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Leitfäden und Tipps
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2005-Bilanz-Eingewoehnung.pdf, Grafiken und Mindmaps von Gestaltung

Die Eingewöhnung neuer Kinder in eine Gruppe stellt gleich zu Beginn der Beziehungen von. PädagogInnen, Kindern und ihren Eltern eine große Herausforderung ...

Art: Grafiken und Mindmaps

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Gestaltung von Eingewöhnungs- und Bildungsprozessen
bei den Mainkrokodilen
Eine Zwischenbilanz der Ergebnisse der Bildungsgruppe
(Stand April 2005)
Bernd Niedergesäß
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Gestaltung von Eingewöhnungs- und Bildungsprozessen

bei den Mainkrokodilen

Eine Zwischenbilanz der Ergebnisse der Bildungsgruppe

(Stand April 2005)

Bernd Niedergesäß

Individuell gestaltete Eingewöhnungsprozesse unter Berücksichtigung bindungstheoretischer Gesichtspunkte

Die Eingewöhnung neuer Kinder in eine Gruppe stellt gleich zu Beginn der Beziehungen von PädagogInnen, Kindern und ihren Eltern eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar. Dieser Prozess kann dann als gelungen angesehen werden, wenn an seinem Ende das positive Grundgefühl des Kindes zur Gruppe seine schmerzlichen Gefühle aufgrund der Trennung von der Familie auf Dauer überwiegt. Dabei spielen zwei Motivationssysteme des Kindes eine wesentliche Rolle: sein Wunsch, die neue Umwelt der Kindergruppe zu erkunden und sein Wunsch, die Bindung zu vertrauten Personen aufrechtzuerhalten. Beide Systeme wirken in diesem Prozess in entgegen gesetzter Richtung: während das Erkundungsverhalten zur Distanz von der vertrauten Person führt, schränkt die Nähe zur Bindungsperson sein Erkundungsverhalten ein. Das jeweilige Zusammenspiel dieser Systeme bei einem Kind bestimmt – in Abhängigkeit von den besonderen Rahmenbedingungen - wie der Eingewöhnungsprozess individuell verläuft.

Neben anderen Variablen (wie z.B. der Aufforderungscharakter für Erkundungsverhalten durch die Gruppensituation, die Verständlichkeit der Regeln in der Gruppe, Irritationen des Kindes durch eine Unterschiedlichkeit der Erziehungsstile in der Familie und in der Kita oder der unterschiedlichen Vorgaben zum Spielen durch Eltern oder die ErzieherInnen ect.) hängt der Ablöseprozess wesentlich davon ab,

  • wie sich ein Kind in An wesenheit der Mutter (Anm. 1) von ihr lösen und die neue Umgebung erkunden kann und
  • wie die Beziehungsaufnahme zu den ErzieherInnen der Gruppe verläuft.

Einen ersten Eindruck von der Mutter Kind-Beziehung können die ErzieherInnen zuvor schon durch eine Hospitation von beiden und in einem anschließenden Gespräch vor dem Beginn der Eingewöhnung erhalten haben. Dort können u.a. die bisherigen Trennungserfahrungen des Kindes sowie das Eingewöhnungsverfahren besprochen werden (z.B. Verweildauer der beiden in den Tagen vor und nach der ersten Trennung, Regeln für die Mutter während dieser Zeit, das Abschiedsritual, Mitbringen von Übergangsobjekten ect.).

1. Die erste Phase der Eingewöhnung in Anwesenheit der Mutter

Einige Beispiele sollen nun die mögliche Unterschiedlichkeit in der ersten Phase von Eingewöhnungsprozessen illustrieren. Es sind Beispiele von Situationen, die die meisten ErzieherInnen wohl in ähnlicher Art schon oft selbst erlebt haben.

Anm. 1: Wir sprechen im Folgenden einfachheitshalber immer von der Mutter als der Person, welche ihr Kind in der Eingewöhnungsphase in die Kita begleitet. Dies kann selbstverständlich auch der Vater, die Oma oder eine andere dem Kind sehr vertraute Person sein.

1.1 Ein Kind kann sich leicht von seiner Mutter trennen, erkundet interessiert die neue Umgebung, beteiligt sich allmählich am Spiel der anderen Kinder sowie mit den

2.3 In der dritten Situation weist das Verhalten von Kind und Mutter auf eine unsicher- ambivalente Bindung zwischen beiden hin. Das Bindungsverhalten des Kindes überwiegt hier bei weitem sein Erkundungsverhalten.

Es stellt sich nun die Frage, ob es in diesen Situationen Handlungsbedarf von Seiten der ErzieherInnen gibt und wenn ja, welchen? Ich rufe in Erinnerung, dass die eigentliche Trennung der Mütter von ihren Kindern noch bevorsteht. In der Regel wird sich am ehesten ein Handlungsbedarf in Situation 3 ergeben, nämlich die ErzieherInnen werden auf die Einhaltung der Regeln gegenüber der Mutter zu achten haben.

3. Der erste Trennungsprozess von Kind und Mutter in der Kita

3.1 Der richtige Zeitpunkt

Die Zeit für den ersten Abschied ist bei allen Kindern und ihren Müttern unterschiedlich. Dies hängt von der Tagesform beider ab, aber auch von der Bindungsform zwischen beiden. Bei sicher gebunden Kindern dauert der Annäherungsprozess des Kindes an die ErzieherInnen in der Regel etwa eine Woche, während der Zeitpunkt für die erste Trennung bei unsicher- vermeidend gebundenen Kindern wesentlich schneller erreicht ist – in der Regel nach den ersten Situationen, in denen eine der ErzieherInnen Trost spenden konnte. Bei unsicher ambivalent an ihre Mütter gebundenen Kindern dauert er in der Regel länger und scheint manchmal in Anwesenheit der Mutter überhaupt nicht stattfinden zu können. Erfahrungsgemäß erfolgt die eigentliche Bearbeitung der Trennung bei unsicher-vermeidend gebundenen Kindern erst einige Zeit nach der ersten Trennung von der Mutter, dies können Tage aber auch Wochen sein. Die vermiedenen Gefühle treten dann doch offen zu Tage, nachdem diese Kinder in Abwesenheit ihrer Mütter oft sowohl Zeiten intensiven Spiels aber auch Zeiten der Lustlosigkeit und Bedrücktheit in der Kita verbracht haben. Diesen Kindern und Müttern dann einen angemessen Rahmen für die sonst vermiedenen, schwer erträglichen Gefühle des Trennungsschmerzes zur Verfügung zu stellen, gehört zur Aufgabe der ErzieherInnen. Den richtigen Zeitpunkt der ersten Trennung für unsicher-ambivalent gebundenen Kindern und ihren Müttern zu bestimmen ist in der Regel nicht einfach, da der Annäherungsprozess der Kinder zu den ErzieherInnen zumeist sehr schleppend verläuft. Zumeist ist es nicht einfach für die ErzieherInnen beim Abschiedsprozess nicht in den Strudel der widersprüchlichen starken Gefühle bei der bevorstehenden Trennung von Kind und Mutter gezogen zu werden. In der Regel fällt die Entscheidung des richtigen Zeitpunktes deshalb nicht leicht und es folgt oft eine lange Phase dramatischer und uneindeutiger Trennungen, die der strukturierenden Unterstützung der ErzieherInnen im hohen Maße bedarf. Die Mütter können sonst oft sehr überfordert sein.

3.2 Das unterschiedliche Trennungsverhalten

Das Trennungsverhalten von sicher gebundenen Kindern und ihren Müttern ist in der Regel schmerzlich für beide. Aber beide scheinen diesen Schmerz ertragen zu können. Nach einer Zeit der Trauer nach dem Weggang der Mutter können sich diese Kinder dann wieder auf die Gruppe und ein Spiel einlassen. Bei unsicher-vermeidend gebundenen Kindern und ihren Müttern versuchen beide die offene Trennung und die damit für sie verbunden schmerzlichen Gefühle zu vermeiden. Oft versuchen die Mütter sich „davon zu schleichen“, wenn ihr Kind „gerade so schön spielt“ und/oder die Kinder ignorieren das Winken der Mütter, blicken sie oft mit starrem Gesicht an.

(Ich erinnere daran, dass diese Kinder spüren, dass der Trennungsschmerz für ihre Mutter kaum aushaltbar ist und sie es deshalb vermeiden, ihre Mütter in diese schwierige Situation zu bringen. Ihr unbewegtes gleichmütig erscheinendes Gesicht bei diesen Abschieden täuscht. Es wurde festgestellt, dass die Cortisolausschüttung bei ihnen in solchen Situationen hoch ist, sie sind also innerlich sehr stark gestresst.) Der Abschied zwischen unsicher-ambivalent gebundenen Kindern und ihren Müttern verläuft anfangs oft dramatisch. Die Mütter vermitteln dabei in der Regel widersprüchliche Botschaften. Sie möchten offenbar einerseits gerne gehen, scheinen andererseits doch auch bleiben zu wollen. Sie verabschieden sich oft mehrmals, kommen oft kaum von der Stelle oder kehren öfter wieder zurück. Hat ein Kind das erste Tschüß gut hingenommen und sich von der Mutter ab- und oft schon dem Spiel zugewandt, so ist es von der Unklarheit der Situation mit der Zeit überfordert und es kann dazukommen, dass es schließlich in seiner Hilflosigkeit zu Schluchzen beginnt.

3.3 Das unterschiedliche Abholverhalten

Auch beim Abholen der Kinder gibt es typische Unterschiede im Wiederannäherungsverhalten von Mutter und Kind. Während sich die sicher gebundenen Kinder und ihre Mütter sichtlich über das Wiedersehen freuen und sich die Kinder nach der Begrüßung oft wieder dem Spiel zuwenden wollen, ignorieren unsicher-vermeidend gebundene Kinder zumeist die Begrüßung ihrer Mütter oder wenden nach einem flüchtigen Erkennen den Blick wieder ab. Zwischen unsicher-ambivalent gebundenen Kindern und ihren Müttern gestalten sich die Abholsituationen oft dramatisch. Eine Flut widersprüchlicher Gefühle bestimmen solche Situationen.

3.4 Die Unterstützung durch die ErzieherInnen in Trennungs- und Abholsituationen

Die Unterstützung durch die ErzieherInnen in den beschriebenen Trennungs- und Abholsituationen kann bei

- unsicher-vermeidend gebundenen Kindern darin bestehen, mit den Müttern gemeinsam ein Ritual festzulegen, in dessen Rahmen die anfangs von Mutter und Kind in der Abschieds- und der Abholsituation vermiedenen Gefühle allmählich erlebt und ausgehalten werden können. So können die ErzieherInnen die von ihr vermuteten Gefühle bei der Mutter ansprechen und Verständnis bekunden, wenn der Trennungsschmerz – vielleicht aber erst bei weiteren Gesprächen – dann Thema werden kann. Die ErzieherInnen können sie darauf aufmerksam machen, dass sie ihrem Kind den Abschied mit ihrem vermeidenden Verhalten nicht erleichtert, sondern schwerer macht. Sie können ihr dann weiterhin z.B. vorschlagen, dass sie ihnen ihr Kind in den Arm gibt , ihr Bedauern über die Trennung ruhig Ausdruck verleiht, und es auf die Zeit verweist, wenn sie wieder zusammen sein werden. Dabei sollte sie ihrem Kind ins Gesicht sehen und darauf mit der Zeit gefasst sein, einen sichtbaren Abschiedsschmerz bei ihm aushalten zu müssen bzw. besser zu dürfen, da dies doch eine positive Botschaft über ihre Beziehung beinhaltet. Zum Abholen könnte der Rat der ErzieherInnen darin bestehen, dass die Mutter auf ihr Kind zugeht und es offen begrüßt.

  • Bei unsicher-ambivalent gebundenen Kindern kann die Unterstützung der ErzieherInnen darin bestehen, ein sehr klar strukturiertes Ritual vorzuschlagen, das für Mutter und Kind ihre belastende Gefühlssituation eingegrenzt und diese so in der Abschieds- und Abholsituation ausgehalten werden können. Auch hier ist es sinnvoll, die Mutter auf die vermuteten widerstreitenden Gefühle anzusprechen und Verständnis dafür zu zeigen, falls der Zwiespalt von ihr dann thematisiert werden sollte.

Grossmann, K. (2002) Kontinuität und Konsequenzen der frühen Bindungsqualität während des Vorschulalters. In G. Spangler & P. Zimmermann /Hrsg.). Die Bindungstheorie: Grundlagen, Forschung und Anwendung, 191-202, Stuttgart 1995

Gründler, E.C. (2005): Eine sichere Basis bilden – Eingewöhnung in der Krippe. Klein& groß 4/2005, 18-

Laewen H.J., Andres B., Hedervari E.: (2003) Die ersten Tage – ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege, Weinheim, Berlin, Basel, 4. Auflage

Niedergesäß, B., (2004): Einleitung zu dem Buch: Die ersten gemeinsamen Schritte in die Welt. Babys in Tageseinrichtungen – Bereicherung oder Belastung für Babys, ihre Familie und ErzieherInnen? Trägerverbund frei gemeinnütziger Träger. Niedergesäß, B., Drexler- Wagner, S. Strüber, E., Bastian-Störk, A. (Hrsg.) 11-

Niedergesäß, B., Hämel-Heid, P., (2004): Jacobs (Los-)Lösung. Ergebnisse der neueren Bindungsforschung. TPS 9/10/2004, 31-

Bernd Niedergesäß

Bildungsprozesse in Kitas, gestaltet unter bindungstheoretischen Gesichtspunkten

Die Diskussion um die Pisa-Ergebnisse wird für die Bildungsplanung in Schulen und Kitas, sowie auf deren wünschenswerte Zusammenarbeit zu diesem Thema weit reichende Konsequenzen haben (vgl. Fthenakis 2003). Die ersten Entwürfe von Bildungsplänen liegen vor (vgl. Hess. Sozialministerium 2005), welche die pädagogische Arbeit von ErzieherInnen mittelfristig sicherlich beeinflussen werden. Die Bedeutung von bindungstheoretischen Überlegungen auf die Gestaltung von Bildungsprozessen in der Kita soll uns nun beschäftigen (vgl. Niedergesäß 2004).

1. Bildung, Erziehung, Betreuung – Klärung der Begriffe

Zuerst möchte ich erläutern, wie ich die in diesem Zusammenhang wichtigen Begriffe gebrauchen werde: Nach meiner Auffassung bedeutet Bildung - einer Setzung von Hentig (1999, S. 37) folgend

  • sich bilden, d.h. der Anteil, den das sich bildende Subjekt am Bildungsvorgang hat, sollte möglichst groß sein. Solche Bildungsprozesse können in meinem Verständnis von Geburt an beginnen (vgl. Schäfer 2003 u. 2004). Für die Pädagogik bedeutet dies, Kindern gezielt Rahmenbedingungen zur Verfügung zur stellen, die ihre Selbstgestaltungskräfte auf bestimmte Ziele hin anregen und den Bildungsprozess unterstützend zu begleiten. ErzieherInnen nehmen auf diese Prozesse also eher mittelbar Einfluss. Bildung grenzt sich aus meiner Sicht ab sowohl von Maßnahmen der Erziehung , durch die das Verhalten von Kindern unmittelbar, durch Regelsetzung, beeinflusst wird, als auch von Betreuung , die den Kindern einen schützenden, beständigen und klaren äußeren Rahmen geben soll. Innerhalb dieser von Erwachsenen gesetzten Grenzen eröffnet sich der Raum für Bildung in Kindertagesstätten. Bildung, Erziehung und Betreuung stellen daher in der Regel sich ergänzende unterschiedliche Aspekte von pädagogischen Prozessen dar. Bildungsprozesse beziehen sich in der Regel auf mehrere Bereiche der kindlichen Entwicklung, wie die kognitive, emotionale, sprachliche, motorische und moralische Entwicklung. Ein wesentlicher Bestandteil des Rahmens, den ErzieherInnen Kindern für diese Bildungsprozesse zur Verfügung stellen, besteht in den Beziehungen zu ihnen, als Gegenüber in einem Dialog. 2. Das bindungsbedingt unterschiedliche Verhalten von Kindern in der Kita

Das Verhalten von Kindern in der Kita wird von ihren unterschiedlichen Bindungs- erfahrungen erheblich beeinflusst und unterscheidet sich in den einzelnen Entwicklungsbereichen oft in typischer Weise. Dazu Beispiele aus zwei Bereichen:

2.1 Konfliktverhalten Sicher gebundene Kinder finden in Konflikten mit anderen Kindern eher eigene und schnellere Lösungen als unsicher gebundene. Vermeidend gebundene Kinder neigen eher dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen, während sich ambivalent gebundene Kinder öfter als andere in Konflikte verwickeln, bei denen es of weniger um den konkreten Anlass als um anderes zu gehen scheint. Unsicher gebundene Kinder sind dabei vermehrt als sicher gebundene auf die Unterstützung der ErzieherInnen angewiesen und sind dafür in der Regel jedoch weniger ansprechbar als sicher gebundene.

2.2 Spiel- und Sozialverhalten

Zum dritten hängt unsere Planung davon ab, wie wir die Kompetenzen der unterschiedlich gebundenen Kinder in bestimmten Entwicklungsbereichen bewerten. In der obigen Darstellung der oft zu beobachtenden unterschiedlichen Ausprägung dieser Kompetenzen in den verschiedenen Entwicklungsbereichen der Kinder in Abhängigkeit von ihrer jeweils individuellen Bindungsform bin ich absichtlich der gängigen Darstellung dieser Unterschiede in der Literatur gefolgt. Dort wird in der Regel die Ausprägung der Kompetenzen von sicher gebundenen Kindern als Maßstab genommen und die der unsicher gebundenen Kinder in diesem Vergleich für gewöhnlich als defizitär dargestellt. Dies halte ich für einseitig. Es trifft wohl zu, dass sicher gebundene Kinder einfacher als andere eine breite Palette gesellschaftlich erwünschter Eigenschaften entwickeln können. Andererseits entwickeln aber unsicher gebundene Kinder oft in ihrem Rahmen spezifische Lösungsformen für Situationen, die für uns neben dem Gesichtspunkt der Förderung in der Breite, wichtige Ansatzpunkte für individuelle Förderüberlegungen sein können.

3.3 Unser Handlungsspielraum in Bildungssituationen, die Entwicklung dieser Kinder zu fördern

Zum vierten ist zu bedenken, dass Bindungsstile sich als sehr resistent gegenüber Veränderungen über lange Zeiträume erwiesen haben. In verschiedenen Studien wurden für alle Altersstufen Stabilitäten von ca. 80% festgestellt, so Seiffge-Krenke 2004 (S. 167). Sie spricht lediglich für die Zeit der Adoleszenz von einer geringen Bindungsstabilität, von einem Bindungsloch, das eine mögliche Veränderungschance, die Chance eines Neubeginns in der regulären Entwicklung bietet. Darüber hinaus scheinen grundlegende Persönlichkeitsveränderungen, wie die des Bindungsstils, anderen Autoren nur über therapeutische Erfahrungen möglich. Weiterhin ist die Stabilität bestimmter Bindungsmuster über die Generationen hinweg ebenfalls sehr hoch (Köhler 1998, S. 374). Dies bedeutet aus meiner Sicht, dass es für eine entwicklungsfördernde pädagogische Arbeit in der Kita vordringlich ist, zum einen die Veränderungsspielräume, welche die Kinder innerhalb ihres Bindungsstils haben, auszuloten und dort an den Stärken anzuknüpfen. Zum anderen ist es sinnvoll, ebenfalls die Veränderungsspielräume, welche deren Eltern innerhalb ihres Bindungsstils haben, auszuloten, sie in Gesprächen für bestimmte Verhaltensweisen und ihre Wirkungen zu sensibilisieren, damit sie bestimmte Lernprozesse ihrer Kinder zulassen können. Auch allgemeine Kindergartenregeln, wie die z.B. für Eingewöhnungsprozesse, können in dieser Richtung hilfreich sein. Weiterhin sollte von ErzieherInnen beachtet werden, dass unterschiedliche Stile zwischen den Bindungspersonen eines Kindes (sei es zwischen Mutter und Vater oder zwischen Eltern und ErzieherInnen), von diesen dann als problematisch erlebt werden, wenn die Erwachsenen mit diesen Unterschieden nicht einvernehmlich umgehen können. Hier sehe ich die Aufgabe von ErzieherInnen darin, mögliche Unterschiede so weit als möglich mit den Eltern zu thematisieren und darüber hinaus abzuwägen, ob weiterhin bestehen bleibende unvereinbare Unterschiede eher der Entwicklung eines Kindes nützen oder schaden. (Z.B. wie reagiere ich auf die Signale eines Kindes nach Nähe, wenn die Mutter in solchen Situationen eher auf der Selbständigkeit des Kindes bestehen würde und sich durch meine Verhalten in ihrer Einstellung bedroht fühlt.)

4. Zwei Beispiele für die Gestaltung von Bildungssituationen unter bindungstheoretischen Gesichtspunkten

Ich werde das eben Gesagte nun anhand von zwei Beispielen erläutern:

4.1 Jacob, ein unsicher-vermeidend gebundenes Kind, sucht nach Konflikte vermeidenden Lösungen im Spiel

Jacob ein zu seiner Mutter unsicher-vermeidend gebundenes Kind von ca. einem Jahr ging oft behutsam auf Situationen zu, in denen andere Kinder etwas für ihn Interessantes taten, schaute, berührte auch später die anderen Kinder vorsichtig, verließ diese Situationen aber wieder schnell. Es waren zumeist flüchtige Kontakte, die er da einging. Interessierte ihn ein Spielzeug, das ein anderes Kind gerade hatte, versuchte er kaum jemals es diesem Kind wegzunehmen, sondern wartete eher geduldig, bis dieses das Spielzeug frei gegeben hatte und begab sich dann eher abseits, um sich in Ruhe damit beschäftigen zu können. Die ErzieherInnen versuchten Jacobs Lösungen zur Entwicklung seiner Kompetenzen zuzulassen und zu fördern, bei Akzeptanz seiner Tendenz, sich vor Konflikten eher zurückzuziehen. Wie sie, so gaben auch die anderen Kinder diesen Versuchen Raum und akzeptierten seine freundlichen aber „flüchtigen“ (vermeidenden) Kontaktaufnahmen (vgl. dazu die ausführlicheren Darstellung in Niedergesäß/Hämel-Heid 2004).

Die Gestaltung der geschilderten „Bildungssituation“ für die Entwicklung von Jacobs Beziehungs- und Konfliktverhalten begann in den Köpfen der ErzieherInnen. Sie begann mit ihrer Entscheidung, das diesbezügliche Verhalten von Jacob nicht nur missbilligend hinzunehmen, sondern als eine für ihn angemessene, von ihm selbst entwickelte Lösung für seine Bedürfnisse anzuerkennen. Sie sahen, dass Jacob damit für sich eine Lösung gefunden hatte, zu Dingen, die für ihn wichtig waren, zu kommen. Er entwickelte dabei die Geduld zum Beobachten und auf den rechten Augenblick zum Handeln zu warten, um dann das Spielzeug vor den möglicherweise neugierigen und begehrlichen Blicken anderer zu schützen. Diese Akzeptanz der Erzieherinnen förderte vermutlich die Akzeptanz der Gruppe sowohl zu Jacobs Beziehungs- als auch zu seinem Konfliktverhalten.

4.2 Oskar, ein unsicher-ambivalent gebundenes Kind, provoziert Konflikte, um Aufmerksamkeit zu erhalten

Oskar, ein an seine Mutter unsicher-ambivalent gebundenes Kind, beschäftigte die ErzieherInnen öfters in ihren Teamgesprächen, da sich sein Konfliktverhalten trotz ihrer zahlreichen Interventionen nicht änderte. Oskar wurde von vielen für ihn interessanten Spielsituationen für kurze Zeit angezogen. Dabei versuchte er in der Regel, sich das im Mittelpunkt befindliche Spielzeug zu nehmen, manchmal mit, manchmal ohne Erfolg. Wenn dabei keine Intervention einer ErzieherIn erfolgte, war er sodann für kurze Zeit weiter an diesen Spielen beteiligt und zwar so lange, bis ihn eine andere Spielsituation aufs Neue anzog. Dort vollzog sich in der Regel die eben geschilderte Abfolge des Geschehens aufs Neue. Schritt eine der ErzieherInnen jedoch in solchen Situationen ein und erinnerte ihn an die Einhaltung der Regeln, so warf er sich oft auf den Boden, jammerte und war durch ihre Worte zumeist nicht mehr erreichbar. Die ErzieherInnen hatten mit der Zeit den Eindruck gewonnen, dass es Oskar in diesen Konflikten gar nicht so sehr um das Spielzeug ging, sondern dass er eher die (negative) Aufmerksamkeit der Kinder aber auch der ErzieherInnen zu suchen schien. Denn einmal hatte eine von ihnen den lauten aber auch hilflos erscheinenden Oskar nach zunächst beiderseitigem Widerstreben auf den Schoß genommen, als er sich schnell beruhigte und sich sogar schließlich an sie schmiegte. Er war nun für ihre Ansprache zugänglich. Offensichtlich war es in dem von Oskar inszenierten Konflikt vor allem darum gegangen, Aufmerksamkeit zu erlangen und vielleicht auch darum, einen geborgenen Rahmen zum Ordnen seiner inneren widersprüchlichen Gefühle zu finden. Die ErzieherInnen hatten damit für Oskar und für sich ebenfalls auch in manch weiteren, ähnlichen Situationen einen Zugang geschaffen.

Hess. Sozialministerium (Hrsg.) (2005): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen (Entwurf). Stand März 2005

v. Hentig, H., (1999): Bildung, München, Wien, (1996)

Niedergesäß, B., Heipt-Schädel, B., (2003): Bildungsprozesse in integrativen Einrichtungen Eine Darstellung anhand von Beispielen aus Einrichtungen der Mainkrokodile und der Lebenshilfe. Sonderpäd. Förderung 48. Jg., 4/2003, 409 - 414

Niedergesäß, B., (2004): Einleitung zu dem Buch: Die ersten gemeinsamen Schritte in die Welt. Babys in Tageseinrichtungen – Bereicherung oder Belastung für Babys, ihre Familie und ErzieherInnen? Trägerverbund frei gemeinnütziger Träger. Niedergesäß, B., Drexler- Wagner, S. Strüber, E., Bastian-Störk, A. (Hrsg.) 11-

Schäfer, G.E., (2003): Bildung beginnt mit der Geburt, Weinheim, Basel, Berlin 2003

Schäfer, G.E., (2004:, Bildungsprozesse im Krippenalter. In: Trägerverbund frei gemeinnütziger Träger. Niedergesäß, B., Drexler-Wagner, S. Strüber, E., Bastian-Störk, A. (Hrsg.) Die ersten gemeinsamen Schritte in die Welt. Babys in Tageseinrichtungen – Bereicherung oder Belastung für Babys, ihre Familie und ErzieherInnen? 127-