich des Recht setzenden Gemeinwesens ereignen. Es kann nun aber u.U. nicht klar sein, welchem Gemeinwesen ein Sachverhalt zuzuordnen ist. Bsp.: X., Bürger von Chur GR und in Baden AG wohnhaft, arbeitet in der Stadt Zürich. Welches Gemeinwesen ist für die Erhebung der Ein- kommenssteuern zuständig? Für die verschiedenen verwaltungsrechtlichen Massnahmen gelten unterschiedliche Anknüpfungen. Massgeblich sein kann:
- Wohnsitz, Niederlassung oder Aufenthalt; Bsp.: Einkommenssteuern von Schweizerischen Staatsangehörigen, Ausübung von Stimm- und Wahlrecht;
- Ort der gelegenen Sache; Bsp.: Baurecht, Grundstücksteuer;
- Ort der Ausübung oder der Auswirkung einer Tätigkeit; Bsp.: Einkommenssteuer von ausländischen Staatsangehörigen, Taxifahrerkonzessionen;
- Bürgerrecht:
- Gemeindebürgerrecht: z.B. bei politischen Rechten in Bürgergemeinden;
- Kantonsbürgerrecht: nie Anknüpfungspunkt (Art. 37 Abs. 2 BV);
- Schweizerbürgerrecht: z.B. bei Wahlen und Abstimmungen, Niederlassung. Auf Grund der Anknüpfung wird das zuständige Gemeinwesen und gleichzeitig das anwendbare Recht bestimmt. Dabei ist das Recht jenes Gemeinwesens anwendbar, das auch zuständig ist. Zu- ständigkeit und anwendbares Recht können also nicht wie im Privatrecht auseinander fallen.
§ 7 Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung
I. Sinn und Funktionen des Gesetzmässigkeitsprinzips Allgemeines Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit, das Legalitätsprinzip, hat zu seinem Hauptanliegen, alles Ver- waltungstätigkeit an das Gesetz zu binden. Das Gesetz ist einerseits Massgabe und Schranke der Verwaltungstätigkeit.
müssen, ist nicht leicht. Art. 164 Abs. 1 BV macht eine Aufzählung. Allerdings gibt es auch in diesen Bereichen weniger wichtige Normen, die in der Form der Verordnung erlassen werden können. Für die Umschreibung der Wichtigkeit einer Rechtsnorm sind deshalb grundsätzlich folgende Kriterien massgebend:
- Intensität des Eingriffs
- Zahl der von einer Regelung Betroffenen
- Finanzielle Bedeutung
- (Erwartete) Akzeptierbarkeit
- Flexibilitätsbedürfnis Regelungen, die z.B. infolge technischen Fortschritts ständig revidiert werden müssen, werden zweckmässigerweise in einer Vo erlassen und nicht im langwierigen Gesetzgebungsverfahren.
- Eignung der entscheidenden Behörde Der Gesetzgeber trifft Grundsatzentscheide, der Verordnungsgeber befasst sich mit (fachlichen) Details. Das Problem der Gesetzesdelegation
- Begriff der Gesetzesdelegation Unter Gesetzesdelegation ist die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen zu verstehen. Ei- nerseits die Delegation von übergeordneten an untergeordnete Gemeinwesen und anderseits, hier relevant, die Delegation vom Gesetzgeber an den Verordnungsgeber.
- Frage der Zulässigkeit der Gesetzesdelegation an die Exekutive Es handelt sich um eine Durchbrechung des Grundsatzes der Gewaltenteilung und eine Einschrän- kung der demokratischen Rechte. Lehre und Praxis anerkennen heute die grundsätzliche Zulässig- keit der Gesetzesdelegation, legen aber Wert auf gewisse Schranken.
- [Vier] Voraussetzungen der Zulässigkeit der Gesetzesdelegation an die Exekutiv e
- Die Gesetzesdelegation darf nicht durch die Verfassung ausgeschlossen sein.
- Die Delegationsnorm muss in einem Gesetz enthalten sein.
- Die Delegation muss sich auf eine bestimmte, genau umschriebene Materie beschränken.
- Die Grundzüge der delegierten Materie, d.h. die wichtigen Regelungen, müssen in einem Gesetz umschrieben sein.
- Problematik der Rechtsfigur der Gesetzesdelegation VI. Geltungsbereich des Gesetzmässigkeitsprinzips Das Gesetzmässigkeitsprinzip wirkt sich auf sämtliche Bereiche und Arten der Verwaltungstätigkeit aus. Geltung für Eingriffs- und Leistungsverwaltung Das Legalitätsprinzip gilt heute sowohl für die Eingriffsverwaltung wie auch für die Leistungsverwal- tung. Die Erfordernisse der Gesetzesform sind aber im Bereich der Leistungsverwaltung im Allgemei- nen weniger streng als bei der Eingriffsverwaltung. Geltung für Bund, Kantone und Gemeinden Das Gesetzmässigkeitsprinzip gilt für die Gemeinwesen aller Stufen. Bund, Kantone und Gemeinden sind an sämtliche Erlasse des Bundes, der Kantone und der Gemeinden gebunden. Das bedeutet, dass sich z.B. der Bund an die Erlasse der Kantone und Gemeinden zu halten hat, sofern diese den Bund dadurch nicht in der Erfüllung einem ihm durch die Verfassung übertragenen Aufgabe hindert. Geltung für alle Arten von Verwaltungstätigkeit Verfügungen, Nebenbestimmungen von Verfügungen, Pläne, informelles Verwaltungshandeln, Aus- künfte, Realakte, usw. Beschränkte Geltung des Gesetzmässigkeitsprinzips
- Regelung der Benutzung von öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch
- Polizeinotverfügung und Polizeinotverordnunge n
- Personen in einem Sonderstatusverhältni s
- Abgaberecht
- Berufsverwaltung
- Auswärtige Angelegenheiten VII. Gesetzmässigkeit, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff Allgemeines Das Gesetz kann nicht alle zukünftigen Probleme voraussehen. Häufig müssen auf den Einzelfall be- zogen sinnvolle und sachgerechte Lösungen getroffen werden. Es müssen also auch weniger be- stimmte Normen zugelassen sein, welche Ermessensspielräume für die rechtsanwendenden Behör- den schaffen. Es handelt sich um sog. offene Normen. Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe dienen also der Einzelfallgerechtigkeit und ergänzen insoweit das Gesetzmässigkeitsprinzip. Ermessen und Gesetzesdelegation Der Gesetzgeber verzichtet in einem bestimmten Bereich auf eine abschliessende Regelung und ge- währt damit den Verwaltungsbehörden einen gewissen Freiraum. Begriff und Arten des Ermessens
- Begriff Ermessen ist ein Entscheidungsspielraum der Verwaltungsbehörden , ein Freiraum, den der Gesetz- geber den Verwaltungsbehörden gewährt. Die Offenheit des gesetztes ist geplant, im Gegensatz zu einer (Gesetzes-)Lücke. Es wird die Wahl zwischen verschiedenen Rechtsfolgen gelassen und u.U. sogar, ob überhaupt eine Rechtsfolge eintreten soll. Die gesetzliche Einräumung von Ermessen führt dazu, dass Verwaltungsgerichte die Angemessen- heit der von den Verwaltungsbehörden getroffenen Entscheidungen – zumindest grundsätzlich – nicht überprüfen dürfen.
- Arten des Ermessens
- Entschliessungsermessen Entscheid, ob eine Massnahme zu treffen sei oder nicht. Vor allem Kann-Vorschriften räumen solches Ermessen ein.
- Auswahlermessen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Wahl zwischen verschiedenen Massnahmen oder hin- sichtlich der näheren Ausgestaltung einer Massnahme.
- Tatbestandsermessen Frage, ob die Voraussetzung für die Anordnung der Rechtsfolge als erfüllt betrachtet wird oder nicht.
- Form der Einräumung des Ermessen Die Frage, ob eine bestimmte Norm den Verwaltungsbehörden Ermessen einräumt, ist auf dem Weg der Auslegung zu ermitteln. Sie ist immer eine Rechtsfrage. Einfach sind klarer Wortlaut wie ausdrückliches Gebot zur Handlung "nach Ermessen" oder eben Kann-Vorschriften.
- Pflichtgemässes Ermessen Beim Ermessen sind die Behörden an die Verfassung gebunden. Sie müssen insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Pflicht zur Wahrung der öffentli- chen Interessen befolgen. Es herrscht Begründungszwang, d.h. die Pflicht der Verwaltungsbehörden, ihre Entscheide zu be- gründen. Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff
- Definition des unbestimmten Rechtsbegriffs Ein unbestimmter Rechtsbegriff liegt vor, wenn der Rechtssatz die Voraussetzungen der Rechtsfol- ge oder die Rechtsfolge selbst in offener, unbestimmter Weise umschreibt. Bsp.: "Eignung" des Ein- bürgerungswilligen, "leichter Fall".
- Rechtliche Tragweite der Abgrenzung Ermessen – unbestimmter Rechtsbegriff Diese Unterscheidung ist bedeutsam für die Frage des Rechtsschutzes durch die Verwaltungsge- richte. Den kantonalen Verwaltungsgerichten steht im Allgemeinen nur eine Rechts kontrolle zu. Eine Überprüfung der Angemessenheit der Ermessensbestätigung ist dagegen – anders als vor Bundesverwaltungsgericht – bloss ausnahmsweise zulässig. Die unbestimmten Rechtsbegriffe sind der Auslegung zugänglich. Diese Auslegung durch die Ver- waltungsbehörden kann von den Verwaltungsgerichten grundsätzlich überprüft werden.
- Zurückhaltung der Gerichte auch bei der Überprüfung von unbestimmten Rechtsbegriffen Die Verwaltungsgerichte sollen nicht den ganzen Bereich des Beurteilungsspielraumes, der bei un-
§ 8 Der Grundsatz der Rechtsgleichheit und das Willkürverbot
I. Rechtsgrundlage, Inhalt und Bedeutung des Gleichheitsprinzips Dem Grundsatz der Rechtsgleichheit kommt umfassende Geltung zu. Er ist also von sämtlichen Staatsorganen in allen Funktionen (Rechtsetzung und Rechtsanwendung) und auf sämtlichen Ebenen der Staatstätigkeit (Bund, Kantone, Gemeinden) zu beachten. Im Bereich des Verwaltungsrechts gilt er für den Erlass verwaltungsrechtlicher Normen wie auch für deren Anwendung im Einzelfall. Das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot sind verfassungsmässige Rechte und können da- her beim BGer gerügt werden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten). Das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 3 BV ist ebenfalls eingeschlossen. II. Anspruch auf Gleichbehandlung Grundsatz Der Anspruch auf Gleichbehandlung verlangt, dass Rechte und Pflichten der Betroffenen nach dem gleichen Massstab festzusetzen sind. Gleiches ist nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Unglei- ches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Unter Umständen sind Abweichun- gen möglich. Dabei muss also abgewogen werden zwischen dem Interesse an der Erreichung des Re- gelungsziels und dem Interesse an der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung. Bedeutung bei der Rechtsetzung Ein Erlass verletzt das Gebot der Rechtsgleichheit, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die Frage, ob für eine rechtliche Unter- scheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschie- denen Zeiten verschieden beantwortet werden. Eine unterschiedliche Regelung des gleichen Tatbestandes in verschiedenen Kantonen oder Gemein- den verletzt das Rechtsgleichheitsgebot in der Regel nicht. Dies als Ausflüsse der Eigenständigkeit der Kantone bzw. Gemeindeautonomie. Bsp.: Es verstösst nicht gegen Art. 8 Abs. 1 BV, wenn ein kantonales Gesetz das Verbot einer Filmaufführung wegen Sittenwidrigkeit ermöglicht, der Nachbar- kanton dagegen keine derartige Bestimmung kennt. Bedeutung bei der Rechtsanwendung
- Allgemein Eine rechtsungleiche Behandlung liegt gemäss der Praxis des BGer grundsätzlich nur dann vor, wenn die nämliche Behörde gleichartige Fälle unterschiedlich beurteilt.
- Praxisänderung Die Voraussetzungen für eine Praxisänderung sind:
- Es müssen ernsthafte und sachliche Gründe für eine neue Praxis sprechen. Also z.B. im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Sicherheit im öffentlichen Verkehr. Oder wenn sie infolge ver- mehrtem Missbrauch als zweckmässig angesehen wird.
- Die Änderung muss grundsätzlich erfolgen.
- Das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung muss gegenüber demjenigen an der Rechtssi- cherheit überwiegen.
- Die Praxisänderung darf keinen Verstoss gegen Treu und Glauben darstellen.
- Kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht Wenn die Behörden in einem Fall eine vom Gesetz abweichende Entscheidung getroffen hat, gibt das den Privaten, die sich in der gleichen Lage befinden, grundsätzlich kein Anspruch darauf, eben- falls abweichend von der Norm behandelt zu werden. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die abwei- chende Behandlung lediglich in einem einzigen oder in einigen wenigen Fällen erfolgt ist. Bei geset- zeswidriger Praxis und keinem Anzeichen zur "Besserung" muss sie auch den Dritten zuteil werden. Unter Umständen können diesen gesetzwidrigen Begünstigungen öffentliche Interessen entgegen treten. III. Willkürverbot Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzesnormen nicht schon vor, wenn eine andere Auslegung ebenfalls vertretbar oder sogar zutreffender erscheint, son- dern erst, wenn ein Entscheid offensichtlich unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als ver-
tretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Es darf nicht bloss die Begründung, sondern es muss auch das Ergebnis unhaltbar sein. Bsp.:
- grobe Fehler in der Sachverhaltsermittlung
- grobe Ermessensfehler
- stossende Widersprüche zum Gerechtigkeitsgedanken Es kommt dabei nicht auf Böswilligkeit oder schlechte Absichten der rechtsanwendenden Behörde an. Im Gegensatz zum Rechtsgleichheitsgebot kommt es beim Willkürverbot nur auf das Verhältnis zwi- schen dem angewandten Rechtssatz und dem betreffenden Anwendungsakt an.
§ 9 Der Grundsatz des öffentlichen Interesses
I. Der Begriff des öffentlichen Interesses Schwierigkeit einer allgemeinen Umschreibung Das öffentliche Interesse ist die allgemeine Voraussetzung für jede staatliche Tätigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV). Inhalt und Tragweite des Begriffes des öffentlichen Interesses lassen sich indes nicht in einer einfachen allgemein gültigen Formel fassen. Was als öffentliches Interesse betrachtet wird kann nur kasuistisch umschrieben werden. Es ist von Fall zu Fall nach Massgabe der jeweils gegebenen Um- ständen zu entscheiden. Zeitliche und örtliche Wandelbarkeit Eine präzise Definition wird auch dadurch verunmöglicht, dass der Begriff des öffentlichen Interesses zeitlich und in gewissen Belangen auch örtlich wandelbar ist. Bsp.: Denkmalschutz früher nur für "schöne" Bauten, heute auch Fabrikbauten; Peepshow 1980 i.O. Kasuistik
- Polizeiliche Interessen Massnahmen, die dem Schutz der Polizeigüter – öffentliche Ordnung und Sicherheit, öffentliche Ruhe, Gesundheit sowie Treu und Glauben im Geschäftsverkehr – dienen. Bsp.: öffentliche Ge- sundheit bei Baubewilligung und Zulassung nichtärztlicher Akupunkteure.
- Planerische Interessen Bsp.: Raumplanung (Art. 75 BV); Spital-, Alters- und Pflegeheimplanung.
- Soziale und sozialpolitische Interessen Bsp.: Arbeitnehmerschutz; Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
- Weitere öffentliche Interessen Z.T. in der BV als Staatsausgabe umschrieben. Bsp.: Umweltschutz (Art. 74 BV); Tierschutz (Art. 80 BV). Fiskalische Interessen Sie gehören zwar zu den öffentlichen Interessen, vermögen aber grundsätzlich keine Eingriffe in Frei- heitsrechte zu rechtfertigen. II. Rechtsgrundlagen Das öffentliche Interesse kann nicht selbständig gerügt werden. Einige weitere Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen nennen das öffentliche Interesse als Vor- aussetzung und Massstab staatlichen Handelns. Sie bilden die Grundlage für die Konkretisierung der öffentlichen Interessen durch Rechtsnormen oder im Einzelfall. Bsp.: Art. 36 Abs. 2 BV ("öffentliches Interesse"); Art. 94 Abs. 2 BV ("Wohlfahrt der Bevölkerung"). Die Terminologie ist also keineswegs einheitlich. III. Geltungsbereich Der Grundsatz des öffentlichen Interesses bindet in umfassender Weise alle drei Staatsgewalten. Er gilt für das gesamte Verwaltungsrecht, nicht nur für die Eingriffsverwaltung, sondern auch für die Leis- tungsverwaltung. Er kann sogar Verpflichtungen begründen, wie z.B. für ein genügendes Gesund- heitswesen.